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Alles begann mit einem eher erfolglosen Künstlerpaar, das sein Kind kurz nach der Geburt weggab: Für Paula Fox war 1923 ein Findelhaus in Manhattan die erste Station einer dramatischen Lebensreise, die sie in den folgenden zwanzig Jahren zu wechselnden Orten und Ersatzeltern einmal quer durch Amerika führen sollte. Viel später entstand aus dem verstörenden Abenteuer dieser Jahre ein schriftstellerisches Werk, dem niemand Geringerer zur Wiederentdeckung und zum internationalen Durchbruch verhalf als Jonathan Franzen. Bernadette Conrad, Autorin und Literaturkritikerin, die sich mit Paula Fox und…mehr

Produktbeschreibung
Alles begann mit einem eher erfolglosen Künstlerpaar, das sein Kind kurz nach der Geburt weggab: Für Paula Fox war 1923 ein Findelhaus in Manhattan die erste Station einer dramatischen Lebensreise, die sie in den folgenden zwanzig Jahren zu wechselnden Orten und Ersatzeltern einmal quer durch Amerika führen sollte. Viel später entstand aus dem verstörenden Abenteuer dieser Jahre ein schriftstellerisches Werk, dem niemand Geringerer zur Wiederentdeckung und zum internationalen Durchbruch verhalf als Jonathan Franzen. Bernadette Conrad, Autorin und Literaturkritikerin, die sich mit Paula Fox und ihrem Werk intensiv beschäftigt hat, geht mit Jonathan Franzen auf Cape Cod spazieren, sie trifft Paula Fox' Tochter in Oregon und sucht in New Orleans nach Schauplätzen des Romans "Der Gott der Alpträume". In San Francisco besucht sie das Krankenhaus, in dem Paula Fox zwanzigjährig ihr erstes Kind bekam - und zur Adoption freigab. Vor allem aber sitzt sie immer wieder mit Paula Fox am Tisch ihres Brooklyner Hauses und forscht einem Leben nach, das selbst wie ein Roman ist. Einmal quer durch Amerika und bis nach Europa hat sich die Autorin auf die Spur eines Lebens und Werks begeben, das auf unvergleichliche Weise nicht nur von einer persönlichen Geschichte Zeugnis ablegt, sondern vom Leben in Amerika im 20. Jahrhundert.
Autorenporträt
Bernadette Conrad, geboren 1963, studierte u. a. Romanistik und Germanistik in Bonn und Konstanz, versuchte Jobs in Universität, Theater, Buchhandel, ließ sich ab 1991 in Sozialpädagogik ausbilden und arbeitete mehrere Jahre im Suchtbereich. Seit 1995 schreibt sie Literatur- und Theaterkritik, Reisereportagen für "NZZ", "Weltwoche", "du" u. a. In der ZEIT erscheinen seit 2004 ihre viel gerühmten "Literarischen Reportagen". Bernadette Conrad lebt mit ihrer Tochter in Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2011

Woraus wir gemacht sind, ist bloß geliehen

Ihre Erzählungen sind Forschungsreisen in den Kontinent menschlicher Schwächen, ihre Biographie ist ein ergreifendes Dokument von Verlust und Tapferkeit: Zwei neue Bücher spiegeln die Größe der amerikanischen Autorin Paula Fox.

Ein Mann erhält nach Jahren Kontaktstille einen Brief von einem ehemaligen Schulfreund. Er antwortet ihm. Und weil sich oft erst beim Briefeschreiben ein Abgrund öffnet, schildert er dem Freund nicht einfach nur seinen Tag, sondern auch die quälende Stille nach der Arbeit. "Dann lausche ich meinen eigenen kleinen Geräuschen. Ich spiele mit der Kappe meines Füllers, schließe eine Schublade, lasse eine Büroklammer fallen und hebe sie nicht wieder auf." Schon liegt er da, der unscheinbare Gegenstand, in dem sich die Melancholie dieser Prosa verfängt. Erst später fällt sie einem wieder ein, diese auf den Boden gefallene Büroklammer.

Vergessen, verlassen, versetzt zu werden ist eine Grunderfahrung im Leben der heute achtundachtzigjährigen amerikanischen Schriftstellerin Paula Fox. Den ersten scharfen Schnitt machen die Eltern schon wenige Tage nach der Geburt. Sie geben ihre Tochter in ein Heim für Findelkinder. Die Mutter ist zwanzig. Der achtundzwanzig Jahre alte Vater, ein Cousin des Schauspielers Douglas Fairbanks, schreibt mit wenig Erfolg Drehbücher und Theaterstücke. Aus dem Nichts tauchen sie immer mal wieder bei der Tochter auf und verschwinden jäh; Lebemenschen mit wenig Geld, sprunghaft, angezogen von Hollywood und der Künstlerszene New Yorks. Mit sieben wohnt Paula mit der spanischen Großmutter in "schuhschachtelgroßen" Wohnungen. Als sie elf ist, holen die Eltern Paula zu sich, reisen aber bald wieder ab und lassen sie bei der Haushälterin. Mit fünfzehn - das Paar ist inzwischen getrennt - quartiert sie der Vater allein in einer Wohnung in New York ein. Es folgen Internat, wechselnde Orte und Bezugspersonen. Der Vater bleibt ihr als Regelbrecher mit Charme im Gedächtnis, die Mutter als harsch. Die Ablehnung, unterbrochen von halbherzigen Versuchen, die Tochter in den chaotischen Alltag zu integrieren, ist das offene Rätsel des Lebens der Paula Fox. Die Mutter nennt keinen Grund - außer diesen: Sie habe schon vorher öfters abgetrieben, diese Schwangerschaft aber zu spät bemerkt. Sätze wie aus Albträumen, deren Inhalt man nicht klar zu sehen wagt.

Kalifornien, Kuba, Florida, Montréal sind nur einige Stationen dieser Odyssee. Beziehungen, die in Brüche gehen. Und eine frühe Schwangerschaft - Paula Fox gibt als sehr junge Mutter selbst ihre älteste Tochter zur Adoption frei. Es gibt allerdings eine stete Zeit in diesem unruhigen Leben, ein Boden unter den Füßen, der für einige Jahre betretbar scheint: "Onkel Elwood". Der Geistliche nimmt Paula mit fünf Monaten bei sich auf, liest ihr vor, gibt ihr Halt und Sprache - das "in allem Ernst gesprochene Wort". Mit ihm lässt Paula Fox auch ihre Geschichten einer Jugend "In fremden Kleidern" beginnen - ein Titel, der darauf verweist, dass alles, was uns ausmacht, irgendwoher geliehen ist.

Schon in diesem Buch, 2003 auf Deutsch erschienen, war einem Paula Fox' Lebensgeschichte nahe gerückt, weshalb eine reine Biographie wie ein Anhängsel gewirkt hätte. Die Literaturkritikerin Bernadette Conrad geht einen anderen Weg. Sie fügt nach vielen Besuchen und Reisen zu den Wohnorten eigene Facetten hinzu: "Die vielen Leben der Paula Fox" ist das Ergebnis einer sehr persönlichen Spurensuche und selbst poetisch. Keine trockene Fleißarbeit, der es um möglichst viele Details geht. 2005 begegnete sie erstmals dieser Frau mit schnellem Schritt, "leicht und entschlossen, immer irgendwohin unterwegs". Sie nimmt die abgerissenen Lebensfäden vorsichtig in die Hand, zwirbelt sie zusammen und wieder auseinander, fragt und hinterfragt. Sie erwägt Erklärungen an jenen Stellen, die Paula Fox klug beschwiegen oder gewandt fiktionalisiert hat. Conrad will gar nicht erst den Eindruck erwecken, dies alles gehe sie nur etwas als ordnende Biographin an.

Die Einlassung ist ihr Gebot. Das ist natürlich in der Folge einer wilden Form aus Reportage, Zitat, Interpretation, Fakten, Selbstbildmontage heikel und nicht immer frei von Übermut und Grenzüberschreitung. Lässt man sich aber auf ihre Bedingungen ein, auf den Mut zum distanzgeschwächten, gleichwohl respektvollen Subtext zu diesen "vielen Leben", ergibt sich eine Art Ordnung zweiten Grades: Die harten, emotionalen Risse dominieren und spiegeln sich in Gesprächen mit Paula Fox' Kindern oder dem Autor Jonathan Franzen, der sich für ihr Werk einsetzte.

Sie werden aber auch an die Zeit angeschlossen. Mobilität und Amerika als Einwanderungsland etwa dienen Bernadette Conrad als Begriffskulisse zur Beschreibung allgemeiner Zustände, etwa der Weggabepraxis, die lange vor Paulas Geburt begann, als Findelkinder in New York noch "mit Sünde infiziert" waren. Anders als elternlose Waisen, recherchiert sie, galten sie weniger als Opfer, vielmehr als "von Gott und der Welt verlassen". Conrad geht dieser Scham nach und ergründet, was "die scharfe Klinge des Lebens" zu tun hat mit der "scharfen Klinge, mit der diese Autorin ihr Material Sprache bearbeitet".

Im Alter von vierzig Jahren begann Paula Fox zu schreiben. Sechs Romane, zwei autobiographische Bücher, dreiundzwanzig Kinderbücher liegen inzwischen vor - jüngst erschien ein neuer Band mit Erzählungen und Vorträgen: "Die Zigarette und andere Stories" enthält Geschichten, in denen die scharfen biographischen Schnitte einen Abdruck hinterlassen haben. Die Angst vor Verlust sitzt den Figuren im Nacken. Und wenn sie doch einmal nach langen Schweigezeiten vorsichtig Kontakt aufnehmen, passiert das oft ohne Sinn für die richtige Dosierung der Liebesgabe. Entweder verschenken sie sich ganz oder schrecken unangemessen zurück, wenn man sie zu lange berührt. Das richtige Maß für Nähe zu finden erfordert einige Energie. Keineswegs - und das ist das Besondere an diesen Geschichten - ergreift diese Anstrengung die Sprache. Vielmehr scheint es so, als transformiere das Erzählen die Beziehungsnot der verwundeten Figuren in zarte Verletzlichkeit.

Tatsächlich machen die meisten sogar vorm Abgrund halt. Sie greifen zum Telefon, um doch noch jemanden anzurufen. Sie unternehmen tapfer lange Fahrten zum lange vermiedenen Vater, ohne Antworten zu finden. Oder sie warten nach Beerdigungen, bis sie in dunklen Räumen sitzen, um endlich schreien zu können, doch immer allein. Nicht alle Erzählungen aus den letzten knapp 45 Jahren in diesem vermischten Band haben die existentielle Schwere, die Paula Fox ihnen eingibt, wenn sie im richtigen Moment schließt, eine Büroklammer fallen lässt oder Dialoge und Gesten so arrangiert, dass man die große Störung hinter den vielen kleinen irritierenden Alltagshandlungen aufbrechen sieht - "das Sichtbare und das Unsichtbare", wie Bernadette Conrad in ihrem Nachwort schreibt.

Die besten Erzählungen aber betonen den Rang dieser großen amerikanischen Autorin und ihres Werks. Sie verwandeln sich die Doppelbödigkeit eines Lebens an, das geprägt ist durch die Erwartung von Unsicherheit, durch die Erfahrung einer Logik wie in "Alice im Wunderland": Wenn etwas fällt oder verschwindet, kann es an einem anderen Ort wiederauftauchen oder auch an zwei Orten zugleich sein - durch Erinnerungen, Phantasie, Bücher. Von dieser verwirrenden Sehnsucht und der Aufhebung der Schwerkraft handelt das Werk der Paula Fox.

ANJA HIRSCH

Bernadette

Conrad: "Die

vielen Leben

der Paula Fox".

C.H. Beck Verlag, München 2011, 343 S., geb., 19,95 [Euro].

Paula Fox: "Die

Zigarette und

andere Stories".

Aus dem Englischen von Karen Nölle und Hans-Ulrich Möhring. C.H. Beck Verlag, München 2011, 255 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt und berührt zeigt sich Anja Hirsch von dieser Biografie über die große amerikanische Schriftstellerin Paula Fox, die Bernadette Conrad vorgelegt hat. Die Autorin wagt in ihren Augen viel - und gewinnt. "Die vielen Leben der Paula Fox" scheint ihr nämlich alles andere als eine Nullachtfünfzehn-Biografie, sie sieht darin vielmehr eine "sehr persönliche Spurensuche" Conrads, die zahllose Orte besuchte, die in Fox' Leben eine Rolle gespielt haben, und sie hebt die "wilde Form" des Werks hervor, einen poetischen Mix aus Reportage, Zitat, Interpretation, Fakten, Selbstbildmontage.

© Perlentaucher Medien GmbH