'Die Verschwörung der Zimmerleute' ist fast eine Zumutung: Ein endlos langer Roman mit unendlich vielen Figuren - nicht weniger als 156 Personen tauchen in der Handlung auf. Er ist auch kaum festzulegen, schwankt zwischen Satire und historischer Erzählung. Es wird berichtet von einem Land, das Deutschland sein könnte, zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts. In diesem fiktiven Land versucht ein Führer, Dr. Urban genannt, die Macht an sich zu reißen, was ihm zunächst von der trägen Bevölkerung leichtgemacht wird. Erst als die 'Bruderschaften' der Zimmerleute und anderer Handwerker sich zum Widerstand entschließen, wird sein Weg dorniger. So steht das Alte gegen das Neue auf, und der Kampf beginnt.Natürlich ist der Roman eine Parabel auf Hitlers Machtstreben. Aber, wie Franz Werfel im Vorwort schreibt: 'Es ist alles ähnlich und doch ganz anders, als es sich in Wirklichkeit zugetragen hat; aber gerade das Ähnlich- und Anderssein ist nicht nur sehr reizvoll und beweist nicht nur die Erfindungskraft des Autors, sondern erfüllt zugleich eines der wichtigsten Gesetze der Kunst, die nicht eine journalistische Abschilderung, sondern ein bedeutungsreiches Gleichnis des Lebens sein soll.'Der Roman ist 1943 unter dem Titel 'The Conspiracy of the Carpenters' in gekürzter Fassung bei Simon & Schuster in New York erschienen. Bertolt Brecht schrieb darüber: 'Ich konstatiere bei den Emigranten heftigen Abscheu, das Werk sei konfus, religiös, reaktionär, eine Schande. Nun ist Borchardt, bösartig wie viele Moralisten, ein abgründiger Provokateur, Übertreiber von Beruf als Satiriker usw. usw. Jedoch ist nicht zu vergessen, daß seine Werke turmhoch über denen der Werfels und Konsorten stehen, da sie mit Schärfe und Leidenschaft die sozialen Kämpfe unserer Zeit behandeln.'Endlich ist nun dieser letzte große unpublizierte Text aus dem Exil für den deutschen Leser zugänglich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2005Gefangen im Strandhotel
Romankoloß und Staatsutopie: Der Exilautor Hermann Borchardt
Von akademischen Festschriften, Sammelbänden der Aufsätze zu Ehren eines Kollegen, sagt man wohl, daß sie oft zu Friedhöfen werden: gelegentlich noch zitiert, im übrigen begraben in der Stille von Bibliotheksmagazinen. Auch belletristischer Literatur kann es ähnlich ergehen: Kaum erschienen, rutschen die Bücher in die Bestandsverzeichnisse von Antiquariatskatalogen. Selbst wiederausgegrabene, lange verschollene Texte fallen oft rasch dem zweiten Vergessen anheim. Diese traurige Wiederkehr des Gleichen sollte man dem neu herausgegebenen Roman "Die Verschwörung der Zimmerleute" des Exilautors Hermann Borchardt nicht wünschen, auch wenn die Lektüre des zweibändigen, gut tausend Seiten umfassenden Werks wahrlich kein Honigschlecken ist.
Der Weidle Verlag, der den erstmals in den Vereinigten Staaten in englischer Sprache veröffentlichten, ziemlich erfolglosen Roman nun in deutscher Fassung wieder vorlegt, hat sich um die Wiederentdeckung deutscher Exilliteratur außerordentlich verdient gemacht. Hermann Borchardt (eigentlich Hermann Hans Joelsohn), 1888 in Berlin geboren, studierte Philosophie, wurde Studienrat in Berlin und schrieb Stücke und satirische Gedichte, emigrierte 1933 über Frankreich in die Sowjetunion, die ihn aber 1936 auswies, weil er, enttäuscht vom stalinistischen System, nicht die sowjetische Staatsbürgerschaft annehmen wollte. In Deutschland als Emigrant und Jude verhaftet, wurde er über zwei andere Konzentrationslager ins KZ Dachau überführt und 1937 entlassen. Auf Vermittlung des befreundeten Künstlers George Grosz erhielt er ein Einreisevisum in die Vereinigten Staaten. Der Lebensodyssee Borchardts entsprach eine Glaubensodyssee: von einer eher statischen philosophischen Weltsicht über den dialektischen Materialismus zum Protestantismus und schließlich Katholizismus. Sein Roman erschien 1943 unter dem Titel "The Conspiracy of the Carpenters". Nach seinem Tod im Jahr 1951 schrieb ihm Hans Sahl einen rühmenden Nachruf, der indes nicht die Umstrittenheit des Autors im Exil verschweigt.
Für den Roman hatte der zur katholischen Kirche konvertierte Franz Werfel ein werbendes Vorwort geschrieben: Borchardt knüpfe an einen alten heiligen Traum der Deutschen von einem in Christus begründeten irdischen Reich an. Die zeitgenössische Kritik verstand den Roman zunächst als Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Gegen den heftigen Abscheu mancher linken Emigranten verteidigte Bertolt Brecht in seiner Notiz im "Arbeitsjournal" vom 30. September 1943 das Buch. Borchardts Werke behandelten "mit schärfe und leidenschaft die sozialen kämpfe unserer zeit". Das Plädoyer überrascht nicht, war doch Borchardt Mitarbeiter von Brechts um 1930 entstandenem Theaterstück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" gewesen. Aber die Notiz von 1943 schließt eben mit dem Satz: "b(orchardts) buch habe ich noch nicht gelesen." Nein, er kann es wirklich nicht gelesen haben.
Werfel lobte den Roman als ein "bedeutungsreiches Gleichnis", und das "bedeutungsreich" kann gar nicht weit genug gefaßt werden. Parallelen des staatsfeindlichen "Führers" Dr. Urban, der mit seinen Truppen den Umsturz plant, gegen die Hauptstadt marschiert und im Wahnsinn endet, zu Hitler bleiben im vagen. Zwar gebärdet sich Urban als Nietzscheaner mit seinen Kampfrufen gegen Toleranz, Christentum, Humanität, Demokratie und Freiheit, zwar ist seine politische Ideologie die der Einschüchterung durch Gewalt und der totalen Unterwerfung unter den "Führer", doch agiert der Hasardeur in einer noch dem Ersten Weltkrieg vorhergehenden technisch-wirtschaftlichen Welt. Ja, es zeichnen sich - wie die Herausgeberin Uta Beiküfner im hilfreichen Nachwort plausibel macht - sogar Analogien zum Gewerkschaftssystem der Vereinigten Staaten ab.
Die Urbanisten streben den Ausgleich zwischen den Kapitaleignern und der Arbeiterschaft an, aber des technischen Fortschritts wegen. Die Staatsführung dagegen mobilisiert die staatsschützenden Kräfte mit Berufsgilden religiöser Prägung. Sie werden angeführt von den Bruderschaften der Zimmerleute, deren Herkunft sich von Christus selbst - Jesus sei Zimmermann gewesen - ableitet und deren vornehmste das "Landespolizeikorps" ist. Borchardt hat in einem Brief an Werfel das Staatsideal so erklärt: "Anstelle der parlamentarischen Demokratie tritt eine Gildenverfassung." Der "christliche Staat" beruht "nicht auf Freiheit und Demokratie, sondern auf Autorität (Der Bibel) und Gerechtigkeit, obwohl er kapitalistisch ist". Es hatte ja in der Geschichte der Zeit zwischen den Weltkriegen tatsächlich den Plan zur Errichtung eines christlichen Ständestaats gegeben: im (rasch gescheiterten) Modell des christlich-sozialen österreichischen Kanzlers Dollfuß. Aber dessen autoritäres Regime lehnte sich zu sehr an den Faschismus Mussolinis an, als daß es für Borchardt als ein Leitbild hätte in Frage kommen können.
Es bleibt schwer vorstellbar, daß eine an mittelalterlich-frühneuzeitlichen Verhältnissen orientierte Gildengemeinschaft mit ausgebautem Zensursystem die wirtschaftlichen und politischen Probleme einer Industriegesellschaft lösen könnte. Diese konservative Staatsutopie läßt sich nur erklären als Denkexperiment, als Gegen- oder Alternativentwurf eines von der parlamentarischen Weimarer Republik enttäuschten, vom Nationalsozialismus schwer verletzten und vom Kommunismus durch Erfahrung abtrünnig gewordenen Autors.
Wie man den ersten neuzeitlichen Entwurf vom "besten Zustand des Staates", Thomas Morus' "Utopia" (1516), nur unvollkommen versteht, wenn man das Ironieelement im Erzählen einfach wegstreicht, so sollte auch in Borchardts Roman der Leser auf Satire und Parodie immer gefaßt sein. Hier am deutlichsten erhalten sich Züge seiner schriftstellerischen Anfänge in den zwanziger Jahren. Zwei seiner Stücke hatte Borchardt Erwin Piscator angeboten. Und auf die rüde Aktualisierungspraxis in dessen "Politischem Theater" spielt unverkennbar die Parodie einer Bearbeitung von Schillers "Don Carlos" im Theater der revolutionären "Eisernen Phalanx" an. Oft schleicht sich Satire im Mantel des Ernstes ein. Noch der Schluß des Romans ("Ende gut, alles gut") kommt auf Taubenfüßen daher, um in eine Farce des "glücklichen Schlusses" einzumünden: Ein Mörderehepaar wird auf die Insel Guernsey verbannt, wo beide als Besitzer des Strandhotels "La Paloma" zufrieden ihre Strafe verbüßen. Das glückliche Finale von Brechts "Dreigroschenoper", sein "Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr" und die Begnadigung des Mörders Macheath, wird noch einmal parodistisch gebrochen.
Der Roman ging aus einem Festspiel hervor, das den Sieg über die Tyrannei feiern sollte. Werfel empfahl Borchardt die epische Umarbeitung. So wurde das Festspiel zum Schoß eines wahren Romankolosses. Ganze Lesedramen, vor allem philosophierende Grundsatzdiskussionen, enthält das Werk. Memoranden, Erinnerungen, Chroniken füllen das Werk auf. Manchmal gewinnen Figuren unser Interesse durch ihr Eigengeschick: die unglückliche, vom bösartigen Liebhaber hintergangene Käthe Schwann, die von den Urbanisten an einen Pfahl gebunden und wie eine Schießscheibe von Kugeln durchlöchert wird, die Liebesgeschichten des Senators Willert mit der Verkäuferin Margarethe Witt und seines Sohnes mit der schönen Elsbeth Kersting, dem "Modell des Praxiteles". Aber ansonsten schlagen die Wogen wechselnder Ereignisse und Namen dem Leser über dem Kopf zusammen. Und beigefügte Namen- oder Gruppenregister sind in diesem Labyrinth nur ein sehr dünner Ariadnefaden. Der von tausend Seiten etwas ermüdete Berichterstatter ist nicht optimistisch genug zu glauben, daß ihm Leser in hellen Scharen ins Lektüreabenteuer nacheilen werden. Dennoch will er noch einmal seinen Wunsch bekräftigen, das verlegerische Wagnis und Monument einer literarischen Wiedergutmachung möge nicht bloß ein Ehrenmal bleiben.
WALTER HINCK
Hermann Borchardt: "Die Verschwörung der Zimmerleute". Rechenschaftsbericht einer herrschenden Klasse. Herausgegeben von Uta Beiküfner. Weidle Verlag, Bonn 2005. 2 Bde., 510 und 568 S., geb., 79,- [Euro].
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Romankoloß und Staatsutopie: Der Exilautor Hermann Borchardt
Von akademischen Festschriften, Sammelbänden der Aufsätze zu Ehren eines Kollegen, sagt man wohl, daß sie oft zu Friedhöfen werden: gelegentlich noch zitiert, im übrigen begraben in der Stille von Bibliotheksmagazinen. Auch belletristischer Literatur kann es ähnlich ergehen: Kaum erschienen, rutschen die Bücher in die Bestandsverzeichnisse von Antiquariatskatalogen. Selbst wiederausgegrabene, lange verschollene Texte fallen oft rasch dem zweiten Vergessen anheim. Diese traurige Wiederkehr des Gleichen sollte man dem neu herausgegebenen Roman "Die Verschwörung der Zimmerleute" des Exilautors Hermann Borchardt nicht wünschen, auch wenn die Lektüre des zweibändigen, gut tausend Seiten umfassenden Werks wahrlich kein Honigschlecken ist.
Der Weidle Verlag, der den erstmals in den Vereinigten Staaten in englischer Sprache veröffentlichten, ziemlich erfolglosen Roman nun in deutscher Fassung wieder vorlegt, hat sich um die Wiederentdeckung deutscher Exilliteratur außerordentlich verdient gemacht. Hermann Borchardt (eigentlich Hermann Hans Joelsohn), 1888 in Berlin geboren, studierte Philosophie, wurde Studienrat in Berlin und schrieb Stücke und satirische Gedichte, emigrierte 1933 über Frankreich in die Sowjetunion, die ihn aber 1936 auswies, weil er, enttäuscht vom stalinistischen System, nicht die sowjetische Staatsbürgerschaft annehmen wollte. In Deutschland als Emigrant und Jude verhaftet, wurde er über zwei andere Konzentrationslager ins KZ Dachau überführt und 1937 entlassen. Auf Vermittlung des befreundeten Künstlers George Grosz erhielt er ein Einreisevisum in die Vereinigten Staaten. Der Lebensodyssee Borchardts entsprach eine Glaubensodyssee: von einer eher statischen philosophischen Weltsicht über den dialektischen Materialismus zum Protestantismus und schließlich Katholizismus. Sein Roman erschien 1943 unter dem Titel "The Conspiracy of the Carpenters". Nach seinem Tod im Jahr 1951 schrieb ihm Hans Sahl einen rühmenden Nachruf, der indes nicht die Umstrittenheit des Autors im Exil verschweigt.
Für den Roman hatte der zur katholischen Kirche konvertierte Franz Werfel ein werbendes Vorwort geschrieben: Borchardt knüpfe an einen alten heiligen Traum der Deutschen von einem in Christus begründeten irdischen Reich an. Die zeitgenössische Kritik verstand den Roman zunächst als Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Gegen den heftigen Abscheu mancher linken Emigranten verteidigte Bertolt Brecht in seiner Notiz im "Arbeitsjournal" vom 30. September 1943 das Buch. Borchardts Werke behandelten "mit schärfe und leidenschaft die sozialen kämpfe unserer zeit". Das Plädoyer überrascht nicht, war doch Borchardt Mitarbeiter von Brechts um 1930 entstandenem Theaterstück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" gewesen. Aber die Notiz von 1943 schließt eben mit dem Satz: "b(orchardts) buch habe ich noch nicht gelesen." Nein, er kann es wirklich nicht gelesen haben.
Werfel lobte den Roman als ein "bedeutungsreiches Gleichnis", und das "bedeutungsreich" kann gar nicht weit genug gefaßt werden. Parallelen des staatsfeindlichen "Führers" Dr. Urban, der mit seinen Truppen den Umsturz plant, gegen die Hauptstadt marschiert und im Wahnsinn endet, zu Hitler bleiben im vagen. Zwar gebärdet sich Urban als Nietzscheaner mit seinen Kampfrufen gegen Toleranz, Christentum, Humanität, Demokratie und Freiheit, zwar ist seine politische Ideologie die der Einschüchterung durch Gewalt und der totalen Unterwerfung unter den "Führer", doch agiert der Hasardeur in einer noch dem Ersten Weltkrieg vorhergehenden technisch-wirtschaftlichen Welt. Ja, es zeichnen sich - wie die Herausgeberin Uta Beiküfner im hilfreichen Nachwort plausibel macht - sogar Analogien zum Gewerkschaftssystem der Vereinigten Staaten ab.
Die Urbanisten streben den Ausgleich zwischen den Kapitaleignern und der Arbeiterschaft an, aber des technischen Fortschritts wegen. Die Staatsführung dagegen mobilisiert die staatsschützenden Kräfte mit Berufsgilden religiöser Prägung. Sie werden angeführt von den Bruderschaften der Zimmerleute, deren Herkunft sich von Christus selbst - Jesus sei Zimmermann gewesen - ableitet und deren vornehmste das "Landespolizeikorps" ist. Borchardt hat in einem Brief an Werfel das Staatsideal so erklärt: "Anstelle der parlamentarischen Demokratie tritt eine Gildenverfassung." Der "christliche Staat" beruht "nicht auf Freiheit und Demokratie, sondern auf Autorität (Der Bibel) und Gerechtigkeit, obwohl er kapitalistisch ist". Es hatte ja in der Geschichte der Zeit zwischen den Weltkriegen tatsächlich den Plan zur Errichtung eines christlichen Ständestaats gegeben: im (rasch gescheiterten) Modell des christlich-sozialen österreichischen Kanzlers Dollfuß. Aber dessen autoritäres Regime lehnte sich zu sehr an den Faschismus Mussolinis an, als daß es für Borchardt als ein Leitbild hätte in Frage kommen können.
Es bleibt schwer vorstellbar, daß eine an mittelalterlich-frühneuzeitlichen Verhältnissen orientierte Gildengemeinschaft mit ausgebautem Zensursystem die wirtschaftlichen und politischen Probleme einer Industriegesellschaft lösen könnte. Diese konservative Staatsutopie läßt sich nur erklären als Denkexperiment, als Gegen- oder Alternativentwurf eines von der parlamentarischen Weimarer Republik enttäuschten, vom Nationalsozialismus schwer verletzten und vom Kommunismus durch Erfahrung abtrünnig gewordenen Autors.
Wie man den ersten neuzeitlichen Entwurf vom "besten Zustand des Staates", Thomas Morus' "Utopia" (1516), nur unvollkommen versteht, wenn man das Ironieelement im Erzählen einfach wegstreicht, so sollte auch in Borchardts Roman der Leser auf Satire und Parodie immer gefaßt sein. Hier am deutlichsten erhalten sich Züge seiner schriftstellerischen Anfänge in den zwanziger Jahren. Zwei seiner Stücke hatte Borchardt Erwin Piscator angeboten. Und auf die rüde Aktualisierungspraxis in dessen "Politischem Theater" spielt unverkennbar die Parodie einer Bearbeitung von Schillers "Don Carlos" im Theater der revolutionären "Eisernen Phalanx" an. Oft schleicht sich Satire im Mantel des Ernstes ein. Noch der Schluß des Romans ("Ende gut, alles gut") kommt auf Taubenfüßen daher, um in eine Farce des "glücklichen Schlusses" einzumünden: Ein Mörderehepaar wird auf die Insel Guernsey verbannt, wo beide als Besitzer des Strandhotels "La Paloma" zufrieden ihre Strafe verbüßen. Das glückliche Finale von Brechts "Dreigroschenoper", sein "Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr" und die Begnadigung des Mörders Macheath, wird noch einmal parodistisch gebrochen.
Der Roman ging aus einem Festspiel hervor, das den Sieg über die Tyrannei feiern sollte. Werfel empfahl Borchardt die epische Umarbeitung. So wurde das Festspiel zum Schoß eines wahren Romankolosses. Ganze Lesedramen, vor allem philosophierende Grundsatzdiskussionen, enthält das Werk. Memoranden, Erinnerungen, Chroniken füllen das Werk auf. Manchmal gewinnen Figuren unser Interesse durch ihr Eigengeschick: die unglückliche, vom bösartigen Liebhaber hintergangene Käthe Schwann, die von den Urbanisten an einen Pfahl gebunden und wie eine Schießscheibe von Kugeln durchlöchert wird, die Liebesgeschichten des Senators Willert mit der Verkäuferin Margarethe Witt und seines Sohnes mit der schönen Elsbeth Kersting, dem "Modell des Praxiteles". Aber ansonsten schlagen die Wogen wechselnder Ereignisse und Namen dem Leser über dem Kopf zusammen. Und beigefügte Namen- oder Gruppenregister sind in diesem Labyrinth nur ein sehr dünner Ariadnefaden. Der von tausend Seiten etwas ermüdete Berichterstatter ist nicht optimistisch genug zu glauben, daß ihm Leser in hellen Scharen ins Lektüreabenteuer nacheilen werden. Dennoch will er noch einmal seinen Wunsch bekräftigen, das verlegerische Wagnis und Monument einer literarischen Wiedergutmachung möge nicht bloß ein Ehrenmal bleiben.
WALTER HINCK
Hermann Borchardt: "Die Verschwörung der Zimmerleute". Rechenschaftsbericht einer herrschenden Klasse. Herausgegeben von Uta Beiküfner. Weidle Verlag, Bonn 2005. 2 Bde., 510 und 568 S., geb., 79,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Walter Hinck hat sich durch schwer verdauliche tausend Seiten gekämpft, die er trotz aller Anstrengung mit Nachdruck empfiehlt. Nicht als glanzvollen Roman, eher als ein Stück Ideengeschichte, als wenig bekanntes Kapitel der deutschen Exilliteratur, das hoffentlich durch die verdienstvolle Ausgrabung des Weidle-Verlags neue Aufmerksamkeit erfährt. Als Hermann Borchardt den Roman 1943 veröffentlichte, hatte er eine "Lebensodyssee" - Deutschland, Sowjetunion, Konzentrationslager, USA - hinter sich, die eine "Glaubensodyssee" bedingte: vom Marxisten zum streng gläubigen Katholiken. Borchardt, so Hinck, entwirft die "konservative Staatsutopie" einer christlich-autoritären Obrigkeit, die seiner Enttäuschung von der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik, seinen Erfahrungen mit dem Stalinismus und seinem Entsetzen angesichts des Nationalsozialismus entsprungen ist - das "Denkexperiment " eines von weltlichen Ideologien Desillusionierten. Es gibt zwar Handlung und solide gezeichnete Figuren, vor allem aber, schreibt Hinck, enthält das Buch allerlei "philosophierende Grundsatzdiskussionen", außerdem "Memoranden, Erinnerungen, Chroniken" jeglicher Art - daher der große Umfang.
© Perlentaucher Medien GmbH
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