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Joseph Breitbachs Romandebüt von 1932 entfaltet ein weites Panorama der politischen Verhältnisse, aber auch der Emotionen und sexuellen Neigungen. Ort und Zeit der Handlung ist das seit Herbst 1918 von amerikanischen Truppen besetzte Koblenz. Da ist einerseits die großbürgerliche Fabrikanten-familie Dasseldorf, die sich schwer mit der Besatzung arrangieren kann, und andererseits die kleinbürgerlich-proletarische Familie Hecker, deren Sohn Peter zwischen Verführung, homosexueller Neigung und Zwang zur Promiskuität oszilliert. Während Susanne Dasseldorf im Feind, dem amerikanischen Major, den…mehr

Produktbeschreibung
Joseph Breitbachs Romandebüt von 1932 entfaltet ein weites Panorama der politischen Verhältnisse, aber auch der Emotionen und sexuellen Neigungen. Ort und Zeit der Handlung ist das seit Herbst 1918 von amerikanischen Truppen besetzte Koblenz. Da ist einerseits die großbürgerliche Fabrikanten-familie Dasseldorf, die sich schwer mit der Besatzung arrangieren kann, und andererseits die kleinbürgerlich-proletarische Familie Hecker, deren Sohn Peter zwischen Verführung, homosexueller Neigung und Zwang zur Promiskuität oszilliert. Während Susanne Dasseldorf im Feind, dem amerikanischen Major, den Menschen und den Mann erkennt und sich doch dem attraktiven proletarischen Boxer Peter Hecker zuwendet, bleibt Schnath, der Sekretär der Dasseldorfs, in den Zwängen der sexuellen Konventionen befangen.
Noch 1978 schrieb Breitbach:"Der Roman hat nur historisch Belegtes zum Rahmen ... als die Stadt unter der amerikanischen Besatzung ebensoviel seufzte wie jauchzte."Der reich bebilderte Begleitband enthält bisher unbekanntes Material zu Leben und Werk Breitbachs, der zeitlebens nur wenig von sich selbst preisgab. Erstmalswerden mehr als 100 unzensierte Briefe des Autors an seinen Jugendfreund Alexander Mohr abgedruckt und Akten aus Archiven ausgewertet, die die Hintergründe des Romans erhellen und durch Parallelen als Quelle zur Biographie und zum Werk Breitbachs eine Sensation sind.
Autorenporträt
Joseph Breitbach (1903 - 1980), im Rheinland geboren, lebte seit 1929 in Frankreich. In den dreißiger Jahren lernte er in Paris Jean Schlumberger, Andre Gide und den Kreis um die Nouvelle Revue Française kennen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er von Freunden in Frankreich versteckt. Nach 1945 engagierte er sich für die französisch-deutsche Annäherung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2006

So sinnlich ist die Pfalz
Joseph Breitbachs Koblenz-Roman als Auftakt der Werkausgabe

"Man schrieb den 12. Dezember 1918. Der Haupttrupp der nach dem Waffenstillstand von Compiègne für Koblenz bestimmten amerikanischen Besatzungsarmee rückte in die Stadt ein. ,Nun haben wir vier Jahre immer gesiegt, und jetzt kommt die fremde Besatzung', sagte Susanne. Niemand antwortete ihr. Susanne beherrschte die Familie. Sie war klug, klug und oft sehr anmaßend. In der Fabrik war sie die beiden letzten Jahre vor dem Krieg die rechte Hand ihres Vaters gewesen."

In diesem Ausschnitt aus Joseph Breitbachs Roman "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf" steckt schon der Zündstoff für die Reibungen innerhalb der Familie, den Streit über die Zukunft der Fabrik für Militäreffekten, für Susannes innere Auflehnung gegen die Besatzungsmacht wie die neue republikanische Ordnung Deutschlands und für ihre eigensinnigen erotisch-sexuellen Neigungen - aber doch auch für ihren Wandlungsprozeß. Der Roman erschien 1932 in Deutschland, wurde 1933 verboten, erlebte aber in Paris, nach Breitbachs endgültiger Entscheidung für Frankreich, eine glänzende Wiedergeburt.

Die Familie des 1903 in Koblenz Geborenen stammte mütterlicherseits aus Tirol, väterlicherseits aus Lothringen, Breitbach beherrschte die deutsche wie die französische Sprache und schloß sich früh dem Kreis um die "Nouvelle Revue Française" an, hatte André Gide, Jacques Rivière, Jan Schlumberger und Julien Green zu Freunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er einer der ersten Anwälte deutsch-französischer Versöhnung. Das Vermögen, das er in Frankreich mit einer untrüglichen Witterung für die Börse ansammelte, floß nach seinem Willen - er starb 1980 - in eine Stiftung, die seit 1998 den hierzulande höchstdotierten (dreigeteilten) Literaturpreis verleiht. So ist Breitbach zum Wohltäter deutschsprachiger Literatur geworden - auch das ein Grund, den Schriftsteller mit einer Werkausgabe zu ehren.

Die ersten beiden Bände liegen jetzt vor. Daß neben dem Roman eine Auswahl von Briefen an den Freund aus der Schulzeit, den Maler Alexander Mohr, die Reihe eröffnet, ist gerechtfertigt, weil die Briefe wie auch andere Papiere erst wieder Ende der fünfziger Jahre aus Moskauer Archiven, wohin sie mit Transporten der Roten Armee gelangt waren, auftauchten, über Potsdam ins Marbacher Literaturarchiv wanderten und nun zum erstenmal vorgestellt werden. Innerhalb der Erzählprosa, sieht man sie im Zusammenhang der deutsch-französischen Geschichte, verdient "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf" sicherlich das meiste Interesse.

Zeitlich bewegt sich die Handlung im engen Rahmen zwischen dem Einmarsch der amerikanischen Verbände in Koblenz, Mitte Dezember 1918, und der Nichtratifizierung des Versailler Vertrags vom Juni 1920 durch die Vereinigten Staaten. Dieses Korsett eines guten Jahres, mit der Zuspitzung der Besatzungsbedingungen, dann aber der Aufhebung des Verkehrsverbots zwischen Amerikanern und Deutschen, ballt eine Fülle von Ereignissen. Zur rasanten Szenenfolge steigert sich die Handlung bei der nächtlichen Flucht auf dem Motorboot "Nixe", mit dem Susanne die Eltern in die neutrale Zone von Königswinter bringt. Die politisch-sozialen und zwischenmenschlichen Spannungen geben der Handlung eine starke Dynamik. Das Gefälle zwischen Oberschicht und dem "Proletariat", das sich heute als "Unterschicht" wieder ins Gespräch bringt, gewinnt exemplarische Umrisse auf dem Besitz der Dasseldorfs, im Gegensatz zwischen der Fabrikanten- und der Gärtnerfamilie, deren ältester Sohn als verurteilter "Roter" beim Kieler Matrosenaufstand befreit worden ist. Die Feindseligkeit, mit der Nationalstolz der amerikanischen Besatzung entgegentrat, spitzt sich in der Villa im schroffen Auftreten Susannes gegen den einquartierten, ständig um Ausgleich bemühten Major Cather zu, der amerikanischer Vertreter der in Koblenz ansässigen Interalliierten Rheinlandkommission wird.

Auf eine ausgehungerte Bevölkerung trifft der Alkohol- und Liebeshunger der satten amerikanischen Soldaten; es bestätigt sich die alte Erfahrung, daß Verbote die Nachfrage steigern und überall, wo Mangel herrscht, kein Mangel an Korruption besteht. So blühen die heimlichen Geschäfte mit scharfen Getränken und erbötigem Sex. Es ist nicht eben ein spartanisches Nachkriegs-Koblenz, das Breitbach zeigt. So war sein gegen jegliche Retusche gefeiter sachlicher Realismus den Kulturfunktionären des "Dritten Reiches" ein willkommener Anlaß, die Verbreitung des Romans abzuwürgen.

Major Cather ist vom ersten Augenblick an verliebt in Susanne und leistet wahre Sisyphusarbeit, mit Ritterlichkeit und Wohltaten den Eisberg patriotischen Stolzes zu schmelzen. Das Partnerverhältnis von Lessings Minna von Barnhelm und dem ehrvergessenen Major von Tellheim hat sich hier verkehrt. Susannes Sinnlichkeit bewegt sich zunächst auf klassenabtrünnigen Wegen, sie begehrt und kostet einmal - wodurch sie in Konkurrenz mit dem homosexuellen Sekretär Schnath gerät - den makellosen Körper des Gärtnersohns Peter. Dieser, anfangs ein Adonis, in dessen Gestalt sich das Laster tarnt, wandelt sich unter der Obhut des sportbegeisterten Majors zum enthaltsamen Boxchampion.

Die Aufhellung des Horizonts am Ende des Romans gelingt freilich nicht, ohne daß die Wandlung einiger Figuren in den Galopp wechselt. Das ernüchternde Erlebnis mit Peter entnebelt Susannes Verstand; sie läßt sich belehren, daß die Politik der Amerikaner die von den Franzosen geplante Verselbständigung der linksrheinischen Gebiete verhindert. Und da Cather in Amerika eine Fabrik besitzt, steht der Verlobung nichts mehr im Wege. In der Koblenzer ehemaligen Fabrik für Militäreffekten ist inzwischen die Produktion von Seifenpulver angelaufen. Den ungewollt ironischen Kommentar zum Happy-End gibt der Schlußsatz von Frau Hecker, der Mutter zweier von amerikanischen Soldaten schwangeren Töchter, deren Liebhaber nicht heiraten dürfen, in unverfälschtem Koblenzer Dialekt: "Da kann mer et seh'n, die heirate rasch, wenn ebbes onnerwegs es, mir müsse die Kennercher als Bankerte off die Welt brenge. Die Hautvolée es och net besser als mir."

Gelegentliche kolportagehafte Züge wirken als Sprengsätze für die Spannung, Probleme der notbedingten Prostitution und Homosexualität werden mit einer im deutschen Roman bis dahin ungewöhnlichen Freiheit angepackt. Die Figurenporträts, die Konflikte und Lösungsversuche bleiben eingebunden in zeitgeschichtliche Umstände, entwickeln aber einen erzählerischen Eigenwert, der auch heute noch den Leser nicht mehr losläßt. Der Editionsbericht legt überzeugend dar, warum die Fassung von 1932 allen späteren fragmentarischen Überarbeitungen überlegen ist. Breites dokumentarisches Text- und Bildmaterial soll den Roman in der Realität der Koblenzer Nachkriegszeit verankern. In der Suche nach biographischen Parallelen allerdings erfüllen die Herausgeber ein Übersoll. Breitbach wollte sich den Anteil der Fiktion nicht kleinreden lassen. Sorgfältig kommentiert werden die Briefe Breitbachs an Alexander Mohr, die mehr als bloß freundschaftliche Gefühle bekunden. Deutlich wird, daß sich Schriftsteller in Frankreich, sagen wir besser: Paris, offener als in Deutschland zu ihrer Homosexualität bekennen durften. Breitbach konnte in Frankreich rasch heimisch werden. Joseph Roth, dem Breitbach noch zu helfen versuchte, war unglücklich im französischen Exil und starb, dem Trunk ergeben, 1939 in einem Pariser Armenspital. Breitbach ist das Beispiel einer gelungenen Emigration.

WALTER HINCK

Joseph Breitbach: "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf". Roman. (Mainzer Reihe, NF, Band 4). 522 S., geb. 24,- [Euro].

"Ich muß das Buch schreiben . . ." Briefe und Dokumente zu Joseph Breitbachs Roman "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf". 454 S., br., 39 ,- [Euro]. Beide Bände herausgegeben von Alexandra Plettenberg-Serban und Wolfgang Mettmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2006.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2007

„Jesses, Jesses die Kerle!”
„Die Wandlung der Susanne Dasseldorf” eröffnet die Werkausgabe von Joseph Breitbach
Über Koblenz wehte das Sternenbanner. Am 12. Dezember 1918 waren amerikanische Truppen in die Garnisonsstadt einmarschiert und erklärten den Belagerungszustand. Zu den Reglements des Besatzungsregimes gehörte das Verbot jeglicher Fraternisierung zwischen Soldaten und Einheimischen. Mit der Aufschrift „Off limits” wurden die Eingänge zu den Tavernen, Spelunken und Bordellen beschildert. Die Praxis der Requisition privater Wohnräume zur Unterbringung von Soldaten beförderte hingegen den interkulturellen Verkehr von Menschen, Gütern und Geschlechtern. Im Tohuwabohu der Nachkriegszeit blühten Schwarzhandel, Schiebereien und verstohlenes Anbändeln.
Mit den Sitten lockerten sich auch die Zungen. Über persönliche Turbulenzen hat sich der in Koblenz aufgewachsene Schriftsteller Joseph Breitbach (1903-1980) nie wieder so freimütig geäußert wie in einem Brief vom Januar 1921 an seinen Jugendfreund, den Maler Alexander Mohr. Neben einem Loblied auf die Knabenliebe und Schilderungen nächtlicher Ausschweifungen in den Rheinanlagen enthält der Brief auch die als Summe unsentimentaler Erfahrungen begriffene Ankündigung eines Romans: „Siehst du, mein lieber Alexander, ich muß das Buch schreiben. Es wird wahrscheinlich das einzige meines Lebens sein.”
Dem Buch über die Koblenzer Nachkriegszeit sollten weitere Werke folgen, aber an keinem schrieb Breitbach länger als am Roman „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf”. Geschildert wird die kurze, aber dramatische Zeitspanne vom Dezember 1918 bis zur Aufhebung des Fraternisierungsverbots Anfang 1920. Der Roman erschien Ende 1932 und wurde schon im Jahr darauf verboten und verbrannt. Breitbach, der seit 1929 in Frankreich lebte, nahm auch nach dem Erscheinen einer gefeierten französischen Übersetzung das Manuskript wieder zur Hand, um es – zuletzt unter dem Eindruck der zweiten Nachkriegszeit – mehrfach umzuarbeiten. Diese Varianten blieben allerdings unvollendet.
Als erster Band einer Ausgabe von Joseph Breitbachs Werken liegt der Roman jetzt wieder in der Fassung der Erstveröffentlichung vor. Über Entstehungsgeschichte und Varianten sowie über persönliche und zeitgeschichtliche Hintergründe gibt ein Begleitband Auskunft, der viel dokumentarisches Material enthält. Im Bemühen, „die Übereinstimmung des Romans mit den Zeugnissen seiner Zeit offenzulegen”, strapazieren die Herausgeber das biographische wie lokalgeschichtliche Unterfutter allerdings mehr, als dieser Roman es nötig hätte, der seine Zeit selbst hinreichend bezeugt und erhellt. Auch heutigen Lesern bietet er eine spannende und aufschlussreiche Lektüre, als Schilderung einer weithin vergessenen oder verdrängten Zwischenzeit, in der neben den überkommenen sozialen Mustern auch die Geschlechterrollen wankten.
Ein einzigartiges literarisches Dokument ist dieser Roman auch aufgrund seines narrativen Verfahrens: Konventionelle Erzählerhaltungen werden zugunsten verschiedener Perspektiven aufgesprengt, die sich auf einen ganzen Reigen von Hauptfiguren verteilen, zwischen denen ein unsichtbarer Erzähler wie mit Kamera und Mikrophon hin und her pendelt. Diese Technik bringt hier und da zwar Schwächen in der Erzählführung mit sich, auch Diskrepanzen in der individuellen Charakterisierung des Personals, doch werden solche Mängel von einer besonders kühnen Konstruktion ausgeglichen: Breitbachs erklärte Absicht einlösend, wurde männliche Homosexualität in der deutschsprachigen Literatur zwar selten zuvor so freimütig und unspektakulär thematisiert wie hier, gleichwohl aber hat der Roman eine Frau zur zentralen Schlüsselfigur.
Ein proletarischer Lustknabe
Eine Frau allerdings, wie sie in der Literatur wohl ebenfalls noch nicht vorgekommen ist: Hochfahrend und energisch, flott und forsch, anziehend und abweisend, dabei eingehüllt in einen Kältepanzer, unter dem ein leidenschaftliches Herz pocht und sich widerstreitenden Gefühlen aussetzt, ist Susanne Dasseldorf ein beinahe unmögliches Mischwesen aus Becky Sharp und Lady Chatterley. Als Objekt zweigeschlechtlicher Begierden zählt zwar auch ein Lustknabe – kräftig, proletarisch, liederlich – zum Schlüsselpersonal, doch ist diese Figur eher blass und stereotyp gezeichnet.
Susanne Dasseldorf, ledig und Mitte zwanzig, ist die Juniorchefin einer vorübergehend stillgelegten Fabrik und klassenbewusste Dirigentin des großbürgerlichen Hauses einer Unternehmerfamilie von liberaler und katholischer, patriotischer und antipreußischer Gesinnung. Auf dem Grundstück der Dasseldorfs lebt nicht nur die Gärtnerfamilie Hecker, sondern nimmt auch der amerikanische Major Cather Quartier. Dieser verliebt sich in Susanne, von der er allein schon aus patriotischen Motiven zurückgewiesen wird, wohingegen Susannes heimliches Begehr dem jungen Burschen Peter Hecker gilt, der für mancherlei Vergünstigungen allerdings vorzugsweise Männern – Soldaten wie Zivilisten – dienstbar ist. In ihn hat sich auch Heinrich Schnath, der im Hause Dasseldorf ein- und ausgehende Sekretär von Susannes Bruder, leidenschaftlich vernarrt. Schnath, ein ebenso unglücklicher wie sentimentaler Mensch, für dessen „weibische” Allüren die „mannhafte” Susanne nur Verachtung übrig hat, ist ein gewiefter Intrigant. Seine Spinnengewebe sorgen im Personenkarussell des Romans für entscheidende Drehungen und Wendungen, bis die letzte „Wandlung” von Susanne selbst vollzogen wird: Ganz am Ende des Romans geht sie doch noch die Ehe mit dem amerikanischen Major ein.
Das Karussell der offenen und heimlichen Leidenschaften dreht sich inmitten sozialer und politischer Turbulenzen. Für solche Dynamik hat Breitbach eine moderne Erzählweise gefunden: „Das eine weiß ich jetzt schon sicher”, schrieb er dem Freund Mohr im Januar 1921, „daß der Roman ziemlich lose (zusammen)mosaikt wird, welchen Fehler grandiose Einzelszenen, Dialoge beheben müssen.” Diese sind dem Autor dann auch grandios gelungen, und nicht ganz zufällig ähnelt Breitbachs Erzähltechnik dem Verfahren zeitgenössischer kubistischer Maler. „Ich habe übrigens jetzt hier fabelhafte Entdeckungen gemacht”, berichtet er in einem Brief vom Januar 1924 wiederum dem Maler Mohr: „Die Rheinland-Kommission ist ein Asyl für Dadaisten, Surrealisten, pour toutes sortes de poètes.” Gemeint war der Oberste Wirtschaftsrat der Alliierten Besatzungsmächte, der in Koblenz seinen Sitz hatte und offenbar eine ganze Reihe feinsinniger Intellektueller zu seinen Mitarbeitern zählte.VOLKER BREIDECKER
JOSEPH BREITBACH: Die Wandlung der Susanne Dasseldorf. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 522 Seiten, 24 Euro.
„Ich muß das Buch schreiben”. Briefe und Dokumente zu Joseph Breitbachs Roman „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf”, (beide Bände) herausgegeben von Alexandra Plettenberg-Serban und Wolfgang Mettmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 452 Seiten, 39 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Volker Breidecker preist den Roman "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf", mit der die Werkausgabe von Joseph Breitbach eröffnet wird, als höchst innovativen Roman, der neben ungewöhnlicher Konstruktion und unkonventionellen Hauptfiguren die wohl unverblümteste Darstellung von Homosexualität seiner Zeit zu bieten hat. Das Buch spielt während der amerikanischen Besatzung von Koblenz 1918, in der ein strenges Fraternisierungsverbot für die Amerikaner mit den Deutschen herrschte. Im turbulenten Beziehungsgeflecht um die junge Susanne Dasseldorf, die am Ende einen amerikanischen Offizier heiratet, werden vor dem Horizont der sozialhistorischen und politischen Zeitumstände die amourösen Verwicklungen entfaltet und packend von der dramatischen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erzählt. Mit seinen vielen Hauptfiguren und ständig wechselnden Erzählperspektiven weist der Roman eine originelle Konstruktion auf, der man zwar gewisse "Schwächen in der Erzählführung" vorwerfen könnte, die allerdings durch äußerst brillante Dialoge und Einzelepisoden mehr als ausgeglichen werden, versichert Breidecker.

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