"Braunecks Theatergeschichte ist ein ebenso bewunderungswürdiges wie auch gut benutzbares, vor allem aber immer noch lesbares Werk, das auch partiell und schlagartig benutzbar ist. Der abschließende Registerband bietet in seiner umfassenden Chronik wie auch seiner üppigen Bibliografie ein glänzendes Arbeitsinstrument für alle, die sich intensiver mit der europäischen Theatergeschichte befassen wollen." MEDIENwissenschaft
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.1996Phädra und die Geometrie
Manfred Brauneck setzt seine Theatergeschichte Europas fort
Als vor drei Jahren der erste Band von Manfred Braunecks Theatergeschichte erschien, wurde in dieser Zeitung vermutet (siehe F. A. Z. vom 4. Juni 1994), das Opus magnum des Hamburger Theaterwissenschaftlers werde am Ende - nach dem Erscheinen des abschließenden zweiten Bandes - anderthalbtausend Seiten umfassen. Dieser Umfang ist nun mit dem ein Jahr später als geplant publizierten Band schon weit überschritten, und doch ist das Werk noch nicht abgeschlossen, ein dritter Band wird folgen. Der kleine Bruder von Heinz Kindermanns "Theatergeschichte Europas", die vor über zwanzig Jahren abgeschlossen wurde, hat sich durchaus zu einem großen Bruder ausgewachsen.
Der neue Band umfaßt das Theater des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts. Das Schauspiel steht ganz im Mittelpunkt, der Siegeszug der Oper - wiewohl dem Autor zufolge "die bedeutendste theaterkulturelle ,Erfindung' dieses Zeitraums" - wird ebenso wie das Ballett in den Hintergrund der Darstellung verlegt. Man merkt der deutschen Theaterwissenschaft halt immer noch an, daß sie - wie der Autor dieser Studie selber - aus der Germanistik stammt und mit Musik- und Tanztheater nicht allzuviel im Sinne hat.
Der Titel "Die Welt als Bühne" gewinnt für den in diesem Band behandelten Zeitraum besondere Berechtigung, hat sich doch keine Kulturepoche Europas so sehr im Zeichen des Theaters gesehen wie das Barockzeitalter. Anders dann die Signatur des Schauspiels der Aufklärung, das seinen Figuren wieder feste Bretter unterlegte, die zwar immer noch die Welt bedeuteten, aber sie weit eher real abbildeten und als "moralische Anstalt" zum Feld der Bewährung durch Vernunft machten.
Auch der zweite Band von Braunecks Theatergeschichte zeichnet sich durch vorbildliche Disposition der ausufernden Stoffmassen und übersichtliche Detailgliederung der Kapitel aus. Die Theaterkulturen aller europäischen Länder werden behandelt; Schwerpunkte sind etwa die Entwicklung der Kulissenbühne in Italien, das Theater des Siglo de oro in Spanien und des Classicisme in Frankreich oder das deutsche Schauspiel von der Aufklärung bis zur Weimarer Klassik.
Man findet praktisch fast alles, was man sucht, wenn auch hin und wieder - das ist der Nachteil der Bemühung, allem gerecht werden zu wollen - Titel-, Namen- und Datenreihungen an die Stelle eigentlicher Darstellung treten. Was da an Konkretheit fehlt, wird jedoch durch ein reizvolles Collage-Verfahren ausgeglichen: Am rechten und linken Seitenrand sind paradigmatische Zitate aus Quellen und Forschungsliteratur abgedruckt, und in den Text selber sind in reicher Fülle Abbildungen, großenteils farbig, eingefügt, welche manche verbale Ausführung ersetzen. Aufregend etwa, wie das Racine Kapitel nicht nur mit zeitgenössischen, sondern auch mit den konstruktivistischen Bühnenfigurinen zu Alexander Tairows Inszenierung der "Phädra" am Kammertheater Moskau 1922 bebildert wird, welche den geometrischen Geist der tragédie classique unvergleichlich zum Ausdruck bringen.
Es wäre schön gewesen, wenn dem kulinarischen Raffinement dieser Text-Bild-Collage die Darstellung Braunecks etwas mehr entsprochen hätte. Doch er bietet weithin trockenes Brot. Die Tugend, daß er keine eigenwilligen oder modischen Theorien entfaltet und ganz hinter dem aufbereiteten Material zurücktritt, wirft bisweilen leider den Schatten der Langeweile. Wenn etwa am Rande Norbert Elias' kultursoziologische Analysen des höfischen Zeremoniells collagiert werden, hätte man sich gewünscht, daß Brauneck ein wenig von diesen analytischen Einsichten in seine eigene Beschreibung einbezogen hätte. Doch kaum einmal erlaubt er sich einen originellen Zugriff auf das Material, immer wieder spürt man die Lieferung aus zweiter Hand ohne eigene analytische Durchdringung des Mitgeteilten. Doch wer wollte klagen: Welcher Theaterwissenschaftler verfügte über eine so universale Kompetenz, daß er zweitausend Jahre europäischer Theatergeschichte aus eigener Forscherperspektive überblicken könnte?
Ob sich viele Leser zu einer fortlaufenden Lektüre dieser Theatergeschichte entschließen werden, ist fraglich, doch als zuverlässiges Nachschlagewerk, das Theater als ästhetische Gesamterscheinung und seine Interaktion mit der Gesellschaft materialreich durch gut zwei Jahrhunderte verfolgt, hat auch dieser Band seine Meriten. Der dritte Band wird nun der Moderne gewidmet sein. Da Brauneck sich hier vielfach auf seine eigenen Forschungen stützen kann, wird er hoffentlich zu einem persönlicheren Ton finden. Dieser täte dem Unternehmen zu seinem Abschluß jedenfalls sehr gut. DIETER BORCHMEYER
Manfred Brauneck: "Die Welt als Bühne". Geschichte des europäischen Theaters. Zweiter Band. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart / Weimar 1996. 1009 S., Abb., geb., Subskr.-Preis bis 31. 12. 1996 228,- DM; danach 258,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manfred Brauneck setzt seine Theatergeschichte Europas fort
Als vor drei Jahren der erste Band von Manfred Braunecks Theatergeschichte erschien, wurde in dieser Zeitung vermutet (siehe F. A. Z. vom 4. Juni 1994), das Opus magnum des Hamburger Theaterwissenschaftlers werde am Ende - nach dem Erscheinen des abschließenden zweiten Bandes - anderthalbtausend Seiten umfassen. Dieser Umfang ist nun mit dem ein Jahr später als geplant publizierten Band schon weit überschritten, und doch ist das Werk noch nicht abgeschlossen, ein dritter Band wird folgen. Der kleine Bruder von Heinz Kindermanns "Theatergeschichte Europas", die vor über zwanzig Jahren abgeschlossen wurde, hat sich durchaus zu einem großen Bruder ausgewachsen.
Der neue Band umfaßt das Theater des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts. Das Schauspiel steht ganz im Mittelpunkt, der Siegeszug der Oper - wiewohl dem Autor zufolge "die bedeutendste theaterkulturelle ,Erfindung' dieses Zeitraums" - wird ebenso wie das Ballett in den Hintergrund der Darstellung verlegt. Man merkt der deutschen Theaterwissenschaft halt immer noch an, daß sie - wie der Autor dieser Studie selber - aus der Germanistik stammt und mit Musik- und Tanztheater nicht allzuviel im Sinne hat.
Der Titel "Die Welt als Bühne" gewinnt für den in diesem Band behandelten Zeitraum besondere Berechtigung, hat sich doch keine Kulturepoche Europas so sehr im Zeichen des Theaters gesehen wie das Barockzeitalter. Anders dann die Signatur des Schauspiels der Aufklärung, das seinen Figuren wieder feste Bretter unterlegte, die zwar immer noch die Welt bedeuteten, aber sie weit eher real abbildeten und als "moralische Anstalt" zum Feld der Bewährung durch Vernunft machten.
Auch der zweite Band von Braunecks Theatergeschichte zeichnet sich durch vorbildliche Disposition der ausufernden Stoffmassen und übersichtliche Detailgliederung der Kapitel aus. Die Theaterkulturen aller europäischen Länder werden behandelt; Schwerpunkte sind etwa die Entwicklung der Kulissenbühne in Italien, das Theater des Siglo de oro in Spanien und des Classicisme in Frankreich oder das deutsche Schauspiel von der Aufklärung bis zur Weimarer Klassik.
Man findet praktisch fast alles, was man sucht, wenn auch hin und wieder - das ist der Nachteil der Bemühung, allem gerecht werden zu wollen - Titel-, Namen- und Datenreihungen an die Stelle eigentlicher Darstellung treten. Was da an Konkretheit fehlt, wird jedoch durch ein reizvolles Collage-Verfahren ausgeglichen: Am rechten und linken Seitenrand sind paradigmatische Zitate aus Quellen und Forschungsliteratur abgedruckt, und in den Text selber sind in reicher Fülle Abbildungen, großenteils farbig, eingefügt, welche manche verbale Ausführung ersetzen. Aufregend etwa, wie das Racine Kapitel nicht nur mit zeitgenössischen, sondern auch mit den konstruktivistischen Bühnenfigurinen zu Alexander Tairows Inszenierung der "Phädra" am Kammertheater Moskau 1922 bebildert wird, welche den geometrischen Geist der tragédie classique unvergleichlich zum Ausdruck bringen.
Es wäre schön gewesen, wenn dem kulinarischen Raffinement dieser Text-Bild-Collage die Darstellung Braunecks etwas mehr entsprochen hätte. Doch er bietet weithin trockenes Brot. Die Tugend, daß er keine eigenwilligen oder modischen Theorien entfaltet und ganz hinter dem aufbereiteten Material zurücktritt, wirft bisweilen leider den Schatten der Langeweile. Wenn etwa am Rande Norbert Elias' kultursoziologische Analysen des höfischen Zeremoniells collagiert werden, hätte man sich gewünscht, daß Brauneck ein wenig von diesen analytischen Einsichten in seine eigene Beschreibung einbezogen hätte. Doch kaum einmal erlaubt er sich einen originellen Zugriff auf das Material, immer wieder spürt man die Lieferung aus zweiter Hand ohne eigene analytische Durchdringung des Mitgeteilten. Doch wer wollte klagen: Welcher Theaterwissenschaftler verfügte über eine so universale Kompetenz, daß er zweitausend Jahre europäischer Theatergeschichte aus eigener Forscherperspektive überblicken könnte?
Ob sich viele Leser zu einer fortlaufenden Lektüre dieser Theatergeschichte entschließen werden, ist fraglich, doch als zuverlässiges Nachschlagewerk, das Theater als ästhetische Gesamterscheinung und seine Interaktion mit der Gesellschaft materialreich durch gut zwei Jahrhunderte verfolgt, hat auch dieser Band seine Meriten. Der dritte Band wird nun der Moderne gewidmet sein. Da Brauneck sich hier vielfach auf seine eigenen Forschungen stützen kann, wird er hoffentlich zu einem persönlicheren Ton finden. Dieser täte dem Unternehmen zu seinem Abschluß jedenfalls sehr gut. DIETER BORCHMEYER
Manfred Brauneck: "Die Welt als Bühne". Geschichte des europäischen Theaters. Zweiter Band. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart / Weimar 1996. 1009 S., Abb., geb., Subskr.-Preis bis 31. 12. 1996 228,- DM; danach 258,- DM.
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Mit dem Band 5 kommt die opulente "Geschichte des europäischen Theaters" mit den Ausführungen zur 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts an ihr chronologisches Ende und schließt damit ein Werk ab, das seinesgleichen sucht. Diese inhaltlich wie formal schwergewichtigen Bände zur europäischen Theatergeschichte bieten fundiert jedwede Information zum Theater. lehrerbibliothek.de Das in den Bänden 4 und 5 behandelte 20. Jahrhundert ist noch am ehesten jenes, in dem Brauneck abseits seiner enzyklopädischen Unternehmungen eigene Detailarbeit einfließen lassen kann, alles andere wird von ihm in berechtigter Offenheit als Essenz der internationalen theaterhistorischen Forschung deklariert - diese Essenz herzustellen ist ja für sich eine bewundernswerte Leistung. MEDIENwissenschaft Es ist ein liebevolles und zugleich kompetentes Werk, das sich Raum für eine genaue Übersicht nimmt, die nie das Ganze im historischen Kontext aus dem Blick verliert. Braunecks fünfbändiges Werk ist ein Schatz der Theatergeschichtsschreibung. Die Deutsche Bühne