Faktenbasierte Horizonterweiterung
Im Jahre 1827 erschien als wegweisendes Werk der Romantik die erste Fassung des Romans «I Promessi Sposi» von Alessandro Manzoni, es wurde auf Anhieb ein Publikumserfolg. Vorbild für den italienischen Schriftsteller war Sir Walter Scott, dem er bei einem Treffen
gestand, «dass er sich durchaus als sein Schuldner fühle». Noch im gleichen Jahr ins Deutsche…mehrFaktenbasierte Horizonterweiterung
Im Jahre 1827 erschien als wegweisendes Werk der Romantik die erste Fassung des Romans «I Promessi Sposi» von Alessandro Manzoni, es wurde auf Anhieb ein Publikumserfolg. Vorbild für den italienischen Schriftsteller war Sir Walter Scott, dem er bei einem Treffen gestand, «dass er sich durchaus als sein Schuldner fühle». Noch im gleichen Jahr ins Deutsche übertragen, folgten dann mehr als ein Dutzend weitere Übersetzungen dieses ersten dem Realismus zuzurechnenden historischen Romans, er gehört unbestrittenen zum Kanon der Weltliteratur. Einst von Goethe hoch gelobt, auch von Reich-Ranicki euphorisch zur Lektüre empfohlen, ist er in Italien als bester Prosa-Klassiker heute noch Pflichtlektüre an höheren Schulen.
«Die Verlobten» ist die Geschichte eines Liebespaares aus einem Dorf am Comer See, das heiraten will. Es beginnt protokollartig: Am 7. November 1628 wird der Dorfpfarrer bei einem abendlichen Spaziergang von Schergen des Lehnsherren aufgefordert, die geplante Hochzeit von Renzo und Lucia keinesfalls vorzunehmen, widrigenfalls ihm Schlimmes drohe. Der brutale Don Rodrigo hat selbst ein Auge auf die schöne Braut geworfen, die Beiden müssen fliehen. Lucia versteckt sich in einem Kloster, Renzo flüchtet nach Mailand. Er gerät dort in einen Volksaufstand wegen der hohen Brotpreise, wird als Aufrührer verhaftet, kann entkommen und findet jenseits der Grenze Unterschlupf bei einem Cousin in Bergamo. Lucia jedoch wird im Auftrag von Don Rodrigo von einem verbrecherischen Feudalherrn auf dessen Ritterburg entführt. Als aber der charismatische Mailänder Erzbischof sich persönlich für sie einsetzt, geschieht die wundersame Bekehrung des grausamen Tyrannen zum christlichen Wohltäter. Er bringt Lucia bei einer wohlhabenden Mailänder Familie in Sicherheit. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges schleppen 1630 marodierende Soldaten dort die Pest ein, verzweifelt macht sich Renzo trotz Haftbefehl auf die Suche nach ihr.
Die in 34 Kapiteln erzählte Geschichte widmet am Ende zwei Kapitel allein der Ausbreitung der Pest in Mailand, fast die Hälfte der damaligen Bevölkerung fielen ihr zum Opfer. Von der Corona-Pandemie geschädigte Leser werden in dieser exzellenten Darstellung vieles wiederfinden, was heute allenthalben die Schlagzeilen bestimmt. Alessandro Manzoni streut häufig auch eigene Gedanken zu den historischen Ereignissen ein, erläutert die ökonomischen Bedingungen, die zum ‹Mailänder Brotaufstand› geführt haben, oder zitiert aus Dokumenten der Zeit von den erfolglosen Maßnahmen der spanischen Fremdherrscher zur Bekämpfung des Angst und Schrecken verbreitenden Raubrittertums. Mit versteckter Ironie kommentiert er gelegentlich aber auch das fiktionale Geschehen und die allzumenschlichen Motive seiner lebensechten Figuren.
Ein Verdienst dieses berühmten Romans ist zweifellos der Verzicht auf die übliche Heroisierung des Rittertums, die hier vielmehr als Märchen entlarvt wird angesichts des unsäglichen Terrors, mit dem brutale Feudalherren erbarmungslos Tod und Elend verbreitet haben. Insoweit bietet die tragische Geschichte der Verlobten lediglich die narrative Basis für eine umfassende Analyse der komplizierten Stände-Gesellschaft jener Zeit und der nicht minder komplizierten politischen Verhältnisse. Sprachlich hat der Autor mit seinem sozialkritischen Werk Maßstäbe gesetzt für die italienische Literatur Anfang des 19ten Jahrhunderts. Er erzählt seine Geschichte gemächlich, mit üppigen Ausschmückungen und in langen, brillant formulierten Satzgebilden, denen man als Leser genüsslich folgt, - dafür sollte man allerdings die nötige Muße haben. Die damals neuartige Vermischung von historischen Fakten und Fiktion, von Goethe seinerzeit noch beanstandet, ist als literarischer Genretyp seit Sir Walter Scott jedoch fest etabliert. Sie erfreut all jene nach Belesenheit strebenden Buchfreunde, die neben fiktionaler Unterhaltung auch eine faktenbasierte Horizonterweiterung erwarten.