This book offers a broad overview of the history of agricultural knowledge from the 19th century to the present day. There are few areas in the history of modern science that have been so neglected like that of agricultural science. This volume presents for the first time an overall picture of the development of agriculture in the 19th and 20th centuries. It provides exhaustive material concerning the institutions and their important innovations as well as how society developed from an agricultural society in the shadow of hunger to an industrial society with excess agricultural production. It also demonstrates how much innovative potential may be found in a methodologically well-founded history of science.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2011Lernen mit der Mistgabel
Frank Uekötters Wissensgeschichte der Landwirtschaft
Landwirte sind verschwiegen und misstrauisch, ihre Welt ist schwer zugänglich aus der Ferne der Stadt. "Hermetisch abgeschottet" nennt sie Frank Uekötter in seiner Wissensgeschichte der Landwirtschaft, in der er analysiert, wie sich die agrarische Wissensgesellschaft - Landwirte, Forscher und Berater - in den vergangenen 200 Jahren fortentwickelt hat. Zusammengefasst ging der Wandel bis zum Zweiten Weltkrieg zu langsam, danach zu schnell und einseitig in Richtung Industrialisierung, meint der Autor. Als eine Ursache für diese Phänomene nennt er die spezielle Mentalität des agrarischen Milieus. Obwohl sie längst "städtisch" leben und hochmoderne Betriebe führen, dienten die Klischees vom Bauern diesen selbst heute noch als identitätsstiftend, schreibt der Autor.
Die Landwirtschaft habe sich so vergleichsweise spät industrialisiert und technisiert, weil Abweichler in diesem Milieu stets schnell gestraft wurden. Der revolutionäre Sprung gelang erst nach dem Zweiten Weltkrieg, obwohl die Techniken (Traktoren, Kunstdünger, Großställe) dafür schon Jahrzehnte existierten. Für den Wandel schien die Erschütterung durch die Katastrophe eine Voraussetzung gewesen zu sein: "Am Anfang war der Hunger." Der beförderte die Kehrtwende vom Leitbild des "ganzen Landwirts" zur - auch jüngst wieder infolge der Dioxinfunde in Futtermittel und Eiern kritisierten - Arbeitsteilung und Fixierung auf die Technik, die in die "monströse" (Uekötter) Massenproduktion von Tieren mündete.
Die Wissensrevolution war laut Uekötter "wissenschaftlich beeinflusst, aber zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlich determiniert". Auch das sieht er als Besonderheit der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Industriezweigen - die "tägliche Abstimmung" über die Produktionsweise sei lang "mit den Füßen (oder mit der Mistgabel)" erfolgt. Daher definiert der Historiker in seiner differenzierten und naturgemäß detail- und quellenreichen Habilitationsschrift Wissen nicht nur als akademisches, sondern auch als praktisches Wissen.
Die Mentalität der agrarischen Gesellschaft stand einem Zugewinn an Wissen demnach lang entgegen. Doch der ließ sich nicht aufhalten und nahm im 19. Jahrhundert an Fahrt auf. In dieser Zeit etablierten sich die ersten landwirtschaftlichen Vereine und Messen, im späten 19. Jahrhundert wurden die Wissensgesellschaft DLG sowie mehr und mehr Zeitschriften und Landwirtschaftsschulen gegründet, aber die Landwirte sahen eine akademische Ausbildung noch mehrheitlich als Gefahr für junge Leute, sich zu sehr von der Realität zu entfremden. Wie jede ökonomische Fortschrittsgeschichte war auch die der Landwirtschaft eine der Arbeitsteilung. Noch im späten Kaiserreich begann durch die Etablierung von Pachtverträgen die Trennung von Ackerbau und Tierhaltung, womit die Person der entscheidende Faktor für den Erfolg wurde, nicht der Grundbesitz. Die ersten "Massentierhaltungsställe" entstanden. Aber bis vor 1914 war Deutschland trotzdem noch auf Nahrungsmittel-Importe angewiesen.
Im 20. Jahrhundert habe es dann kein Leitbild vom Landwirt gegeben, das nicht ideologisch überhöht worden sei: Sei es das des bäuerlichen Familienbetriebes oder des "ganzen Landwirts": ehrenwert, mystisch beseelt, frei von der Entfremdung der Städte. Auch der Bund der Landwirte, nicht arm an antisemitisch-völkischem Gedankengut, hielt dieses Bild hoch und sah aus diesem Blickwinkel etwa den Kunstdünger skeptisch. Falsche Düngemittel-Propheten priesen zudem bis 1933 einen überhöhten Stickstoffdung an, der die Ernten verschlechterte, so dass Bauern dem Kunstdünger per se misstrauten.
Ab 1945 dann ersetzte blindes Vertrauen in die Technik die Skepsis. Aber schon in den zwanziger Jahren war vieles in Bewegung geraten: Versuchsringe entstanden, die Kunstdünger-Lobby um die BASF forschte, aber erst nach dem Krieg erhöhten die Düngungen die Erträge pro Hektar deutlich. Der landwirtschaftliche Berater hielt dann ab den fünfziger Jahren als neuer Akteur der Wissensgesellschaft Einzug in die Höfe. Der Mais und moderne Silagetechnik erlebten einen gewaltigen Aufstieg, zusammen damit brachte das neue System der Schwemmentmistung eine enorme Ausweitung der Güllemenge. Landwirte wurden Lohnunternehmer; nur größere Höfe überlebten, und es gab infolge der Technisierung neue Aufstiegsmöglichkeiten für bildungsorientierte Hoferben. Der Beruf des Landwirts entwickelt sich von 1920 bis 1960 "von einem Arbeiten mit der Natur, bei dem technische Hilfsmittel eingesetzt wurden, zu einem technischen Beruf, der auch mit Naturprozessen zu tun hatte", heißt es im Buch.
Dies sieht der Autor als Kehrseite der Spezialisierung: Die Intuition sei den Landwirten abhandengekommen, etwa für ihre Böden, die zwar gut erforscht seien, doch in ihrer Komplexität "letztlich ein Mysterium" blieben. Die Böden seien seit Jahrzehnten unter "Dauerdoping", und Uekötter gibt sich skeptisch, ob der "Produktivitätssprung auf lange Sicht zu stabilisieren sein wird". Über kritische Aspekte wie Tierschutz und Bodenerosion habe zwar schon früh ein akademischer Diskurs eingesetzt, der aber - typisch Bauern! - auf wenig Resonanz in der Praxis gestoßen sei. Die Wissenschaftler seien erst mit der Agrarwende der rot-grünen Regierung wieder einflussreicher geworden. Seitdem beäugt die grüne Öffentlichkeit die Arbeit der Landwirte kritisch. So schotten sich diese weiter ab, und der in ihren Augen gerechte Lohn bleibt ihnen vergönnt: Dank dafür, dass sie den Traum vom Ende des Hungers für eine Weile wahr gemacht haben.
JAN GROSSARTH.
Frank Uekötter: Die Wahrheit ist auf dem Feld.
Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2010, 524 Seiten, 49,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frank Uekötters Wissensgeschichte der Landwirtschaft
Landwirte sind verschwiegen und misstrauisch, ihre Welt ist schwer zugänglich aus der Ferne der Stadt. "Hermetisch abgeschottet" nennt sie Frank Uekötter in seiner Wissensgeschichte der Landwirtschaft, in der er analysiert, wie sich die agrarische Wissensgesellschaft - Landwirte, Forscher und Berater - in den vergangenen 200 Jahren fortentwickelt hat. Zusammengefasst ging der Wandel bis zum Zweiten Weltkrieg zu langsam, danach zu schnell und einseitig in Richtung Industrialisierung, meint der Autor. Als eine Ursache für diese Phänomene nennt er die spezielle Mentalität des agrarischen Milieus. Obwohl sie längst "städtisch" leben und hochmoderne Betriebe führen, dienten die Klischees vom Bauern diesen selbst heute noch als identitätsstiftend, schreibt der Autor.
Die Landwirtschaft habe sich so vergleichsweise spät industrialisiert und technisiert, weil Abweichler in diesem Milieu stets schnell gestraft wurden. Der revolutionäre Sprung gelang erst nach dem Zweiten Weltkrieg, obwohl die Techniken (Traktoren, Kunstdünger, Großställe) dafür schon Jahrzehnte existierten. Für den Wandel schien die Erschütterung durch die Katastrophe eine Voraussetzung gewesen zu sein: "Am Anfang war der Hunger." Der beförderte die Kehrtwende vom Leitbild des "ganzen Landwirts" zur - auch jüngst wieder infolge der Dioxinfunde in Futtermittel und Eiern kritisierten - Arbeitsteilung und Fixierung auf die Technik, die in die "monströse" (Uekötter) Massenproduktion von Tieren mündete.
Die Wissensrevolution war laut Uekötter "wissenschaftlich beeinflusst, aber zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlich determiniert". Auch das sieht er als Besonderheit der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Industriezweigen - die "tägliche Abstimmung" über die Produktionsweise sei lang "mit den Füßen (oder mit der Mistgabel)" erfolgt. Daher definiert der Historiker in seiner differenzierten und naturgemäß detail- und quellenreichen Habilitationsschrift Wissen nicht nur als akademisches, sondern auch als praktisches Wissen.
Die Mentalität der agrarischen Gesellschaft stand einem Zugewinn an Wissen demnach lang entgegen. Doch der ließ sich nicht aufhalten und nahm im 19. Jahrhundert an Fahrt auf. In dieser Zeit etablierten sich die ersten landwirtschaftlichen Vereine und Messen, im späten 19. Jahrhundert wurden die Wissensgesellschaft DLG sowie mehr und mehr Zeitschriften und Landwirtschaftsschulen gegründet, aber die Landwirte sahen eine akademische Ausbildung noch mehrheitlich als Gefahr für junge Leute, sich zu sehr von der Realität zu entfremden. Wie jede ökonomische Fortschrittsgeschichte war auch die der Landwirtschaft eine der Arbeitsteilung. Noch im späten Kaiserreich begann durch die Etablierung von Pachtverträgen die Trennung von Ackerbau und Tierhaltung, womit die Person der entscheidende Faktor für den Erfolg wurde, nicht der Grundbesitz. Die ersten "Massentierhaltungsställe" entstanden. Aber bis vor 1914 war Deutschland trotzdem noch auf Nahrungsmittel-Importe angewiesen.
Im 20. Jahrhundert habe es dann kein Leitbild vom Landwirt gegeben, das nicht ideologisch überhöht worden sei: Sei es das des bäuerlichen Familienbetriebes oder des "ganzen Landwirts": ehrenwert, mystisch beseelt, frei von der Entfremdung der Städte. Auch der Bund der Landwirte, nicht arm an antisemitisch-völkischem Gedankengut, hielt dieses Bild hoch und sah aus diesem Blickwinkel etwa den Kunstdünger skeptisch. Falsche Düngemittel-Propheten priesen zudem bis 1933 einen überhöhten Stickstoffdung an, der die Ernten verschlechterte, so dass Bauern dem Kunstdünger per se misstrauten.
Ab 1945 dann ersetzte blindes Vertrauen in die Technik die Skepsis. Aber schon in den zwanziger Jahren war vieles in Bewegung geraten: Versuchsringe entstanden, die Kunstdünger-Lobby um die BASF forschte, aber erst nach dem Krieg erhöhten die Düngungen die Erträge pro Hektar deutlich. Der landwirtschaftliche Berater hielt dann ab den fünfziger Jahren als neuer Akteur der Wissensgesellschaft Einzug in die Höfe. Der Mais und moderne Silagetechnik erlebten einen gewaltigen Aufstieg, zusammen damit brachte das neue System der Schwemmentmistung eine enorme Ausweitung der Güllemenge. Landwirte wurden Lohnunternehmer; nur größere Höfe überlebten, und es gab infolge der Technisierung neue Aufstiegsmöglichkeiten für bildungsorientierte Hoferben. Der Beruf des Landwirts entwickelt sich von 1920 bis 1960 "von einem Arbeiten mit der Natur, bei dem technische Hilfsmittel eingesetzt wurden, zu einem technischen Beruf, der auch mit Naturprozessen zu tun hatte", heißt es im Buch.
Dies sieht der Autor als Kehrseite der Spezialisierung: Die Intuition sei den Landwirten abhandengekommen, etwa für ihre Böden, die zwar gut erforscht seien, doch in ihrer Komplexität "letztlich ein Mysterium" blieben. Die Böden seien seit Jahrzehnten unter "Dauerdoping", und Uekötter gibt sich skeptisch, ob der "Produktivitätssprung auf lange Sicht zu stabilisieren sein wird". Über kritische Aspekte wie Tierschutz und Bodenerosion habe zwar schon früh ein akademischer Diskurs eingesetzt, der aber - typisch Bauern! - auf wenig Resonanz in der Praxis gestoßen sei. Die Wissenschaftler seien erst mit der Agrarwende der rot-grünen Regierung wieder einflussreicher geworden. Seitdem beäugt die grüne Öffentlichkeit die Arbeit der Landwirte kritisch. So schotten sich diese weiter ab, und der in ihren Augen gerechte Lohn bleibt ihnen vergönnt: Dank dafür, dass sie den Traum vom Ende des Hungers für eine Weile wahr gemacht haben.
JAN GROSSARTH.
Frank Uekötter: Die Wahrheit ist auf dem Feld.
Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2010, 524 Seiten, 49,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Buch begreift der Rezensent als ökonomische Fortschrittsgeschichte. Dass bei Frank Uekötter zudem Platz ist für Kritik, am Leitbild vom Bauern, an Spezialisierung und Intuitionsverlust, an der Massentierhaltung, möchte Jan Grossarth von einer differenzierten Historikerhabilitation wie dieser erwarten dürfen. Enttäuscht wird er offenbar nicht. Uekötter spickt seine Wissensgeschichte der Landwirtschaft mit allerhand Details und Quellen und beschreibt 200 Jahre Agrargeschichte als Tanz zwischen Wissen und Praxis und als Kapitulation vor der Übermacht der Industrialisierung (an der wir buchstäblich noch heute kauen).
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH