Ein Klassiker der Schwarzen amerikanischen Literatur
Die Watsons sind eine komische Familie - und Meister im Aufstellen schräger Rekorde: So ist Byron, der älteste Sohn, vermutlich der einzige Mensch der Welt, der schon mal mit den Lippen am vereisten Seitenspiegel eines Autos kleben geblieben ist. Und weil der Junge auch sonst nur Blödsinn im Kopf hat, fahren Momma, Dad, er, Bruder Kenny und die kleine Schwester Joetta zur Großmutter nach Birmingham, Alabama. Sie soll Byron zur Vernunft bringen. Doch für die schwarze Familie ist Alabama im Jahr 1963 lebensgefährlich, weil sie hautnah eines der dunkelsten Kapitel US-amerikanischer Geschichte erlebt.
Die Watsons sind eine komische Familie - und Meister im Aufstellen schräger Rekorde: So ist Byron, der älteste Sohn, vermutlich der einzige Mensch der Welt, der schon mal mit den Lippen am vereisten Seitenspiegel eines Autos kleben geblieben ist. Und weil der Junge auch sonst nur Blödsinn im Kopf hat, fahren Momma, Dad, er, Bruder Kenny und die kleine Schwester Joetta zur Großmutter nach Birmingham, Alabama. Sie soll Byron zur Vernunft bringen. Doch für die schwarze Familie ist Alabama im Jahr 1963 lebensgefährlich, weil sie hautnah eines der dunkelsten Kapitel US-amerikanischer Geschichte erlebt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ziemlich begeistert ist Rezensent Fridtjof Küchemann von der Neuauflage dieses im Original im Jahr 1995 veröffentlichten Buchs. Es erzählt, erfahren wir, von der Reise einer Familie von Flint, Michigan nach Birmingham, Alabama, mit dem Ziel, die Großmutter zu besuchen, die Byron, dem ältesten Sohn, die Flausen austreiben soll. Byron setzt insbesondere seinem jungen Bruder Kenneth, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt ist, zu, heißt es weiter, aber auch sonst spielen sich die titelgebenden Watsons gern gegenseitig Streiche. Der Titel verrät ebenfalls, führt Küchemann aus, dass es in dem Buch um die Bürgerrechtsbewegung geht, genauer gesagt um die Proteste gegen die Rassentrennung im amerikanischen Süden. Dramatisch wird diese Geschichte laut Rezensent und man vergisst sie nach dem Lesen nicht so schnell.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2024Wenn dich der Wasserpudel holt
Christopher Paul Curtis' Klassiker neu aufgelegt
Als sie sich schließlich gegenüberstehen, Grandma Sands und Byron, als ältestes ihrer drei Enkelkinder das einzige, das sie zuvor getroffen hat, ist es für Kenneth, den mittleren, als ginge ein Traum in Erfüllung: "Das hier waren die beiden fiesesten, miesesten Leute, von denen ich je gehört hatte, und ich wusste, nur einer von beiden würde diese Begegnung lebend überstehen."
Dabei sind es vor allem die Eltern, die sich in Christopher Paul Curtis' Kinderbuchklassiker "Die Watsons fahren nach Birmingham - 1963" auf dieses Aufeinandertreffen freuen: Sie haben die tausend Meilen von Flint in Michigan, fast schon in der Nähe zur kanadischen Grenze, nach Birmingham in Alabama, diese achtzehn Stunden im Auto nur auf sich genommen, damit die gestrenge Großmutter ihrem ältesten Enkel Manieren beibringt - in der kurzen Zeit des gemeinsamen Familienbesuchs in den Sommerferien, notfalls aber auch, bis in Flint oben im Norden die Schule wieder losgeht.
Was für eine Marke dieser Byron ist, schildert Christopher Paul Curtis in seinem 1995 in Amerika veröffentlichten Buch, dessen Übersetzung zwei Jahre später für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war, mit Genuss - genüsslich lässt er Kenneth erzählen, den begabten, beflissenen, aber eben auch gerade einmal zehn Jahre alten kleinen Bruder, und ein Vergnügen ist es auch für seine Leserschaft: Beim gemeinsamen Eiskratzen an der Familienkutsche kann der Ältere nicht widerstehen, sein Ebenbild im Außenspiegel des Wagens zu küssen, und friert prompt mit den Lippen fest. Zuvor überzieht er seinen jüngeren Bruder mit ausgesuchten Abreibungen, zu denen die strengen Winter in Michigan einige Gelegenheit bieten.
"Die komischen Watsons" wird die Familie von Nachbarn genannt, und dass sie sich diese Zuschreibung selbst zu eigen macht, zeigt ihren Humor. Die fünf nehmen einander auf den Arm, wann immer sich die Gelegenheit bietet, es wird viel gelacht, viel voreinander posiert und der nächste schräge Einfall als Offenbarung vorgestellt, es wird viel mit den Augen gerollt, viel gedroht und heiß geliebt. Das Leben, wie Kenneth es schildert, ist ein Drama bei den komischen Watsons. Es ist schon eines vor den Ereignissen, auf die sie in Alabama zusteuern.
Birmingham, 1963: In den USA rufen Ortsname und Jahreszahl Erinnerungen an die Hochzeit der Bürgerrechtsbewegung wach, an Polizeigewalt selbst gegen Kinder, die auch hier gegen Rassentrennung auf die Straße gegangen waren. Im September 1963 ging hier in einer Kirche eine Bombe hoch, vier Mädchen kamen bei dem Anschlag ums Lebens. Bei Christopher Paul Curtis steht Kenneth schließlich im Geschrei und im Schutt der Kirche, in der Hand einen Lackschuh, wie ihn gerade noch seine kleine Schwester getragen hatte, zu Hause beim Abschied auf dem Weg in die Sonntagsschule.
"Die Watsons fahren nach Birmingham - 1963": So hat Mutter Wilona es auf das Buch geschrieben, in dem sie ihre Reiseplanung akribisch notierte - die Zwischenstopps mit der jeweils auszugebenden Verpflegung, die Übernachtungsmöglichkeiten. Doch Vater Daniel beschließt durchzufahren. Mit zwei Tricks: der sturen Konzentration auf die Straße vor ihm und imitierten Staubsaugergeräuschen, hatte er doch kurz zuvor gelesen, dass dieser Klang jeden Menschen zum Schlafen bringt, ihn also vor lästigen Fragen der Mitreisenden bewahren würde.
Zunächst ist es in Birmingham Kenneth, frisch enttäuscht vom eher harmlosen ersten Aufeinandertreffen von Bruder und Großmutter, der dem Tod ins Auge schaut - in Gestalt eines großen, grauen, kantigen Wesens, das ihn in die Tiefe ziehen will. Er hat alle Warnungen vor einem gefährlichen Wasserstrudel - "Wer hätte denn je von einem Dings namens Wasserpudel gehört?" - im See in den Wind geschlagen und wird in letzter Sekunde gerettet. Ein paar Tage später sieht er in der Kirche den Wasserpudel ein zweites Mal. Wie er und wie die ganze Familie mit dem Entsetzen dieses Anschlags weiterlebt, damit beendet Christopher Paul Curtis sein atemberaubendes Buch, das in den Gedanken seiner Leser noch lange nachhallt. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Christopher Paul Curtis: "Die Watsons fahren nach Birmingham - 1963".
Aus dem Englischen von Gabriele Haefs. Dtv / Reihe Hanser, München 2024. 240 S., geb., 16,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christopher Paul Curtis' Klassiker neu aufgelegt
Als sie sich schließlich gegenüberstehen, Grandma Sands und Byron, als ältestes ihrer drei Enkelkinder das einzige, das sie zuvor getroffen hat, ist es für Kenneth, den mittleren, als ginge ein Traum in Erfüllung: "Das hier waren die beiden fiesesten, miesesten Leute, von denen ich je gehört hatte, und ich wusste, nur einer von beiden würde diese Begegnung lebend überstehen."
Dabei sind es vor allem die Eltern, die sich in Christopher Paul Curtis' Kinderbuchklassiker "Die Watsons fahren nach Birmingham - 1963" auf dieses Aufeinandertreffen freuen: Sie haben die tausend Meilen von Flint in Michigan, fast schon in der Nähe zur kanadischen Grenze, nach Birmingham in Alabama, diese achtzehn Stunden im Auto nur auf sich genommen, damit die gestrenge Großmutter ihrem ältesten Enkel Manieren beibringt - in der kurzen Zeit des gemeinsamen Familienbesuchs in den Sommerferien, notfalls aber auch, bis in Flint oben im Norden die Schule wieder losgeht.
Was für eine Marke dieser Byron ist, schildert Christopher Paul Curtis in seinem 1995 in Amerika veröffentlichten Buch, dessen Übersetzung zwei Jahre später für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war, mit Genuss - genüsslich lässt er Kenneth erzählen, den begabten, beflissenen, aber eben auch gerade einmal zehn Jahre alten kleinen Bruder, und ein Vergnügen ist es auch für seine Leserschaft: Beim gemeinsamen Eiskratzen an der Familienkutsche kann der Ältere nicht widerstehen, sein Ebenbild im Außenspiegel des Wagens zu küssen, und friert prompt mit den Lippen fest. Zuvor überzieht er seinen jüngeren Bruder mit ausgesuchten Abreibungen, zu denen die strengen Winter in Michigan einige Gelegenheit bieten.
"Die komischen Watsons" wird die Familie von Nachbarn genannt, und dass sie sich diese Zuschreibung selbst zu eigen macht, zeigt ihren Humor. Die fünf nehmen einander auf den Arm, wann immer sich die Gelegenheit bietet, es wird viel gelacht, viel voreinander posiert und der nächste schräge Einfall als Offenbarung vorgestellt, es wird viel mit den Augen gerollt, viel gedroht und heiß geliebt. Das Leben, wie Kenneth es schildert, ist ein Drama bei den komischen Watsons. Es ist schon eines vor den Ereignissen, auf die sie in Alabama zusteuern.
Birmingham, 1963: In den USA rufen Ortsname und Jahreszahl Erinnerungen an die Hochzeit der Bürgerrechtsbewegung wach, an Polizeigewalt selbst gegen Kinder, die auch hier gegen Rassentrennung auf die Straße gegangen waren. Im September 1963 ging hier in einer Kirche eine Bombe hoch, vier Mädchen kamen bei dem Anschlag ums Lebens. Bei Christopher Paul Curtis steht Kenneth schließlich im Geschrei und im Schutt der Kirche, in der Hand einen Lackschuh, wie ihn gerade noch seine kleine Schwester getragen hatte, zu Hause beim Abschied auf dem Weg in die Sonntagsschule.
"Die Watsons fahren nach Birmingham - 1963": So hat Mutter Wilona es auf das Buch geschrieben, in dem sie ihre Reiseplanung akribisch notierte - die Zwischenstopps mit der jeweils auszugebenden Verpflegung, die Übernachtungsmöglichkeiten. Doch Vater Daniel beschließt durchzufahren. Mit zwei Tricks: der sturen Konzentration auf die Straße vor ihm und imitierten Staubsaugergeräuschen, hatte er doch kurz zuvor gelesen, dass dieser Klang jeden Menschen zum Schlafen bringt, ihn also vor lästigen Fragen der Mitreisenden bewahren würde.
Zunächst ist es in Birmingham Kenneth, frisch enttäuscht vom eher harmlosen ersten Aufeinandertreffen von Bruder und Großmutter, der dem Tod ins Auge schaut - in Gestalt eines großen, grauen, kantigen Wesens, das ihn in die Tiefe ziehen will. Er hat alle Warnungen vor einem gefährlichen Wasserstrudel - "Wer hätte denn je von einem Dings namens Wasserpudel gehört?" - im See in den Wind geschlagen und wird in letzter Sekunde gerettet. Ein paar Tage später sieht er in der Kirche den Wasserpudel ein zweites Mal. Wie er und wie die ganze Familie mit dem Entsetzen dieses Anschlags weiterlebt, damit beendet Christopher Paul Curtis sein atemberaubendes Buch, das in den Gedanken seiner Leser noch lange nachhallt. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Christopher Paul Curtis: "Die Watsons fahren nach Birmingham - 1963".
Aus dem Englischen von Gabriele Haefs. Dtv / Reihe Hanser, München 2024. 240 S., geb., 16,- Euro. Ab 10 J.
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Eine furiose (Reise-)Geschichte. Christine Knödler Süddeutsche Zeitung 20240712