Vor dem Frankfurter Hauptbahnhof steigt ein Mann in ein Taxi. Während er sich auf den Beifahrersitz fallen lässt, drückt ihm die Waffe in seiner linken Jackentasche unangenehm auf die Brust. Leise sagt er dem Fahrer, wohin er will: zum Messegelände nach Düsseldorf. Der Fahrer pfeift durch die Zähne, so eine Fahrt ist zwischen 250 und 300 Euro wert. Er stellt den Zähler auf Null, meldet sich bei der Zentrale ab und fährt los. Die beiden haben Glück, es ist nur wenig Verkehr und sie kommen rasch aus der Stadt. Nach einigen Kilometern merkt der Fahrgast, dass er einen Fehler gemacht hat, als er vorn eingestiegen ist. Denn er will dem Mann, der vor zwanzig Jahren seine Frau ermordete, in die Augen schauen, wenn er Vergeltung übt ... Nüchtern, präzise und mit viel Einfühlungsvermögen beschreibt Bruno Preisendörfer eine menschliche Extremsituation. Darf man geschehenes Unrecht mit Unrecht vergelten? Wie kann man damit leben, das Leben eines anderen zerstört zu haben? »Die Vergeltung« ist ein mitreißend erzählter, eindringlicher Roman über die Abgründe des Lebens und unsere verzweifelten Versuche, ihnen zu entkommen.
Bruno Preisendörfers Rachegeschichte aus dem Schmuddelmilieu
Warum nur zieht einen dieses Buch nicht direkt in seinen Bann? Gut geschrieben ist es ja. Und Bruno Preisendörfer weiß, wie man den Dreh für einen spannenden Roman findet, auch wenn sein letzter, noch bei Eichborn erschienener Roman "Die letzte Zigarette" ein eher gemischtes Vergnügen war (F.A.Z. vom 29. September 2006). Die Ausgangslage des neuen, "Die Vergeltung", ist vielversprechend: zwei Männer in einem Taxi. Der Kunde möchte von Frankfurt nach Düsseldorf, doch eigentlich will er nur eins: den Fahrer töten. Denn dieser hat seine Frau auf dem Gewissen. Vor zwanzig Jahren hatte Sebastian Neubert bei einem Raubüberfall das junge Eheglück von Michael und Vanessa Stein mit einem Schuss zerstört; Vanessa starb noch in derselben Nacht, Michael schwor Rache. Nun sitzt er neben dem Mörder, die Pistole in der Tasche. Der Showdown beginnt. Auch der Schluss kann sich sehen lassen. In guter Krimimanier nimmt die Handlung im letzten Moment eine gänzlich unerwartete Wendung.
Aber warum legt man das Buch etwas unbefriedigt zur Seite? Weil alles, was zwischen den beiden Angelpunkten der Erzählung geschieht, nicht immer der Erhellung, sondern zu häufig der Verwässerung dient. Die Spannung, die in der langen Eingangssequenz, an deren Ende sich Michael Stein doch nicht dazu durchringen kann abzudrücken, aufgebaut wird, kann nicht aufrechterhalten werden. Preisendörfer wird zum Gefangenen seiner eigenen Komposition, wenn er mit einem eigentlich bereits finalen Duell einsteigt und die Dramatik danach nur noch verschleppen kann. So gestaltet sich der Mittelteil beinahe langweilig. Nach der langen Taxifahrt kommen sich die beiden Konkurrenten näher; plötzlich werden sie zu Freunden, duzen sich und spielen miteinander Domino. Die Entstehungsgeschichte der Freund-Feindschaft wird später nachgeliefert. Michael Stein weiß über das Leben seines Gegenübers perfekt Bescheid: über Neuberts Zeit im Gefängnis, seine Suche nach Arbeit, sein junges Eheglück mit der resoluten Wirtin einer Frankfurter Taxikneipe. Je besser er ihn persönlich kennt, desto schwerer fällt es ihm natürlich, seinen Schwur einzulösen. Was folgt, ist ein Versteck- und Verstellungsspiel im schmuddeligen Frankfurter Taxifahrermilieu. Stein, der einstmals eine hoffnungsvolle Karriere im Bankgewerbe vor sich hatte, begibt sich tief hinein in diese Welt. Zu vieles erscheint dabei überflüssig, der Roman ist hier ein wenig überfrachtet. So trägt etwa der Gang in einen Waschsalon, in dessen Fortgang sich Steins Hemden rosa färben, nicht zum Verständnis der Handlung bei.
Wenn es sich dennoch um ein lesenswertes Buch handelt, dann wegen der interessanten Krimiausgangslage - Stoff für den kurzen Lesehunger zwischendurch.
KILIAN TROTIER
Bruno Preisendörfer: "Die Vergeltung". Roman. Liebeskind Verlag, München 2007. 240 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kilian Trotier hat mit Spannung zum neuen Roman von Bruno Preisendörfer gegriffen und sich dann doch ein bisschen gelangweilt. Der Plot ist eigentlich fesselnd genug: auf einer Taxifahrt von Düsseldorf nach Frankfurt hat der Fahrgast Michael Stein nichts anderes im Sinn, als seinen Fahrer zu erschießen, erzählt Trotier. Auch die Pointe ist in ihrer überraschenden Wendung gut ausgedacht und erfüllt alle Erwartungen an einen spannenden Krimi, so der Rezensent weiter. Schade nur, dass zwischen Anfang und Ende des Romans zuviel für den Fortgang der Handlung gänzlich Unwichtiges ausgebreitet wird, Preisendörfer sich in Beschreibungen der Frankfurter Taxifahrerszene oder von Besuchen im Waschsalon verzettelt. Doch ganz so schlimm scheint das nicht zu sein, denn in einer überraschenden Wendung seiner Kritik empfiehlt Trotier diesen Roman dann doch noch als spannendes Lesefutter für den "kurzen Lesehunger zwischendurch".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH