»Ein wunderbares Buch über die Liebe. Und über das Menschsein.« (emotion)
Sie lernt ihn kennen, als sie noch jung ist und er beinahe schon alt. Er, der berühmte Schriftsteller. Sie, die mit dem Schreiben gerade anfängt und Mutter einer kleinen Tochter ist. Sie wird seine Schülerin, seine Geliebte, seine Vertraute, und beide schwören, sich einander zuzumuten "mit allen Meisen und Absonderlichkeiten". Eine Beziehung voller Lust und Hingabe und Heiterkeit.
Dann aber, als die Tochter mitten in der Pubertät steckt, erhält er eine Diagnose, die alles ändert. Die Beziehung wird zum Ausnahmezustand und sie von der Geliebten zur Pflegerin. Sie will helfen, sie hilft, doch etwas schwindet, ihr Lebensmensch entfernt sich, die Zeit der Abschiede beginnt. Und noch etwas: ein neues Leben.
Katja Oskamp erzählt zärtlich und rückhaltlos von den Verwandlungen, die das Dasein bereithält, von brüchigen Lebensläufen, von den Rollen einer Frau und den Körpern in ihrer ganzen Herrlichkeit und Hässlichkeit.
Vor allem aber erzählt sie die Geschichte einer großen Liebe.
Sie lernt ihn kennen, als sie noch jung ist und er beinahe schon alt. Er, der berühmte Schriftsteller. Sie, die mit dem Schreiben gerade anfängt und Mutter einer kleinen Tochter ist. Sie wird seine Schülerin, seine Geliebte, seine Vertraute, und beide schwören, sich einander zuzumuten "mit allen Meisen und Absonderlichkeiten". Eine Beziehung voller Lust und Hingabe und Heiterkeit.
Dann aber, als die Tochter mitten in der Pubertät steckt, erhält er eine Diagnose, die alles ändert. Die Beziehung wird zum Ausnahmezustand und sie von der Geliebten zur Pflegerin. Sie will helfen, sie hilft, doch etwas schwindet, ihr Lebensmensch entfernt sich, die Zeit der Abschiede beginnt. Und noch etwas: ein neues Leben.
Katja Oskamp erzählt zärtlich und rückhaltlos von den Verwandlungen, die das Dasein bereithält, von brüchigen Lebensläufen, von den Rollen einer Frau und den Körpern in ihrer ganzen Herrlichkeit und Hässlichkeit.
Vor allem aber erzählt sie die Geschichte einer großen Liebe.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Erinnerung und Indiskretion gehen in diesem Buch eine beglückende Verbindung ein, meint Rezensent Hilmar Klute. Die Autorin Katja Oskamp arbeitet darin, erfahren wir, ihre Beziehung mit dem Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann auf. Eine Beziehung, weiß Klute zu berichten, die einsetzt, als die Erzählerin, gefangen in einer unbedriedigenden Ehe, in einem Kurs am Leipziger Literaturinstitut die Bekanntschaft eines Dozenten namens Tosch macht - so heißt Hürlimann in diesem Buch. Beidseitig erwacht schnell sexuelles Interesse, später zieht die Erzählerin mitsamt Tochter in die Schweiz zu Tosch, das Zusammenleben klappt einige Zeit lang ganz gut, obwohl Tosch stets die Literatur über die Familie und sogar den Sex stellt. Außerdem wird er zum Schreibmentor der Erzählerin, die literarische Beziehung gestaltet sich laut Klute ähnlich obsessiv wie die sexuelle, bevor Toschs Krebserkrankung beiden ein Ende setzt. Oskamp erzählt schonungslos, beschreibt der Rezensent, aber auch ehrlich und deshalb ist ihr ein tröstendes Buch gelungen, das von zwei verschiedenen Niedergängen berichtet, dem Toschs und ihrem eigenen, wenn sie mit einem Buchprojekt scheitert. Am Ende bleibt von der Beziehung Oskamps und Hürlimanns doch etwas zurück, freut sich Klute, und zwar Text, ein Buch, das zum "Denkmal einer großen Liebe" wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine leidenschaftliche, eine heftige Liebe ... grandios erzählt!« Elke Heidenreich digitaler Spiegel 20240922
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2024Denkmal einer großen Liebe
Als Studentin begann Katja Oskamp ein Verhältnis mit dem 20 Jahre älteren Autor Thomas Hürlimann. In „Die vorletzte Frau“ ist ihre Beziehung nun sehr detailliert nachzulesen.
Die Liebe zwischen einer Schriftstellerin und einem Schriftsteller – man kennt das Sujet, es gibt viele Bücher darüber, von Sylvia Plath und Ted Hughes bis zu Ingeborg Bachmann und Max Frisch reicht die Galerie leidenschaftlicher Doppelporträts. Nun hat Katja Oskamp den Roman einer solchen Liebe zwischen „Sex und Text“, wie es ironisch programmatisch in „Die vorletzte Frau“ heißt, geschrieben. Die Erzählerin, man kann getrost auf jedes Abstandsgebot verzichten, ist mit Katja Oskamp identisch und in dem Mann, mit dem sie die Liebesgeschichte ihre Lebens erlebt und nun erzählt hat, erkennt man Thomas Hürlimann, einen der erfolgreichsten Schweizer Stückeschreiber und Romanciers. Im Buch heißt er Tosch und kommt als Dozent ans Leipziger Literaturinstitut, wo die Erzählerin, unter einer erkalteten Ehe leidend, Kurse nimmt.
Die Übung, die Tosch seinen Schreibstudenten stellt, ist eine sogenannte Mitmach-Aufgabe, und wer den Schauder der Peinlichkeit kennt, den derartige Kasperaden auslösen können, fühlt die Gereiztheit der Erzählerin nach. Die Studenten sollen Robert Musils Erzählung „Tonka“ auseinandernehmen. Ratlos und unwillig schneidet die Erzählerin alle Stellen mit wörtlicher Rede aus dem Papier und verteilt die Schnipsel auf dem Boden. Als es ans Vorlesen geht, muss sie sich natürlich nach den Schnipseln bücken und allen, wie sie sagt, „ihr ausladendes Hinterteil entgegenstrecken“, ein Vorgang, bei dem, so gesteht es Tosch später, „sein Schwanz erwacht sei“.
Das sexuelle Erweckungserlebnis ist beidseitig, die Erzählerin gesteht ihrem neuen Liebhaber, sie sei bis zu diesem Augenblick toter als tot gewesen. Seit Jahren lebt sie mit einem holländischen Star-Musiker in Leipzig, ihre Tochter Paula kam als Frühchen und per Kaiserschnitt zur Welt. Für den Generalmusikdirektor ist sie nur eine Nummer in seiner großen Kindersammlung. Der sexuelle Weckruf für die Erzählerin und den zwanzig Jahre älteren Schriftsteller ertönt prompt und eindeutig: „Tosch legte mich vor dem Joseph Pub mit Krawumm auf die Motorhaube eines parkenden Autos.“
Was dann folgt, ist eine von aufwendigen Sexspielen befeuerte Beziehung, in die sich die Erzählerin mit lange nicht gekannter Lust hineinstürzt. Tosch erweist sich als gut gelaunter, aber durchaus launischer Hausfreund, der schnell auch die Tochter ins Herz schließt und die bald dazustoßende Katze Übü so unverzichtbar findet wie seine oft rüden Rückzüge in die Kreuzberger Junggesellenwohnung. Tosch lebt für das Schreiben, es geht ihm über alles, auch über die Liebe zur Erzählerin. Er bleibt ihr Liebhaber, sie genießt selbst die Distanz.
Tosch bleibt auch ihr Schreibmentor. Er liest jeden Text, den die Erzählerin zu veröffentlichen gedenkt, als sei es sein eigener, sie bringt ihm jeden Text „wie ein Hündchen“, die literarische Beziehung steht der sexuellen auch in obsessiver Unbedingtheit in nichts nach – Sex und Text eben. Der Schweizer nimmt sich der Leipzigerin und ihrer Tochter an, lädt sie nach Zürich ein, auch ins Appenzellerland. Paula und Tosch tun sich als Langschläfer zusammen, ein Familienidyll entsteht mit abrupten Brüchen und rigorosen Abwesenheiten, denn Tosch stellt die Arbeit am Text letztlich doch über Familie und Sex.
Für die Reibungslosigkeit sorgt das „Muttisystem“, so nennt die Erzählerin ihre auf Effektivität zielende Überlebenstechnik als Alleinerziehende mit viel Herz für Nebensächlichkeiten. Nebenbei schreibt sie auch an den Erzählungen ihres ersten Buchs, das im wirklichen Leben der Katja Oskamp „Halbschwimmer“ hieß und ihr einen bleibenden Namen im Literaturbetrieb sicherte. Kleine Gebrechen des älteren Mannes und größere Zahnkomplikationen der Geliebten werden gegengerechnet, die Alltagssorgen bleiben beherrschbar, bis Tosch bei einer Routineuntersuchung erfährt, dass er an Prostatakrebs erkrankt ist.
Was folgt, ist eine Odyssee durch Kliniken, dramatische Nahtod-Erlebnisse sowie die jede Spielart von Peinlichkeit und Scham berührende Invalidität des Liebhabers. Die Erzählerin wird zur Pflegerin, der Schriftsteller zum ruppigen Patienten und beide versuchen eine Fortsetzungsgeschichte des Glücks mit veränderten Vorzeichen zu schreiben.
Katja Oskamps literarischer Plan war es offensichtlich, ihre Liebesbeziehung in möglichst schonungsloser Genauigkeit zu schildern – das ist zwangsläufig ein Wagnis, weil es die Grenzen der Intimität nicht nur berührt, sondern auch überschreitet. Und das ist das eigentlich Schöne an dieser mit viel Wärme und gesundem Sarkasmus erzählten Geschichte: Die Schonungslosigkeit des Erzählens erweist sich als trostreich, weil sie ganz auf den Wert der Ehrlichkeit setzt. Verletzt sie die Würde des anderen, dessen Leiden in vielen Einzelheiten geschildert wird? Thomas Hürlimann hat seine Krebsbiografie selbst in trotziger Ausführlichkeit aufgeschrieben, den Irrsinn des Kliniksystems auf seine knorrig-fantastische Weise in starke Bilder gebannt.
Niedergänge hat es schließlich auf beiden Seiten gegeben. Der erfolgreiche Schweizer Schriftsteller muss eine Hassliebe mit seinem an Geräten und Prothesen gefesselten Leben eingehen. Und die Erzählerin scheitert mit einer Novelle, die kein Verlag haben will. Sie flüchtet sich in den Beruf der Fußpflegerin, kommt also ganz unten an, sozial wie anatomisch: bei den geringfügig Beschäftigten und bei den Füßen.
Aber es bleibt nicht beim Elend, die Niederlage hat nicht das letzte Wort, der Tod schon gar nicht. Aus dem Alltag mit den Fußpflegekunden in Marzahn entsteht ein Buch, das die Erzählerin, nennen wir sie wieder freimütig Katja Oskamp, zurück in die literarische Öffentlichkeit bringt. Und Tosch, nennen wir ihn respektvoll Thomas Hürlimann, überlebt den Krebs und findet im Alter zu weiterem Ruhm sowie zur Kontemplation in einem Bootshaus am Zuger See.
Die Liebesbeziehung freilich kommt an ein Ende. Sie hinterlässt keine Unglücksraben, sondern zwei, die schon als lebenselend, also als lebensklug aneinander geraten sind. Zwar scheitern sie an der Krankheit und dem Fremdwerden des anderen. Aber sie überlassen einander das, was vom Projekt „Sex und Text“ übrig geblieben ist: den Text nämlich. Thomas Hürlimann hat der Veröffentlichung des Romans zugestimmt. Natürlich hat er, denn es gibt kein schöneres Denkmal einer großen Liebe, als eines, das die Liebe ohne künstlerisches Verfremdungsgedöns darstellt.
„Die Erinnerung ist eine zärtliche Schlampe“, schreibt Katja Oskamp gegen Ende. Die Indiskretion, könnte man sagen, ist ihre etwas rauere Schwester, aber nur beiden zusammen gelingt jene Art von Literatur, die so unparfümiert und tröstlich ist wie dieser Roman.
HILMAR KLUTE
Die Erzählerin wird zur
Pflegerin, der Schriftsteller
zum ruppigen Patienten
Vom Projekt „Sex und
Text“ blieb am Ende
nur das Letztere
Der sexuelle Weckruf für die Erzählerin ertönt prompt und eindeutig: Die Schriftstellerin Katja Oskamp.
Foto: imago
Katja Oskamp:
Die vorletzte Frau.
Roman. Ullstein,
Berlin 2024,
207 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Als Studentin begann Katja Oskamp ein Verhältnis mit dem 20 Jahre älteren Autor Thomas Hürlimann. In „Die vorletzte Frau“ ist ihre Beziehung nun sehr detailliert nachzulesen.
Die Liebe zwischen einer Schriftstellerin und einem Schriftsteller – man kennt das Sujet, es gibt viele Bücher darüber, von Sylvia Plath und Ted Hughes bis zu Ingeborg Bachmann und Max Frisch reicht die Galerie leidenschaftlicher Doppelporträts. Nun hat Katja Oskamp den Roman einer solchen Liebe zwischen „Sex und Text“, wie es ironisch programmatisch in „Die vorletzte Frau“ heißt, geschrieben. Die Erzählerin, man kann getrost auf jedes Abstandsgebot verzichten, ist mit Katja Oskamp identisch und in dem Mann, mit dem sie die Liebesgeschichte ihre Lebens erlebt und nun erzählt hat, erkennt man Thomas Hürlimann, einen der erfolgreichsten Schweizer Stückeschreiber und Romanciers. Im Buch heißt er Tosch und kommt als Dozent ans Leipziger Literaturinstitut, wo die Erzählerin, unter einer erkalteten Ehe leidend, Kurse nimmt.
Die Übung, die Tosch seinen Schreibstudenten stellt, ist eine sogenannte Mitmach-Aufgabe, und wer den Schauder der Peinlichkeit kennt, den derartige Kasperaden auslösen können, fühlt die Gereiztheit der Erzählerin nach. Die Studenten sollen Robert Musils Erzählung „Tonka“ auseinandernehmen. Ratlos und unwillig schneidet die Erzählerin alle Stellen mit wörtlicher Rede aus dem Papier und verteilt die Schnipsel auf dem Boden. Als es ans Vorlesen geht, muss sie sich natürlich nach den Schnipseln bücken und allen, wie sie sagt, „ihr ausladendes Hinterteil entgegenstrecken“, ein Vorgang, bei dem, so gesteht es Tosch später, „sein Schwanz erwacht sei“.
Das sexuelle Erweckungserlebnis ist beidseitig, die Erzählerin gesteht ihrem neuen Liebhaber, sie sei bis zu diesem Augenblick toter als tot gewesen. Seit Jahren lebt sie mit einem holländischen Star-Musiker in Leipzig, ihre Tochter Paula kam als Frühchen und per Kaiserschnitt zur Welt. Für den Generalmusikdirektor ist sie nur eine Nummer in seiner großen Kindersammlung. Der sexuelle Weckruf für die Erzählerin und den zwanzig Jahre älteren Schriftsteller ertönt prompt und eindeutig: „Tosch legte mich vor dem Joseph Pub mit Krawumm auf die Motorhaube eines parkenden Autos.“
Was dann folgt, ist eine von aufwendigen Sexspielen befeuerte Beziehung, in die sich die Erzählerin mit lange nicht gekannter Lust hineinstürzt. Tosch erweist sich als gut gelaunter, aber durchaus launischer Hausfreund, der schnell auch die Tochter ins Herz schließt und die bald dazustoßende Katze Übü so unverzichtbar findet wie seine oft rüden Rückzüge in die Kreuzberger Junggesellenwohnung. Tosch lebt für das Schreiben, es geht ihm über alles, auch über die Liebe zur Erzählerin. Er bleibt ihr Liebhaber, sie genießt selbst die Distanz.
Tosch bleibt auch ihr Schreibmentor. Er liest jeden Text, den die Erzählerin zu veröffentlichen gedenkt, als sei es sein eigener, sie bringt ihm jeden Text „wie ein Hündchen“, die literarische Beziehung steht der sexuellen auch in obsessiver Unbedingtheit in nichts nach – Sex und Text eben. Der Schweizer nimmt sich der Leipzigerin und ihrer Tochter an, lädt sie nach Zürich ein, auch ins Appenzellerland. Paula und Tosch tun sich als Langschläfer zusammen, ein Familienidyll entsteht mit abrupten Brüchen und rigorosen Abwesenheiten, denn Tosch stellt die Arbeit am Text letztlich doch über Familie und Sex.
Für die Reibungslosigkeit sorgt das „Muttisystem“, so nennt die Erzählerin ihre auf Effektivität zielende Überlebenstechnik als Alleinerziehende mit viel Herz für Nebensächlichkeiten. Nebenbei schreibt sie auch an den Erzählungen ihres ersten Buchs, das im wirklichen Leben der Katja Oskamp „Halbschwimmer“ hieß und ihr einen bleibenden Namen im Literaturbetrieb sicherte. Kleine Gebrechen des älteren Mannes und größere Zahnkomplikationen der Geliebten werden gegengerechnet, die Alltagssorgen bleiben beherrschbar, bis Tosch bei einer Routineuntersuchung erfährt, dass er an Prostatakrebs erkrankt ist.
Was folgt, ist eine Odyssee durch Kliniken, dramatische Nahtod-Erlebnisse sowie die jede Spielart von Peinlichkeit und Scham berührende Invalidität des Liebhabers. Die Erzählerin wird zur Pflegerin, der Schriftsteller zum ruppigen Patienten und beide versuchen eine Fortsetzungsgeschichte des Glücks mit veränderten Vorzeichen zu schreiben.
Katja Oskamps literarischer Plan war es offensichtlich, ihre Liebesbeziehung in möglichst schonungsloser Genauigkeit zu schildern – das ist zwangsläufig ein Wagnis, weil es die Grenzen der Intimität nicht nur berührt, sondern auch überschreitet. Und das ist das eigentlich Schöne an dieser mit viel Wärme und gesundem Sarkasmus erzählten Geschichte: Die Schonungslosigkeit des Erzählens erweist sich als trostreich, weil sie ganz auf den Wert der Ehrlichkeit setzt. Verletzt sie die Würde des anderen, dessen Leiden in vielen Einzelheiten geschildert wird? Thomas Hürlimann hat seine Krebsbiografie selbst in trotziger Ausführlichkeit aufgeschrieben, den Irrsinn des Kliniksystems auf seine knorrig-fantastische Weise in starke Bilder gebannt.
Niedergänge hat es schließlich auf beiden Seiten gegeben. Der erfolgreiche Schweizer Schriftsteller muss eine Hassliebe mit seinem an Geräten und Prothesen gefesselten Leben eingehen. Und die Erzählerin scheitert mit einer Novelle, die kein Verlag haben will. Sie flüchtet sich in den Beruf der Fußpflegerin, kommt also ganz unten an, sozial wie anatomisch: bei den geringfügig Beschäftigten und bei den Füßen.
Aber es bleibt nicht beim Elend, die Niederlage hat nicht das letzte Wort, der Tod schon gar nicht. Aus dem Alltag mit den Fußpflegekunden in Marzahn entsteht ein Buch, das die Erzählerin, nennen wir sie wieder freimütig Katja Oskamp, zurück in die literarische Öffentlichkeit bringt. Und Tosch, nennen wir ihn respektvoll Thomas Hürlimann, überlebt den Krebs und findet im Alter zu weiterem Ruhm sowie zur Kontemplation in einem Bootshaus am Zuger See.
Die Liebesbeziehung freilich kommt an ein Ende. Sie hinterlässt keine Unglücksraben, sondern zwei, die schon als lebenselend, also als lebensklug aneinander geraten sind. Zwar scheitern sie an der Krankheit und dem Fremdwerden des anderen. Aber sie überlassen einander das, was vom Projekt „Sex und Text“ übrig geblieben ist: den Text nämlich. Thomas Hürlimann hat der Veröffentlichung des Romans zugestimmt. Natürlich hat er, denn es gibt kein schöneres Denkmal einer großen Liebe, als eines, das die Liebe ohne künstlerisches Verfremdungsgedöns darstellt.
„Die Erinnerung ist eine zärtliche Schlampe“, schreibt Katja Oskamp gegen Ende. Die Indiskretion, könnte man sagen, ist ihre etwas rauere Schwester, aber nur beiden zusammen gelingt jene Art von Literatur, die so unparfümiert und tröstlich ist wie dieser Roman.
HILMAR KLUTE
Die Erzählerin wird zur
Pflegerin, der Schriftsteller
zum ruppigen Patienten
Vom Projekt „Sex und
Text“ blieb am Ende
nur das Letztere
Der sexuelle Weckruf für die Erzählerin ertönt prompt und eindeutig: Die Schriftstellerin Katja Oskamp.
Foto: imago
Katja Oskamp:
Die vorletzte Frau.
Roman. Ullstein,
Berlin 2024,
207 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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