Felipe ten Holt ist Verhörspezialist bei einem Geheimdienst. Mühelos bewegt er sich zwischen Sprachgrenzen und erkennt Zusammenhänge, die anderen Menschen verborgen bleiben. In den Antworten der Befragten sucht er nach Übereinstimmungen und Auffälligkeiten und entwickelt die Gabe, im Dickicht zwischen Worten und Gesten, Täuschung und Enthüllung die Wahrheit auszumachen. Er, der aus ihm vorenthaltenen Gründen früh seinen Vater verliert und dessen Mutter zu schwach ist, um sich gegen den Stiefvater durchzusetzen, entwickelt eine geradezu obsessive Suche nach der Wahrheit. Dies prägt sein ganzes Leben: Er lernt den Unterschied zwischen Erkenntnis und Geständnis, zwischen Schuld und Unschuld kennen. Und Felipe gehört zu den Besten, sein Ausbildner wählt ihn bald einmal für die besonders heiklen Fälle aus. Doch in einem schier aussichtslosen Verhör unterläuft Felipe ein fataler Fehler, was den sensiblen jungen Mann dazu zwingt, sich eine neue Aufgabe zu suchen.Nach diesem Rückschlag nimmt sich Felipe vor, die Kommunikation zwischen fremden Menschen nur herzustellen, aber nicht zu lenken. Als Dolmetscher für Menschen, die aus verschiedensten Gründen auf Hilfe angewiesen sind, zieht er sich auf die Rolle des Vermittlers zurück und hofft, so die Kontrolle und Orientierung zu behalten, die er einst verloren hatte. Doch bald beginnt er zu ahnen, dass diese Erwartung eine Illusion ist.Einzig die »Junge Frau«, deren Porträt im Kunsthaus Zürich Felipe immer wieder aufsucht, scheint zu verstehen, was in ihm vorgeht. Und so ist es nur logisch, dass ihn sein Weg in der größten Not zu ihr führt.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Cornelius Wüllenkemper findet Karl Rühmanns Roman zwar thematisch interessant, erzählerisch aber etwas zu starr. Es geht um den Vernehmer und Dolmetscher Felipe ten Holt, Sohn einer Spanierin und eines niederländischen, des Missbrauchs einer Schülerin beschuldigten Sportlehrers, der an der Vergangenheit des Vaters und an der Frage nach Wahrheit und Scheinplausibilitäten knabbert. Alles gerät ihm dabei zum zu analysierenden "Fall", und ähnlich fallstudienhaft geraten auch Rühmanns Figuren selbst, stellt Wüllenkemper fest - gut recherchiert und "ausgefeilt" seien sie zwar, Spielraum für Zwischentöne oder Sinnlichkeit bleibt hier aber nicht, bedauert der Kritiker. Auch die familienpsychologische Konstellation mutet ihm zu "prototypisch" an, und Rühmanns Erzählökonomien - der plötzliche Tod der Mutter etwa werde in einem Satz erledigt - erschließt sich dem Kritiker oft nicht. Ein interessantes Thema und viele gute Einzelfälle, leider aber in ein "erzählerisch allzu steifes Korsett" gezwängt, schließt Wüllenkämper.
© Perlentaucher Medien GmbH
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