Die schöne und kultivierte Emma Watson, die seit ihrem fünften Lebensjahr von einer wohlhabenden Tante erzogen wird, muß - 19jährig - zu ihrer wenig begüterten Familie zurückkehren. Zwei Herren machen ihr alsbald den Hof... Dieser Roman wurde von Jane Austen 1804 begonnen, der Umstände wegen aber nicht vollendet. Nach Entwürfen und Überlieferungen der Nachkommen der Familie Austen führte ihn ein anonymer Austen-Leser einfühlsam und auf unterhaltsame Weise zum Happy-End.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2011NEUE TASCHENBÜCHER
Jane Austen ohne
Ringellöckchen
„Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein alleinstehender Mann, der ein gutes Vermögen besitzt, eine Frau braucht.“ Im ersten Satz von „Stolz und Vorurteil“ fasst Jane Austen (1775-1817) selbst das Thema all ihrer sechs veröffentlichten Romane in kürzester Form zusammen. Und auch ihre drei unvollendeten Romane „Die Watsons“, „Lady Susan“ und „Sanditon“ bilden diesbezüglich keine Ausnahme.
Noch zutreffender wäre allerdings die Formulierung, dass eine alleinstehende Frau, die keinerlei Vermögen besitzt, einen Mann braucht. Beide Sätze zusammen beschreiben das Spannungsverhältnis im Werk der englischen Autorin: Eheglück als der gelungene Versuch, Gefühl und Verstand, Herzenswahl und Versorgungsnot miteinander in Einklang zu bringen. Eine Abweichung stellt der vermutlich zwischen 1801 und 1805 entstandene Briefroman „Lady Susan“ insofern dar, als er das einzige Werk von Jane Austen ist, das nicht eine honette und heiratswillige junge Frau zur Heldin hat, sondern eine reife, amoralische Salonschlange, für die möglicherweise die Marquise de Merteuil aus de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften das Vorbild war. Jane Austen hat den Roman jedoch ebenso verworfen wie „Die Watsons“, die oft als Vorstufe zu „Emma“ betrachtet werden. Es könnte sein, dass sie diese beiden sehr freimütigen und daher heiklen „Inbetweenities“, die zwischen ihren literarischen Anfängen und den großen Romanen entstanden, aufgab, weil sie Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte.
Anders verhält es sich mit „Sanditon“, den die damals bereits schwerkranke Jane Austen vor ihrem Tod nicht über die Exposition hinaus entwickeln konnte, dessen Anlage jedoch vermuten lässt, dass er ihr vielschichtigster Roman hätte werden können. Alle drei Fragmente gewähren einen aufschlussreichen Einblick in die Blaupausen der Autorin, zeigen in der schnörkellosen, unblumigen Übersetzung von Ursula und Christian Grawe eine noch schärfere, illusionslosere Beobachterin ihrer Zeit –eine Jane Austen ohne Ringellöckchen.
Christopher Schmidt
Jane Austen:
Die Watsons / Lady Susan / Sanditon. Hrsg. v. Ursula und Christian Grawe. Reclam, Stuttgart 2011. 259 S., 8,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jane Austen ohne
Ringellöckchen
„Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein alleinstehender Mann, der ein gutes Vermögen besitzt, eine Frau braucht.“ Im ersten Satz von „Stolz und Vorurteil“ fasst Jane Austen (1775-1817) selbst das Thema all ihrer sechs veröffentlichten Romane in kürzester Form zusammen. Und auch ihre drei unvollendeten Romane „Die Watsons“, „Lady Susan“ und „Sanditon“ bilden diesbezüglich keine Ausnahme.
Noch zutreffender wäre allerdings die Formulierung, dass eine alleinstehende Frau, die keinerlei Vermögen besitzt, einen Mann braucht. Beide Sätze zusammen beschreiben das Spannungsverhältnis im Werk der englischen Autorin: Eheglück als der gelungene Versuch, Gefühl und Verstand, Herzenswahl und Versorgungsnot miteinander in Einklang zu bringen. Eine Abweichung stellt der vermutlich zwischen 1801 und 1805 entstandene Briefroman „Lady Susan“ insofern dar, als er das einzige Werk von Jane Austen ist, das nicht eine honette und heiratswillige junge Frau zur Heldin hat, sondern eine reife, amoralische Salonschlange, für die möglicherweise die Marquise de Merteuil aus de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften das Vorbild war. Jane Austen hat den Roman jedoch ebenso verworfen wie „Die Watsons“, die oft als Vorstufe zu „Emma“ betrachtet werden. Es könnte sein, dass sie diese beiden sehr freimütigen und daher heiklen „Inbetweenities“, die zwischen ihren literarischen Anfängen und den großen Romanen entstanden, aufgab, weil sie Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte.
Anders verhält es sich mit „Sanditon“, den die damals bereits schwerkranke Jane Austen vor ihrem Tod nicht über die Exposition hinaus entwickeln konnte, dessen Anlage jedoch vermuten lässt, dass er ihr vielschichtigster Roman hätte werden können. Alle drei Fragmente gewähren einen aufschlussreichen Einblick in die Blaupausen der Autorin, zeigen in der schnörkellosen, unblumigen Übersetzung von Ursula und Christian Grawe eine noch schärfere, illusionslosere Beobachterin ihrer Zeit –eine Jane Austen ohne Ringellöckchen.
Christopher Schmidt
Jane Austen:
Die Watsons / Lady Susan / Sanditon. Hrsg. v. Ursula und Christian Grawe. Reclam, Stuttgart 2011. 259 S., 8,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de