Bewegendes Schicksal einer Familie im Frühjahr 1945, autofiktional wunderbar erzählt
Franz Schindl sen. wird im Februar 1945 doch noch einberufen, um mit seinem Leben der schon unausweichlichen Niederlage einen möglichen Aufschub zu bringen. Dabei hatte er bis dahin Glück gehabt. Er war ein
guter Schlosser und Arbeiter in der Firma Eisert in Heidenreichstein/Niederösterreich, unweit der…mehrBewegendes Schicksal einer Familie im Frühjahr 1945, autofiktional wunderbar erzählt
Franz Schindl sen. wird im Februar 1945 doch noch einberufen, um mit seinem Leben der schon unausweichlichen Niederlage einen möglichen Aufschub zu bringen. Dabei hatte er bis dahin Glück gehabt. Er war ein guter Schlosser und Arbeiter in der Firma Eisert in Heidenreichstein/Niederösterreich, unweit der tschechischen Grenze. Er war stets pünktlich, genau, loyal zur Firma, aber die Sache mit den Nazis hat ihm nie geschmeckt, trat nie in die Partei ein und war als „Sozi“ bekannt. An einem schicksalhaften Morgen kam er 45 Minuten zu spät zur Schicht. Auslöser und Grund genug, um ein paar Tage später den Einberufungsbefehl zu bekommen.
Just, als ihm seine Frau die frohe Botschaft eröffnete, dass deren Sohn Franzi, geboren 1931, ein Geschwisterchen bekommen wird.
Franzi war anders als sein Vater. Er ließ sich von der Propaganda einlullen. Er war begeistertes Mitglied der HJ, fand sich selbst wieder in der strammen Organisation, und vor allem in dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Es kam zu einem Zerwürfnis mit seinem Vater, der seinem Sohn mehrmals mit Ohrfeigen für dessen NS-Engagement dankte.
Andreas Schindl erzählt hier in sehr bewegender Weise die Geschichte seines Großvaters Franz Schindl, dessen Feldpostbriefe er gefunden hatte und als Basis für diesen Roman nahm. Dreh- und Angelpunkt ist aber der Vater des Autors, Franzi, wie er in der NS-Zeit aufwuchs, mit Gleichaltrigen Schabernack führte und sich mit Willen und auch so etwas wie Disziplin in der Hierarchie der Jungs Respekt und Anerkennung schaffte. Franzis Eltern waren stets brave Arbeiter*innen, die sich ihren Lebensunterhalt hart erarbeiteten, und auch manchmal ein klein wenig Luxus in den kargen Zeiten vom Mund absparten. Die Mühlen des furchtbaren Krieges machten auch vor dieser Familie nicht halt.
Auf gerade mal 120 Seiten zeichnet der Autor hier ein sehr inniges, genaues Portrait der Familie. Die Entbehrungen der Arbeiterschaft, das Geschick mit Geld umzugehen seiner Großmutter, und vor allem das Aufwachsen vor und während des Krieges.
S.20: „Der Bauer blieb immer ein Untertan, der Arbeiter immer ein Ausgebeuteter. Da war es gleich, ob man Kopf und Knie vor dem Grafen, dem Bankier oder dem Fabrikanten beugen musste: Die Summe der Demütigungen blieb konstant.“
Das Infiltrieren des braunen Gedankenguts in die Jugend, und der Bevölkerung allgemein, das laute und leise Zustimmen zum Wahnsinn, und die Ohnmacht der Gegner hat der Autor sehr gut eingefangen. Er beschreibt es, ohne zu bewerten, und gibt uns mit seinem Werk ein belletristisches Zeitzeugnis der damaligen Zeit.
Der Roman ist 2020 erschienen, hat heute eine Aktualität mehr denn je, und zeigt auf, wie leicht die jungen Menschen in einer Ideologie gefangen werden können.
Sehr gerne gelesen, regt das Buch zum Nachdenken an. Man sieht die Familie plastisch vor sich, kann vor allem mit dem Vater voll und ganz mitfühlen.
Sehr gerne gebe ich eine Leseempfehlung für diesen bewegenden Roman.