Der schlesische Weberaufstand von 1844. In dichten, beklemmenden Bildern erzählt Gerhart Hauptmann in seinem bekanntesten Drama 'Die Weber' von Armut und Elend der geknechteten Arbeiter. Ein Kind bricht zusammen, Widerstand beginnt sich zu regen. Doch die Aussichten auf ein besseres, würdigeres Leben sind gering. - Das spätere Drama 'Die Ratten' versetzt in das Kleinbürgermilieu der Kaiserzeit. Gegen die Muttertragödie der Frau John, die ein gekauftes Kind als das eigene ausgibt, ist die groteske Geschichte des Theaterdirektors Hassenreuter gesetzt, der im selben Mietshaus Schiller probt. Ein Plädoyer für den Realismus des neuen naturalistischen Dramas.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2021Kollateralschaden
Bei manchen Texten bin ich fest davon überzeugt, dass sie nur geschrieben wurden, damit sich alle für den Deutschunterricht der elften Klasse vorgeschriebenen Lernziele ohne irgendeine intellektuelle Anstrengung aus ihnen herauslesen lassen. Dass diese Texte Schülerinnen und Schülern die Literatur gründlich verleiden, ist ein Kollateralschaden, den man halt in Kauf nimmt. Gerhart Hauptmanns Stück "Die Ratten" gehört zweifellos zu diesen Texten. Und unser Deutschlehrer hatte das nicht allzu seltene Talent, diesen Text so aufzubereiten, dass keine Zeile ihrer didaktischen Funktion entkam. Naturalismus, etwas Expressionismus, bisschen Tragödie, bisschen Komödie, Sozialkritik - das war wie die trostlose Parodie der Afri-Cola-Werbung, die wir damals toll fanden: "Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola, alles ist in Afri-Cola". In den "Ratten" war für uns 15- oder 16-Jährige nur Raum für schlechte Witze, die ich in meiner Ausgabe aus der Reihe "Ullstein Theater Texte" nachlesen kann. Erstaunlich ist daran eigentlich nur, dass ich das Buch aufgehoben habe. Der Name Pauline Piperkarcka - ja, okay, geschenkt. Harro Hassenreuter klang wie Donald Ducks Hürdenlauf-Konkurrent Harro Hopper, Quaquaro, Käferstein und Kielbacke wie selbst gedichtet, und den Berliner Dialekt empfand man als eine Halskrankheit, wenn wir mit verteilten Rollen eine Passage vorlesen mussten. Beim Blick ins Buch heute weiß man, dass Maximilian Harden recht hatte, der das Stück nach der Uraufführung 1911 ein "Dutzendmelodram" nannte. Klar, dass wir damals auch nichts von Siegfried Jacobsohns Urteil erfuhren: "Keine Lehre, kein Sinn, keine Erschütterung, kein Lächeln und nicht einmal irgend ein grober Theatereffekt." Wir hatten bloß das dunkle Gefühl: Wenn in der deutschen Literatur Ratten auftauchen, wird es todlangweilig. Wolfgang Borcherts "Nachts schlafen die Ratten doch" war eine traumatische Mittelstufenerinnerung. Aber man soll gerecht sein. Wenn ich heute im Stück den Piperkarcka-Satz lese "Ick stürze mir Landwehrkanal", denke ich sofort: "Isch geh Aldi". Immerhin.
Peter Körte
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei manchen Texten bin ich fest davon überzeugt, dass sie nur geschrieben wurden, damit sich alle für den Deutschunterricht der elften Klasse vorgeschriebenen Lernziele ohne irgendeine intellektuelle Anstrengung aus ihnen herauslesen lassen. Dass diese Texte Schülerinnen und Schülern die Literatur gründlich verleiden, ist ein Kollateralschaden, den man halt in Kauf nimmt. Gerhart Hauptmanns Stück "Die Ratten" gehört zweifellos zu diesen Texten. Und unser Deutschlehrer hatte das nicht allzu seltene Talent, diesen Text so aufzubereiten, dass keine Zeile ihrer didaktischen Funktion entkam. Naturalismus, etwas Expressionismus, bisschen Tragödie, bisschen Komödie, Sozialkritik - das war wie die trostlose Parodie der Afri-Cola-Werbung, die wir damals toll fanden: "Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola, alles ist in Afri-Cola". In den "Ratten" war für uns 15- oder 16-Jährige nur Raum für schlechte Witze, die ich in meiner Ausgabe aus der Reihe "Ullstein Theater Texte" nachlesen kann. Erstaunlich ist daran eigentlich nur, dass ich das Buch aufgehoben habe. Der Name Pauline Piperkarcka - ja, okay, geschenkt. Harro Hassenreuter klang wie Donald Ducks Hürdenlauf-Konkurrent Harro Hopper, Quaquaro, Käferstein und Kielbacke wie selbst gedichtet, und den Berliner Dialekt empfand man als eine Halskrankheit, wenn wir mit verteilten Rollen eine Passage vorlesen mussten. Beim Blick ins Buch heute weiß man, dass Maximilian Harden recht hatte, der das Stück nach der Uraufführung 1911 ein "Dutzendmelodram" nannte. Klar, dass wir damals auch nichts von Siegfried Jacobsohns Urteil erfuhren: "Keine Lehre, kein Sinn, keine Erschütterung, kein Lächeln und nicht einmal irgend ein grober Theatereffekt." Wir hatten bloß das dunkle Gefühl: Wenn in der deutschen Literatur Ratten auftauchen, wird es todlangweilig. Wolfgang Borcherts "Nachts schlafen die Ratten doch" war eine traumatische Mittelstufenerinnerung. Aber man soll gerecht sein. Wenn ich heute im Stück den Piperkarcka-Satz lese "Ick stürze mir Landwehrkanal", denke ich sofort: "Isch geh Aldi". Immerhin.
Peter Körte
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