T Manzonis 'I promessi sposi', der bedeutende Roman der italienischen Literatur, erzählt vor dem Hintergrund der spanischen Fremdherrschaft im Italien des 17. Jahrhunderts die Geschichte des Liebespaares Renzo und Lucia, deren Heirat durch Intrigen, Krieg, Aufstände und Pest über zwei Jahre hinweg verhindert wird, und entwirft ein Panorama des Stadtstaates Mailand in politisch bewegter Zeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.19971827
Alessandro Manzoni "Die Verlobten"
Der gewöhnliche Leser (ein schöner Ausdruck Virginia Woolfs; sie meint uns), der gewöhnliche Leser hat oft große Angst vor Büchern, die er nach Meinung aller Autoritäten gelesen haben muß, um auch nur vor sich selber mitreden zu können. Trotzt er dann aber einmal allen Autoritäten und vertraut der eignen Kraft und liest solche Sachen einfach, dann entpuppen sie sich oft als hinreißend schön und wunderbar verständlich und bezaubern auch seine eigne mit sich selber redende Seele. Manzonis "Verlobte" ist ein solches Buch; es spielt am Comer See, in Mailand, in Bergamo, die Zeit ist das frühe siebzehnte Jahrhundert (der historische Roman ist sonst ein zweifelhaftes Gebilde, aber hier, in seinen Anfängen, im ersten Drittel des Jahrhunderts, treibt er wunderschöne Blüten), und das Schicksal zweier Liebender führt uns an Räubern und schlimmen Tyrannen, am hohen Klerus und an wahrhaft beseelten Geistlichen, an Helden und an geduckten Kleinbürgern vorbei in Kriegs- und Friedenszeiten hinein, in die Schrecken der Willkür, und dann, und gerade auch dafür ist das Buch berühmt, in die große Pest von Mailand, in der sich dann alle Knoten lösen (wer anderswo oft sieht, wie gern und beinahe leichtfertig viele Romanciers Krieg und Pestilenz benutzen, um billig Figuren loszuwerden, mit denen sie sonst große Probleme kriegen würden, der weiß den Mut zu schätzen, mit dem ein Mann wie Manzoni, durchaus eingedenk des Risikos, hier auf die Pest losgeht; es ist genau dieser Mut, der die großen Romanciers ausmacht. Sehr keck und hübsch unbedacht sagt Renzo einmal, im Kapitel 33 - Renzo ist der Liebende, seine Verlobte heißt Lucia: "Wenn ich eine so schöne Gelegenheit vorübergehen lasse - die Pest! . . . - so eine kommt nicht wieder!" und darauf, sofort, greift dann der Autor ein und sagt: "Wir wollen es hoffen, mein lieber Renzo"). Manzoni erzählt oft sehr bedächtig, als ob wir unendlich Zeit hätten. Aber wenn wir uns einlassen auf ihn, enthüllt auch die Zeit, die wir haben, ganz ungeahnte Dimensionen, und füllt sich so unmerklich auf, daß wir von ihr Mengen gewinnen, an die wir vor diesem Erzählen niemals geglaubt hätten (Alessandro Manzoni: "Die Verlobten". Aus dem Italienischen übersetzt von Ernst Wiegand Junger. Mit 440 Illustrationen der italienischen Ausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1985. 925 S., br., 28,90 DM). R.V.
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Alessandro Manzoni "Die Verlobten"
Der gewöhnliche Leser (ein schöner Ausdruck Virginia Woolfs; sie meint uns), der gewöhnliche Leser hat oft große Angst vor Büchern, die er nach Meinung aller Autoritäten gelesen haben muß, um auch nur vor sich selber mitreden zu können. Trotzt er dann aber einmal allen Autoritäten und vertraut der eignen Kraft und liest solche Sachen einfach, dann entpuppen sie sich oft als hinreißend schön und wunderbar verständlich und bezaubern auch seine eigne mit sich selber redende Seele. Manzonis "Verlobte" ist ein solches Buch; es spielt am Comer See, in Mailand, in Bergamo, die Zeit ist das frühe siebzehnte Jahrhundert (der historische Roman ist sonst ein zweifelhaftes Gebilde, aber hier, in seinen Anfängen, im ersten Drittel des Jahrhunderts, treibt er wunderschöne Blüten), und das Schicksal zweier Liebender führt uns an Räubern und schlimmen Tyrannen, am hohen Klerus und an wahrhaft beseelten Geistlichen, an Helden und an geduckten Kleinbürgern vorbei in Kriegs- und Friedenszeiten hinein, in die Schrecken der Willkür, und dann, und gerade auch dafür ist das Buch berühmt, in die große Pest von Mailand, in der sich dann alle Knoten lösen (wer anderswo oft sieht, wie gern und beinahe leichtfertig viele Romanciers Krieg und Pestilenz benutzen, um billig Figuren loszuwerden, mit denen sie sonst große Probleme kriegen würden, der weiß den Mut zu schätzen, mit dem ein Mann wie Manzoni, durchaus eingedenk des Risikos, hier auf die Pest losgeht; es ist genau dieser Mut, der die großen Romanciers ausmacht. Sehr keck und hübsch unbedacht sagt Renzo einmal, im Kapitel 33 - Renzo ist der Liebende, seine Verlobte heißt Lucia: "Wenn ich eine so schöne Gelegenheit vorübergehen lasse - die Pest! . . . - so eine kommt nicht wieder!" und darauf, sofort, greift dann der Autor ein und sagt: "Wir wollen es hoffen, mein lieber Renzo"). Manzoni erzählt oft sehr bedächtig, als ob wir unendlich Zeit hätten. Aber wenn wir uns einlassen auf ihn, enthüllt auch die Zeit, die wir haben, ganz ungeahnte Dimensionen, und füllt sich so unmerklich auf, daß wir von ihr Mengen gewinnen, an die wir vor diesem Erzählen niemals geglaubt hätten (Alessandro Manzoni: "Die Verlobten". Aus dem Italienischen übersetzt von Ernst Wiegand Junger. Mit 440 Illustrationen der italienischen Ausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1985. 925 S., br., 28,90 DM). R.V.
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»Ich liebe diesen Roman!« Umberto Eco