Im Jahre 1973 hat Michel Foucault an der Katholischen Universität in Rio de Janeiro drei Vorträge gehalten, in denen er seiner Idee einer neuen, einer anderen Geschichte der Wahrheit nachging. Ausgehend von den juristischen Praktiken und der Art, wie man über Schuld und Verantwortung unter den Menschen urteilte, untersucht Foucault, wie die Gesellschaft Typen von Subjektivität definiert hat, Formen von Wissen, und damit auch die Beziehung zwischen dem Mensch und der Wahrheit. In brillanten Analysen des König ödipus von Sophokles, methodologischen Reflexionen ausgehend von Nietzsche und…mehr
Im Jahre 1973 hat Michel Foucault an der Katholischen Universität in Rio de Janeiro drei Vorträge gehalten, in denen er seiner Idee einer neuen, einer anderen Geschichte der Wahrheit nachging. Ausgehend von den juristischen Praktiken und der Art, wie man über Schuld und Verantwortung unter den Menschen urteilte, untersucht Foucault, wie die Gesellschaft Typen von Subjektivität definiert hat, Formen von Wissen, und damit auch die Beziehung zwischen dem Mensch und der Wahrheit. In brillanten Analysen des König ödipus von Sophokles, methodologischen Reflexionen ausgehend von Nietzsche und historischem Material aus seinen Forschungen zum Gefängnis entfaltet Foucault eine Geschichte der Wahrheit, die ganz anders ist als jene, welche die herkömmliche Wissenschaftsgeschichte gerne erzählt.
Paul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers als Sohn einer angesehenen Arztfamilie geboren und starb am 25. Juni 1984 an den Folgen einer HIV-Infektion. Nach seiner Schulzeit in Poitiers studierte er Philosophie und Psychologie in Paris. 1952 begann seine berufliche Laufbahn als Assistent für Psychologie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lille. 1955 war er als Lektor an der Universität Uppsala (Schweden) tätig. Nach Direktorenstellen an Instituten in Warschau und Hamburg (1958/1959) kehrte er 1960 nach Frankreich zurück, wo er bis 1966 als Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Clermont-Ferrand arbeitete. In diesem Zeitraum erschien 1961 seine Dissertationsschrift Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique (dt.: Wahnsinn und Gesellschaft). Er thematisierte darin die Geschichte des Wahnsinns und das Zustandekommen einer Abgrenzung von geistiger Gesundheit und Krankheit und die damit einhergehenden sozialen Mechanismen. 1965 und 1966 war er Mitglied der Fouchet-Kommission, die von der Regierung für die Reform des (Hoch-)Schulwesens eingesetzt wurde. 1966 wurde Les mots et les choses – Une archéologie des sciences humaines (dt.: Die Ordnung der Dinge) veröffentlicht, worin er mit seiner diskursanalytischen Methode die Wissenschaftsgeschichte von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert untersuchte. Nach einem Auslandsaufenthalt als Gastprofessor in Tunis (1965-1968) war er an der Reform-Universität von Vincennes tätig (1968-1970). 1970 wurde er als Professor für Geschichte der Denksysteme an das renommierte Collège de France berufen. Gleichzeitig machte er durch sein vielfältiges politisches Engagement auf sich aufmerksam. In diesem Kontext entstand die Studie Surveiller et punir (dt.: Überwachen und Strafen). 1975-1982 unternahm er Reisen nach Berkeley und Japan sowie in den Iran und nach Polen. Michael Bischoff, geboren 1949, studierte Mathematik und Soziologie und war Wissenschaftslektor im Suhrkamp Verlag. Seit 1977 übersetzt er Literatur aus dem Französischen und Englischen, u.a. von Émile Durkheim, Michel Foucault, Isaiah Berlin und Richard Sennett. Martin Saar ist Professor für Sozialphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuletzt erschien: Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza (stw 2054).
Rezensionen
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Armin Adam lobt das "kundige" Nachwort von Martin Saars in diesem Band sowie, dass die hier versammelten Vorträge einer Vorlesungsreihe von Michel Foucault aus dem Jahr 1973 "flüssig" übersetzt worden seien. Vor allem aber stellt dies Buch für ihn zugleich "die beste Einführung in das Werk Michel Foucaults" dar - denn hier fasse der Autor die Forschungen der vorausliegenden, für sein Werk entscheidenden Jahre zusammen: nach "Die Ordnung der Dinge" stehe das Nachdenken über die Wahrheit, die Entstehung der Humanwissenschaften und das Verhältnis der Dinge zu den Worten "auf einem festeren Fundament", berichtet der Rezensent, "der polemische Fokus" trete "nun deutlich hervor", und die historische Forschung Foucaults ziele bereits auf eine Archäologie der Gegenwart. Die zentrale These dieser Vorlesungen gibt der Rezensent so wieder: "In den juridischen Formen der Wahrheitsfindung erhellt sich jener Wahrheitstypus, der einer Gesellschaft evident erscheint." In einem "beeindruckenden Parforce-Ritt" stürme Foucault so durch die Geschichte, fasst der Rezensent zusammen - weshalb sich diese Vorlesungen auch durch einen "stark heuristischen Charakter" auszeichnen würden.