Mit der Lebensgeschichte Heinrichs IV., des populärsten Königs der Franzosen, krönt Heinrich Mann sein Werk. Dieser bedeutende historische Roman in zwei Teilen stellt, historisch repräsentativ und psychologisch meisterhaft, den unübertroffenen Versuch dar, ein "wahres Gleichnis" zwischen Geist und Tat zu entwerfen. Heinrich IV. scheitert letztendlich, er stößt an die Grenzen der historischen Umstände. Am Schluß des Romans richtet der Zufrühgekommene von einer Wolke herab eine Ansprache an sein Volk: "Fürchtet euch nicht vor den Messern, die man gegen euch zückt. Ich habe sie grundlos gefürchtet. Macht es besser als ich. Ich habe zu lange gewartet."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Zu viel der Gütigkeiten
Wir haben die Henri-Quatre-Romane nie wirklich gelesen. Wir haben sie damals verschluckt, heruntergestürzt in ein, zwei Nächten. Trotz dieser Eile sind bis heute in beiden vergilbten Broschüren die Spuren verschieden temperierter Benutzer dokumentiert, Rotstiftunterstreichungen mit Lineal, Bleistiftnotizen, Eselsohren, Kaffeeflecken, Ausrufezeichen. Zeichen der Identifikation. In der Schule lasen wir Thomas Mann, für uns entdeckten und liebten wir Heinrich, den unterschätzten, vielleicht vor allem, weil er einwandfrei immer auf der richtigen Seite der Geschichte stand. Arbeiteten uns tapfer durch die "Göttinnen"-Trilogie, lasen "Schlaraffenland" und "Kleine Stadt", dann sogar die verschraubten "Armen", den verdrehten "Kopf", am liebsten und wiederholt aber das im Exil entstandene Gleichnis vom mageren, klugen König Heinrich. Etwa zur selben Zeit gab es zum Frühstück Lieder von Biermann oder von den Doors oder Goulds Bach oder Verdis Requiem. Hauptsache, es knallte. Adrenalin mit großem Vibrato, etwas Dreck, etwas Frechheit, viel Gutmenschentum. Verdi zum Beispiel, fast frei von Frechsein und Gütigkeiten, ist geblieben. Henri Quatre aber verblasste und wurde zäh, heute kommt man über die ersten fünfzig Seiten mit Mühe hinaus, überall sprießen Gräten aus der Konstruktion, spreizen sich wichtigtuerisch die gleichen künstlich verknappten Drechselsätze, die auch der Herzogin von Assy in den Mund gelegt sind. Anfangs geht es ja noch. Da hängen einige Bilder zwar schon schief in den zu breiten Rahmen, alle Guten sind irrsinnig gut, alle Bösen leicht erkennbar an ihrem Hinken, ihrem Gestank, ihren fetten Fingern. Doch der Held ist jung, ein Kind aus dem Süden, es hat Lust auf Melone und findet im kalten Paris nur Saures, Kitsch und Klischee haben noch ihre ganz eigentümliche Poesie:
"Die ersehnten Früchte lagen auf der schwarzen Erde, er setzte sich hin, wühlte die Hände, die bloßen Füße hinein und jauchzte leise." Später dann, wenn all das Jauchzen, Wühlen, Sehnen kein Ende nimmt; wenn der Prinz von Navarra nach der Vergiftung seiner Mutter die Hugenotten anführt, wenn er sich im Machtlabyrinth des Louvre versteckt unter der Maske des Witzbolds, wenn er in der Bartholomäusnacht Frauen Blut saufen sieht aus Schüsseln und Rabenschwärme, die das Tageslicht verdunkeln, wenn er in Ohnmacht fällt, kämpft, Strippen zieht und sich durchbeißt, bis er dann endlich König wird und seine "Große Sache" betreiben kann, das heißt, Frankreich befriedet, das Volk beglückt und die Neuzeit einläutet, nicht ohne nebenher ein paar stark parfümierte, pastellfarbene Romanzen zu absolvieren, worunter die mit der reizenden Gabriele immer noch betäubend wirkt wie ein Strauß Hyazinthen; da hat dann am Ende der gute König schon um 1600 mit Hilfe der Aufklärung den Faschismus besiegt. Hält noch jeanpaulmäßig eine Rede von der Wolke herab, Liebeserklärung an la douce France, zugleich Sonntagspredigt an die Gegenwart, an dich und mich: "Seht mir in die Augen. Ich bin ein Mensch wie ihr." Man glaube ihm kein Wort. Dieser Henri mit zu viel Vibrato, ohne Zwischentöne, ist keine historische Figur, auch keine Politparodie oder Zeitoper. Henri ist Heinrich. Er hatte ein Identifikationsproblem, das war's.
ELEONORE BÜNING
Heinrich Mann: "Die Jugend des Königs Henri Quatre", "Die Vollendung des Königs Henri Quatre". Rowohlt, 9,95 und 12,95 Euro
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Wir haben die Henri-Quatre-Romane nie wirklich gelesen. Wir haben sie damals verschluckt, heruntergestürzt in ein, zwei Nächten. Trotz dieser Eile sind bis heute in beiden vergilbten Broschüren die Spuren verschieden temperierter Benutzer dokumentiert, Rotstiftunterstreichungen mit Lineal, Bleistiftnotizen, Eselsohren, Kaffeeflecken, Ausrufezeichen. Zeichen der Identifikation. In der Schule lasen wir Thomas Mann, für uns entdeckten und liebten wir Heinrich, den unterschätzten, vielleicht vor allem, weil er einwandfrei immer auf der richtigen Seite der Geschichte stand. Arbeiteten uns tapfer durch die "Göttinnen"-Trilogie, lasen "Schlaraffenland" und "Kleine Stadt", dann sogar die verschraubten "Armen", den verdrehten "Kopf", am liebsten und wiederholt aber das im Exil entstandene Gleichnis vom mageren, klugen König Heinrich. Etwa zur selben Zeit gab es zum Frühstück Lieder von Biermann oder von den Doors oder Goulds Bach oder Verdis Requiem. Hauptsache, es knallte. Adrenalin mit großem Vibrato, etwas Dreck, etwas Frechheit, viel Gutmenschentum. Verdi zum Beispiel, fast frei von Frechsein und Gütigkeiten, ist geblieben. Henri Quatre aber verblasste und wurde zäh, heute kommt man über die ersten fünfzig Seiten mit Mühe hinaus, überall sprießen Gräten aus der Konstruktion, spreizen sich wichtigtuerisch die gleichen künstlich verknappten Drechselsätze, die auch der Herzogin von Assy in den Mund gelegt sind. Anfangs geht es ja noch. Da hängen einige Bilder zwar schon schief in den zu breiten Rahmen, alle Guten sind irrsinnig gut, alle Bösen leicht erkennbar an ihrem Hinken, ihrem Gestank, ihren fetten Fingern. Doch der Held ist jung, ein Kind aus dem Süden, es hat Lust auf Melone und findet im kalten Paris nur Saures, Kitsch und Klischee haben noch ihre ganz eigentümliche Poesie:
"Die ersehnten Früchte lagen auf der schwarzen Erde, er setzte sich hin, wühlte die Hände, die bloßen Füße hinein und jauchzte leise." Später dann, wenn all das Jauchzen, Wühlen, Sehnen kein Ende nimmt; wenn der Prinz von Navarra nach der Vergiftung seiner Mutter die Hugenotten anführt, wenn er sich im Machtlabyrinth des Louvre versteckt unter der Maske des Witzbolds, wenn er in der Bartholomäusnacht Frauen Blut saufen sieht aus Schüsseln und Rabenschwärme, die das Tageslicht verdunkeln, wenn er in Ohnmacht fällt, kämpft, Strippen zieht und sich durchbeißt, bis er dann endlich König wird und seine "Große Sache" betreiben kann, das heißt, Frankreich befriedet, das Volk beglückt und die Neuzeit einläutet, nicht ohne nebenher ein paar stark parfümierte, pastellfarbene Romanzen zu absolvieren, worunter die mit der reizenden Gabriele immer noch betäubend wirkt wie ein Strauß Hyazinthen; da hat dann am Ende der gute König schon um 1600 mit Hilfe der Aufklärung den Faschismus besiegt. Hält noch jeanpaulmäßig eine Rede von der Wolke herab, Liebeserklärung an la douce France, zugleich Sonntagspredigt an die Gegenwart, an dich und mich: "Seht mir in die Augen. Ich bin ein Mensch wie ihr." Man glaube ihm kein Wort. Dieser Henri mit zu viel Vibrato, ohne Zwischentöne, ist keine historische Figur, auch keine Politparodie oder Zeitoper. Henri ist Heinrich. Er hatte ein Identifikationsproblem, das war's.
ELEONORE BÜNING
Heinrich Mann: "Die Jugend des Königs Henri Quatre", "Die Vollendung des Königs Henri Quatre". Rowohlt, 9,95 und 12,95 Euro
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