Susanne tröstet sich immer mit der Vorstellung vom Leben mit einem Mann, mit dem sie nur kurz zusammen war. Ein unkompliziertes, ein konkretes Leben, mit Zeit für Liebkosungen, sie gehen zur Arbeit, haben Kinder. Und es ist kein Verbrechen, von Familienfesten zu träumen ... Doch diese Vorstellung mündet stets in ein schreckliches Schlussbild: Sie sieht sich selbst weinen angesichts all dieses Glücks, in dem es so gar keinen Zweifel gibt. Ein einziges Mal hatte sie zu ihm gesagt: »Kim, ich verlasse dich, ich weiß nicht, ob ich dich liebe.« - »Komm mir nicht mit deinen Klischees«, hatte er geantwortet, und das war wohl auch der Grund, weshalb sie blieb.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Vorsicht vor der Oberfläche, warnt Sandra Kerschbaumer, die in den Texten der dänischen Autorin Helle Helle das Unbehagen darunter spürt. So unspektakulär und detailliert sich die Autorin mit den alltäglichen Realitäten befasst (hier etwa die Großküche eines Krankenhauses, in der die Protagonistin arbeitet), mit Kaffee und Einkauf und Verkehrsmitteln, erläutert Kerschbaumer den Dreh des Textes, so gut erschließt sich für den aktiven, aufmerksamen Leser das Innenleben der Figuren, psychische Räume. Dass die Autorin damit auf subtile Art Gesellschaftskritik übt, Geschlechterrollen und Sehnsüchte thematisiert, weiß die Rezensentin zu schätzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2012Was soll man nur aus sich machen?
In Dänemark gilt Helle Helle als Vertreterin einer Generation, die einen Überdruss am Leben im Wohlfahrtsstaat empfindet. In ihrem neuen Roman drückt sie das wieder auf beklemmende Weise aus.
Die Romane von Helle Helle sind eine sachliche Angelegenheit. Das zeigen schon die Titel ihrer bisher auf Deutsch erschienenen Bücher: "Haus und Heim" und "Rødby - Puttgarden". Es gibt wohl keine unspektakulärere Fährverbindung auf der Welt als die zwischen Fehmarn und Lolland, der dänischen Insel, auf der die 47 Jahre alte Autorin mit dem bürgerlichen Namen Helle Olsen aufwuchs. Und gerade für das Unspektakuläre, Unprätentiöse, das Alltägliche und Naheliegende interessiert sich die in ihrer Heimat beliebte und hochgepriesene Autorin, die in guter skandinavischer Tradition fiktive Welten entwirft, die der Realität sehr nahe kommen.
Die jüngste Romanübersetzung führt uns mit Susanne, der Hauptfigur, durch die Flure und in die Großküche eines Krankenhauses, in die Arbeitswelt derer, die die Zimmer putzen und den Abwasch erledigen. "Die meisten hängten die Gummihandschuhe mit der Innenseite nach außen auf. Das gehörte zum Ersten, was sie hier gelernt hatte." Der Leser hat den Beschreibungen der Vorgänge in der unteren dänischen Mittelschicht bis ins Detail zu folgen: "Es gab dafür eine Technik, die sie alle anwendeten. Wenn ein Handschuh innen nass war, zog man ihn aus, setzte an, die Innenseite nach außen zu stülpen, klemmte den Handschuh beim Handgelenk zusammen und schwang ihn durch die Luft, bis er sich von selbst mit Luft füllte und die Innenseite sich nach außen kehrte. Und so hängte man ihn am Wagen zum Trocknen auf." Ähnlich präzise gestalten sich der Feierabend, der Kaffee im Einkaufszentrum, die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Helle Helle hat großes Vertrauen in die welterschließende Kraft der Oberflächenbeschreibung.
Auf die täglichen Griffe und Blicke bauen auch die Schilderungen des privaten Lebens von Susanne, die mit einem schriftstellernden Mann zusammenlebt, von dem sie nie so recht weiß, wann sie ihn stört und was sie ihm eigentlich erzählen darf. Die beiden unterhalten sich deshalb in kurzen Sätzen. Überhaupt lebt der herbe Realismus der Helle Helle von einem hohen Anteil an Dialogen und Äußerungen, die einsilbig sind und nur indirekt etwas über die Figuren sagen. Die Gedankenwelten muss sich der Leser selbst zusammensetzen, aus Gesten und kurzen Reflexionen. Deshalb ist auch der Titel des Romans "Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann" eigentlich irreführend: Denn sorgfältig beschrieben wird das komplizierte Leben mit einem Mann, ein Leben, in dem man einander mag und trotzdem nicht genügt. Die Vorstellungen, Sehnsüchte und Leiden der Protagonistin erscheinen lediglich schattenhaft im Hintergrund.
In die nüchterne und handlungsarme Welt der Susanne bricht eines Tages eine Arbeitskollegin ein. Eine Freundin kann man sie eigentlich nicht nennen, eher die typische Figur der Fremden, die kommt, durch ihre Anwesenheit in das Leben der anderen eingreift und wieder geht. Weinend und hochschwanger bittet sie um einen Platz auf dem Sofa, ihr Mann hat sie betrogen, ausgerechnet in diesem Zustand, und sie will nicht nach Hause. Ester spricht laut und breitet ihre Sachen aus. Sie verwüstet das Badezimmer und lacht hemmungslos mit dem Mann ihrer Kollegin. Sie ist die Verkörperung einer Vitalität, die die zögerliche Schwäche der Protagonistin nur umso deutlicher hervortreten lässt. Ihre Anwesenheit macht "alles viel schlimmer und gleichzeitig auch ein bisschen besser". Unter der beschriebenen Oberfläche deuten sich psychische Räume mit ihren Gegensätzen an: die reservierte Abwehr der Gastgeber, das Mitleid wider Willen und eine zunehmende innere Beteiligung bindungsschwacher Menschen, die plötzlich für die Schwangere kochen und schließlich mit ihr im Kreißsaal stehen.
Natürlich ist der neue Roman von Helle Helle auch ein Gesellschaftsbild. So wird sie in ihrer Heimat gelesen - als Stimme einer Generation, die lange einen Überdruss am skandinavischen Wohlfahrtsstaat empfindet. Bei Helle Helle geht die Zeitdiagnose aber über gesellschaftspolitische Fragen hinaus, man spürt ein kaum zu ortendes Unbehagen, das sich in alle Lebensritzen gesetzt hat. Die Figuren, die nicht wie Ester munter ihrer Biologie folgen, mühen sich mit halbherzigen Selbstentwürfen. Sie tragen schwer an der Idee, etwas aus sich machen zu müssen, und haben trotz aller Möglichkeiten das Gefühl der Enge und Beschränkung ihres Daseins. Sie sind gefangen in sich, in Geschlechterrollen, in dem Gefühl von Stagnation. Und ausgerechnet dort, wo die Geburt eines Kindes diese überwinden könnte, wo etwas in Bewegung kommt, eröffnet die hyperrealistische Alltagsgeschichte einen Abgrund durch einen rätselhaften Tod.
SANDRA KERSCHBAUMER
Helle Helle: "Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann". Roman.
Aus dem Dänischen von Flora Fink. Dörlemann Verlag, Zürich 2012. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Dänemark gilt Helle Helle als Vertreterin einer Generation, die einen Überdruss am Leben im Wohlfahrtsstaat empfindet. In ihrem neuen Roman drückt sie das wieder auf beklemmende Weise aus.
Die Romane von Helle Helle sind eine sachliche Angelegenheit. Das zeigen schon die Titel ihrer bisher auf Deutsch erschienenen Bücher: "Haus und Heim" und "Rødby - Puttgarden". Es gibt wohl keine unspektakulärere Fährverbindung auf der Welt als die zwischen Fehmarn und Lolland, der dänischen Insel, auf der die 47 Jahre alte Autorin mit dem bürgerlichen Namen Helle Olsen aufwuchs. Und gerade für das Unspektakuläre, Unprätentiöse, das Alltägliche und Naheliegende interessiert sich die in ihrer Heimat beliebte und hochgepriesene Autorin, die in guter skandinavischer Tradition fiktive Welten entwirft, die der Realität sehr nahe kommen.
Die jüngste Romanübersetzung führt uns mit Susanne, der Hauptfigur, durch die Flure und in die Großküche eines Krankenhauses, in die Arbeitswelt derer, die die Zimmer putzen und den Abwasch erledigen. "Die meisten hängten die Gummihandschuhe mit der Innenseite nach außen auf. Das gehörte zum Ersten, was sie hier gelernt hatte." Der Leser hat den Beschreibungen der Vorgänge in der unteren dänischen Mittelschicht bis ins Detail zu folgen: "Es gab dafür eine Technik, die sie alle anwendeten. Wenn ein Handschuh innen nass war, zog man ihn aus, setzte an, die Innenseite nach außen zu stülpen, klemmte den Handschuh beim Handgelenk zusammen und schwang ihn durch die Luft, bis er sich von selbst mit Luft füllte und die Innenseite sich nach außen kehrte. Und so hängte man ihn am Wagen zum Trocknen auf." Ähnlich präzise gestalten sich der Feierabend, der Kaffee im Einkaufszentrum, die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Helle Helle hat großes Vertrauen in die welterschließende Kraft der Oberflächenbeschreibung.
Auf die täglichen Griffe und Blicke bauen auch die Schilderungen des privaten Lebens von Susanne, die mit einem schriftstellernden Mann zusammenlebt, von dem sie nie so recht weiß, wann sie ihn stört und was sie ihm eigentlich erzählen darf. Die beiden unterhalten sich deshalb in kurzen Sätzen. Überhaupt lebt der herbe Realismus der Helle Helle von einem hohen Anteil an Dialogen und Äußerungen, die einsilbig sind und nur indirekt etwas über die Figuren sagen. Die Gedankenwelten muss sich der Leser selbst zusammensetzen, aus Gesten und kurzen Reflexionen. Deshalb ist auch der Titel des Romans "Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann" eigentlich irreführend: Denn sorgfältig beschrieben wird das komplizierte Leben mit einem Mann, ein Leben, in dem man einander mag und trotzdem nicht genügt. Die Vorstellungen, Sehnsüchte und Leiden der Protagonistin erscheinen lediglich schattenhaft im Hintergrund.
In die nüchterne und handlungsarme Welt der Susanne bricht eines Tages eine Arbeitskollegin ein. Eine Freundin kann man sie eigentlich nicht nennen, eher die typische Figur der Fremden, die kommt, durch ihre Anwesenheit in das Leben der anderen eingreift und wieder geht. Weinend und hochschwanger bittet sie um einen Platz auf dem Sofa, ihr Mann hat sie betrogen, ausgerechnet in diesem Zustand, und sie will nicht nach Hause. Ester spricht laut und breitet ihre Sachen aus. Sie verwüstet das Badezimmer und lacht hemmungslos mit dem Mann ihrer Kollegin. Sie ist die Verkörperung einer Vitalität, die die zögerliche Schwäche der Protagonistin nur umso deutlicher hervortreten lässt. Ihre Anwesenheit macht "alles viel schlimmer und gleichzeitig auch ein bisschen besser". Unter der beschriebenen Oberfläche deuten sich psychische Räume mit ihren Gegensätzen an: die reservierte Abwehr der Gastgeber, das Mitleid wider Willen und eine zunehmende innere Beteiligung bindungsschwacher Menschen, die plötzlich für die Schwangere kochen und schließlich mit ihr im Kreißsaal stehen.
Natürlich ist der neue Roman von Helle Helle auch ein Gesellschaftsbild. So wird sie in ihrer Heimat gelesen - als Stimme einer Generation, die lange einen Überdruss am skandinavischen Wohlfahrtsstaat empfindet. Bei Helle Helle geht die Zeitdiagnose aber über gesellschaftspolitische Fragen hinaus, man spürt ein kaum zu ortendes Unbehagen, das sich in alle Lebensritzen gesetzt hat. Die Figuren, die nicht wie Ester munter ihrer Biologie folgen, mühen sich mit halbherzigen Selbstentwürfen. Sie tragen schwer an der Idee, etwas aus sich machen zu müssen, und haben trotz aller Möglichkeiten das Gefühl der Enge und Beschränkung ihres Daseins. Sie sind gefangen in sich, in Geschlechterrollen, in dem Gefühl von Stagnation. Und ausgerechnet dort, wo die Geburt eines Kindes diese überwinden könnte, wo etwas in Bewegung kommt, eröffnet die hyperrealistische Alltagsgeschichte einen Abgrund durch einen rätselhaften Tod.
SANDRA KERSCHBAUMER
Helle Helle: "Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann". Roman.
Aus dem Dänischen von Flora Fink. Dörlemann Verlag, Zürich 2012. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Helles Stil ist schlicht und klar wie ein Stuhl von Arne Jacobsen, und schlicht und klar ist auch, wozu sich die vielen Details am Ende zusammensetzen: zu einer Geschichte über das Werden und das Vergehen.« Verena Mayer / Süddeutsche Zeitung »Natürlich ist der neue Roman von Helle Helle auch ein Gesellschaftsbild. So wird sie in ihrer Heimat gelesen - als Stimme einer Generation, die lange einen Überdruss am skandinavischen Wohlfahrtsstaat empfindet.« Sandra Kerschbaumer / Frankfurter Allgemeine Zeitung »Vorstellungen, Illusionen, Vermutungen und Tagträume sind das Einzige, was Helle Helle Werk für Werk ihren Figuren an Geist und Tiefe belässt. Sie könnten aus einem strengen Lehrbuch des Lebens stammen, auch wenn sich die Autorin jeden Kommentar versagt. Wir verstehen auch so, und die Welt, die sie gestaltet, hat etwas beinahe Exemplarisches.« Verena Stössinger / NZZ am Sonntag »Helle Helles Buch ist in diesen tragisch-absurden Zügen voll komischer oder humoristischer Pointen, und am Ende zieht man den Hut vor ihrer durchdachten Arbeit, in der nichts dem Zufall überlassen wird - ganz im Gegensatz zu dem, was Helles Figuren manchmal widerfährt, das sie aber nicht zu nutzen wissen.« Peter Urban-Halle / Neue Zürcher Zeitung »Ihr einfacher, kommentarloser Stil täuscht: Helle Helle folgt den Personen wie mit Kamera und Mikro und zeigt in dieser von ihr minimalistisch verknappten Authentizität trotzdem das Wesentliche.« Ellen Pomikalko / BuchMarkt »Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag. Den hat man die ganze Zeit im Hinterkopf, will ihn sich erklären. Als ob alles im Leben eine konkrete Ursache haben müsste. Hat es aber nicht.« Irmtraud Gutschke / neues deutschland »Man sollte und kann Helle Helle sehr gut lesen, weil sie eine Meisterin der Beiläufigkeit ist ... Es lohnt sich also, diese Autorin zu entdecken.« Johan Schloemann / Süddeutsche Zeitung