Nur wenigen Künstlern gelingt es, Bildwelten zu schaffen, die ganze Generationen begleiten. Einer davon ist Zdenek Burian, der mit seinen visuellen Rekonstruktionen archäologischer Forschung unser Bild vonprähistorischen Zeiten nachhaltig geprägt hat. Wer heute an einen Brontosaurier, Neandertaler oder an ein Mammut denkt, wird ein Bild Burians vor Augen haben, in dem sich wissenschaftliche Erkenntnis mit künstlerischer Gestaltung auf stilprägende Weise verbindet. Ausgehend von archäologischen Fundstücken und Hypothesen schuf er mit ihnen die lebendige, oft phantastisch anmutende Illusion einer versunkenen Welt. Dieser Bilderatlas stellt das prähistorische Werk Zdenek Burians in seinem Zusammenhang dar und dient gleichzeitig als ikonografischer Führer durch eine Welt, die zwar Millionen von Jahren zurückliegt, und doch deutlich auf die Zeit ihrer Schöpfung verweist: die 50er- und 60er- Jahre des 20. Jahrhunderts. Burians Werk erleuchtet damit nicht nur die Anfänge des irdischen Lebens, sondern auch seine Gegenwart, die Welt des Kalten Krieges in Erwartung der Apokalypse.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein E-Book riecht nicht. Das stellt Burkhard Müller so richtig erst jetzt fest, da er diesen Schatz in Händen hält und sich an seiner komplex muffigen und nussigen Note berauscht. Aber der Band hat noch mehr zu bieten. Laut Müller nämlich einen Einblick in das Werk des eher wenig bekannten, mit seinen Bildern allerdings unser Unterbewusstsein besiedelnden tschechischen Künstlers Zdenek Burian. Godzilla, Jurassic Park - das ist für Müller der imaginäre Raum Burians. Im Band entdeckt er Zeichnungen und Schraffuren, die mit Alfred Kubin locker mithalten, geheimnisvoll und durch die 50 Jahre Patina noch reizvoller für den Rezensenten. Auch wenn Müller mitunter den illustrativen Auftrag hinter dem technisch perfekten Bild erkennt - alles was er hier sieht, scheint ihm originell und von der allertiefsten Zeit zu künden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2014Rubens der Raubsaurier
Der Monstermaler Zdeněk Burian in einem Bildband
Es gibt Künstler, deren Namen kennt jeder, wenn er damit auch oft nicht viel verbindet. Und umgekehrt gibt es solche, deren Name so gut wie unbekannt ist, deren Werk sich aber tief ins Bewusstsein und noch tiefer ins Unbewusste aller eingeprägt hat. Zu dieser zweiten, selteneren Sorte gehört Zdeněk Burian. Burian kam so gut wie nie aus Tschechien heraus, er überlebte dort zwei Weltkriege und zwei Besatzungsregimes und starb 1981 mitten in der bleiernsten Zeit seines Heimatlandes. Dennoch hat er weltweit und fast im Alleingang das Bild einer ganzen Epoche bestimmt – mehr als etwa Rubens das Barock –, einer Epoche, die zudem die Dauer des Barock um etwa den Faktor eine Million übertrifft: das Erdmittelalter.
Wer sich an das Monster der Godzilla-Filme erinnert, das einem Burianschen Iguanodon entsprang, wer sich den Archaeopteryx oder die großen Raubsaurier vor Augen führt, der denkt, obwohl er es nicht weiß, an Gemälde dieses Mannes. Noch der animierte Echsenzoo aus „Jurassic Park“ steht in seiner Schuld. Was sonst nur ein Haufen versteinerter Knochen gewesen wäre, dem hat er Leben eingehaucht, ein sehr buntes Leben, denn in der Zuweisung von Muskelmassen und Kolorit verfuhr er freizügig.
Burian hat dem, was sonst bloß unvorstellbare Jahreszahl geblieben wäre, einen imaginären Raum erobert, einen Albtraum- und Sehnsuchtsraum, dessen Tiefe den Blick in sich hineinsaugt. Diese Bilder sind von einer ganz besonderen Luft erfüllt, dichter und zugleich klarer als unsere heutige. Man meint es dieser Atmosphäre anzusehen, dass sie damals aus fast reinem Sauerstoff bestand und darum Kreaturen ermöglichte, die durch unwahrscheinlich lange und dünne Hälse atmeten und, als libellenartige Insekten Flügelspannweiten von nahezu einem Meter erreichten. Auch Tuschezeichnungen gibt es, deren pechschwarze Nester und Schraffuren an das Beste heranreichen, was Alfred Kubin geschaffen hat.
Auch weil Burians Werk die meisten von uns, auf direkten und indirekten Wegen, bereits in der Kindheit erreicht hat, gehen Märchenschauer von ihr aus. Vor allem die frühen Bilder, bis etwa 1960, besitzen diese Qualität in hohem Maß, vielleicht deswegen, weil Burian sich damals mit vergleichsweise wenigem handfesten Material zu begnügen hatte und den Rest durch eigene Einbildungskraft ergänzen musste – nicht unähnlich seinem Zeit- und Schicksalsgenossen Stanisław Lem, der sich die futuristischen Welten umso unbeschwerter aus den Fingern sog, als er von den aktuellen wissenschaftlichen Diskursen weitgehend abgeschnitten war. Burians spätere Werke nähern sich der nüchterneren Darbietungsform des Dioramas an, verlieren ihr Geheimnis aber nie ganz.
Natürlich sind diese Bilder heute veraltet – veraltet, weil die Wissenschaft Neues und Anderes herausgefunden hat, aber auch, weil in ihnen unübersehbar der Geist einer vergangenen Ära Regie führt. Doch im Unterschied etwa zum gleichzeitigen Sozialistischen Realismus gereicht solches Alter Burians Werk zum perspektivischen Segen. Diese fünfzig Jahre liegen gerade lange genug zurück, dass sie der Verschollenheit jener Giganten noch eine Extra-Patina verleihen.
Ist das große Kunst? Alles daran ist originell ersonnen und technisch perfekt gemacht, mag der sich auch bescheiden dem Auftrag zur Illustration gefügt haben. Gut möglich, dass der Kunstmarkt, sich da noch einmal verlocken lässt, möglicherweise über jenen rezeptionsästhetischen Umweg, den Susan Sontag als „Camp“ beschrieben hat. Burian vermag mit einem sich entrollenden Palmfarnwedel Ähnliches anzustellen wie van Gogh mit der geflochtenen Sitzfläche eines Stuhls. Aber eigentlich noch mehr: In diesen Bildern erscheint wie nirgends sonst die Epiphanie der tiefen, der allertiefsten Zeit.
Nicht hoch genug preisen kann man den Verlag Matthes & Seitz, dass er einen Schatz wie diesen hebt, in seiner dem Format nach weit streuenden, inhaltlich aber entschieden nur das Beste duldenden Reihe „Naturkunden“. Erwähnt werden muss noch der für jedes E-Book uneinholbare Geruch des Buchs, der mit seiner komplex-muffigen Note, nussig-frisch zugleich, Verheißung und Lust der frühen Lektüren aufruft. Denn Zeitreisen funktionieren am besten dort, wo ihnen Düfte zu Hilfe kommen.
BURKHARD MÜLLER
Judith Schalansky (Hrsg.): Die verlorenen Welten des Zdeněk Burian. Mit einem Vorwort von Clemens J. Setz. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013, 288 Seiten, 68 Euro.
Dieser Künstler hat uns
mit seinen Bildwelten geprägt
Noch Godzilla steht tief in der Schuld dieses Künstlers: Hier ein Tarbosaurus bataar, 1970.
Abb. aus dem besproch. Band
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Monstermaler Zdeněk Burian in einem Bildband
Es gibt Künstler, deren Namen kennt jeder, wenn er damit auch oft nicht viel verbindet. Und umgekehrt gibt es solche, deren Name so gut wie unbekannt ist, deren Werk sich aber tief ins Bewusstsein und noch tiefer ins Unbewusste aller eingeprägt hat. Zu dieser zweiten, selteneren Sorte gehört Zdeněk Burian. Burian kam so gut wie nie aus Tschechien heraus, er überlebte dort zwei Weltkriege und zwei Besatzungsregimes und starb 1981 mitten in der bleiernsten Zeit seines Heimatlandes. Dennoch hat er weltweit und fast im Alleingang das Bild einer ganzen Epoche bestimmt – mehr als etwa Rubens das Barock –, einer Epoche, die zudem die Dauer des Barock um etwa den Faktor eine Million übertrifft: das Erdmittelalter.
Wer sich an das Monster der Godzilla-Filme erinnert, das einem Burianschen Iguanodon entsprang, wer sich den Archaeopteryx oder die großen Raubsaurier vor Augen führt, der denkt, obwohl er es nicht weiß, an Gemälde dieses Mannes. Noch der animierte Echsenzoo aus „Jurassic Park“ steht in seiner Schuld. Was sonst nur ein Haufen versteinerter Knochen gewesen wäre, dem hat er Leben eingehaucht, ein sehr buntes Leben, denn in der Zuweisung von Muskelmassen und Kolorit verfuhr er freizügig.
Burian hat dem, was sonst bloß unvorstellbare Jahreszahl geblieben wäre, einen imaginären Raum erobert, einen Albtraum- und Sehnsuchtsraum, dessen Tiefe den Blick in sich hineinsaugt. Diese Bilder sind von einer ganz besonderen Luft erfüllt, dichter und zugleich klarer als unsere heutige. Man meint es dieser Atmosphäre anzusehen, dass sie damals aus fast reinem Sauerstoff bestand und darum Kreaturen ermöglichte, die durch unwahrscheinlich lange und dünne Hälse atmeten und, als libellenartige Insekten Flügelspannweiten von nahezu einem Meter erreichten. Auch Tuschezeichnungen gibt es, deren pechschwarze Nester und Schraffuren an das Beste heranreichen, was Alfred Kubin geschaffen hat.
Auch weil Burians Werk die meisten von uns, auf direkten und indirekten Wegen, bereits in der Kindheit erreicht hat, gehen Märchenschauer von ihr aus. Vor allem die frühen Bilder, bis etwa 1960, besitzen diese Qualität in hohem Maß, vielleicht deswegen, weil Burian sich damals mit vergleichsweise wenigem handfesten Material zu begnügen hatte und den Rest durch eigene Einbildungskraft ergänzen musste – nicht unähnlich seinem Zeit- und Schicksalsgenossen Stanisław Lem, der sich die futuristischen Welten umso unbeschwerter aus den Fingern sog, als er von den aktuellen wissenschaftlichen Diskursen weitgehend abgeschnitten war. Burians spätere Werke nähern sich der nüchterneren Darbietungsform des Dioramas an, verlieren ihr Geheimnis aber nie ganz.
Natürlich sind diese Bilder heute veraltet – veraltet, weil die Wissenschaft Neues und Anderes herausgefunden hat, aber auch, weil in ihnen unübersehbar der Geist einer vergangenen Ära Regie führt. Doch im Unterschied etwa zum gleichzeitigen Sozialistischen Realismus gereicht solches Alter Burians Werk zum perspektivischen Segen. Diese fünfzig Jahre liegen gerade lange genug zurück, dass sie der Verschollenheit jener Giganten noch eine Extra-Patina verleihen.
Ist das große Kunst? Alles daran ist originell ersonnen und technisch perfekt gemacht, mag der sich auch bescheiden dem Auftrag zur Illustration gefügt haben. Gut möglich, dass der Kunstmarkt, sich da noch einmal verlocken lässt, möglicherweise über jenen rezeptionsästhetischen Umweg, den Susan Sontag als „Camp“ beschrieben hat. Burian vermag mit einem sich entrollenden Palmfarnwedel Ähnliches anzustellen wie van Gogh mit der geflochtenen Sitzfläche eines Stuhls. Aber eigentlich noch mehr: In diesen Bildern erscheint wie nirgends sonst die Epiphanie der tiefen, der allertiefsten Zeit.
Nicht hoch genug preisen kann man den Verlag Matthes & Seitz, dass er einen Schatz wie diesen hebt, in seiner dem Format nach weit streuenden, inhaltlich aber entschieden nur das Beste duldenden Reihe „Naturkunden“. Erwähnt werden muss noch der für jedes E-Book uneinholbare Geruch des Buchs, der mit seiner komplex-muffigen Note, nussig-frisch zugleich, Verheißung und Lust der frühen Lektüren aufruft. Denn Zeitreisen funktionieren am besten dort, wo ihnen Düfte zu Hilfe kommen.
BURKHARD MÜLLER
Judith Schalansky (Hrsg.): Die verlorenen Welten des Zdeněk Burian. Mit einem Vorwort von Clemens J. Setz. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013, 288 Seiten, 68 Euro.
Dieser Künstler hat uns
mit seinen Bildwelten geprägt
Noch Godzilla steht tief in der Schuld dieses Künstlers: Hier ein Tarbosaurus bataar, 1970.
Abb. aus dem besproch. Band
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