Produktdetails
- Verlag: Heyne, W
- ISBN-13: 9783453873612
- Artikelnr.: 24376171
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2002Blumengeld
Not amused: Mineko Iwasakis wahre Geisha-Biographie
Mineko Iwasaki, die Top-Geisha und Gesellschafterin der Politiker und Philosophen, Industriebarone und Könige, deren Lebensgeschichte Arthur Golden zum Asien-Epos "Die Geisha" inspirierte, hat nun als vielleicht berufenere Berichterstatterin und in Abgrenzung zum Klischee der Prostituierten "Die wahre Geschichte der Geisha" geschrieben.
Die Tochter aus einer verarmten Samurai-Familie wurde 1954 im Alter von fünf Jahren von der Eigentümerin des renommierten Etablissements "Iwasaki" im Kiotoer Gion-Viertel als Nachfolgerin angeworben. Das Buch gibt Einblicke in die Beziehungen und Wahlverwandtschaften zwischen Auszubildenden und "älteren Schwestern", Schülerinnen und Lehrerinnen in der "rituellen Familie" und geschlossenen Welt des Geisha-Hauses jenseits des Kamo-Flusses. Es schildert die rigide Schule der Höflichkeit von der "Maiko" ("Frau des Tanzes"), der angehenden Geisha, die mit sechzehn Jahren ihre offizielle "Geschäftseröffnung" begeht, über Rituale des Erwachsenwerdens wie der "Kragenwechsel" bis hin zum "Mizuage", bei dem ein Haarknoten symbolisch aufgeschnitten wird, um den Übergang zur Geisha zu kennzeichnen, der "Frau der Kunst".
In historischen Exkursen beleuchtet Iwasaki die Rolle der Geisha von der Trägerin einer Gegenkultur und Avantgardistin bis hin zur Traditionsbewahrerin. Gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als das feudale System zusammenbrach, waren die Kiotoer Teehäuser, in denen die Geishas Tanz, Gesang und Shamisen praktizierten, Rückzugsorte der Revolutionäre. In Japans goldenen zwanziger Jahren bekamen die Geishas, die sich als Dansu Geishas sogar westlichen Gesellschaftstänzen öffneten, von den zeitgemäßeren Cafémädchen Konkurrenz, bevor der Nationalismus traditionalistische Werte wiederaufleben ließ. Erst 1943 gingen in Gion die Lichter aus, und die Geishas wurden zur Arbeit in einer Munitionsfabrik verpflichtet. Nach dem Krieg ordneten die amerikanischen Besatzer an, das Gion-Viertel wiederzueröffnen.
Iwasaki wirkte nun zu Zeiten der japanischen "Hochwachstumsphase" in den sechziger und siebziger Jahren. Die Elite-Geisha, die jährlich fünfhunderttausend Dollar an "Blumengeld", wie die Geisha-Gebühren heißen, verdiente, konnte es sich erlauben, pro Abend bis zu zehn Kurzauftritte in verschiedenen Teehäusern zu absolvieren. Iwasaki betont die komplementäre Rolle von Geisha und Ehefrau und sieht die geteilten Zuständigkeitsbereiche im häuslichen und geschäftlich-sozialen Bereich als Ausdruck einer gespaltenen Weiblichkeit.
In der Regel protegieren und frequentieren Firmen oder politische Parteien bestimmte Geisha-Viertel zu diskreter Unterhaltung und Verhandlung. In den Geisha-Memoiren erfahren wir ferner, daß Queen Elizabeth bei einem Dinner "not amused" war, als die Autorin sich gezielt mit dem Herzog von Edinburgh unterhielt, und über Prinz Charles, daß er ungefragt ihren Lieblingsfächer signierte und somit ruinierte, was sie ihn auch erkennen ließ.
Ob die Geisha-Etikette in Zeiten virtueller Popstars, mangelnder Muße und finanzieller Mittel bestehen kann, bleibt ungewiß. Iwasaki, die nach ihrem vielpublizierten Ausstieg mit neunundzwanzig Jahren kurzzeitig selbst einen Nachtclub unterhielt und Pläne für ein Schönheitsinstitut schmiedete, fordert strukturelle Reformen und finanzielle und künstlerische Unabhängigkeit der im Geisha-Gewerbe tätigen Frauen.
STEFFEN GNAM
Mineko Iwasaki mit Rande Brown: "Die wahre Geschichte der Geisha". Aus dem Amerikanischen von Elke von Scheidt. Marion von Schröder Verlag, München 2002. 325 S., 29 Farb- u. S/W-Abb. auf Tafeln, geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Not amused: Mineko Iwasakis wahre Geisha-Biographie
Mineko Iwasaki, die Top-Geisha und Gesellschafterin der Politiker und Philosophen, Industriebarone und Könige, deren Lebensgeschichte Arthur Golden zum Asien-Epos "Die Geisha" inspirierte, hat nun als vielleicht berufenere Berichterstatterin und in Abgrenzung zum Klischee der Prostituierten "Die wahre Geschichte der Geisha" geschrieben.
Die Tochter aus einer verarmten Samurai-Familie wurde 1954 im Alter von fünf Jahren von der Eigentümerin des renommierten Etablissements "Iwasaki" im Kiotoer Gion-Viertel als Nachfolgerin angeworben. Das Buch gibt Einblicke in die Beziehungen und Wahlverwandtschaften zwischen Auszubildenden und "älteren Schwestern", Schülerinnen und Lehrerinnen in der "rituellen Familie" und geschlossenen Welt des Geisha-Hauses jenseits des Kamo-Flusses. Es schildert die rigide Schule der Höflichkeit von der "Maiko" ("Frau des Tanzes"), der angehenden Geisha, die mit sechzehn Jahren ihre offizielle "Geschäftseröffnung" begeht, über Rituale des Erwachsenwerdens wie der "Kragenwechsel" bis hin zum "Mizuage", bei dem ein Haarknoten symbolisch aufgeschnitten wird, um den Übergang zur Geisha zu kennzeichnen, der "Frau der Kunst".
In historischen Exkursen beleuchtet Iwasaki die Rolle der Geisha von der Trägerin einer Gegenkultur und Avantgardistin bis hin zur Traditionsbewahrerin. Gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als das feudale System zusammenbrach, waren die Kiotoer Teehäuser, in denen die Geishas Tanz, Gesang und Shamisen praktizierten, Rückzugsorte der Revolutionäre. In Japans goldenen zwanziger Jahren bekamen die Geishas, die sich als Dansu Geishas sogar westlichen Gesellschaftstänzen öffneten, von den zeitgemäßeren Cafémädchen Konkurrenz, bevor der Nationalismus traditionalistische Werte wiederaufleben ließ. Erst 1943 gingen in Gion die Lichter aus, und die Geishas wurden zur Arbeit in einer Munitionsfabrik verpflichtet. Nach dem Krieg ordneten die amerikanischen Besatzer an, das Gion-Viertel wiederzueröffnen.
Iwasaki wirkte nun zu Zeiten der japanischen "Hochwachstumsphase" in den sechziger und siebziger Jahren. Die Elite-Geisha, die jährlich fünfhunderttausend Dollar an "Blumengeld", wie die Geisha-Gebühren heißen, verdiente, konnte es sich erlauben, pro Abend bis zu zehn Kurzauftritte in verschiedenen Teehäusern zu absolvieren. Iwasaki betont die komplementäre Rolle von Geisha und Ehefrau und sieht die geteilten Zuständigkeitsbereiche im häuslichen und geschäftlich-sozialen Bereich als Ausdruck einer gespaltenen Weiblichkeit.
In der Regel protegieren und frequentieren Firmen oder politische Parteien bestimmte Geisha-Viertel zu diskreter Unterhaltung und Verhandlung. In den Geisha-Memoiren erfahren wir ferner, daß Queen Elizabeth bei einem Dinner "not amused" war, als die Autorin sich gezielt mit dem Herzog von Edinburgh unterhielt, und über Prinz Charles, daß er ungefragt ihren Lieblingsfächer signierte und somit ruinierte, was sie ihn auch erkennen ließ.
Ob die Geisha-Etikette in Zeiten virtueller Popstars, mangelnder Muße und finanzieller Mittel bestehen kann, bleibt ungewiß. Iwasaki, die nach ihrem vielpublizierten Ausstieg mit neunundzwanzig Jahren kurzzeitig selbst einen Nachtclub unterhielt und Pläne für ein Schönheitsinstitut schmiedete, fordert strukturelle Reformen und finanzielle und künstlerische Unabhängigkeit der im Geisha-Gewerbe tätigen Frauen.
STEFFEN GNAM
Mineko Iwasaki mit Rande Brown: "Die wahre Geschichte der Geisha". Aus dem Amerikanischen von Elke von Scheidt. Marion von Schröder Verlag, München 2002. 325 S., 29 Farb- u. S/W-Abb. auf Tafeln, geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main