Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 3,40 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Gabriel Audisio erzählt die Geschichte der Waldenser von ihren Anfängen im 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Ihr Gründer war der in Savoyen lebende Petrus Waldes, der die Laienbewegung mit Buße- und Armutsideal ins Leben rief. Die meisten der Waldenser-Gemeinden schlossen sich im 16. Jahrhundert der Reformation an oder gingen in ihr auf, so verloren sich viele der jahrhundertealten waldensischen Traditionen. Doch auch heute finden sich noch vereinzelte Gemeinden. Die Waldenser sind damit die einzige häretische Bewegung des Mittelalters, die sich bis heute erhalten hat. Gabriel Audisio…mehr

Produktbeschreibung
Gabriel Audisio erzählt die Geschichte der Waldenser von ihren Anfängen im 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Ihr Gründer war der in Savoyen lebende Petrus Waldes, der die Laienbewegung mit Buße- und Armutsideal ins Leben rief. Die meisten der Waldenser-Gemeinden schlossen sich im 16. Jahrhundert der Reformation an oder gingen in ihr auf, so verloren sich viele der jahrhundertealten waldensischen Traditionen. Doch auch heute finden sich noch vereinzelte Gemeinden. Die Waldenser sind damit die einzige häretische Bewegung des Mittelalters, die sich bis heute erhalten hat. Gabriel Audisio porträtiert hervorragende Männer und Frauen dieser Religionsgemeinschaft und arbeitet die hinter der waldensischen Bewegung stehenden Glaubensüberzeugungen heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Vom Buchstabenglauben der Bärtchen
Gabriel Audisio schreibt die Geschichte der Waldenser / Von Loris Sturlese

Die Waldenser oder Armen von Lyon begannen ihre Tätigkeit um das Jahr 1170. Sie wurden durch einen Bürger von Lyon, Valdesius oder Valdensis, begründet, einen reichen Mann, der alles Seinige verließ und sich vornahm, wie die Apostel in Armut und nach der Vollkommenheit des Evangeliums zu leben. Er ließ sich die Evangelien und einige Bücher der Bibel ins Französische übersetzen . . . Die Waldenser lasen sie sehr oft und verstanden sie nicht richtig . . . Als Ungebildete wagten sie, das Evangelium auf den Straßen und den Plätzen zu verkünden . . ." Mit professioneller Genauigkeit charakterisierte der Dominikaner Bernhard Gui im "Handbuch des Inquisitors" den ideologischen Kern einer der wichtigsten evangelischen Bewegungen des Mittelalters. In der Tat waren die drei Ideen von der Armut, vom Predigen und vom Evangelium die tragenden Säulen der Lehre Waldes' - einer geheimnisvollen Gestalt, über die man heute kaum mehr weiß, als das, was bereits damals Bernhard Gui sagen konnte oder wollte.

Waldes und seine Jünger, darunter auch viele Frauen, wollten das christliche Leben erneuern, und zogen als Wanderprediger durch das Land. Da sie am Anfang nicht die etablierte Kirche, sondern die Katharer in Südfrankreich ins Visier nahmen und zur Bekehrung aufforderten, wurden sie geduldet. Aber die Bewegung ließ sich nicht in die Bahnen der Kirche leiten: Waldes und die Seinen waren Laien, und sie wollten Laien bleiben.

Sie verkündeten einen kompromißlosen Biblizismus, der durch seine ehrlich naive Treue zum Buchstaben des Evangeliums schließlich die Bewegung auf Konfliktkurs mit dem Klerus brachte. Die Warnungen von Rom an diese Christen, die von "einem glühenden Glauben und dem Gefühl der Verantwortung für das Heil des Nächsten" besessen waren (K.-V. Selge), blieben ohne Folgen. Jene ernsten und penetranten Querulanten wurden überall verfolgt, verurteilt und gejagt. Sie tauchten unter und organisierten sich in einer geheimen Kirche, die erst nach der Reformation in die Öffentlichkeit trat und heute noch eine bedeutende Komponente im religiösen Panorama etlicher Länder, besonders in Italien ("Chiesa Valdese") ist.

Über diese Bewegung verbreitet sich seit Jahrhunderten eine Historiographie, die neben apologetischen und zelebrierenden Werken auch fundierte wissenschaftliche Studien - vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg - hervorbrachte. Die neue Geschichte der Waldenser, die Gabriel Audisio vor sieben Jahren in französischer Sprache veröffentlichte und die jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, bietet keine großen wissenschaftlichen Neuheiten und versteht sich eher als "eine Entdeckungsreise zu einer Gemeinschaft . . ., die ihre großen und ihre unbedeutenden Augenblicke hatte und die trotz des unvermeidlichen Wandels der Zeit . . . es vier Jahrhunderte lang verstand, ihre Gruppenidentität, ihre Glaubensgrundsätze und ihre Weigerung, sich anzupassen, aufrechtzuerhalten".

Der Verfasser, ein Spezialist der Waldensischen Geschichte, hat versucht, diese "Entdeckungsreise" als eine bequeme und erholsame Kreuzfahrt zu gestalten. Es war kein leichtes Unterfangen, denn das Buch ist fast ausschließlich dem Waldismus im Mittelalter gewidmet, und Mittelalter-Bücher lassen in der Regel den Leser auf einem schmalen Pfad von lateinischen Zitaten, enigmatischen Fachausdrücken und unbekannten Autoritäten schwitzen. Audisio kommt hingegen ohne ein einziges lateinisches Wort aus, verzichtet auch auf einen gelehrten Anmerkungsapparat und bietet trotzdem eine fundierte historische Rekonstruktion, in der die Ergebnisse der Forschung immer berücksichtigt werden.

Aber warum die Beschränkung auf das Mittelalter? Hatten die Waldenser keine moderne Geschichte? Die Antwort Audisios ist radikal. Mit Bezug auf die Waldenser-Synode von Chanforan, wo der Anschluß an die Reformation beschlossen wurde, schreibt er: "Für mich ist die Geschichte der Armen von Lyon auf der abstrakten Ebene der Theologie 1532 in Chanforan zu Ende, auf der konkreten Ebene der Verhaltensweisen hört sie gegen 1560 auf."

Um diese Zäsur zu markieren, schlägt er sogar vor, die mittelalterlichen Waldenser als "Arme von Lyon" zu bezeichnen, um sie von der nachreformatorischen Kirche zu unterscheiden. Es ist allerdings zu bezweifeln, daß die heutigen Waldenser - die sich ihrer mittelalterlichen Tradition sehr verpflichtet fühlen - die theologiehistorischen und sozioreligiösen Gründe, die Audisio zugunsten seiner These anführt, überzeugend finden werden. Was würde passieren, wenn man vorschlüge, die Apostel Jesu und ihren ursprünglichen Freundeskreis als die Sekte der "Armen Palästinas" zu bezeichnen, um auf den mittlerweile großen Unterschied zwischen ihnen und den jetzigen "Christen" (egal welcher Konfession) hinzuweisen?

Das Buch Audisios heißt nicht "Die Armen von Lyon", sondern "Die Waldenser" ("Les Vaudois" in der Originalausgabe), und es ist paradoxerweise eines seiner größten Verdienste, die beeindruckende Verbreitung dieser Bewegung weit über Lyon hinaus in ganz Europa zu dokumentieren, von Frankreich bis Polen, von Prag (mit wichtigen Beziehungen zu den Hussiten) bis zum Piemont, Nordapulien und Kalabrien.

Den europäischen Dimensionen des mittelalterlichen Waldismus widerspricht die seltsam gallische Atmosphäre, die das ganze Buch durchzieht. Die Autoren haben französische Namen (Jean, Nicolàs), auch wenn sie Italiener oder Deutsche waren, italienische Städte wie Pinerolo und Torre Pellice werden in französischer Form (Pignerol, La Tour) aufgeführt. Die Übersetzung läßt einen Stettiner Französisch sprechen: "Die Waldenser sind Menschen, die, wie Hans Spigilman 1394 in Stettin sagte, viel fasten und sich züchtigen (jeûnant beaucoup et se châtiant)." Hier zeigen sich die Grenzen von Audisios Angewohnheit, die Texte nur in der Übersetzung zu zitieren.

Das lockere Abschweifen von der alten Tradition, waldensische Wanderprediger mit dem Titel "Bart" zu ehren ("Bart" Petrus, "Bart" Georg usw.), die in Piemont heute noch gepflegt wird, endet ungewollt im Komischen: "Auch wurden fast bis zum heutigen Tag die Bewohner der waldensischen Täler im Piemont von ihren katholischen Landsleuten mit dem Spottnamen barbets ("Pudel") bezeichnet. Barbetti werden die Waldenser freundlich genannt - "Bärtchen". Dies hat mit dem französischen barbet ("Pudel", aber auch "Meerbarbe") nichts zu tun. Piemonteser mögen ihre "Häretiker" und denken nicht (mehr) daran, sie zu dressieren oder zu frittieren.

Gabriel Audisio: "Die Waldenser". Die Geschichte einer religiösen Bewegung. Aus dem Französischen von Elisabeth Hirschberger. Verlag C. H. Beck, München 1996. 300 S., 7 Abb., geb., 58,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr