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Die Geschichte der Wehrmacht mit ihren Höhen und Tiefen ist und bleibt ein offenbar schwieriges und wichtiges Thema der Zeitgeschichte. Hier wird sie erstmals in einer umfassenden, vielschichtigen Weise dargestellt, wobei anerkannte Historiker des In- und Auslandes zu Wort kommen. Damit liegt endlich eine differenzierte, wissenschaftlich solide Sammlung von Darstellungen zur Geschichte der Wehrmacht im "Dritten Reich" vor.
Zielgruppe: Historiker, Militärhistoriker

Produktbeschreibung
Die Geschichte der Wehrmacht mit ihren Höhen und Tiefen ist und bleibt ein offenbar schwieriges und wichtiges Thema der Zeitgeschichte. Hier wird sie erstmals in einer umfassenden, vielschichtigen Weise dargestellt, wobei anerkannte Historiker des In- und Auslandes zu Wort kommen. Damit liegt endlich eine differenzierte, wissenschaftlich solide Sammlung von Darstellungen zur Geschichte der Wehrmacht im "Dritten Reich" vor.

Zielgruppe: Historiker, Militärhistoriker
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1999

Vom Gewöhnlichen das Ungewöhnliche scheiden
Ein ehrgeiziger Sammelband über die Wehrmacht

Rolf-Dieter Müller, Hans-Erich Volkmann (Herausgeber): Die Wehrmacht, Mythos und Realität. R. Oldenbourg Verlag, München 1999. 1318 Seiten, 98,- Mark.

Vor zwei Jahren, mitten in dem öffentlichen Meinungsstreit, den die agitatorische Hamburger Wehrmachtausstellung angefacht hatte, veranstaltete das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr in Potsdam eine international besetzte wissenschaftliche Tagung über die Wehrmacht. Aus ihr ist ein dicker Sammelband hervorgegangen. Über den Inhalt von rund sechzig Vorträgen kann man nur mit einiger Willkür berichten. Von vornherein ist den Veranstaltern des Kongresses und den Herausgebern des Buches das Kompliment zu machen, den komplexen Gegenstand von vielen Seiten in den Blick genommen zu haben, im Einzelnen freilich mit unterschiedlichem Erfolg.

Um ein Beispiel für mehrere zu nennen: Karl-Heinz Janßens Beitrag über die Zielvorstellungen der Wehrmachtführung in der Zwischenkriegszeit fehlt jede Einfühlung dafür, in welcher Weise die außenpolitischen und militärischen Eliten mit der Niederlage von 1918 und mit Versailles eben nicht fertig wurden. Das Zeitalter des Imperialismus war 1919 zwar objektiv vorbei - aber nicht in den Köpfen derer, die von ihm geprägt worden waren. "Versailles" war ringsum in Europa eine Obsession, für die Gewinner ebenso wie die Verlierer. Ein vergleichender Blick über die Grenzen, wie ihn Rolf-Dieter Müller in seiner exzellenten Einleitung anmahnt, hätte vor manchen Einseitigkeiten bewahrt.

Verständnis für die andere Zeit, für die Herkunft der Irrtümer, Selbsttäuschungen und der Schwäche der moralischen Urteilskraft in der Generalität ist selbst in dem Beitrag von Erich Volkmann, einem der beiden Herausgeber des Bandes, knapp. Da herrscht ein gereizter, streitbarer Ton, ein akkusatorisches Argumentieren mit "hätten" und "müssen". Man hätte die Geschichte gern ruhiger und stringenter erzählt gelesen. Es ist bekannt, dass Blomberg und Reichenau alles in ihrer Macht Stehende taten, die Organisation der Reichswehr/Wehrmacht so schnell wie möglich im "Staat der deutschen Wiedergeburt, im Reiche Adolf Hitlers" aufgehen zu lassen, wie sie sich im "Völkischen Beobachter" ausdrückten. Dennoch waren die beiden nicht die ganze Wehrmachtführung. Volkmann schreibt selbst, von früh an habe es eine "Teilidentität" der Wehrmachtführung mit den innen- und außenpolitischen Zielsetzungen des NS-Staates gegeben. Welche sind auf dem "Weg von Blomberg zu Keitel" gemeint? Zu welchen Zeitpunkten, wie und warum?

Lebenswille.

Teil-Identität impliziert Teil-Verschiedenheit. Sie drückte sich aus im Zwiespalt der militärischen Führung zwischen Vorbehalten gegen die Person Hitlers und der Erwartung, daß er die außenpolitische Stellung Deutschlands und das militärische Instrument stärken werde. Ein Irrtum lag in der Annahme, die Autonomie der Streitkräfte könne erhalten werden, wenn die militärische Führung der NS-Führung politisch nicht dreinrede. Ein anderer Irrtum lag im Unverständnis für die Begrenztheit aller Prinzipien. Auch für den Primat der politischen Führung und die ihm entsprechende Gehorsampflicht von Soldaten gibt es Grenzen. Beide Irrtümer ermöglichten einerseits die zunächst nur partielle Selbsteinfügung der Reichswehr in Hitlers Staat, andererseits auch das Bewusstsein des eigenen Sonderwesens. Nicht ohne Grund bot sich die Wehrmacht den Augen der ausländischen Militärattachés stets als besser dar als das Regime. Sie hielten die Wehrmacht für ein Residuum potentiellen Widerstands. Mehrere Beiträge des Buches bestätigen das.

Der riesige Stoff des Buches wird in sieben Abschnitten präsentiert: über die Führung der Wehrmacht, ihr Bild in den Augen auswärtiger Regierungen, ihre militärische Professionalität, ihre Sozialgeschichte, Mentalitäten, die Teilnahme am Unrechtsstaat und schließlich die Nachkriegsgeschichte der Wehrmacht: Gefangenschaft, "Umerziehung" und das Bild der Wehrmacht in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten.

Ein so angelegtes Buch kann nicht durchweg Neues sagen, doch gibt es dem Leser einen guten Überblick über den gegenwärtigen Stand - und auch den Zustand - der Wehrmacht-Forschung in Deutschland und in englischsprachigen Ländern. Am Anfang stand, beginnend bei dem in den Nürnberger Prozessen ausgebreiteten Quellenmaterial, die Erforschung der Groß-Verbrechen in Osteuropa. Die Geschichte der Themenwechsel spiegelt die Geschichte von fünfzig Nachkriegsjahren. Rolf-Dieter Müller warnt nicht ohne triftigen Grund vor der politischen Instrumentalisierung der Zeitgeschichte mit ihrem fatalen Verlangen nach scharfen, plakativen Urteilen. Man solle endlich den Weg weg von der "Geschichtspolitik" zur Historisierung des Wehrmachtthemas finden. Denn "die Wehrmacht ist nicht mehr Teil unserer Gegenwart, auch nicht als ernst zu nehmendes Schreckgespenst unserer politischen Kultur oder gar unserer Militärpolitik", sagt er gegen Wolfram Wette.

In der zweiten Forschungsperiode, im Kalten Krieg, interessierte sich die anglophone Forschung sehr für die Frage, warum die Wehrmacht trotz des Fehlens einer rationalen strategischen Planung zu außerordentlichen militärischen Leistungen befähigt blieb und fast bis in die letzten Tage des Regimes zusammenhielt (Beiträge van Crefeld und Frieser). Verwunderlich ist das allerdings, wenn man nicht oder jetzt auch in Deutschland nicht mehr die Angst der Soldaten der Ostfront kennt, einem grausamen Gegner in die Hand zu fallen, und im Westen, nach dem 20. Juli 1944, nicht mehr den mörderischen Durchhalte-Terror der NS-Führung mit ihren Standgerichten. Man kämpfte, um das Ende des "Dritten Reiches" lebendig zu überstehen. Heinrich Schwendemann arbeitet es zutreffend heraus und widerspricht damit Hew Strachan und Omar Bartow, die das Durchhalten bis zum Schluss auf die ideologische Durchdringung der Wehrmacht zurückführten.

Thomas Kühne bemüht statt dessen einen besonderen "Kameradschaftsmythos" in der Wehrmacht unter dem Eindruck von Überhöhungen männerbündlerischer Kameradschaft in einer gewissen Literatur. Die meisten Soldaten dachten übereinander durchaus nicht in der Tonart des Liedes vom guten Kameraden. Aber dass in äußerster Gefahr das eigene Überleben von Kameraden abhängt, und dass man möglichst überleben will - das ist in jeder Truppe so.

Wie viel taugen Sammlungen privater Feldpostbriefe zur Erforschung der Nazifizierung der Wehrmacht? Klaus Latzel erhebt dagegen erhebliche methodische Einwände. Er rät zu differenziertem Umgang mit solchen Zeugnissen. NS-Ideologie habe nicht zur "Primärausstattung" der Soldaten der Wehrmacht gehört, urteilt er, aber sie habe dazu beigetragen, die Wahrnehmung des Feindes zu radikalisieren.

Spätestens im Falle "Barbarossa", dem Krieg gegen die Sowjetunion, befand sich die Wehrmachtführung in einer umfassenden Mitverantwortung für die Verbrechen des Regimes, "beispiellos in der deutschen Geschichte", wie Rolf-Dieter Müller schreibt. Dem steht nicht entgegen, dass die Trennung der Aufgaben von Heer und SS-Verbänden Millionen von Soldaten der Ostarmee nie mit den Mordtaten der SS- und Polizeiverbände in unmittelbare Berührung kommen ließ. Besonders der Partisanenkrieg beförderte die "Nazifizierung" der Armee. Aber das sei "beiden Seiten anzulasten".

Erste Nachkriegs-Generation.

Lutz Klinkhammer billigt den Partisanen ein Notwehrrecht zu, das er sogar noch für die Wahl grausamer Mittel gelten lassen will. Doch lässt er Hannes Heer und Klaus Naumann nicht durchgehen, dass sie (in: "Vernichtungskrieg") die Partisanen-Bekämpfung als gleichbedeutend mit Massenmord an der zivilen, vor allem der jüdischen Bevölkerung behandeln.

Ein Beitrag von Bernhard Chiari fällt wegen seiner originellen Darstellungsform auf. Er fügt wirkliche Nachrichten aus Regionalarchiven in Weißrußland zwischen 1939 und 1944 zum Bild eines fiktiven Dorfes zusammen. Der Einbruch des Krieges in das Dorf öffnete eine "Büchse der Pandora". Die neu eingesetzten Dorfältesten und die Dorfbewohner geraten zwischen die Mühlsteine der Besatzungsmacht und der Partisanen. Er schildert Requirierungen beider Seiten, Verrätereien untereinander, Drohungen, Racheakte, Morde, Fluchten und am Ende die Rückkehr der anderen Diktatur. Chiaras Aufsatz ist der einzige Beitrag über die Unrechtstaten, in dem auch der Feind ins Bild kommt.

Eine der glänzendsten Schilderungen des Bandes gilt einem Nebenthema, den Luftwaffen-Helfern, namentlich denen des Jahrgangs 1928. Rolf Schörken beschreibt prägende Erlebnisse, Erfahrungen und Attitüden der damals Fünfzehn- und Sechzehnjährigen, auch ihre Wachheit und ihre frühreife Gelassenheit; gleichsam ein Bildungroman. Schörken nennt sie die "erste Generation, die von der NS-Ideologie fast gar nicht mehr erreicht wurde", und die "erste Nachkriegsgeneration noch mitten im Dritten Reich". Ein Einzelner schaut hier auf seine eigene Situation zurück - und man bemerkt überrascht, dass andere dies alles anderswo in Deutschland genauso erlebt haben.

Eberhard Jäckel stellt eine Überlegung an, die man als Resümee des Buches lesen kann: Für eine Bilanz der deutschen Militärgeschichte müsse man das Gewöhnliche vom Ungewöhnlichen unterscheiden. Ungewöhnlich war nicht, dass die Wehrmacht den Weisungen der Staatsführung folgte. "Das tun in der Regel alle Teile des Staatsapparates und alle Armeen der Welt." Ungewöhnlich war, dass die deutsche Armee sich dabei an verbrecherischen Maßnahmen beteiligte. Ungewöhnlich war aber auch, dass sie der politischen Führung dreimal Widerspruch und Widerstand entgegensetzte. Das hatte es in der früheren deutschen Militärgeschichte nicht gegeben. Erst wenn man sich diese Grundtatsachen klarmacht, kann man das Thema sachgerecht behandeln.

GÜNTHER GILLESSEN

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