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Tausend Möglichkeiten, in der Liebe glücklich oder unglücklich zu werden, eine Universalgeschichte des menschlichen Schiffbruchs ist das Thema der "Voyeurin". Hier wird jeder ein Trümmerstück aus dem eigenen Leben wiederfinden. Tibor Fischers unerschrockene Phantasie macht es den Lesern leicht, über sich selbst zu lachen. Und das tolle Geschwätz der Vase, ihre rabelaissche Übertreibungssucht, wird auch noch das nächste Jahrtausend heimsuchen: ein Zeugnis irdischen Tuns und Treibens.

Produktbeschreibung
Tausend Möglichkeiten, in der Liebe glücklich oder unglücklich zu werden, eine Universalgeschichte des menschlichen Schiffbruchs ist das Thema der "Voyeurin". Hier wird jeder ein Trümmerstück aus dem eigenen Leben wiederfinden. Tibor Fischers unerschrockene Phantasie macht es den Lesern leicht, über sich selbst zu lachen. Und das tolle Geschwätz der Vase, ihre rabelaissche Übertreibungssucht, wird auch noch das nächste Jahrtausend heimsuchen: ein Zeugnis irdischen Tuns und Treibens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.1999

Der Nabel ist recht passabel
Tibor Fischers Roman "Die Voyeurin"

Wenn es eine Ehrenbank im Tempel der Literaturgeschichte für die unwahrscheinlichste Ausgangskonstellation eines Romans gäbe, hätte der 1959 geborene englische Romancier Tibor Fischer gute Aussichten auf eine Dauerkarte. Es gab schon einen Mann ohne Schatten, einen geteilten Visconte oder einen Herrn, der eines Morgens aufwacht und sich in ein Insekt verwandelt hat. Was es bis zu Fischers neuem Roman nicht gab, war eine Geschichte aus der Perspektive einer jahrtausendealten Vase. Keiner gewöhnlichen natürlich, denn sie verfügt nicht nur über ein verblüffendes Sprachtalent und ein lückenloses Gedächtnis, sondern kann überdies Gedanken lesen, Träume erzeugen und jede beliebige Form und Größe annehmen, was als Erzählinstanz ganz praktisch ist.

Zudem hat das aufgeweckte "Töpfchen mit Köpfchen" im Laufe seines langen, ereignisreichen Daseins (unter anderem als "Nachttopf, Wasserkrug, Hinrichtungsgerät, Türstopper, Sonnenblende, Spucknapf, Kohlenkasten, Papageienkäfig, Museumsexponat, Gottheit, Aschenbecher") eine umfassende Privatsammlung menschlicher Körperformen und ausgefallener Anmachtechniken angelegt, um seine Umgebung bis ins Detail katalogisieren zu können: "Ihr Nabel entspricht Typ siebenundsechzig von zweitausendzweihundertvierunddreißig, dem vergrabenen Kahlkopf." Ach ja, weiblichen Geschlechts ist die Vase auch. Hier wird es dann langsam unglaubwürdig.

Jüngste Station der Tontopf-Odyssee ist die Wohnung der Kunsthistorikerin Rosa, die als Sachverständige eines Londoner Auktionshauses die Echtheit des Stücks zu prüfen hat, das im Augenblick "das fragile Skorpionendesign der Keramik von Samarra zur Schau stellt, das sechseinhalbtausend Jahre vor Rosas Geburt in Mesopotamien der letzte Schrei war". Mittels fachfraulichem Handauflegen kommt die sensible Rosa, eine regelrechte "Vasenkitzlerin", dem Geheimnis ihres Untersuchungsgegenstands auf die Spur: "Die Vase lügt." Wenn Steine reden können, möchten sie auch flunkern. Zur Ablenkung betätigt sich das von Enttarnung bedrohte Stück als Traumfabrik und beschert Rosa eine Reihe spannender Erzählabenteuer quer durch alle Völker und Kontinente. Im Gegenzug steigt sie "per Kickdown" in Rosas Bewußtsein ein und verfolgt als "Voyeurin" ihre Männergeschichten. Der Originaltitel lautet "The Collector's Collector". Das Objekt der Begierde wird zum Subjekt der Erkenntnis; Rosa ist ein besonders exquisites Stück ihrer Charaktermaskensammlung. Typ: Akademiker-Single auf der Suche nach menschlicher Nähe und wildem Sex.

Die Vase als allwissende Erzählinstanz, als Geschichten produzierende Quasselstrippe, die den platonischen Vorwurf der lügenden Dichter ironisch aufnimmt und die Wahrheit der Fiktion versinnbildlicht - das hätte einen ganz hübschen Plot abgegeben, zumal ein so intelligenter Autor wie Fischer durchaus auf der Klaviatur der Metafiktion zu spielen weiß. So geistert völlig unmotiviert ein tiefgefrorener Leguan als Veralberung herkömmlicher Leitmotivtechnik durch das ganze Buch. Jedoch spinnt Fischer sein ungleiches Paar in eine kolportagehafte Rahmenhandlung ein, die nicht einmal genug Substanz für eine soap opera hergäbe. Rosa ist Jungfrau und versucht verzweifelt, mittels grotesk scheiternder Rendezvous ihren fairen Teil von der herrschenden Promiskuität abzubekommen. Zugleich quartiert sich in ihrer Wohnung eine drogensüchtige, bisexuelle Klepto- und Nymphomanin namens Nicky ein, die schon nach wenigen Tagen hinter Rosas Rücken alle Wertsachen und Möbelstücke zu Geld gemacht und von der Zeugin Jehovas bis zum Waschmaschinenservice jede und jeden flachgelegt hat, der in ihre Nähe kam. Alle Aktion wird - wie auf wesentlich überzeugendere Weise in den Romanen eines Nicolson Baker - zum Geschlechtsakt.

Weil man davon nie genug haben kann, hat sich auf Nickys Fersen eine ganze Horde Berufskiller geheftet, denn Gehörnte aus früheren Lebensphasen sinnen auf Rache. Nicky ist als hochstaplerische Verwandlungskünstlerin aus Fleisch und Blut die menschliche Entsprechung der tönernen Erzählinstanz: Beide sammeln auf ihre Weise "Liebhaber". So ist es nur folgerichtig, wenn Nicky auch den künftigen Besitzer der Vase, einen millionenschweren neurotischen Greis, zwischen ihre Schenkel klemmt. Jammert das Gefäß: "Ich bin Demütigungen unterworfen worden, die sie keiner Keramik zutrauen würden, aber wir sind eben nur Leitplanken an den Pfaden der Libido." Wer will, mag "die Voyeurin" als Satire auf den Feminismus lesen.

Nun wird auch klar, warum es eigentlich eine Vase sein muß. Ein Faustkeil, der auf seinem verschlungenen Lebensweg mal die Gestalt eines Morgensterns oder eines Kavalleriesäbels annimmt, hätte sicher noch viel mehr zu erzählen gehabt. Doch Fischer kehrt nicht nur die alte Vorstellung des Poeten als Medium göttlicher Eingebung um, so daß bei ihm das Gefäß zum Dichter wird. Zugleich buchstabiert er dessen sexuelle Metaphorik aus. Als einer der contract killer Nicky erledigen will, erlaubt er sich vor der Exekution noch einen kleinen Spaß: "Ich möchte, daß du deinen Schlüpfer ausziehst und einen Kopfstand machst. Wir spielen, du wärst eine Vase und ich steck dir irgendein Blühgemüse in die Muschi."

Dem Leser blühen noch ganz andere Sachen. Denn der Sprachakrobat Fischer bedient sich eines modisch-flotten, auf Dauer quälenden Sounds, bei dem ein Kalauer den anderen in die Flucht schlägt: "Kahle Bosse erweisen Kalebassen wie mir allenthalben Ehrfurcht." Oder: "Er netzte ihre Ovarien und schätzte ihre Ovationen für seine Antworten." Übersetzer Ulrich Blumenbach sollte eine Schwerarbeiterzulage bekommen. Das Problem ist jedoch, daß sich im Deutschen nur wenige Sprachspielchen mitmachen lassen, und so nicht selten eine Mischung aus fremdwörterseliger Pennälerprosa und grobem Unfug entsteht: "Ehrfurcht ist mein Begehr, und sobald man meine Ahnentafel ahnt, wird sie mir auch schon zuteil; Alter und ein Gran gräzistische Grazie garantieren in der Brenngutbranche Ehrwürdigkeit." Versetzt man die Geschichte einer schusseligen Schüssel mit einem Schuß Kreuzworträtsel ergibt sie zum Schluß: Stuß.

Der Erzähler bemerkt selbst, "daß übermäßiges Saufen die Aphorismen zum Absaufen bringt". Manchmal gewinnt man den Eindruck, auch Fischer habe beim Verfassen nicht nur zu tief in die Vase geblickt. Gegen Ende wuchern die Binnenerzählungen immer weiter aus, während die Geschichte der einsamen Rosa im ironischen Happy-End versandet, das wohl eine Parodie auf eine bestimmte Sorte Frauenroman sein soll. Zwar hat Rosa ihr ganzes Hab und Gut verloren, die ersehnte Defloration ist jedoch endlich in Sichtweite gerückt. Fazit: Auch Männer sind hohl und wischen nie den Staub von den Vasen RICHARD KÄMMERLINGS

Tibor Fischer: "Die Voyeurin". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 1998. 302 S., geb., 39,80 DM.

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