Die in diesem Band versammelten Texte einschlägig ausgewiesener Experten erkunden bislang vernachlässigte Themenbereiche und entwickeln neue Fragestellungen zur Geschichte der bewaffneten SS. Zu ihnen gehören biographie-, struktur-, kultur-, sozial- und operationsgeschichtliche Ansätze. Es wird nach der Rolle des weiblichen Personals in der Waffen-SS, nach Netzwerken innerhalb des Führerkorps sowie nach der Motivation von ausländischen Freiwilligen und Zwangsrekrutierten gefragt. Das Buch bietet daher ebenfalls Studien zu Soldaten, die aus Jugoslawien, Rumänien, Estland, Dänemark und Norwegen stammten. Sowohl Kriegsverbrechen als auch die Beteiligung von Waffen-SS-Einheiten am Holocaust werden beispielhaft erläutert. Die militärischen Leistungen der Waffen-SS auf dem Schlachtfeld sind Gegenstand exemplarischer Analysen. So entsteht ein differenziertes Bild der Waffen-SS, ihrer Organisationsstruktur, ihres Personals und ihrer Verbände, das in seiner Gesamtheit über die bislang vorliegenden monographischen Darstellungen hinausgeht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr lesenswert im Hinblick auf den neuesten Forschungsstand in Sachen Waffen-SS findet Thomas Schnabel den von Erik Schulte, Peter Lieb und Bernd Wegner herausgegebenen Band, der auf zwei Tagungen zum Thema zurückgeht. Sowohl die Rolle der Truppenkameradschaften und Freiwilligen aus den besetzten Gebieten, als auch die Verbindung von Waffen-SS und Totenkopfverbänden der SS wird Schnabel in den meist auf Dissertationen beruhenden insgesamt 23 Beiträgen deutlich. Neben solchen Schwerpunkten bietet ihm der Band Vielfalt und Relevanz in großer Bandbreite, sodass eine Besprechung, wie der Rezensent schreibt, nicht ausreicht, um sie zu erfassen. Als erster wissenschaftlicher Sammelband zur Geschichte der Waffen-SS überhaupt, so zitiert Schnabel die Herausgeber, scheint ihm das Buch allerdings jeder Wertschätzung würdig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2015Fanatismus in auswegloser Lage
"Kämpfende" und "vernichtende" Einheiten der Waffen-SS
Die SS - im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 als "verbrecherische Organisation" eingestuft - gilt bis heute als der Teil des "Dritten Reiches", in dem sich Anspruch, Selbstverständnis und verbrecherische Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie am klarsten zeigen. Es gibt keine populärwissenschaftliche Darstellung des Nationalsozialismus ( in welcher Form auch immer), in der kein Waffen-SS-Mann oder Waffen-SS-Offizier vorkommt. Aber auch die Wissenschaft setzt sich zunehmend mit der Waffen-SS auseinander. Dies spiegelte sich auch in zwei unabhängig voneinander geplanten Tagungen zum Thema im Dezember 2010 in Dresden und im Mai 2011 in Würzburg. Die Ergebnisse wurden nun erfreulicherweise in einem Band zusammengeführt. Es handelt sich, wie die Herausgeber stolz vermerken, um den ersten wissenschaftlichen Sammelband zur Geschichte der Waffen-SS überhaupt.
Insgesamt werden 23 Beiträge veröffentlicht, die in vier Großkapitel eingeteilt sind: "Strukturen und Akteure", das einige grundlegende Aufsätze zum Verständnis der Waffen-SS enthält, "Vergemeinschaftung und Selbstverständnis", "Krieg und Verbrechen" sowie "Inszenierung und Erbe". Ein interessanter Schwerpunkt liegt auf der Einbeziehung von Freiwilligen aus den besetzten Ländern wie Estland, Norwegen und Dänemark, den Motiven von sogenannten Volksdeutschen aus Jugoslawien und Rumänien sowie der versuchten Integration von Muslimen aus Albanien und besetzten Teil der Sowjetunion in eigenen SS-Einheiten. Letzteren gestattete die SS-Führung im Unterschied zu ihren sonstigen Gepflogenheiten sogar den Einsatz von Militärgeistlichen, speziell dafür ausgebildeten Feld-Imamen.
Die Aufsätze, die häufig auf neueren Doktorarbeiten der Autorinnen und Autoren beruhen, spiegeln eine Vielfalt und unterschiedliche Relevanz, die in einer Besprechung nicht ausreichend gewürdigt werden können. Es sei deshalb nur auf einige Facetten hingewiesen. Dazu gehört die enge Verzahnung von Waffen-SS und Totenkopfverbänden der SS, die auch für die Bewachung und den Terror der Konzentrations- und Vernichtungslager zuständig gewesen waren. Eine "saubere" Trennung zwischen "kämpfender" und "vernichtender" SS - wie von Vertretern der Waffen-SS nach 1945 aus nachvollziehbaren Gründen proklamiert - gab es in dieser Form im "Dritten Reich" nicht. Auch dem gescheiterten Versuch einiger SS- und Polizeirichter, der Korruption und den Verstößen gegen die eigenen Regeln in Polen Einhalt zu gebieten, wird ein bemerkenswerter Beitrag gewidmet.
Wehrmachtseinheiten begingen ebenfalls Kriegsverbrechen, aber die überwiegende Zahl davon ging auf das Konto von SS-Einheiten, die außerdem nicht nur Männer, sondern im Unterschied zur Wehrmacht auch Frauen und Kinder hinrichteten. SS-Soldaten wurden jedoch auch häufiger Opfer von alliierten Kriegsverbrechen als Wehrmachtssoldaten. Am Ende des Krieges hatte dann die deutsche Bevölkerung unter dem Fanatismus der überwiegend im Nationalsozialismus sozialisierten und indoktrinierten SS-Einheiten ("Junkerschulgeneration") zu leiden. Zumindest auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik fürchtete sich die Bevölkerung, die ihre Heimat nicht einer verlorenen Sache opfern wollte, wie es ein badischer Pfarrer damals ausdrückte, mehr vor den eigenen SS-Leuten und ihrer Terrorherrschaft als vor den anrückenden Westalliierten.
Zwei Artikel beschäftigen sich mit dem Bild der Waffen-SS als militärische Elite in der Schlacht von Kursk 1943 und den Kämpfen in der Normandie 1944. Dabei ergaben sich relevante Unterschiede in Ausstattung und Kampfkraft zwischen den einzelnen eingesetzten Wehrmachts- und SS-Divisionen, nicht aber zwischen Wehrmacht und SS insgesamt. Auffallend ist jedoch, dass deutlich weniger SS-Offiziere in der Normandie in Gefangenschaft gerieten als Wehrmachtsoffiziere - ein Hinweis auf den größeren Fanatismus auch in aussichtsloser Lage.
Die Waffen-SS, die als kleine Verfügungstruppe begann, hatte immer mit Rekrutierungsproblemen zu kämpfen. Erst nach der Katastrophe von Stalingrad gelang der Waffen-SS der Durchbruch bei Hitler, und sie erhielt nun die entsprechende Unterstützung. Am 15. Juli 1944 wurde Himmler für die weltanschauliche Schulung der neuen Heeresdivisionen zuständig, da Hitler glaubte, die deutsche Unterlegenheit an Menschen und Material durch ideologischen Fanatismus ausgleichen zu können. Mit dem Scheitern des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 wurde Himmler zum Befehlshaber des Ersatzheeres. Nun konnte er seine schnell gescheiterten Pläne einer nationalsozialistischen Volksarmee unter Führung der Waffen-SS in Angriff nehmen. Sehr effizient war die Waffen-SS mit ihren modernen Propaganda-Kampagnen, denen es gelang, das Bild einer erfolgreichen, effizienten und fanatischen Truppe in der Öffentlichkeit zu schaffen. Dies prägte vermutlich auch über 1945 hinaus das Bild der Waffen-SS.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Sammelband der Blick auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich die Verbindung von Eisernem Kreuz und Hakenkreuz in den gescheiterten Prozessen gegen den besonders brutalen Waffen-SS-General Max Simon dadurch "bewährte", dass führende ehemalige Wehrmachtsoffiziere zu seinen Gunsten aussagten. Auch die problematische Rolle der Truppenkameradschaften der SS-Einheiten in Verbindung und Abgrenzung zur HIAG wird kenntnisreich geschildert und damit eine wichtige Facette des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit in der alten Bundesrepublik dargestellt. Insgesamt ist ein sehr lesenswerter Band entstanden, der den neuesten Stand der Waffen-SS-Forschung widerspiegelt.
THOMAS SCHNABEL
Jan Erik Schulte/Peter Lieb/ Bernd Wegner (Herausgeber): Die Waffen-SS. Neue Forschungen. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2014. 446 S., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Kämpfende" und "vernichtende" Einheiten der Waffen-SS
Die SS - im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946 als "verbrecherische Organisation" eingestuft - gilt bis heute als der Teil des "Dritten Reiches", in dem sich Anspruch, Selbstverständnis und verbrecherische Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie am klarsten zeigen. Es gibt keine populärwissenschaftliche Darstellung des Nationalsozialismus ( in welcher Form auch immer), in der kein Waffen-SS-Mann oder Waffen-SS-Offizier vorkommt. Aber auch die Wissenschaft setzt sich zunehmend mit der Waffen-SS auseinander. Dies spiegelte sich auch in zwei unabhängig voneinander geplanten Tagungen zum Thema im Dezember 2010 in Dresden und im Mai 2011 in Würzburg. Die Ergebnisse wurden nun erfreulicherweise in einem Band zusammengeführt. Es handelt sich, wie die Herausgeber stolz vermerken, um den ersten wissenschaftlichen Sammelband zur Geschichte der Waffen-SS überhaupt.
Insgesamt werden 23 Beiträge veröffentlicht, die in vier Großkapitel eingeteilt sind: "Strukturen und Akteure", das einige grundlegende Aufsätze zum Verständnis der Waffen-SS enthält, "Vergemeinschaftung und Selbstverständnis", "Krieg und Verbrechen" sowie "Inszenierung und Erbe". Ein interessanter Schwerpunkt liegt auf der Einbeziehung von Freiwilligen aus den besetzten Ländern wie Estland, Norwegen und Dänemark, den Motiven von sogenannten Volksdeutschen aus Jugoslawien und Rumänien sowie der versuchten Integration von Muslimen aus Albanien und besetzten Teil der Sowjetunion in eigenen SS-Einheiten. Letzteren gestattete die SS-Führung im Unterschied zu ihren sonstigen Gepflogenheiten sogar den Einsatz von Militärgeistlichen, speziell dafür ausgebildeten Feld-Imamen.
Die Aufsätze, die häufig auf neueren Doktorarbeiten der Autorinnen und Autoren beruhen, spiegeln eine Vielfalt und unterschiedliche Relevanz, die in einer Besprechung nicht ausreichend gewürdigt werden können. Es sei deshalb nur auf einige Facetten hingewiesen. Dazu gehört die enge Verzahnung von Waffen-SS und Totenkopfverbänden der SS, die auch für die Bewachung und den Terror der Konzentrations- und Vernichtungslager zuständig gewesen waren. Eine "saubere" Trennung zwischen "kämpfender" und "vernichtender" SS - wie von Vertretern der Waffen-SS nach 1945 aus nachvollziehbaren Gründen proklamiert - gab es in dieser Form im "Dritten Reich" nicht. Auch dem gescheiterten Versuch einiger SS- und Polizeirichter, der Korruption und den Verstößen gegen die eigenen Regeln in Polen Einhalt zu gebieten, wird ein bemerkenswerter Beitrag gewidmet.
Wehrmachtseinheiten begingen ebenfalls Kriegsverbrechen, aber die überwiegende Zahl davon ging auf das Konto von SS-Einheiten, die außerdem nicht nur Männer, sondern im Unterschied zur Wehrmacht auch Frauen und Kinder hinrichteten. SS-Soldaten wurden jedoch auch häufiger Opfer von alliierten Kriegsverbrechen als Wehrmachtssoldaten. Am Ende des Krieges hatte dann die deutsche Bevölkerung unter dem Fanatismus der überwiegend im Nationalsozialismus sozialisierten und indoktrinierten SS-Einheiten ("Junkerschulgeneration") zu leiden. Zumindest auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik fürchtete sich die Bevölkerung, die ihre Heimat nicht einer verlorenen Sache opfern wollte, wie es ein badischer Pfarrer damals ausdrückte, mehr vor den eigenen SS-Leuten und ihrer Terrorherrschaft als vor den anrückenden Westalliierten.
Zwei Artikel beschäftigen sich mit dem Bild der Waffen-SS als militärische Elite in der Schlacht von Kursk 1943 und den Kämpfen in der Normandie 1944. Dabei ergaben sich relevante Unterschiede in Ausstattung und Kampfkraft zwischen den einzelnen eingesetzten Wehrmachts- und SS-Divisionen, nicht aber zwischen Wehrmacht und SS insgesamt. Auffallend ist jedoch, dass deutlich weniger SS-Offiziere in der Normandie in Gefangenschaft gerieten als Wehrmachtsoffiziere - ein Hinweis auf den größeren Fanatismus auch in aussichtsloser Lage.
Die Waffen-SS, die als kleine Verfügungstruppe begann, hatte immer mit Rekrutierungsproblemen zu kämpfen. Erst nach der Katastrophe von Stalingrad gelang der Waffen-SS der Durchbruch bei Hitler, und sie erhielt nun die entsprechende Unterstützung. Am 15. Juli 1944 wurde Himmler für die weltanschauliche Schulung der neuen Heeresdivisionen zuständig, da Hitler glaubte, die deutsche Unterlegenheit an Menschen und Material durch ideologischen Fanatismus ausgleichen zu können. Mit dem Scheitern des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 wurde Himmler zum Befehlshaber des Ersatzheeres. Nun konnte er seine schnell gescheiterten Pläne einer nationalsozialistischen Volksarmee unter Führung der Waffen-SS in Angriff nehmen. Sehr effizient war die Waffen-SS mit ihren modernen Propaganda-Kampagnen, denen es gelang, das Bild einer erfolgreichen, effizienten und fanatischen Truppe in der Öffentlichkeit zu schaffen. Dies prägte vermutlich auch über 1945 hinaus das Bild der Waffen-SS.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Sammelband der Blick auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich die Verbindung von Eisernem Kreuz und Hakenkreuz in den gescheiterten Prozessen gegen den besonders brutalen Waffen-SS-General Max Simon dadurch "bewährte", dass führende ehemalige Wehrmachtsoffiziere zu seinen Gunsten aussagten. Auch die problematische Rolle der Truppenkameradschaften der SS-Einheiten in Verbindung und Abgrenzung zur HIAG wird kenntnisreich geschildert und damit eine wichtige Facette des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit in der alten Bundesrepublik dargestellt. Insgesamt ist ein sehr lesenswerter Band entstanden, der den neuesten Stand der Waffen-SS-Forschung widerspiegelt.
THOMAS SCHNABEL
Jan Erik Schulte/Peter Lieb/ Bernd Wegner (Herausgeber): Die Waffen-SS. Neue Forschungen. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2014. 446 S., 39,90 [Euro].
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