Am Anfang ist alles leicht, voller Nervenkitzel. Liese arbeitet als Immobilienmaklerin in Melbourne, als sie den vermögenden Alexander kennenlernt und sich mit ihm auf ein Abenteuer einlässt. Sie verabreden sich heimlich in den Wohnungen von Lieses Klienten, tauchen ein in fremde Leben, ein scheinbar unverbindliches Arrangement mit klaren Regeln. Bis Alexander diese Regeln plötzlich ändert. Denn als Liese die Affäre beenden will, überredet er sie zu einem letzten Treffen. Sie soll ein Wochenende mit ihm in seinem Landhaus verbringen, irgendwo in der Einsamkeit des Outbacks. Zu spät merkt Liese, dass ihre Rollen sich da längst verselbstständigt haben - und Alexander sie nicht wieder gehen lassen wird. Die romantische Abgeschiedenheit wird zur Falle. Meisterhaft durchstreift Chloe Hooper jenes dunkle Hinterland der Seele, wo Begehren und Bedrohung, Wirklichkeit und Wahn ineinander übergehen. 'Die Verlobung' ist ein modernes Schauermärchen über Obsessionen, Lebenslügen und die Erkenntnis, dass es manchmal besser ist, das Geheimnis, wer wir wirklich sind, nicht preiszugeben. Man kann allem entkommen, nur nicht sich selbst.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der dritte Roman von Chloe Hopper ist unter dem Titel "Die Verlobung" ins Deutsche übersetzt worden, und Rezensentin Wiebke Porombka ist begeistert. Fasziniert lässt sie sich einmal mehr auf Hoppers Spiel mit verschiedenen psychologischen Konstruktionen ein: Sie liest hier die unheimliche Geschichte der Londoner Mittdreißigerin Liese, die einem Mann, mit dem sie einige Male gegen Geld geschlafen hat, auf sein Landgut nach Australien folgt, immer mehr in seine Fänge gerät und sich selbst in Lügen verstrickt. Porombka fühlt sich während der Lektüre immer mehr an "Shining" oder "Psycho" erinnert, lobt aber insbesondere das Talent der Autorin, den Leser weit über bloße Unterhaltung hinaus in ein psychologisches Verwirrspiel einzubeziehen. Und so kann sie diesen brillanten Roman nur unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2014Wünschen Sie Nieren zum Candle-Light-Dinner?
Mit Chloe Hoopers Roman "Die Verlobung" fühlt man sich wie in "Psycho" oder "Shining"
Das Angenehme an unzuverlässigen Erzählern ist die Zuverlässigkeit, mit der sie uns ihre subjektive, zumeist reichlich verdrehte Perspektive als Wirklichkeit verkaufen wollen. Oder aber: müssen. Denn die Unzuverlässigkeit ist nicht immer Strategie der Figur, sondern mitunter auch Pathologie. Um ein durchaus reizvolles Erzählprinzip handelt es sich in jedem Fall, weil man, hat man es einmal entschlüsselt, mit relativer Sicherheit zu wissen meint, dass man Urteile und Deutungen der Erzählerfigur nur in ihr Gegenteil verkehren muss, um der Wahrheit des fiktionalen Geschehens nahezukommen.
Die 1973 geborene Chloe Hooper hat in ihrem dritten, von Michael Kleeberg ins Deutsche übertragenen Roman "Die Verlobung" ein Szenario entworfen, das mindestens eine Wendung mehr macht, als dass sich die tatsächlichen psychologischen Konstruktionen bereits auf den ersten Seiten offenbaren würden. Zunächst einmal erscheint der Kurztrip, den die Mittdreißigerin Liese auf das australische Landgut ihres Kunden Alexander antritt, wie eine ziemlich schlechte Idee. Kunde ist Alexander gleich in zweifacher Hinsicht: Kennengelernt hat Liese ihn, als sie ihm in Melbourne eine Wohnung vermitteln wollte. Aus - wie sie es beschreibt - einer fixen Idee heraus hat sie während einer der Besichtigungen mit Alexander geschlafen und sich danach von ihm bezahlen lassen. Von da an traf man sich regelmäßig in verschiedenen leerstehenden Wohnungen, und Liese konnte nach jedem Treffen ein wenig von ihrem Schuldenberg abtragen.
Als Alexander erfährt, dass sie in ihre Heimatstadt London zurückkehren will, und sie für ein letztes gemeinsames Wochenende auf seine Farm einlädt, sagt Liese nur wegen der großzügigen Summe zu, die er ihr dafür in Aussicht stellt. Das Unwohlsein wächst, je weiter die Fahrt hinaus ins australische Niemandsland geht.
Chloe Hooper fährt alle nötigen Ingredienzien auf, um die unheilvolle Atmosphäre immer mehr zu steigern. Ein auf den ersten Blick prunkvolles Herrenhaus, die oberen Stockwerke aber verwaist und verkommen, fortwährende Kälte und Dunkel, in Alexanders Schlafzimmer, das Liese heimlich durchsucht, liegen altmodische Frauenkleider, im Badezimmer angebrochene Make-up-Fläschchen. Und immerzu meint man noch den Geschmack des ersten Abendessens auf der Zunge zu haben, das Alexander zubereitet hat: frische Nieren, die, wie er es nennt, ein wenig "pissig" schmecken.
Was sonst als ein Psychopath könnte sich hinter diesem Junggesellen verbergen? Dass Liese sich hier in einer klassischen Dramaturgie à la "Shining" oder "Psycho" befindet, daran lässt Hooper kaum Zweifel aufkommen. Dass Alexander ihr einen Heiratsantrag macht, lässt die Lage nur noch bedrohlicher erscheinen: Auch für Liese gibt es kein Entkommen aus diesem Haus, wie für all die anderen Besitzerinnen der halbleeren Make-up-Fläschchen.
Indes ist die Kulisse, wie Liese sie uns schildert, ein wenig zu perfekt. Und dann sind da noch Briefe, die Liese in Alexanders Schreibtischschublade entdeckt: Verleumdungsschreiben, die ihn eindringlich vor ihr als Nymphomanin und berechnender und rücksichtsloser Person warnen. Dass Liese ihm immer noch versichert, dass er ihr einziger Kunde gewesen sei, erscheint nun zusehends seltsam, denn zugleich offenbart sie dem Leser, dass sie Alexander immerzu von anderen Kunden und deren sexuellen Vorlieben erzählt hat.
Wer sich einmal zu viel in Lügen verstrickt, wird dafür bestraft, könnte man schlussfolgern. Schließen könnte man aber auch, dass man es hier mit einer Erzählerin zu tun hat, die offenbar nicht mehr zu trennen weiß zwischen dem, was sie erlebt hat, und dem, was sie anderen - oder sich selbst - vorgaukelt, erlebt zu haben. Spätestens an dieser Stelle fällt auch auf, dass zwar beständig von Prostitution und sexueller Ausschweifung die Rede ist, dass aber der einzig annähernd erotische Moment, dem der Leser beigewohnt hat, der recht klägliche Versuch von Liese war, sich vor Alexander in Spitzenunterwäsche zu präsentieren. Und klar wird allmählich auch: Was in den Briefen über Liese steht, kann nur jemand wissen, der sie seit ihrer frühesten Kindheit kennt.
Spätestens jetzt wird "Die Verlobung" zur psychologischen Nabelschau, die über den sinistren Kitzel gutgemachter Unterhaltungsliteratur hinausgeht. Chloe Hooper lässt den Leser mit seinen Spekulationen so allein, wie ihre Figuren es mit sich und ihren Abgründen in der Unwirtlichkeit des australischen Niemandslands sind. Ob das von Alexander anberaumte Verlobungsdinner - auf dem Speiseplan steht diesmal Schwan - die finale Katastrophe oder das erlösende Wohlgefallen beschert, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.
WIEBKE POROMBKA
Chloe Hooper: "Die Verlobung".
Aus dem Englischen von Michael Kleeberg. Liebeskind, München 2014. 320 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Chloe Hoopers Roman "Die Verlobung" fühlt man sich wie in "Psycho" oder "Shining"
Das Angenehme an unzuverlässigen Erzählern ist die Zuverlässigkeit, mit der sie uns ihre subjektive, zumeist reichlich verdrehte Perspektive als Wirklichkeit verkaufen wollen. Oder aber: müssen. Denn die Unzuverlässigkeit ist nicht immer Strategie der Figur, sondern mitunter auch Pathologie. Um ein durchaus reizvolles Erzählprinzip handelt es sich in jedem Fall, weil man, hat man es einmal entschlüsselt, mit relativer Sicherheit zu wissen meint, dass man Urteile und Deutungen der Erzählerfigur nur in ihr Gegenteil verkehren muss, um der Wahrheit des fiktionalen Geschehens nahezukommen.
Die 1973 geborene Chloe Hooper hat in ihrem dritten, von Michael Kleeberg ins Deutsche übertragenen Roman "Die Verlobung" ein Szenario entworfen, das mindestens eine Wendung mehr macht, als dass sich die tatsächlichen psychologischen Konstruktionen bereits auf den ersten Seiten offenbaren würden. Zunächst einmal erscheint der Kurztrip, den die Mittdreißigerin Liese auf das australische Landgut ihres Kunden Alexander antritt, wie eine ziemlich schlechte Idee. Kunde ist Alexander gleich in zweifacher Hinsicht: Kennengelernt hat Liese ihn, als sie ihm in Melbourne eine Wohnung vermitteln wollte. Aus - wie sie es beschreibt - einer fixen Idee heraus hat sie während einer der Besichtigungen mit Alexander geschlafen und sich danach von ihm bezahlen lassen. Von da an traf man sich regelmäßig in verschiedenen leerstehenden Wohnungen, und Liese konnte nach jedem Treffen ein wenig von ihrem Schuldenberg abtragen.
Als Alexander erfährt, dass sie in ihre Heimatstadt London zurückkehren will, und sie für ein letztes gemeinsames Wochenende auf seine Farm einlädt, sagt Liese nur wegen der großzügigen Summe zu, die er ihr dafür in Aussicht stellt. Das Unwohlsein wächst, je weiter die Fahrt hinaus ins australische Niemandsland geht.
Chloe Hooper fährt alle nötigen Ingredienzien auf, um die unheilvolle Atmosphäre immer mehr zu steigern. Ein auf den ersten Blick prunkvolles Herrenhaus, die oberen Stockwerke aber verwaist und verkommen, fortwährende Kälte und Dunkel, in Alexanders Schlafzimmer, das Liese heimlich durchsucht, liegen altmodische Frauenkleider, im Badezimmer angebrochene Make-up-Fläschchen. Und immerzu meint man noch den Geschmack des ersten Abendessens auf der Zunge zu haben, das Alexander zubereitet hat: frische Nieren, die, wie er es nennt, ein wenig "pissig" schmecken.
Was sonst als ein Psychopath könnte sich hinter diesem Junggesellen verbergen? Dass Liese sich hier in einer klassischen Dramaturgie à la "Shining" oder "Psycho" befindet, daran lässt Hooper kaum Zweifel aufkommen. Dass Alexander ihr einen Heiratsantrag macht, lässt die Lage nur noch bedrohlicher erscheinen: Auch für Liese gibt es kein Entkommen aus diesem Haus, wie für all die anderen Besitzerinnen der halbleeren Make-up-Fläschchen.
Indes ist die Kulisse, wie Liese sie uns schildert, ein wenig zu perfekt. Und dann sind da noch Briefe, die Liese in Alexanders Schreibtischschublade entdeckt: Verleumdungsschreiben, die ihn eindringlich vor ihr als Nymphomanin und berechnender und rücksichtsloser Person warnen. Dass Liese ihm immer noch versichert, dass er ihr einziger Kunde gewesen sei, erscheint nun zusehends seltsam, denn zugleich offenbart sie dem Leser, dass sie Alexander immerzu von anderen Kunden und deren sexuellen Vorlieben erzählt hat.
Wer sich einmal zu viel in Lügen verstrickt, wird dafür bestraft, könnte man schlussfolgern. Schließen könnte man aber auch, dass man es hier mit einer Erzählerin zu tun hat, die offenbar nicht mehr zu trennen weiß zwischen dem, was sie erlebt hat, und dem, was sie anderen - oder sich selbst - vorgaukelt, erlebt zu haben. Spätestens an dieser Stelle fällt auch auf, dass zwar beständig von Prostitution und sexueller Ausschweifung die Rede ist, dass aber der einzig annähernd erotische Moment, dem der Leser beigewohnt hat, der recht klägliche Versuch von Liese war, sich vor Alexander in Spitzenunterwäsche zu präsentieren. Und klar wird allmählich auch: Was in den Briefen über Liese steht, kann nur jemand wissen, der sie seit ihrer frühesten Kindheit kennt.
Spätestens jetzt wird "Die Verlobung" zur psychologischen Nabelschau, die über den sinistren Kitzel gutgemachter Unterhaltungsliteratur hinausgeht. Chloe Hooper lässt den Leser mit seinen Spekulationen so allein, wie ihre Figuren es mit sich und ihren Abgründen in der Unwirtlichkeit des australischen Niemandslands sind. Ob das von Alexander anberaumte Verlobungsdinner - auf dem Speiseplan steht diesmal Schwan - die finale Katastrophe oder das erlösende Wohlgefallen beschert, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.
WIEBKE POROMBKA
Chloe Hooper: "Die Verlobung".
Aus dem Englischen von Michael Kleeberg. Liebeskind, München 2014. 320 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main