Zwei Männer auf einem Diwan: Das Austauschprogramm "West-östlicher Diwan" bringt Schriftsteller aus Deutschland und der arabischen Welt paarweise zusammen, um durch ihr Kennenlernen dem vielbeschworenen 'Kampf der Kulturen' entgegenzuwirken. Joachim Helfer und Rashid al-Daif haben die Aufforderung zum Gespräch ernstgenommen. So entstand ein verblüffendes Buch: Der libanesische Autor schreibt ein Protokoll, dessen Gegenstand sein deutscher Kollege ist - und zwar als Privatperson. Er kommentiert dessen gleichgeschlechtliche Lebensweise, beschreibt Ansichten zu Sexualität, Liebe und Moral, die ihm fremd sind. Der deutsche Autor reagiert darauf mit radikaler Offenheit, schildert die Begegnung aus seiner Sicht und zeigt am Text des libanesischen Kollegen dessen eigene, zwischen Tradition und Moderne hin und her gerissenen Vorstellungen von Männer- und Frauenrollen auf. Am Ende macht der auf beiden Seiten mit dem Mut zur Selbstentblößung geführte Dialog erschreckend deutlich, wie sehr im Verhältnis zwischen Orient und Okzident das Private das Politische ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2007Er ist schwul, und das ist gut so
Joachim Helfer und Raschid al-Daif auf dem west-östlichen Diwan
Den Preis für das schrägste Buch gibt es nicht. Gäbe es ihn, "Die Verschwulung der Welt" wäre nahezu konkurrenzlos, auch, aber keineswegs nur wegen des abstrusen und irreführenden Titels: "Entschwulung" wäre exakter gewesen. "Das Bett ist ein Kriegsschauplatz zwischen arabischer Tradition und westlicher Moderne", schreibt der libanesische Skandalschriftsteller Raschid al-Daif (geboren 1945) zu Beginn seiner Erzählung über den zwanzig Jahre jüngeren Autor Joachim Helfer. Unter dem augenzwinkernden Titel "Wie der Deutsche zur Vernunft kam" ist sie im Januar 2006 in Beirut erschienen und findet sich nun, willkürlich in mundgerechte Happen unterteilt, im vorliegenden Taschenbuch.
Die Happen werden von Joachim Helfer auf dem Teelöffel seiner Kommentare serviert - ein Protagonist, der gegen seinen Autor wettert und seine eigene Geschichte ins Rechte setzen und deuten will. Wüsste man nicht, dass es beide, Helfer und al-Daif, wirklich gibt, man müsste das Buch für eine genial phantasierte Erzählkonstruktion halten, abenteuerlicher, als sie je ein Autor sich hätte ausdenken können.
Helfer und al-Daif trafen sich auf Initiative des Projekts "West-östlicher Diwan" (www.westoestlicherdiwan.de). Hier werden deutsche mit im islamischen Kulturkreis beheimateten Schriftstellern zusammengeführt. Die gute Absicht dahinter: der Abbau wechselseitiger Vorurteile, besonders die der deutschen gegenüber ihren orientalischen Partnern. Während nämlich diese mit dem Kulturschaffen in unserer Hemisphäre recht gut vertraut sind, wissen unsere Schriftsteller über die Gegenwartskultur der islamischen Welt üblicherweise nichts. Nun verwundert es nicht, dass diese idealistische, von den New Yorker Anschlägen befeuerte Versöhnungsvision an der Realität der Begegnungen mit schöner Regelmäßigkeit (und wenigen Ausnahmen) zerschellt; nur wie sie dies tut, ist immer wieder erstaunlich und lehrreich - und nirgends lehrreicher als in der "Verschwulung der Welt".
Rashid al-Daif erzählt die Begegnung mit seinem homosexuellen Kollegen Joachim als Bekehrungsgeschichte. Als Joachim ihn in Beirut besucht, lernt er, wie es auch in Wahrheit geschehen ist, dort eine Frau kennen, verliebt sich in sie und zeugt mit ihr ein Kind. Rashid, dem latent homophoben orientalischen Macho, ist es gelungen, den der westlichen Dekadenz zum Opfer gefallenen Jüngling zur Vernunft der einzig wahren sexuellen Orientierung zu bringen. Welch ein moralischer Sieg des Orients! Und: Welch ein geschmackloser Kitsch, wenn man es wörtlich nimmt. Doch ein hochkomisches Kabinettstück, wenn man, wie der arabische Titel es nahelegt, auch nur ein Quentchen Ironie mit hineinliest.
Um dies zu tun, braucht man das weitere Werk von al-Daif, der stets mit solchen Vexierbildern spielt und sich und seine Umwelt bis zur Peinlichkeit entblößt, gar nicht zu kennen. Es würde genügen, seinen Text zu lesen, um das zielstrebig dem Leser injizierte Befremden am Ende mit einem großen Lachen zu lösen, einem Lachen am Abgrund freilich - hintersinnige, am offenen Herzen der Weltbilder und Empfindlichkeiten operierende Literatur, in Beirut nicht umsonst ebenso berühmt wie berüchtigt.
Doch es scheint, als habe sich Joachim Helfer allzu sehr gemeint und getroffen gefühlt, um diesen Hintersinn zuzulassen und dem Leser die Freiheit zuzugestehen, al-Daifs Geschichte als eigenständiges Werk auf sich wirken zu lassen. Deswegen hat er sie nach Gutdünken alle paar Seiten durch Kommentare unterbrochen, die die Tendenz haben, das Erzählte nach Strich und Faden zu dekonstruieren. Was Helfer schreibt, ist klug und durchdacht, und nachdem er mitsamt intimsten Details aus seinem Privatleben von al-Daif in eine literarische Gestalt verwandelt worden ist, kann man ihm kaum verübeln, dass er sich wehrt und seinen östlichen Diwan-Partner nach Kräften diskreditiert. Doch bleibt dabei ein schaler Geschmack zurück
Während al-Daif die Klischees des homophoben arabischen Machismo so ostentativ bemüht, dass sie sich selbst an der Nase herumführen, erliegt Helfer ohne Ironie den umgekehrten Klischees des postmodernen und metrosexuell aufgeklärten Abendländers über die moralisch und kulturell zurückgebliebenen Araber. Deren Homophobie zeigt sich laut Helfer schon darin, dass in den Badeanstalten die Männer separate Duschkabinen haben, "gerade opak genug gewählt, um von außen zu erkennen, dass dort nur ein und nicht etwa zwei Schatten stehen". Derlei paart sich laut Helfer, ganz wie es das Klischee von den Arabern will, mit einem Schuss verdrucksten Antisemitismus. Der so dargestellte al-Daif, übrigens ein libanesischer Christ, macht nach Helfers Kommentaren wirklich eine denkbar schlechte Figur.
Das Buch ist, gerade so, wie es sich in dieser Edition gibt, ein Lehrstück west-östlicher Missverständnisse, Neurosen, Phobien, Ängste, Vorurteile, ein echter, und gerade deswegen lehrreicher Zusammenstoß der Kulturen. Dass Helfer und al-Daif gleichwohl noch miteinander reden, ist beruhigend, und man ist dankbar, dass das Buch zustande gekommen ist, selbst in der vorliegenden Form, gegen die al-Daif protestiert hat. Mit einem souveräneren Joachim Helfer wäre es freilich ein schöneres Buch geworden. Allerdings sei nicht vergessen, dass Helfer, indem er al-Daif erlaubte, über sein Privatleben zu schreiben, mehr gewagt hat als die meisten. Dieses Buch ist nicht nur schräg, es erweist sich auch als existentiell und dringend nötig.
STEFAN WEIDNER
Joachim Helfer und Rashid al-Daif: "Die Verschwulung der Welt". Rede gegen Rede, Beirut-Berlin. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 199 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joachim Helfer und Raschid al-Daif auf dem west-östlichen Diwan
Den Preis für das schrägste Buch gibt es nicht. Gäbe es ihn, "Die Verschwulung der Welt" wäre nahezu konkurrenzlos, auch, aber keineswegs nur wegen des abstrusen und irreführenden Titels: "Entschwulung" wäre exakter gewesen. "Das Bett ist ein Kriegsschauplatz zwischen arabischer Tradition und westlicher Moderne", schreibt der libanesische Skandalschriftsteller Raschid al-Daif (geboren 1945) zu Beginn seiner Erzählung über den zwanzig Jahre jüngeren Autor Joachim Helfer. Unter dem augenzwinkernden Titel "Wie der Deutsche zur Vernunft kam" ist sie im Januar 2006 in Beirut erschienen und findet sich nun, willkürlich in mundgerechte Happen unterteilt, im vorliegenden Taschenbuch.
Die Happen werden von Joachim Helfer auf dem Teelöffel seiner Kommentare serviert - ein Protagonist, der gegen seinen Autor wettert und seine eigene Geschichte ins Rechte setzen und deuten will. Wüsste man nicht, dass es beide, Helfer und al-Daif, wirklich gibt, man müsste das Buch für eine genial phantasierte Erzählkonstruktion halten, abenteuerlicher, als sie je ein Autor sich hätte ausdenken können.
Helfer und al-Daif trafen sich auf Initiative des Projekts "West-östlicher Diwan" (www.westoestlicherdiwan.de). Hier werden deutsche mit im islamischen Kulturkreis beheimateten Schriftstellern zusammengeführt. Die gute Absicht dahinter: der Abbau wechselseitiger Vorurteile, besonders die der deutschen gegenüber ihren orientalischen Partnern. Während nämlich diese mit dem Kulturschaffen in unserer Hemisphäre recht gut vertraut sind, wissen unsere Schriftsteller über die Gegenwartskultur der islamischen Welt üblicherweise nichts. Nun verwundert es nicht, dass diese idealistische, von den New Yorker Anschlägen befeuerte Versöhnungsvision an der Realität der Begegnungen mit schöner Regelmäßigkeit (und wenigen Ausnahmen) zerschellt; nur wie sie dies tut, ist immer wieder erstaunlich und lehrreich - und nirgends lehrreicher als in der "Verschwulung der Welt".
Rashid al-Daif erzählt die Begegnung mit seinem homosexuellen Kollegen Joachim als Bekehrungsgeschichte. Als Joachim ihn in Beirut besucht, lernt er, wie es auch in Wahrheit geschehen ist, dort eine Frau kennen, verliebt sich in sie und zeugt mit ihr ein Kind. Rashid, dem latent homophoben orientalischen Macho, ist es gelungen, den der westlichen Dekadenz zum Opfer gefallenen Jüngling zur Vernunft der einzig wahren sexuellen Orientierung zu bringen. Welch ein moralischer Sieg des Orients! Und: Welch ein geschmackloser Kitsch, wenn man es wörtlich nimmt. Doch ein hochkomisches Kabinettstück, wenn man, wie der arabische Titel es nahelegt, auch nur ein Quentchen Ironie mit hineinliest.
Um dies zu tun, braucht man das weitere Werk von al-Daif, der stets mit solchen Vexierbildern spielt und sich und seine Umwelt bis zur Peinlichkeit entblößt, gar nicht zu kennen. Es würde genügen, seinen Text zu lesen, um das zielstrebig dem Leser injizierte Befremden am Ende mit einem großen Lachen zu lösen, einem Lachen am Abgrund freilich - hintersinnige, am offenen Herzen der Weltbilder und Empfindlichkeiten operierende Literatur, in Beirut nicht umsonst ebenso berühmt wie berüchtigt.
Doch es scheint, als habe sich Joachim Helfer allzu sehr gemeint und getroffen gefühlt, um diesen Hintersinn zuzulassen und dem Leser die Freiheit zuzugestehen, al-Daifs Geschichte als eigenständiges Werk auf sich wirken zu lassen. Deswegen hat er sie nach Gutdünken alle paar Seiten durch Kommentare unterbrochen, die die Tendenz haben, das Erzählte nach Strich und Faden zu dekonstruieren. Was Helfer schreibt, ist klug und durchdacht, und nachdem er mitsamt intimsten Details aus seinem Privatleben von al-Daif in eine literarische Gestalt verwandelt worden ist, kann man ihm kaum verübeln, dass er sich wehrt und seinen östlichen Diwan-Partner nach Kräften diskreditiert. Doch bleibt dabei ein schaler Geschmack zurück
Während al-Daif die Klischees des homophoben arabischen Machismo so ostentativ bemüht, dass sie sich selbst an der Nase herumführen, erliegt Helfer ohne Ironie den umgekehrten Klischees des postmodernen und metrosexuell aufgeklärten Abendländers über die moralisch und kulturell zurückgebliebenen Araber. Deren Homophobie zeigt sich laut Helfer schon darin, dass in den Badeanstalten die Männer separate Duschkabinen haben, "gerade opak genug gewählt, um von außen zu erkennen, dass dort nur ein und nicht etwa zwei Schatten stehen". Derlei paart sich laut Helfer, ganz wie es das Klischee von den Arabern will, mit einem Schuss verdrucksten Antisemitismus. Der so dargestellte al-Daif, übrigens ein libanesischer Christ, macht nach Helfers Kommentaren wirklich eine denkbar schlechte Figur.
Das Buch ist, gerade so, wie es sich in dieser Edition gibt, ein Lehrstück west-östlicher Missverständnisse, Neurosen, Phobien, Ängste, Vorurteile, ein echter, und gerade deswegen lehrreicher Zusammenstoß der Kulturen. Dass Helfer und al-Daif gleichwohl noch miteinander reden, ist beruhigend, und man ist dankbar, dass das Buch zustande gekommen ist, selbst in der vorliegenden Form, gegen die al-Daif protestiert hat. Mit einem souveräneren Joachim Helfer wäre es freilich ein schöneres Buch geworden. Allerdings sei nicht vergessen, dass Helfer, indem er al-Daif erlaubte, über sein Privatleben zu schreiben, mehr gewagt hat als die meisten. Dieses Buch ist nicht nur schräg, es erweist sich auch als existentiell und dringend nötig.
STEFAN WEIDNER
Joachim Helfer und Rashid al-Daif: "Die Verschwulung der Welt". Rede gegen Rede, Beirut-Berlin. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 199 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "Lehrstück west-östlicher Missverständnisse, Neurosen, Phobien, Ängste, Vorurteile" würdigt Stefan Weidner dieses Buch des Berliner Schriftstellers Joachim Helfer und seines libanesischen Kollegen Raschid al-Daif, das aus dem Projekt "West-Östlicher-Diwan" hervorgegangen ist. Dabei geht es darum, deutsche mit im islamischen Kulturkreis beheimateten Schriftstellern zusammen zu bringen. Was im vorliegenden Fall nicht ganz geklappt zu haben scheint. Wie Weidner berichtet, erzählt Raschid al-Daif die Begegnung mit seinem homosexuellen Berliner Kollegen als eine Bekehrungsgeschichte ganz nach orientalischen Geschmack, in der Helfer sich in Beirut in eine Frau verliebt und mit ihr ein Kind gezeugt habe. Für Weidner ein "hochkomisches Kabinettstück" und wahrscheinlich das "schrägste" Buch des Jahres, liest man die Geschichte nur mit einem Minimum an Ironie. Dieses vermochte Helfer, der sich persönlich getroffen fühlte, offenbar nicht, weshalb er darauf bestand, in der vorliegenden Ausgabe al-Daifs Erzählung immer wieder zu unterbrechen und mit kritischen Kommentaren zu versehen. Das Ganze mutet Weidner aberwitzig an. Wüsste man nicht, dass es die beiden Schriftsteller wirklich gibt, konstatiert er, müsste man das Buch für eine "genial fantasierte Erzählkonstruktion" halten. Deutlich ist für ihn: während al-Daif augenzwinkernd mit den Klischees des homophoben arabischen Macho hantiere, erliege Helfer "ohne Ironie den umgekehrten Klischees des postmodernen und metrosexuell aufgeklärten Abendländers über die moralisch und kulturell zurückgebliebenen Araber".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Dieses Buch ist nicht nur schräg, es erweist sich als existentiell und dringend nötig.« Frankfurter Allgemeine Zeitung