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Der Stempel "Secret" ausgebleicht, die eng beschriebenenSchreibmaschinenseiten vergilbt, so lag sie jahrzehntelang unentdeckt im Nationalarchiv in Washington, D.C.: die Liste von rund 1500 Deutschen - Publizisten, Künstlern, Anwälten, Klerikern, Gewerkschaftern, Politikern - , die nach Einschätzung der Alliierten dafür infrage kamen, nach der Kapitulation am Wiederaufbau eines demokratischen Staates mitzuwirken. Die Amerikaner, die die Namen schon während des Zweiten Weltkriegs zusammentrugen, nannten sie die "Weiße" Liste, weil sie nur Personen mit einer anti- oder nicht-nazistisch vermuteten…mehr

Produktbeschreibung
Der Stempel "Secret" ausgebleicht, die eng beschriebenenSchreibmaschinenseiten vergilbt, so lag sie jahrzehntelang unentdeckt im Nationalarchiv in Washington, D.C.: die Liste von rund 1500 Deutschen - Publizisten, Künstlern, Anwälten, Klerikern, Gewerkschaftern, Politikern - , die nach Einschätzung der Alliierten dafür infrage kamen, nach der Kapitulation am Wiederaufbau eines demokratischen Staates mitzuwirken. Die Amerikaner, die die Namen schon während des Zweiten Weltkriegs zusammentrugen, nannten sie die "Weiße" Liste, weil sie nur Personen mit einer anti- oder nicht-nazistisch vermuteten Gesinnung umfasste. Mitte der 1970er-Jahre stieß der Historiker Henric L. Wuermeling bei Recherchen auf die Liste, die sich wie ein spannendes "Who's who" der Hoffnungsträger liest.
Autorenporträt
Henric L . Wuermeling, geboren 1941, Studium der Politischen Wissenschaften und der Neueren Geschichte, entwickelte für die ARD viele neue Formate, u.a. den "Brennpunkt", oder Programmschwerpunkte wie "Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg". Für "August '39" und "Adam von Trott zu Solz" - Schlüsselfigur des deutschen Widerstands - erhielt er jeweils den Bayerischen Fernsehpreis. Er veröffentlichte viele zeitgeschichtliche Bücher, darunter bei LangenMüller "München. Schicksal einer Großstadt 1900 - 1950", "Die Geschichte Bayerns" und "Auf der Suche nach Europa".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2015

Weiße Schafe als Schäferhunde?
Eine Liste mit deutschen Kontaktpersonen für die amerikanische Besatzungsmacht im Jahr 1945

Als Truppen der Vereinigten Staaten im September 1944 auf deutsches Territorium vorstießen, war das eine "Stunde Null" der amerikanischen Deutschland-Politik: Die Invasionsarmee wurde sukzessive zur Besatzungsmacht. Natürlich kam das nicht unerwartet; schon im Vorfeld hatten verschiedene Abteilungen der Washingtoner Administration, der Streitkräfte und der Geheimdienste Überlegungen zur Besatzung des Deutschen Reiches angestellt. So legte im alliierten Hauptquartier die "Abteilung für psychologische Kriegführung" zum 5. Dezember 1944 eine "Weiße Liste" vor, auf der Personen in Deutschland verzeichnet waren, von denen man annahm, "dass sie Anti-Nazi oder nicht-nazistisch" seien. Diese sollten vor Ort als Kontaktpersonen und Kooperationspartner dienen. Da die Kampfhandlungen noch nicht beendet waren, weil die Invasion des Reichsgebiets erst am Anfang stand, wurde befürchtet, dass die verzeichneten Personen in Lebensgefahr geraten könnten, falls die Liste deutschen Truppen in die Hände fallen würde. Um einen feindlichen Zugriff auf die Gesamtliste auszuschließen, entschied man sich, an die Kommandeure vor Ort nur lokal begrenzte Auszüge zu verteilen.

Eine Fassung der "Weißen Liste", deren Fokus auf dem Gebiet der späteren amerikanischen Besatzungszone lag, hat der Journalist Henric L. Wuermeling 1974 in Washington aufgefunden und 1981 auszugsweise publiziert. Jetzt liegt eine erheblich überarbeitete Neuauflage vor. Anstelle einer Sammlung von Interviews bildet nunmehr eine Komplett-Edition der Liste den Hauptteil. Die Ausgabe enthält auch ein vollständiges und gut lesbares Faksimile des Originals, in das sich immer wieder einen Blick zu werfen lohnt, da in der Übersetzung gelegentlich Fehler der Verfasser stillschweigend korrigiert worden sind.

Der Name des späteren Bundeskanzlers etwa wurde von "Adenhauer" zu "Adenauer" umgeschrieben. Dabei sind gerade solche Irrtümer von besonderem Interesse, weil sie ein Grundproblem verdeutlichen, mit dem sich die amerikanischen Besatzungstruppen 1944/1945 konfrontiert sahen: Es bestand ein massives Informationsdefizit in Hinblick auf die personelle Situation in Deutschland. So gelang schon die Identifizierung der aufgelisteten Personen nicht immer zweifelsfrei: Besagter "Adenhauer" etwa wurde als "ehemaliger Bürgermeister von Honnef" bezeichnet, wobei die Verfasser zugleich die richtige Überlegung anstellten, diese Person könne "identisch sein mit Adenauer, Konrad, 1919-1935 Oberbürgermeister von Köln". Adenauer selbst, der im ersten Band seiner "Erinnerungen" voller Stolz verkündet hatte, dass er damals "als Nr. 1 für ganz Deutschland" auf der "Weißen Liste" geführt worden sei, wäre wohl doppelt enttäuscht gewesen: Sein Name stand auf der Kommunalliste nur aufgrund der alphabetischen Reihung an erster Stelle; außerdem hatten die Verfasser der "Weißen Liste" von ihm als Person wie von seiner Amtszeit als Kölner Oberbürgermeister von 1917 bis 1933 zunächst offensichtlich keine nähere Vorstellung.

Solche Probleme waren den Verantwortlichen durchaus bewusst. Nicht umsonst mahnte General Robert A. McClure, der Leiter der "Abteilung für psychologische Kriegführung", im Anschreiben zur "Vorsicht" beim Gebrauch der Liste, deren Wahrheitsgehalt "vor Ort zu überprüfen" sei. Das bezog sich vor allem auf mögliche Kooperationspartner, über deren Gesinnung sich die Amerikaner im Unklaren waren, weil sie ihnen als zukünftige Partner zwar empfohlen worden, sie aber zugleich als Funktionsträger in das nationalsozialistische Regime verstrickt waren. Zu diesem Personenkreis gehörte beispielsweise Gustaf Gründgens, der Generalintendant des Preußischen Staatstheaters, der auf der Liste zur Gruppe der C-Personen zählte.

Mit dem Buchstaben "C" wurden Personen markiert, die sich nicht nur auf der "Weißen", sondern zugleich auch auf der "Schwarzen Liste" befanden. Diese "Schwarze Liste" war das Gegenstück zur "Weißen Liste", gewissermaßen die Feindliste. Allerdings ließen sich C-Personen im Verlauf der Zeit möglicherweise politisch genauer verorten. Demgegenüber mutet das Geschick einiger entschiedener Gegner des Nationalsozialismus tragisch an, da sie - wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer und der Zentrumspolitiker Eugen Bolz - noch vor Kriegsende ermordet wurden oder - wie der Gewerkschafter Wilhelm Leuschner und der Sozialdemokrat Carlo Mierendorff - schon als Tote auf die Liste gesetzt wurden.

Es sind also nicht nur ihre aufschlussreichen Fehler und ihre manchmal grotesk anmutenden Irrtümer, welche die "Weiße Liste" für heutige Leser interessant machen, sondern auch ihr tragisches Moment. All dies weckt den Wunsch nach einer vergleichbaren Veröffentlichung der "Schwarzen Liste". Zu bedauern ist einzig, dass Wuermeling sich nicht an einer tiefergehenden Interpretation der Liste versucht. Gerade dies aber hätte mehr über deren eigentliche Funktion verraten: Wuermeling sieht in ihr die Grundlage eines aus seiner Sicht gescheiterten "Führungsaustauschs" mit dem Ziel, den "demokratischen Neuanfang" in Deutschland herbeizuführen. Ursprünglich sollte die "Weiße Liste" jedoch, wie McClures Anschreiben verdeutlicht, vorrangig helfen, Meinungsmultiplikatoren für die psychologische Kriegführung der Vereinigten Staaten innerhalb von Deutschland zu gewinnen. Erst unter dem Eindruck des abrupten Zusammenbruchs der Verwaltungsstrukturen in den besetzten Gebieten verschoben sich die Prioritäten: Die Besatzungsherrschaft bedurfte dringend heimischen Personals, um das Überleben der Bevölkerung zu sichern. Seither wurden die Personen auf der "Weißen Liste" als Grundstock des zukünftigen Führungspersonals eines möglichen Nachkriegsdeutschlands aufgefasst. Mit einer deutschen "Stunde Null" im Jahr 1945 hat die "Weiße Liste" also allenfalls indirekt zu tun; vielmehr ist sie ein lesenswertes Zeugnis aus der "Stunde Null" der amerikanischen Besatzungszeit.

MARIAN NEBELIN

Henric L. Wuermeling: Die Weiße Liste und die Stunde Null in Deutschland 1945. Mit den Originaldokumenten in englischer Sprache übersetzt von Gabriele Rieth-Winterherbst. Herbig Verlag, München 2015. 400 S., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Marian Nebelin interessiert sich sehr für die "Weiße Liste", die nun in einer erweiterten Neuauflage, besorgt durch den Journalisten Henric L. Wuermeling, komplett erscheint. Schon das mitabgedruckte Faksimile der Originalliste ermöglicht ihm Erkenntnisse. Die Abweichungen zwischen Original und korrigierter Übersetzung (Adenhauer/Adenauer) bedeuten ihm das Informationsdefizit der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland 1944. Wem war zu trauen, wer hatte mit den Nazis kollaboriert? Schade bloß, dass der Autor auf eine weitergehende Interpretation der Liste und ihrer Funktion verzichtet, findet Nebelin.

© Perlentaucher Medien GmbH
Weiße Schafe als Schäferhunde?
Eine Liste mit deutschen Kontaktpersonen für die amerikanische Besatzungsmacht im Jahr 1945

Als Truppen der Vereinigten Staaten im September 1944 auf deutsches Territorium vorstießen, war das eine "Stunde Null" der amerikanischen Deutschland-Politik: Die Invasionsarmee wurde sukzessive zur Besatzungsmacht. Natürlich kam das nicht unerwartet; schon im Vorfeld hatten verschiedene Abteilungen der Washingtoner Administration, der Streitkräfte und der Geheimdienste Überlegungen zur Besatzung des Deutschen Reiches angestellt. So legte im alliierten Hauptquartier die "Abteilung für psychologische Kriegführung" zum 5. Dezember 1944 eine "Weiße Liste" vor, auf der Personen in Deutschland verzeichnet waren, von denen man annahm, "dass sie Anti-Nazi oder nicht-nazistisch" seien. Diese sollten vor Ort als Kontaktpersonen und Kooperationspartner dienen. Da die Kampfhandlungen noch nicht beendet waren, weil die Invasion des Reichsgebiets erst am Anfang stand, wurde befürchtet, dass die verzeichneten Personen in Lebensgefahr geraten könnten, falls die Liste deutschen Truppen in die Hände fallen würde. Um einen feindlichen Zugriff auf die Gesamtliste auszuschließen, entschied man sich, an die Kommandeure vor Ort nur lokal begrenzte Auszüge zu verteilen.

Eine Fassung der "Weißen Liste", deren Fokus auf dem Gebiet der späteren amerikanischen Besatzungszone lag, hat der Journalist Henric L. Wuermeling 1974 in Washington aufgefunden und 1981 auszugsweise publiziert. Jetzt liegt eine erheblich überarbeitete Neuauflage vor. Anstelle einer Sammlung von Interviews bildet nunmehr eine Komplett-Edition der Liste den Hauptteil. Die Ausgabe enthält auch ein vollständiges und gut lesbares Faksimile des Originals, in das sich immer wieder einen Blick zu werfen lohnt, da in der Übersetzung gelegentlich Fehler der Verfasser stillschweigend korrigiert worden sind.

Der Name des späteren Bundeskanzlers etwa wurde von "Adenhauer" zu "Adenauer" umgeschrieben. Dabei sind gerade solche Irrtümer von besonderem Interesse, weil sie ein Grundproblem verdeutlichen, mit dem sich die amerikanischen Besatzungstruppen 1944/1945 konfrontiert sahen: Es bestand ein massives Informationsdefizit in Hinblick auf die personelle Situation in Deutschland. So gelang schon die Identifizierung der aufgelisteten Personen nicht immer zweifelsfrei: Besagter "Adenhauer" etwa wurde als "ehemaliger Bürgermeister von Honnef" bezeichnet, wobei die Verfasser zugleich die richtige Überlegung anstellten, diese Person könne "identisch sein mit Adenauer, Konrad, 1919-1935 Oberbürgermeister von Köln". Adenauer selbst, der im ersten Band seiner "Erinnerungen" voller Stolz verkündet hatte, dass er damals "als Nr. 1 für ganz Deutschland" auf der "Weißen Liste" geführt worden sei, wäre wohl doppelt enttäuscht gewesen: Sein Name stand auf der Kommunalliste nur aufgrund der alphabetischen Reihung an erster Stelle; außerdem hatten die Verfasser der "Weißen Liste" von ihm als Person wie von seiner Amtszeit als Kölner Oberbürgermeister von 1917 bis 1933 zunächst offensichtlich keine nähere Vorstellung.

Solche Probleme waren den Verantwortlichen durchaus bewusst. Nicht umsonst mahnte General Robert A. McClure, der Leiter der "Abteilung für psychologische Kriegführung", im Anschreiben zur "Vorsicht" beim Gebrauch der Liste, deren Wahrheitsgehalt "vor Ort zu überprüfen" sei. Das bezog sich vor allem auf mögliche Kooperationspartner, über deren Gesinnung sich die Amerikaner im Unklaren waren, weil sie ihnen als zukünftige Partner zwar empfohlen worden, sie aber zugleich als Funktionsträger in das nationalsozialistische Regime verstrickt waren. Zu diesem Personenkreis gehörte beispielsweise Gustaf Gründgens, der Generalintendant des Preußischen Staatstheaters, der auf der Liste zur Gruppe der C-Personen zählte.

Mit dem Buchstaben "C" wurden Personen markiert, die sich nicht nur auf der "Weißen", sondern zugleich auch auf der "Schwarzen Liste" befanden. Diese "Schwarze Liste" war das Gegenstück zur "Weißen Liste", gewissermaßen die Feindliste. Allerdings ließen sich C-Personen im Verlauf der Zeit möglicherweise politisch genauer verorten. Demgegenüber mutet das Geschick einiger entschiedener Gegner des Nationalsozialismus tragisch an, da sie - wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer und der Zentrumspolitiker Eugen Bolz - noch vor Kriegsende ermordet wurden oder - wie der Gewerkschafter Wilhelm Leuschner und der Sozialdemokrat Carlo Mierendorff - schon als Tote auf die Liste gesetzt wurden.

Es sind also nicht nur ihre aufschlussreichen Fehler und ihre manchmal grotesk anmutenden Irrtümer, welche die "Weiße Liste" für heutige Leser interessant machen, sondern auch ihr tragisches Moment. All dies weckt den Wunsch nach einer vergleichbaren Veröffentlichung der "Schwarzen Liste". Zu bedauern ist einzig, dass Wuermeling sich nicht an einer tiefergehenden Interpretation der Liste versucht. Gerade dies aber hätte mehr über deren eigentliche Funktion verraten: Wuermeling sieht in ihr die Grundlage eines aus seiner Sicht gescheiterten "Führungsaustauschs" mit dem Ziel, den "demokratischen Neuanfang" in Deutschland herbeizuführen. Ursprünglich sollte die "Weiße Liste" jedoch, wie McClures Anschreiben verdeutlicht, vorrangig helfen, Meinungsmultiplikatoren für die psychologische Kriegführung der Vereinigten Staaten innerhalb von Deutschland zu gewinnen. Erst unter dem Eindruck des abrupten Zusammenbruchs der Verwaltungsstrukturen in den besetzten Gebieten verschoben sich die Prioritäten: Die Besatzungsherrschaft bedurfte dringend heimischen Personals, um das Überleben der Bevölkerung zu sichern. Seither wurden die Personen auf der "Weißen Liste" als Grundstock des zukünftigen Führungspersonals eines möglichen Nachkriegsdeutschlands aufgefasst. Mit einer deutschen "Stunde Null" im Jahr 1945 hat die "Weiße Liste" also allenfalls indirekt zu tun; vielmehr ist sie ein lesenswertes Zeugnis aus der "Stunde Null" der amerikanischen Besatzungszeit.

MARIAN NEBELIN

Henric L. Wuermeling: Die Weiße Liste und die Stunde Null in Deutschland 1945. Mit den Originaldokumenten in englischer Sprache übersetzt von Gabriele Rieth-Winterherbst. Herbig Verlag, München 2015. 400 S., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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