Wahrheit ist , was wahr bleibt
Wenn ich an New York Ende der 1980er Jahre denke, fällt mir sofort der Film “Harry und Sally” ein. “Männer und Frauen können keine Freunde werden, der Sex kommt ihnen immer dazwischen.” Diesen Satz aus dem Film könnte man auch auf das Buch anwenden. Es geht um
Männer, Frauen und Sex.
New York 1988. Die Kunsthistorikerin Polly hat sich von ihrem Mann getrennt…mehrWahrheit ist , was wahr bleibt
Wenn ich an New York Ende der 1980er Jahre denke, fällt mir sofort der Film “Harry und Sally” ein. “Männer und Frauen können keine Freunde werden, der Sex kommt ihnen immer dazwischen.” Diesen Satz aus dem Film könnte man auch auf das Buch anwenden. Es geht um Männer, Frauen und Sex.
New York 1988. Die Kunsthistorikerin Polly hat sich von ihrem Mann getrennt um an ihrem Projekt zu arbeiten. Einer Biographie der Malerin Lorin Jones. Diese kam 1969 unter mysteriösen Umständen ums Leben. Anhand von Interviews mit ihrer Familie, ihren Ex-Männern, diversen Kunstsammlern, -händlern und Galeristen versucht Polly das Leben dieser geheimnisvollen Künstlerin zu rekonstruieren. Sie stößt dabei auf unglaubliche Parallelen zu ihrer eigenen Biographie. Und auf viele unterschiedliche Aussagen die nicht zueinander passen wollen.
Die Romane von Alison Lurie erinnern mich in ihrer entlarvenden Spitzzüngigkeit an die von Jane Austen. Es passiert nichts spektakuläres. Trotzdem bringt einen jeder Satz der Ironie des menschlichen Zusammenlebens näher.
Systematisch seziert die Autorin Pollys Leben. Ihre Ehe hat sie nach 14 Jahren aufgegeben, weil sie ihrem Mann nicht nach Denver folgen wollte, wo dieser eine wesentlich bessere Stellung erhalten hatte. Im Buch liest sich das so: “Vierzehn Jahre lang hatte sie ihn für einen anständigen, großzügigen, einfühlsamen, nichtchauvinistischen Mann gehalten. Dabei war er ein Ehemann des zwanzigsten Jahrhunderts mit den psychologischen Tricks einer viktorianischen Ehefrau. Er tat was er wollte und ließ Polly dabei als den Drachen erscheinen“.
Bevor Wut, Depressionen und Einsamkeit Polly auffressen, nimmt sie ihre langjährige Freundin Jeanne bei sich auf. Einer Lesbierin, die sich ebenfalls gerade von ihrer Lebenspartnerin getrennt hat. Was zunächst wie eine gute Lösung aussieht, erweist sich im Verlauf des Buches als Alptraum. Denn Jeanne erweist sich als nervtötender, feministischer Ehegattenersatz. Nur kann sie Polly auf sexueller Ebene nicht befriedigen. Da ist ihr ein handfester Mann lieber. Weswegen sie mit dem ehemaligen Geliebten, der von ihr portraitierten Malerin, eine Affäre anfängt. Was wiederum Jeanne in einen hysterischen Anfall und aus der Wohnung treibt. Nicht ohne vorher einiges von Pollys Eigentum einzupacken.
So wechselt bei Polly sowohl privat als auch bei ihrem Buchprojekt die Stimmung ständig von Himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Je mehr Interviews sie führt umso unsicherer wird sie. Männlichen Gesprächspartnern misstraut sie allein aus dem Grund weil es sich um Männer handelt. Bei den Frauen verlässt sie sich auf ihren Instinkt, der sie oft genug im Stich lässt. Sie ist leicht zu beeinflussen, noch leichter zu verwirren und gerät sehr schnell in Wut. Was für den Leser sehr vergnüglich ist. Denn oft überrumpelt Polly ihre Gesprächspartner geradezu mit ihrer Unhöflichkeit. Radikal feministisch. Ihr Ziel durch die Biographie der Malerin Lorin Jones sowohl deren als auch ihrem Leben Sinn und Erfüllung zu geben misslingt jedenfalls gründlich.
Trotzdem ist das Buch nicht depressiv oder melancholisch. Dafür sorgt der elegante Wortwitz, die scharfe Beobachtungsgabe und die spöttische Spitzzüngigkeit der Autorin. Auch die Atmosphäre der späten 1980er Jahre fängt sie brillant ein. Feminismus, Chauvinismus, Sexismus. Drei Schlagworte denen die Autorin Leben einhaucht. Das wahre Leben.