Gerechtigkeit für Mrs. Rochester!
In einem alten Herrenhaus auf Jamaika wächst Antoinette Cosway in einer Zwischenwelt heran: auf der einen Seite die einheimischen Dienstboten, ihre Lieder und Rituale, auf der anderen Seite die weißen Plantagenbesitzer, die sich als Herren über die Insel begreifen. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die schwarze Bevölkerung begehrt erstmals auf. Als Antoinette Mr. Rochester heiratet, einen Mitgiftjäger aus England, prallen Welten aufeinander. - Bis zum Erscheinen von Jean Rhys' Roman im Jahr 1966 kannte man Mr. Rochesters Frau nur als die »Verrückte auf dem Dachboden« in Charlotte Brontës Roman 'Jane Eyre' - in der brillanten Neuübersetzung von Brigitte Walitzek kann nun die tragische Lebensgeschichte der karibischen Schönheit wiederentdeckt werden.
In einem alten Herrenhaus auf Jamaika wächst Antoinette Cosway in einer Zwischenwelt heran: auf der einen Seite die einheimischen Dienstboten, ihre Lieder und Rituale, auf der anderen Seite die weißen Plantagenbesitzer, die sich als Herren über die Insel begreifen. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die schwarze Bevölkerung begehrt erstmals auf. Als Antoinette Mr. Rochester heiratet, einen Mitgiftjäger aus England, prallen Welten aufeinander. - Bis zum Erscheinen von Jean Rhys' Roman im Jahr 1966 kannte man Mr. Rochesters Frau nur als die »Verrückte auf dem Dachboden« in Charlotte Brontës Roman 'Jane Eyre' - in der brillanten Neuübersetzung von Brigitte Walitzek kann nun die tragische Lebensgeschichte der karibischen Schönheit wiederentdeckt werden.
Jean Rhys 'Die weite Sargassosee' ist eine außergewöhnliche Studie über Leidenschaft und Eifersucht und ein Meisterwerk der modernen Literatur. Jürgen Küssow Radio Transglobal - Das Magazin für Hamburg und die Welt 20170828
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Jean Rhys erzählte in ihrem Roman "Die weite Sargassosee" aus dem Jahr 1966 die Vorgeschichte der 'Frau auf dem Dachboden' aus Charlotte Brontës "Jane Eyre", erklärt Rezensentin Ingeborg Harms. Antoinette, wie sie vor der Hochzeit mit Rochester noch heißt, wächst auf Jamaika als Tochter eines Plantagenbesitzers und einer Kreolin auf, die sich später erst widerwillig und dann lustvoll in die Ehe mit dem Briten stürzt, der sie schließlich auf den Dachboden sperrt, weil er mit ihrer Freisinnigkeit nicht umgehen kann, fasst die Rezensentin zusammen. Rhys beschreibt die sehr realen Mechanismen, die Antoinette erst in die Ehe, dann in die Gefangenschaft und letztendlich in den Wahnsinn treiben, weit eindringlicher als Brontë es getan hat, lobt Harms, die über die neue Übersetzung Brigitte Walitzeks leider kein Wort verliert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2015Ein Meer und eine verzweifelte Trinkerin
Hitze, Farben, Sex und Rassismus: Zu einer Neuübersetzung des Romans "Die weite Sargassosee" von Jean Rhys
Die Schriftstellerin Jean Rhys war, da sind sich fast alle einig, die sie näher gekannt haben - die Gönner, Ehemänner, Freunde, Verleger und sogar ihre Kinder -, eine hochneurotische Person. Das hatte, wenn man ihre Biographie liest, gute Gründe. Sie fühlte sich, wo immer sie lebte, fehl am Platz, wie ein aus dem Nest gefallener Vogel. Die Tochter eines walisischen Vaters und einer kreolischen Mutter wurde 1890 auf der karibischen Insel Dominica geboren. Ihre Sympathie für die "black community" und die Praktiken der synkretistischen Sekten wurden nicht so erwidert,wie sie sich das mit ihrem rebellischen Temperament vorstellte, zu tief war noch die rassistische Diskriminierung ein prägendes Element der postkolonialen Gesellschaft der Karibik. Am Ende des 18. Jahrhunderts war Großbritannien immerhin der mächtigste Exporteur von Sklaven aus Westafrika in die Kolonien gewesen, und die Überfahrten waren noch entsetzlicher als das Elend, das die heutigen Flüchtlinge aus Libyen ertragen müssen, die von Afrika nach Europa wollen.
Im Alter von sechzehn Jahren ging Jean Rhys zum Studium nach London, 1906, noch mitten im spätviktorianischen Frieden. Sie hasste London und die Engländer, auf diese kurze Formel lässt sich ihr Aufenthalt dort zusammenfassen. In ihrem bitteren autobiographischen Roman "Guten Morgen, Mitternacht" von 1939, einem der anrührenden Beispiele der Literatur der "lost generation", heißt es: "Ich habe keinen Stolz - keinen Stolz, keinen Namen, kein Gesicht, keine Heimat. Ich gehöre nirgendwo hin. Zu traurig, zu traurig. Schadet aber nichts, da bin ich, wie ein Strohhalm, der um den Rand eines Strudels kreist und allmählich in die Mitte gesaugt wird, in die tote Mitte, wo alles stillsteht, wo alles ruhig ist ... Nun, jetzt war ich am Ende, wirklich am Ende. Zwei Pfund zehn jeden Dienstag und ein Zimmer hinter der Gray's Inn Road. Gerettet, geborgen und dazu ein Versteck - was wollte ich noch mehr? Ich kroch hinein und verbarg mich. Der Deckel meines Sarges fiel mit einem Krachen zu. Jetzt will ich nicht mehr geliebt werden, will nicht mehr schön, glücklich oder erfolgreich sein. Ich habe nur den einen, den einzigen Wunsch - dass man mich in Ruhe lässt." Es war die Zeit, schreibt sie, "als ich die großartige Idee hatte, mich zu Tode zu trinken".
Last exit: Paris. Hier wird Jean Rhys in den Strudel der internationalen Boheme gerissen, was ihren Alkoholkonsum nicht drosselt, aber doch ihre Produktivität erhöht. Immerhin schreibt sie in rascher Folge Romane und Kurzgeschichten, die sie zwar nicht berühmt, aber doch bekannt machen. Mit dem Beginn des Krieges verlaufen sich ihre Spuren, sie verschwindet tatsächlich von der literarischen Landkarte. Man nahm an, sie habe sich das Leben genommen oder sich zu Tode getrunken. Erst fünfundzwanzig Jahre später meldet sie sich persönlich auf die Anzeige eines Verlages, der ihre früheren Bücher noch einmal auflegen will. "Good Morning, Midnight" (der Titel zitiert eine Zeile aus einem Gedicht von Emily Dickinson) ist tatsächlich so viel besser und weniger mondän-larmoyant als etwa Françoise Sagans "Bonjour Tristesse", das damals Furore machte.
Und dann erscheint 1966 der Roman "Wide Sargasso Sea", der mit Preisen ausgezeichnet und später auch verfilmt wurde, tatsächlich ein Meisterwerk, das endlich auch ihre früheren Romane wieder in die Gegenwart holte und der Autorin einen festen Platz in der englischsprachigen Literatur zuwies. Sie wurde, was diese nomadische, schwierige Frau am letzten erwartet hätte, zum viel untersuchten Gegenstand der Literaturwissenschaft und besonders der feministischen Studien. Spezialisten für weibliche Sexualität hatten und haben viel zu tun, diesen Brocken einzuordnen und zu verdauen.
"Die weite Sargassosee" - laut Wikipedia der Ort, wo amerikanische und europäische Aale sich treffen und laichen - ist für die Literaturwissenschaft deshalb so interessant, weil Jean Rhys in ihrem Roman, der um 1830 auf Jamaica spielt, Motive aus dem viktorianischen Schmöker "Jane Eyre" von Charlotte Brontë aufnimmt. Besonders die bei Brontë als geistesgestörtes Monster weggesperrte Bertha Mason kommt bei Rhys zu Wort und Verstand.
In Deutschland hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Romane von Jean Rhys bekannt zu machen. Von der "Sargassosee" gab es immer wieder neue Auflagen und auch neue Übersetzungen. Jetzt hat Brigitte Walitzek einen weiteren - und geglückten - Versuch unternommen, die Farben und Gerüche, die glühenden Sonnenaufgänge und die unerträgliche Hitze, die Lebensweisen der Schwarzen, der Kreolen (die von den Schwarzen als Kakerlaken bezeichnet werden) und der naturgemäß nicht besonders geliebten Weißen ins Deutsche zu übersetzen - leider ohne ein Nachwort. Auch ohne die Kenntnis von Charlotte Brontës "Jane Eyre" lässt sich dieser Roman über Leidenschaft und Unterdrückung, über Sklaverei und ihre Folgen, über Liebe und Wahnsinn mit größtem Gewinn lesen. Ein Verehrer der armen Jean Rhys, der karibische Dichter Derek Walcott von der Insel Saint Lucia, hat ihr ein Gedicht gewidmet, in dem er beschreibt, wie "eines Nachts / ein Kind aus der Ecke einer löwenfüssigen Couch / die unbewegte Kerzenflamme anstarrt, / das aufrechte weisse Licht, / die rechte Hand an Jane Eyre vergeben, / und voraussieht, dass ihr eigenes Hochzeitskleid / weißes Papier sein wird".
Der Frau, der im Leben nicht zu helfen war, der einsamen Trinkerin, ist ein Platz im Pantheon sicher - übrigens in der Nähe von Ingeborg Bachmann, so darf man annehmen.
MICHAEL KRÜGER
Jean Rhys: "Die weite Sargassosee". Roman.
Aus dem Englischen von
Brigitte Walitzek.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2015. 232 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hitze, Farben, Sex und Rassismus: Zu einer Neuübersetzung des Romans "Die weite Sargassosee" von Jean Rhys
Die Schriftstellerin Jean Rhys war, da sind sich fast alle einig, die sie näher gekannt haben - die Gönner, Ehemänner, Freunde, Verleger und sogar ihre Kinder -, eine hochneurotische Person. Das hatte, wenn man ihre Biographie liest, gute Gründe. Sie fühlte sich, wo immer sie lebte, fehl am Platz, wie ein aus dem Nest gefallener Vogel. Die Tochter eines walisischen Vaters und einer kreolischen Mutter wurde 1890 auf der karibischen Insel Dominica geboren. Ihre Sympathie für die "black community" und die Praktiken der synkretistischen Sekten wurden nicht so erwidert,wie sie sich das mit ihrem rebellischen Temperament vorstellte, zu tief war noch die rassistische Diskriminierung ein prägendes Element der postkolonialen Gesellschaft der Karibik. Am Ende des 18. Jahrhunderts war Großbritannien immerhin der mächtigste Exporteur von Sklaven aus Westafrika in die Kolonien gewesen, und die Überfahrten waren noch entsetzlicher als das Elend, das die heutigen Flüchtlinge aus Libyen ertragen müssen, die von Afrika nach Europa wollen.
Im Alter von sechzehn Jahren ging Jean Rhys zum Studium nach London, 1906, noch mitten im spätviktorianischen Frieden. Sie hasste London und die Engländer, auf diese kurze Formel lässt sich ihr Aufenthalt dort zusammenfassen. In ihrem bitteren autobiographischen Roman "Guten Morgen, Mitternacht" von 1939, einem der anrührenden Beispiele der Literatur der "lost generation", heißt es: "Ich habe keinen Stolz - keinen Stolz, keinen Namen, kein Gesicht, keine Heimat. Ich gehöre nirgendwo hin. Zu traurig, zu traurig. Schadet aber nichts, da bin ich, wie ein Strohhalm, der um den Rand eines Strudels kreist und allmählich in die Mitte gesaugt wird, in die tote Mitte, wo alles stillsteht, wo alles ruhig ist ... Nun, jetzt war ich am Ende, wirklich am Ende. Zwei Pfund zehn jeden Dienstag und ein Zimmer hinter der Gray's Inn Road. Gerettet, geborgen und dazu ein Versteck - was wollte ich noch mehr? Ich kroch hinein und verbarg mich. Der Deckel meines Sarges fiel mit einem Krachen zu. Jetzt will ich nicht mehr geliebt werden, will nicht mehr schön, glücklich oder erfolgreich sein. Ich habe nur den einen, den einzigen Wunsch - dass man mich in Ruhe lässt." Es war die Zeit, schreibt sie, "als ich die großartige Idee hatte, mich zu Tode zu trinken".
Last exit: Paris. Hier wird Jean Rhys in den Strudel der internationalen Boheme gerissen, was ihren Alkoholkonsum nicht drosselt, aber doch ihre Produktivität erhöht. Immerhin schreibt sie in rascher Folge Romane und Kurzgeschichten, die sie zwar nicht berühmt, aber doch bekannt machen. Mit dem Beginn des Krieges verlaufen sich ihre Spuren, sie verschwindet tatsächlich von der literarischen Landkarte. Man nahm an, sie habe sich das Leben genommen oder sich zu Tode getrunken. Erst fünfundzwanzig Jahre später meldet sie sich persönlich auf die Anzeige eines Verlages, der ihre früheren Bücher noch einmal auflegen will. "Good Morning, Midnight" (der Titel zitiert eine Zeile aus einem Gedicht von Emily Dickinson) ist tatsächlich so viel besser und weniger mondän-larmoyant als etwa Françoise Sagans "Bonjour Tristesse", das damals Furore machte.
Und dann erscheint 1966 der Roman "Wide Sargasso Sea", der mit Preisen ausgezeichnet und später auch verfilmt wurde, tatsächlich ein Meisterwerk, das endlich auch ihre früheren Romane wieder in die Gegenwart holte und der Autorin einen festen Platz in der englischsprachigen Literatur zuwies. Sie wurde, was diese nomadische, schwierige Frau am letzten erwartet hätte, zum viel untersuchten Gegenstand der Literaturwissenschaft und besonders der feministischen Studien. Spezialisten für weibliche Sexualität hatten und haben viel zu tun, diesen Brocken einzuordnen und zu verdauen.
"Die weite Sargassosee" - laut Wikipedia der Ort, wo amerikanische und europäische Aale sich treffen und laichen - ist für die Literaturwissenschaft deshalb so interessant, weil Jean Rhys in ihrem Roman, der um 1830 auf Jamaica spielt, Motive aus dem viktorianischen Schmöker "Jane Eyre" von Charlotte Brontë aufnimmt. Besonders die bei Brontë als geistesgestörtes Monster weggesperrte Bertha Mason kommt bei Rhys zu Wort und Verstand.
In Deutschland hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Romane von Jean Rhys bekannt zu machen. Von der "Sargassosee" gab es immer wieder neue Auflagen und auch neue Übersetzungen. Jetzt hat Brigitte Walitzek einen weiteren - und geglückten - Versuch unternommen, die Farben und Gerüche, die glühenden Sonnenaufgänge und die unerträgliche Hitze, die Lebensweisen der Schwarzen, der Kreolen (die von den Schwarzen als Kakerlaken bezeichnet werden) und der naturgemäß nicht besonders geliebten Weißen ins Deutsche zu übersetzen - leider ohne ein Nachwort. Auch ohne die Kenntnis von Charlotte Brontës "Jane Eyre" lässt sich dieser Roman über Leidenschaft und Unterdrückung, über Sklaverei und ihre Folgen, über Liebe und Wahnsinn mit größtem Gewinn lesen. Ein Verehrer der armen Jean Rhys, der karibische Dichter Derek Walcott von der Insel Saint Lucia, hat ihr ein Gedicht gewidmet, in dem er beschreibt, wie "eines Nachts / ein Kind aus der Ecke einer löwenfüssigen Couch / die unbewegte Kerzenflamme anstarrt, / das aufrechte weisse Licht, / die rechte Hand an Jane Eyre vergeben, / und voraussieht, dass ihr eigenes Hochzeitskleid / weißes Papier sein wird".
Der Frau, der im Leben nicht zu helfen war, der einsamen Trinkerin, ist ein Platz im Pantheon sicher - übrigens in der Nähe von Ingeborg Bachmann, so darf man annehmen.
MICHAEL KRÜGER
Jean Rhys: "Die weite Sargassosee". Roman.
Aus dem Englischen von
Brigitte Walitzek.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2015. 232 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main