Auf der Suche nach der Wahrheit - ein Staranwalt erzählt von spektakulären Rechtsfällen
Geht es in Prozessen und bei der Urteilsfindung um die Wahrheit? Eine nur auf den ersten Blick erstaunliche Frage, zumal aus der Feder eines bekannten Strafverteidigers. Jetzt zeigt er anhand zahlreicher Beispiele, dass der Augenschein häufig trügt, dass sich zunächst oft nur die halbe Wahrheit enthüllt. Was aber ist überhaupt Wahrheit und wie verhält sie sich zur Gerechtigkeit?
Ist ein Geständnis mehr wert als ein Indizienbeweis? Sind abgesprochene Urteile noch wahr genug, um gerecht zu sein? Warum darf man sich der Wirklichkeit nicht auf jede Weise nähern? Wie beschwerlich und mitunter gefahrvoll diese Wahrheitssuche sein kann, worin der Gerichtssaal manchmal einer Theaterbühne gleicht und warum es kaum etwas Spannenderes gibt als einen Strafprozess, davon erzählt Volk anhand von Fallgeschichten aus seiner Praxis.
Geht es in Prozessen und bei der Urteilsfindung um die Wahrheit? Eine nur auf den ersten Blick erstaunliche Frage, zumal aus der Feder eines bekannten Strafverteidigers. Jetzt zeigt er anhand zahlreicher Beispiele, dass der Augenschein häufig trügt, dass sich zunächst oft nur die halbe Wahrheit enthüllt. Was aber ist überhaupt Wahrheit und wie verhält sie sich zur Gerechtigkeit?
Ist ein Geständnis mehr wert als ein Indizienbeweis? Sind abgesprochene Urteile noch wahr genug, um gerecht zu sein? Warum darf man sich der Wirklichkeit nicht auf jede Weise nähern? Wie beschwerlich und mitunter gefahrvoll diese Wahrheitssuche sein kann, worin der Gerichtssaal manchmal einer Theaterbühne gleicht und warum es kaum etwas Spannenderes gibt als einen Strafprozess, davon erzählt Volk anhand von Fallgeschichten aus seiner Praxis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2016Zuletzt hängt alles vom Prozess ab
Am Ende sollte der Rechtsfrieden stehen: Der Strafverteidiger Klaus Volk geht der Frage nach, wie viel Wahrheit man braucht, um auf faire Weise zu einem gerechten Urteil zu kommen.
Die Wahrheit wird überschätzt. Für einen Strafverteidiger ist dies ein keckes und nicht ungefährliches Wort, scheint es doch sämtliche Vorurteile zu bestätigen, die in der Bevölkerung gegen seine Berufsgruppe kursieren. Gute Strafverteidiger, das seien Rechtsverdreher, die um des lieben Geldes willen zahlungskräftige Beschuldigte aus den Schlingen der Justiz befreiten, während die von einem Viererjuristen lust- und kunstlos verteidigten Kleinkriminellen in deren Fallstricken hängen blieben.
Klaus Volk ist ein erfolgreicher und mit seinen Leistungen keineswegs unzufriedener Verteidiger, daran lassen die zahlreichen autobiographisch grundierten Heldengeschichten, die er in seinem Buch versammelt, keinen Zweifel. Ein Zyniker ist er aber nicht. Mit seiner Wahrheitsskepsis wehrt er sich lediglich dagegen, die Aufgaben und Ziele von Strafverfahren in einer Weise zu überhöhen, die mit deren heutiger Realität nichts mehr gemein hat. Nach der von Volk kritisierten Sichtweise gleicht die Wahrheit einem vergrabenen Schatz, und das Strafverfahren dient in erster Linie dazu, diesen Schatz zu heben. Zu diesem Zweck werden dem entscheidenden Gericht umfassende Ermittlungsbefugnisse eingeräumt, denn nur wer weiß, wie es eigentlich gewesen ist, kann diesem auf den mittelalterlichen Inquisitionsprozess zurückgehenden Verständnis zufolge ein gerechtes Urteil sprechen.
Volks Herz schlägt eher für das anglo-amerikanische Gegenmodell. Dort obliegt es nicht dem Richter, von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen. Es ist vielmehr Sache von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, ihre Versionen des Geschehens zu präsentieren. "Der Richter thront über allen und sieht zu (ähnlich wie ein Schiedsrichter beim Tennis), wie die Argumente hin und her fliegen. Am Ende entscheidet das Gericht, wer diesen Disput gewonnen hat."
Dass ein Verteidiger dasjenige Prozessrechtsmodell bevorzugt, welches ihm größere Handlungsspielräume zubilligt, ist wenig überraschend. Es ist deshalb ein geschickter Schachzug Volks, dass er seine eigene Distanz gegenüber dem Pathos der gerichtlichen Wahrheitsermittlung ausgerechnet einem Richter in den Mund legt. "Das Gericht ist nicht dabei gewesen und folglich dazu prädestiniert, die Wahrheit herauszufinden" - wer vermag der suggestiven Kraft einer solch eleganten Selbstironie schon zu widerstehen? In der Tat führt auch die gründlichste Beweisaufnahme nicht über mehr oder weniger gut fundierte Wahrscheinlichkeitsurteile hinaus.
Manche Erkenntnisgrenzen ergeben sich aus menschlichen Unzulänglichkeiten. Nicht nur Zeugenaussagen sind notorisch unzuverlässig, auch Geständnisse können falsch und selbst DNA-Proben können vertauscht worden sein. Andere Fragen entziehen sich von vornherein der empirischen Beantwortbarkeit. Was sich wirklich im Kopf des Angeklagten abgespielt hat und ob er zum Tatzeitpunkt wirklich "anders gekonnt" hätte, lässt sich schlechterdings nicht beantworten. Schließlich sind die Befugnisse zur Erhebung und Verwertung von Beweisen in der deutschen ebenso wie in jeder anderen zivilisierten Strafrechtsordnung vielfältigen normativen Beschränkungen unterworfen. Nicht nur Misshandlung und Täuschung sind verboten, sondern schon der Verstoß gegen eine Belehrungspflicht kann dazu führen, dass eine Aussage bei der Urteilsfindung außer Acht gelassen werden muss. "Was übrig bleibt, ist eine forensische Wahrheit, und das ist die einzige, auf die es letztlich ankommt."
Aus der Warte der herkömmlichen Aufgabenbestimmung des Strafverfahrens erscheint die "forensische Wahrheit" freilich lediglich als eine Wahrheit zweiter Klasse. Sie steht für ein nach Lage der Dinge zwar unvermeidliches, aber trotzdem bedauerliches Zurückbleiben hinter dem vollen, dem eigentlichen Wahrheitsanspruch des Strafverfahrens. Dies führt zum einen dazu, dass versucht wird, den Umfang der Abweichungen so gering wie möglich zu halten. Nicht von ungefähr ist der dem deutschen Wahrheitspathos weniger geneigte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Reihe von besonders heiklen Beweisverbotsfällen, etwa beim Zeugen vom Hörensagen und in der Frage der Fernwirkung rechtswidrig erlangter Beweismittel, strenger als die hierzulande herrschende Auffassung. Zum anderen hat die Überhöhung des Wahrheitswertes zur Folge, dass der deutsche Gesetzgeber sich mit der Regelung von Verfahrensgestaltungen, in denen eine Entscheidung ohne volle Sachverhaltsaufklärung angestrebt wird, außerordentlich schwertut.
Volk exemplifiziert dies am Beispiel der Verständigung im Strafverfahren, des sogenannten Deals. Bei seinem Versuch, derartigen Verständigungen einen rechtlichen Rahmen zu geben, sei der Gesetzgeber gescheitert, weil er sich einerseits an den inquisitorischen Amtsermittlungsgrundsatz geklammert und andererseits versucht habe, Raum für Vereinbarungen zu schaffen. Er habe dem Richter nicht das Geringste aus der Hand nehmen und zugleich vieles in die Hände von Staatsanwaltschaft und Verteidigung legen wollen. "Woher sollte er das nehmen, ohne es irgendwo zu stehlen? Und so lief er hasenfüßig im Zickzack. Kaum dass er sich der Disposition genähert hatte, schlug er erschrocken einen Haken zurück zur Inquisition, und als er der zu nahe kam, trieb es ihn zurück auf das Feld der Übereinkunft, wo ihn aber die Panik packte, sodass er. . . und so weiter."
Volk plädiert aus diesen Gründen für einen Akt ideeller Abrüstung. Nicht Wahrheit stehe an der Spitze der strafverfahrensrechtlichen Legitimationspyramide, sondern die Wiederherstellung von Rechtsfrieden. Um dieses Ziel zu erreichen, sei es erforderlich, aber auch ausreichend, das Strafverfahren so auszugestalten, dass es allen Beteiligten den Eindruck vermittle, mit ihnen werde fair umgegangen. Dazu sei es nicht stets erforderlich, die "ganze Wahrheit" zu ermitteln. Die Leitfrage habe vielmehr zu lauten: Wie viel Wahrheit brauchen wir, um in dem zu verhandelnden Fall auf faire Weise zu einem gerechten Urteil zu kommen? In den knapp sechshunderttausend Strafbefehlsverfahren pro Jahr dürften diese Anforderungen ohne Bedenken erheblich niedriger angesetzt werden als in den rund zwölftausend Strafkammerverfahren. Statt die Wahrheit als einen verborgenen Schatz zu verstehen, der lediglich entdeckt und ausgegraben werden müsse, will Volk sie deshalb funktional, nämlich als ein Konstrukt, begreifen, das im Prozess zustande gebracht wird und in seiner Qualität von der Qualität des Prozedierens abhängt.
So überzeugend dieser Ansatz dem Grunde nach ist, so unscharf bleiben allerdings die Konsequenzen, die Volk aus ihm zu ziehen gedenkt. Plädiert er für einen gänzlichen Systemwechsel oder nur für punktuelle Modifikationen des jetzigen Rechtszustandes? Und wenn Letzteres der Fall ist, erschöpft sich sein Vorschlag dann womöglich in einer neuen Variante jener Abwägungsjurisprudenz, die das Strafverfahrensrecht für wissenschaftlich interessierte Strafrechtler schon seit geraumer Zeit zu einer intellektuellen No-go-area gemacht hat?
Der Leser erfährt es nicht. Statt sich mit konkreten Vorschlägen etwa für eine bessere Regelung des Deals zu exponieren, kultiviert Volk vielmehr die Rolle des überlegenen Connaisseurs, der die Klaviatur des geltenden Strafverfahrensrechts gerade deshalb brillant beherrscht, weil er um seine Ungereimtheiten und Brüche weiß. Das ist unterhaltsam, streckenweise geradezu amüsant. Wer von einem Buch über deutsches Strafverfahrensrecht mehr erhofft als eine Mischung aus Volkshochschulskript und Selbstbeweihräucherung, wird es hingegen mit einem Gefühl der Enttäuschung zuklappen.
MICHAEL PAWLIK
Klaus Volk: "Die Wahrheit vor Gericht". Wie sie gefunden und geschunden, erkämpft und erkauft wird.
C. Bertelsmann Verlag, München 2016. 346 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Ende sollte der Rechtsfrieden stehen: Der Strafverteidiger Klaus Volk geht der Frage nach, wie viel Wahrheit man braucht, um auf faire Weise zu einem gerechten Urteil zu kommen.
Die Wahrheit wird überschätzt. Für einen Strafverteidiger ist dies ein keckes und nicht ungefährliches Wort, scheint es doch sämtliche Vorurteile zu bestätigen, die in der Bevölkerung gegen seine Berufsgruppe kursieren. Gute Strafverteidiger, das seien Rechtsverdreher, die um des lieben Geldes willen zahlungskräftige Beschuldigte aus den Schlingen der Justiz befreiten, während die von einem Viererjuristen lust- und kunstlos verteidigten Kleinkriminellen in deren Fallstricken hängen blieben.
Klaus Volk ist ein erfolgreicher und mit seinen Leistungen keineswegs unzufriedener Verteidiger, daran lassen die zahlreichen autobiographisch grundierten Heldengeschichten, die er in seinem Buch versammelt, keinen Zweifel. Ein Zyniker ist er aber nicht. Mit seiner Wahrheitsskepsis wehrt er sich lediglich dagegen, die Aufgaben und Ziele von Strafverfahren in einer Weise zu überhöhen, die mit deren heutiger Realität nichts mehr gemein hat. Nach der von Volk kritisierten Sichtweise gleicht die Wahrheit einem vergrabenen Schatz, und das Strafverfahren dient in erster Linie dazu, diesen Schatz zu heben. Zu diesem Zweck werden dem entscheidenden Gericht umfassende Ermittlungsbefugnisse eingeräumt, denn nur wer weiß, wie es eigentlich gewesen ist, kann diesem auf den mittelalterlichen Inquisitionsprozess zurückgehenden Verständnis zufolge ein gerechtes Urteil sprechen.
Volks Herz schlägt eher für das anglo-amerikanische Gegenmodell. Dort obliegt es nicht dem Richter, von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen. Es ist vielmehr Sache von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, ihre Versionen des Geschehens zu präsentieren. "Der Richter thront über allen und sieht zu (ähnlich wie ein Schiedsrichter beim Tennis), wie die Argumente hin und her fliegen. Am Ende entscheidet das Gericht, wer diesen Disput gewonnen hat."
Dass ein Verteidiger dasjenige Prozessrechtsmodell bevorzugt, welches ihm größere Handlungsspielräume zubilligt, ist wenig überraschend. Es ist deshalb ein geschickter Schachzug Volks, dass er seine eigene Distanz gegenüber dem Pathos der gerichtlichen Wahrheitsermittlung ausgerechnet einem Richter in den Mund legt. "Das Gericht ist nicht dabei gewesen und folglich dazu prädestiniert, die Wahrheit herauszufinden" - wer vermag der suggestiven Kraft einer solch eleganten Selbstironie schon zu widerstehen? In der Tat führt auch die gründlichste Beweisaufnahme nicht über mehr oder weniger gut fundierte Wahrscheinlichkeitsurteile hinaus.
Manche Erkenntnisgrenzen ergeben sich aus menschlichen Unzulänglichkeiten. Nicht nur Zeugenaussagen sind notorisch unzuverlässig, auch Geständnisse können falsch und selbst DNA-Proben können vertauscht worden sein. Andere Fragen entziehen sich von vornherein der empirischen Beantwortbarkeit. Was sich wirklich im Kopf des Angeklagten abgespielt hat und ob er zum Tatzeitpunkt wirklich "anders gekonnt" hätte, lässt sich schlechterdings nicht beantworten. Schließlich sind die Befugnisse zur Erhebung und Verwertung von Beweisen in der deutschen ebenso wie in jeder anderen zivilisierten Strafrechtsordnung vielfältigen normativen Beschränkungen unterworfen. Nicht nur Misshandlung und Täuschung sind verboten, sondern schon der Verstoß gegen eine Belehrungspflicht kann dazu führen, dass eine Aussage bei der Urteilsfindung außer Acht gelassen werden muss. "Was übrig bleibt, ist eine forensische Wahrheit, und das ist die einzige, auf die es letztlich ankommt."
Aus der Warte der herkömmlichen Aufgabenbestimmung des Strafverfahrens erscheint die "forensische Wahrheit" freilich lediglich als eine Wahrheit zweiter Klasse. Sie steht für ein nach Lage der Dinge zwar unvermeidliches, aber trotzdem bedauerliches Zurückbleiben hinter dem vollen, dem eigentlichen Wahrheitsanspruch des Strafverfahrens. Dies führt zum einen dazu, dass versucht wird, den Umfang der Abweichungen so gering wie möglich zu halten. Nicht von ungefähr ist der dem deutschen Wahrheitspathos weniger geneigte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Reihe von besonders heiklen Beweisverbotsfällen, etwa beim Zeugen vom Hörensagen und in der Frage der Fernwirkung rechtswidrig erlangter Beweismittel, strenger als die hierzulande herrschende Auffassung. Zum anderen hat die Überhöhung des Wahrheitswertes zur Folge, dass der deutsche Gesetzgeber sich mit der Regelung von Verfahrensgestaltungen, in denen eine Entscheidung ohne volle Sachverhaltsaufklärung angestrebt wird, außerordentlich schwertut.
Volk exemplifiziert dies am Beispiel der Verständigung im Strafverfahren, des sogenannten Deals. Bei seinem Versuch, derartigen Verständigungen einen rechtlichen Rahmen zu geben, sei der Gesetzgeber gescheitert, weil er sich einerseits an den inquisitorischen Amtsermittlungsgrundsatz geklammert und andererseits versucht habe, Raum für Vereinbarungen zu schaffen. Er habe dem Richter nicht das Geringste aus der Hand nehmen und zugleich vieles in die Hände von Staatsanwaltschaft und Verteidigung legen wollen. "Woher sollte er das nehmen, ohne es irgendwo zu stehlen? Und so lief er hasenfüßig im Zickzack. Kaum dass er sich der Disposition genähert hatte, schlug er erschrocken einen Haken zurück zur Inquisition, und als er der zu nahe kam, trieb es ihn zurück auf das Feld der Übereinkunft, wo ihn aber die Panik packte, sodass er. . . und so weiter."
Volk plädiert aus diesen Gründen für einen Akt ideeller Abrüstung. Nicht Wahrheit stehe an der Spitze der strafverfahrensrechtlichen Legitimationspyramide, sondern die Wiederherstellung von Rechtsfrieden. Um dieses Ziel zu erreichen, sei es erforderlich, aber auch ausreichend, das Strafverfahren so auszugestalten, dass es allen Beteiligten den Eindruck vermittle, mit ihnen werde fair umgegangen. Dazu sei es nicht stets erforderlich, die "ganze Wahrheit" zu ermitteln. Die Leitfrage habe vielmehr zu lauten: Wie viel Wahrheit brauchen wir, um in dem zu verhandelnden Fall auf faire Weise zu einem gerechten Urteil zu kommen? In den knapp sechshunderttausend Strafbefehlsverfahren pro Jahr dürften diese Anforderungen ohne Bedenken erheblich niedriger angesetzt werden als in den rund zwölftausend Strafkammerverfahren. Statt die Wahrheit als einen verborgenen Schatz zu verstehen, der lediglich entdeckt und ausgegraben werden müsse, will Volk sie deshalb funktional, nämlich als ein Konstrukt, begreifen, das im Prozess zustande gebracht wird und in seiner Qualität von der Qualität des Prozedierens abhängt.
So überzeugend dieser Ansatz dem Grunde nach ist, so unscharf bleiben allerdings die Konsequenzen, die Volk aus ihm zu ziehen gedenkt. Plädiert er für einen gänzlichen Systemwechsel oder nur für punktuelle Modifikationen des jetzigen Rechtszustandes? Und wenn Letzteres der Fall ist, erschöpft sich sein Vorschlag dann womöglich in einer neuen Variante jener Abwägungsjurisprudenz, die das Strafverfahrensrecht für wissenschaftlich interessierte Strafrechtler schon seit geraumer Zeit zu einer intellektuellen No-go-area gemacht hat?
Der Leser erfährt es nicht. Statt sich mit konkreten Vorschlägen etwa für eine bessere Regelung des Deals zu exponieren, kultiviert Volk vielmehr die Rolle des überlegenen Connaisseurs, der die Klaviatur des geltenden Strafverfahrensrechts gerade deshalb brillant beherrscht, weil er um seine Ungereimtheiten und Brüche weiß. Das ist unterhaltsam, streckenweise geradezu amüsant. Wer von einem Buch über deutsches Strafverfahrensrecht mehr erhofft als eine Mischung aus Volkshochschulskript und Selbstbeweihräucherung, wird es hingegen mit einem Gefühl der Enttäuschung zuklappen.
MICHAEL PAWLIK
Klaus Volk: "Die Wahrheit vor Gericht". Wie sie gefunden und geschunden, erkämpft und erkauft wird.
C. Bertelsmann Verlag, München 2016. 346 S., geb., 19,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hans Leyendecker kann beim Strafverteidiger und Staatsrechtsprofessor Klaus Volk was über den Unterschied zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit erfahren. Wahrheit in allen Erscheinungsformen beschreibt der Autor laut Leyendecker aus lebenslanger Erfahrung und mit erzählerischem Talent, sodass auch schwierige Zusammenhänge verständlich werden. Folter, Geständnisse, Beweisverbote, Richter, Schöffen, Volkes Stimme - alles kommt bei Volk vor, meint der Rezensent. Dass der Autor nicht verbittert schreibt, sondern mit dem einzigen Wunsch zu erklären und höchstens noch, die Staatsanwälte ein wenig in Schutz zu nehmen, erscheint Leyendecker bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Volk hat ein Buch über die 'Wahrheit vor Gericht' geschrieben - das liest man gern, weil er gelernt hat, auch die kompliziertesten Dinge verständlich zu erklären." Süddeutsche Zeitung