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In einem Saale des mailändischen Kastelles saß der junge Herzog Sforza über den Staatsrechnungen. Neben ihn hatte sich sein Kanzler gestellt und erklärte die Zahlen mit gleitendem Finger. "Eine furchtbare Ziffer!" seufzte der Herzog und entsetzte sich vor der Summe, welche die mit Eile betriebenen Festungsarbeiten verschlungen hatten. "Wie viele Schweißtropfen meiner armen hungernden Lombarden!" Und um dem Anblick der verhängnisvollen Zahl zu entrinnen, ließ er die melancholischen Augen über die Wände laufen, die mit hellfarbigen Fresken bedeckt waren. Links von der Tür hielt Bacchus ein Gelag…mehr

Produktbeschreibung
In einem Saale des mailändischen Kastelles saß der junge Herzog Sforza über den Staatsrechnungen. Neben ihn hatte sich sein Kanzler gestellt und erklärte die Zahlen mit gleitendem Finger. "Eine furchtbare Ziffer!" seufzte der Herzog und entsetzte sich vor der Summe, welche die mit Eile betriebenen Festungsarbeiten verschlungen hatten. "Wie viele Schweißtropfen meiner armen hungernden Lombarden!" Und um dem Anblick der verhängnisvollen Zahl zu entrinnen, ließ er die melancholischen Augen über die Wände laufen, die mit hellfarbigen Fresken bedeckt waren. Links von der Tür hielt Bacchus ein Gelag mit seinem mythologischen Gesinde, und rechts war als Gegenstück die Speisung in der Wüste behandelt von einer flotten, aber gedankenlosen, den heiligen Gegenstand bis an die Grenzen der Ausgelassenheit verweltlichenden Hand. Oben auf der Höhe, klein und kaum sichtbar, saß der göttliche Wirt, während sich im Vordergrunde eine lustige Gesellschaft ausbreitete, die an Tracht und Miene nicht übel einer Mittag haltenden lombardischen Schnitterbande glich und zum Lachen alle Gebärden eines gesunden Appetites versinnlichte. Der Blick des Herzogs und der demselben aufmerksam folgende seines Kanzlers fielen auf ein schäkerndes Mädchen, das, einen großen Korb am Arme, wohl um die überbleibenden Brocken zu sammeln, sich von dem neben ihr gelagerten Jüngling umfangen und einen gerösteten Fisch zwischen das blendend blanke Gebiß schieben ließ. "Die da wenigstens verhungert noch nicht", scherzte der Kanzler mit mutwilligen Augen.
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Autorenporträt
Conrad Ferdinand Meyer (* 11. Oktober 1825 in Zürich; ¿ 28. November 1898 in Kilchberg bei Zürich) war ein Schweizer Dichter des Realismus, der (insbesondere historische) Novellen, Romane und Lyrik geschaffen hat. Er gehört mit Gottfried Keller und Jeremias Gotthelf zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schweizer Dichtern des 19. Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2017

HÖRBUCHKOLUMNE
Gedrängt, aber nie karg, nie ärmlich ist die Prosa des historistischen Erzählmeisters Conrad Ferdinand Meyer, sie bietet eine dichte Folge starker Reize. Das ist nichts für Leser, die sich vor Effekten fürchten, und nichts für Schauspieler, die auf Effekte setzen. Sie würden sich nur blamieren vor Meyers Virtuosität.
1887 erschien als eines seiner letzten Werke die Renaissance-Novelle „Die Versuchung des Pescara“. Italien im Jahr 1525: Der Feldherr Pescara, der die Schlacht bei Pavia für Karl V. gewann, soll zum Verrat an seinem Kaiser überredet werden. Ehren, eine Krone, Drohungen wie Schmeichelworte werden aufgeboten, ihn auf die Seite der Liga zu ziehen, die das „geliebte Italien“ zu einen verspricht. Pescaras Frau, die schöne, gebildete Viktoria, in Literaturgeschichten als Vittoria Colonna bekannt, scheint schon für die italienische Sache gewonnen zu sein.
Über sie und ihre Dichtungen, über die historischen Hintergründe, die Conrad Ferdinand Meyer ausgiebig studiert hat, informiert wie immer bei Hörbüchern des Sinus-Verlags das sorgfältig gemachte Booklet.
Die Handlung schreitet im Wechsel von Dialogen und Bildbeschreibungen voran, bis am Ende der Held selber wie die Hauptfigur eines Freskos daliegt. Burghart Klaußner säuselt, wütet, schmeichelt, wiegelt auf, besänftigt. Er leiht jeder Figur Leben, den Szenen Prägnanz und Rhythmus, den vielen Kunstwerken, existierenden wie erfundenen, Präsenz. Nicht aus Fleisch und Blut, hieß es oft, seien Meyers Menschen, sondern „bloß“ aus Marmor und Gips. Klaußners Kunst erledigt dieses Klischee. Im großen Drama seiner Lesung hat alles Tag und Licht, sinnliche Gegenwart bis zum letzten schwachen Schrei.
„Haben Sie auch Wasser?“ Über diese Frage mag man nur mit Benjamin von Stuckrad-Barre nachdenken. Seit „Soloalbum“ beschreibt er das Gesellschaftsleben der Gegenwart als einen Kampfplatz, auf dem man weniger die Gegner fürchten, vielmehr die vielen Fallen vermeiden muss, will man dem Absturz ins Peinliche entgehen. „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“ ist ein Nebenwerk, ein heiteres Seitenstück zu „Panikherz“, dem autobiografischen Roman über Rausch, Sucht, Genesung. „Haben Sie auch Wasser?“, fragt der Genesene die Kellner, während rings um ihn das abendliche Trinken vollzogen wird wie immer: ein wenig verklemmt, demonstrativ sozialverträglich, am Rausch meist nur nippend.
Benjamin von Stuckrad-Barre performt seinen Bericht sehr nüchtern, Fallhöhe wird erst einmal nicht angestrebt. Wehmütig fast klingt das Zählen der Zigaretten am Weltnichtrauchertag: von der ersten, der morgendlichen in „Notgemeinschaftsromantik“ bis zur 21. Zigarette auf dem Balkon. Das trifft die Raucherexistenz genau: zwischen der Sehnsucht nach Rauchfreiheit und der Sehnsucht nach der nächsten Zigarette. Auch das eine Übung im Nicht-Dazugehören.
Jakob Heym hat ein Radio, nein, er lässt seine Freunde, die Mitgefangenen im Ghetto, glauben, dass er eines habe, damit sie den Lebenswillen behalten, damit sie ihm glauben, jetzt, da die Rote Armee nur noch einige Hundert Kilometer entfernt steht. Die Geschichte von Jakob, dem Lügner hatte Jurek Becker ursprünglich in einem Film erzählen wollen. Er schrieb ein Drehbuch für seinen Freund Frank Beyer, doch der fiel bei den DDR-Oberen in Ungnade. Daher verfasste Jurek Becker seinen ersten Roman, der dann später, 1974, erfolgreich verfilmt und für den Oscar nominiert wurde. Die Geschichte ging auf seinen Vater zurück. Nach dem Überfall auf Polen waren Jurek Becker und seine Eltern ins Ghetto Litzmannstadt deportiert worden.
Jurek Becker selbst hat Auszüge aus seinem Roman für eine Schallplatte vorgelesen. Die erste vollständige Lesung, man glaubt es kaum, ist diese mit August Diehl. Er erzählt die Geschichte von Jakob Heym, dessen Mitgefangenen, vom Ghetto, dem Radio und dem Tod ohne historische Patina, ohne Angebote an die Hörer, das Geschehen in irgendeiner Ferne zu entsorgen. Beherrscht, gewitzt spricht Diehl, kraftvoll durch Zurückhaltung, auch da, wo das Gesetz des Erzählens ausgesprochen wird: „Wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen, wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen, wie es sich für eine ordentliche Geschichte gehört. Ohne ein Schwätzchen ist alles so elend traurig.“
JENS BISKY
Conrad Ferdinand Meyer: Die Versuchung des Pescara. Gelesen von Burghart Klaußner.
Sinus Verlag, Kilcherbg 2016. 4 CDs, 307 Minuten, Booklet 256 Seiten, 39,80 Euro.
Benjamin von Stuckrad-Barre: Nüchtern am Weltnichtrauchertag. Ungekürzte Autorenlesung. Tacheles/Roof Music, Bochum 2016.
1 CD, 56 Minuten, 10 Euro.
Jurek Becker: Jakob der Lügner. Ungekürzte Lesung mit August Diehl. Speak Low, Berlin 2016.
7 CDs, 515 Minuten, 29,80 Euro.
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