James Cheshire und Oliver Uberti zeigen uns mit Hilfe neuester digitaler Daten etwas, das bis vor kurzem noch ein Mysterium war: weshalb und wohin die Tiere wandern. Auf vielen liebevoll gestalteten, großformatigen Karten und Infografiken durchqueren Schildkröten ganze Ozeane, machen Wale an Unterwassergebirgen Rast und weichen riesige Waldsänger-Schwärme Tornados aus. Wir sehen erstmals, wohin Elefanten vor Wilderern fliehen, wie Otter kalifornische Küstengebiete zurückerobern, wie niederländische Seeschwalben den Weltrekord der längsten Tierwanderung brechen und wohin Wale vor Lärm fliehen. Dieser faszinierende Bildband ist ein ideales Geschenk für jeden Natur- und Tierliebhaber.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2018Geotracking
Moderne Technik folgt den
Tieren auf ihren Wanderungen
Die Schildkröte Fisher schwamm innerhalb von 350 Tagen knapp 11 600 Kilometer weit, von North Carolina an der amerikanischen Ostküste quer durch den Atlantik bis zu den Kapverdischen Inseln vor der Westküste Afrikas. Zwischendurch tauchte sie in Tiefen bis zu 50 Metern, um sich Hummer oder Krabben zu holen. Die Meeresströmungen nutzte Fisher kaum aus, sonst wäre er auch eher in Spanien gelandet. Meeresschildkröten sind ziemlich rätselhafte Tiere, über deren erste Jahre man kaum etwas weiß, Forscher nennen sie „verlorene Jahre“. Erst wenn sie mit rund 15 bis 30 Jahren geschlechtsreif sind, kehren sie an den Strand zurück, an dem sie geboren sind. Dazwischen durchschwimmen sie die Weltmeere.
Dass Forscher Fishers Reise so gut verfolgen konnten, hängt mit miniaturisierten Funksendern und vor allem der GPS-Technik zusammen. Sie ist mittlerweile in der Lage, nicht nur alle paar Sekunden geografische Daten zu liefern, sondern übermittelt auch Zusatzinformationen aus Sensoren wie Temperatur oder Wassertiefe. So lassen sich „Die Wege der Tiere“ verfolgen, die nun der Geograf James Cheshire vom University College in London zusammen mit dem Gestalter Oliver Uberti in seinem Buch vorstellt. Zu Land, zu Wasser und in der Luft dokumentieren sie insgesamt
50 Wanderrouten und Zugwege einzelner Tiere, die die Kontinente durchstreifen. Es geht um Riesenkrokodile wie Big Dunc aus den Northern Territories in Australien, der die Mündung eines Flusses gegen kleinere Artgenossen verteidigt, um holländische Seeschwalben, die Jahr für Jahr für ihre Reise ins Winterquartier und zurück 90 000 Kilometer fliegen, um Albatrosse, die ihr Leben lang den Südpol umkreisen, oder Blauwale, die mit knapp 3000 Metern so tief tauchen können wie kein anderes Säugetier.
Die Datensätze enthalten auch dramatische Geschichten einzelner Tiere. Forscher ergänzen sie in längeren, spannenden Begleittexten mit eigenen Beobachtungen und ordnen die Untersuchungen wissenschaftlich ein, die Beschreibungen sind auch für Jugendliche gut verständlich. Das moderne Geotracking führt die Forscher auch auf unbekannte Verhaltensweisen der Tiere, die neue Rätsel aufgeben. Buckelwale beispielsweise halten sich auf dem Weg zwischen Regionen, in denen sie jagen, und solchen, in denen sie sich zur Paarung treffen, relativ lange in der Nähe von Tiefseebergen auf. Ob sie dort rasten, die Unterwasserberge simple Wegmarkierungen sind oder gar soziale Treffpunkte, ist völlig unklar. Hinter den Daten verbergen sich lustige und traurige Geschichten. Etwa die Geschichte der Elefantenkuh Bahati aus Mali, die nach ihrer Rettung aus einem Schlammloch, in das sie gefallen war, alleine 83 Kilometer in zwei Tagen zurücklegte, um ihre Herde zu finden. Und die von der alten und wohl geachteten Elefantenkuh Eleanor, deren Familie und Herdenmitglieder zwei Wochen um sie trauerten und die tote Eleanor nicht verließen.
Es ist diese Mischung aus Nähe und wissenschaftlicher Distanz, die dieses Buch so besonders macht. Wissenschaftlich geht es um die Erforschung von Verhaltensweisen und um Tierschutz. Doch diese Themen kommen einem beim Studieren der auf großen, aufwendig gestalteten Karten nachzuverfolgenden Pfade und dem Lesen der Hintergrundgeschichten vor allem auch emotional näher. Am Ende widmen sich die Autoren den Wegen der Menschen. Cheshire ist eigentlich Humangeograf, das heißt, er versucht, Daten auszuwerten, um das räumliche Verhalten von Menschen zu verstehen. Letztlich, so Cheshire, verrät die gleiche GPS-Technologie, die Forscher zum Tracken von Tieren verwenden, oder auch Plattformen wie Twitter etwas über den Aktionsraum und die Wanderwege von Menschen. Ob wir das wollen, ist eine andere Frage.
HUBERT FILSER
James Cheshire, Oliver Uberti: Die Wege der Tiere. Ihre Wanderungen zu Wasser und in der Luft – in 50 Karten. Aus dem Englischen von Claudia Block. Hanser Verlag, München 2017. 174 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Moderne Technik folgt den
Tieren auf ihren Wanderungen
Die Schildkröte Fisher schwamm innerhalb von 350 Tagen knapp 11 600 Kilometer weit, von North Carolina an der amerikanischen Ostküste quer durch den Atlantik bis zu den Kapverdischen Inseln vor der Westküste Afrikas. Zwischendurch tauchte sie in Tiefen bis zu 50 Metern, um sich Hummer oder Krabben zu holen. Die Meeresströmungen nutzte Fisher kaum aus, sonst wäre er auch eher in Spanien gelandet. Meeresschildkröten sind ziemlich rätselhafte Tiere, über deren erste Jahre man kaum etwas weiß, Forscher nennen sie „verlorene Jahre“. Erst wenn sie mit rund 15 bis 30 Jahren geschlechtsreif sind, kehren sie an den Strand zurück, an dem sie geboren sind. Dazwischen durchschwimmen sie die Weltmeere.
Dass Forscher Fishers Reise so gut verfolgen konnten, hängt mit miniaturisierten Funksendern und vor allem der GPS-Technik zusammen. Sie ist mittlerweile in der Lage, nicht nur alle paar Sekunden geografische Daten zu liefern, sondern übermittelt auch Zusatzinformationen aus Sensoren wie Temperatur oder Wassertiefe. So lassen sich „Die Wege der Tiere“ verfolgen, die nun der Geograf James Cheshire vom University College in London zusammen mit dem Gestalter Oliver Uberti in seinem Buch vorstellt. Zu Land, zu Wasser und in der Luft dokumentieren sie insgesamt
50 Wanderrouten und Zugwege einzelner Tiere, die die Kontinente durchstreifen. Es geht um Riesenkrokodile wie Big Dunc aus den Northern Territories in Australien, der die Mündung eines Flusses gegen kleinere Artgenossen verteidigt, um holländische Seeschwalben, die Jahr für Jahr für ihre Reise ins Winterquartier und zurück 90 000 Kilometer fliegen, um Albatrosse, die ihr Leben lang den Südpol umkreisen, oder Blauwale, die mit knapp 3000 Metern so tief tauchen können wie kein anderes Säugetier.
Die Datensätze enthalten auch dramatische Geschichten einzelner Tiere. Forscher ergänzen sie in längeren, spannenden Begleittexten mit eigenen Beobachtungen und ordnen die Untersuchungen wissenschaftlich ein, die Beschreibungen sind auch für Jugendliche gut verständlich. Das moderne Geotracking führt die Forscher auch auf unbekannte Verhaltensweisen der Tiere, die neue Rätsel aufgeben. Buckelwale beispielsweise halten sich auf dem Weg zwischen Regionen, in denen sie jagen, und solchen, in denen sie sich zur Paarung treffen, relativ lange in der Nähe von Tiefseebergen auf. Ob sie dort rasten, die Unterwasserberge simple Wegmarkierungen sind oder gar soziale Treffpunkte, ist völlig unklar. Hinter den Daten verbergen sich lustige und traurige Geschichten. Etwa die Geschichte der Elefantenkuh Bahati aus Mali, die nach ihrer Rettung aus einem Schlammloch, in das sie gefallen war, alleine 83 Kilometer in zwei Tagen zurücklegte, um ihre Herde zu finden. Und die von der alten und wohl geachteten Elefantenkuh Eleanor, deren Familie und Herdenmitglieder zwei Wochen um sie trauerten und die tote Eleanor nicht verließen.
Es ist diese Mischung aus Nähe und wissenschaftlicher Distanz, die dieses Buch so besonders macht. Wissenschaftlich geht es um die Erforschung von Verhaltensweisen und um Tierschutz. Doch diese Themen kommen einem beim Studieren der auf großen, aufwendig gestalteten Karten nachzuverfolgenden Pfade und dem Lesen der Hintergrundgeschichten vor allem auch emotional näher. Am Ende widmen sich die Autoren den Wegen der Menschen. Cheshire ist eigentlich Humangeograf, das heißt, er versucht, Daten auszuwerten, um das räumliche Verhalten von Menschen zu verstehen. Letztlich, so Cheshire, verrät die gleiche GPS-Technologie, die Forscher zum Tracken von Tieren verwenden, oder auch Plattformen wie Twitter etwas über den Aktionsraum und die Wanderwege von Menschen. Ob wir das wollen, ist eine andere Frage.
HUBERT FILSER
James Cheshire, Oliver Uberti: Die Wege der Tiere. Ihre Wanderungen zu Wasser und in der Luft – in 50 Karten. Aus dem Englischen von Claudia Block. Hanser Verlag, München 2017. 174 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Es ist diese Mischung aus Nähe und wissenschaftlicher Distanz, die dieses Buch so besonders macht." Hubert Filser, Süddeutsche Zeitung, 16.02.18
"Überraschend und informativ." Brigitte, 26/2017
"Ein echter Wissenschatz für Tier-Fans." Katharina Mahrenholtz, NDR, 05.12.17
"Der Titel und die nostalgisch-schicke Umschlaggestaltung lassen einen Bildband vermuten. Doch es braucht stets den Text, um das Wunder in der Grafik zu erkennen: Das sind wahre Augenöffner. Ein Buch wie eine Wundertüte: 50 visualisierte, datenbasierte Entdeckungen und Einsichten in verborgene Details und Rätsel, die nur mit Hightech zu gewinnen waren." Frank Patalong, SPIEGEL ONLINE, 23.11.17
"Wer die Muße hat, den Routen auf den Karten mit den Augen zu folgen, kommt den Tieren eigentümlich nah." Sven Stillich, Zeit Wissen, November 2017
"Ob es nun Buckelwale auf der Suche nach Tiefseebergen oder wandernde Zebras sind: Sie alle machen viele Meter. Wie und wo sie unterwegs sind, zeigen die Karten dieses prachtvollen Buchs." Der Standard, 31.10.17
"Überraschend und informativ." Brigitte, 26/2017
"Ein echter Wissenschatz für Tier-Fans." Katharina Mahrenholtz, NDR, 05.12.17
"Der Titel und die nostalgisch-schicke Umschlaggestaltung lassen einen Bildband vermuten. Doch es braucht stets den Text, um das Wunder in der Grafik zu erkennen: Das sind wahre Augenöffner. Ein Buch wie eine Wundertüte: 50 visualisierte, datenbasierte Entdeckungen und Einsichten in verborgene Details und Rätsel, die nur mit Hightech zu gewinnen waren." Frank Patalong, SPIEGEL ONLINE, 23.11.17
"Wer die Muße hat, den Routen auf den Karten mit den Augen zu folgen, kommt den Tieren eigentümlich nah." Sven Stillich, Zeit Wissen, November 2017
"Ob es nun Buckelwale auf der Suche nach Tiefseebergen oder wandernde Zebras sind: Sie alle machen viele Meter. Wie und wo sie unterwegs sind, zeigen die Karten dieses prachtvollen Buchs." Der Standard, 31.10.17