Die Beiträge dieses dritten Bandes von Hermann Hesses Buchbesprechungen aus den Jahren 1917 bis 1925 illustrieren ein zeitgeschichtlich und im Werdegang ihres Verfassers besonders interessantes Jahrzehnt. Sie dokumentieren den Ausklang des Ersten Weltkrieges und den Neubeginn der zwanziger Jahre mit folgenreichen Spuren und Zäsuren auch im Leben und Werk des Dichters.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2002Kater Murrs Spürnase
Ein liebend Lobender: Hermann Hesse in seinen Rezensionen und Aufsätzen der Jahre 1917 bis 1925
„Nein, ich will nicht mehr ,rezensieren‘, nie mehr. Aber einige Bücher nennen, die mir in den letzten Monaten wertvoll geworden sind”, schreibt Hermann Hesse Anfang 1917, und dann geht es los mit den Nennungen, und eigentlich auch mit dem Rezensieren, bis der Band zu Ende ist. Er reicht bis 1925. Fast ein Viertel von Hesses Werk besteht aus Literaturkritik – Rezensionen, Hinweise, Nachworte, Essays, Notizen zu bestimmten Autoren – und man wird kaum müde, in diesem Teil seiner Produktion zu lesen. Denn er nennt zwar häufig irgendwelche Texte sehr summarisch „wunderhübsch” und „verdienstvoll” usw., und er ist nicht ein wirklich analysierender Kritiker, dafür aber ein liebend Lobender, ein nachdrücklich Predigender, der sich Leser für Dichter erhofft, die in diesem „Zeitalter des Verfalls” zu kurz kommen, aber dereinst „vielleicht wieder eine Kultur der deutschen Prosa” heraufführen werden.
Nun kann man ja wirklich die Jahre von 1917 bis 1925 „Jahre der Verwahrlosung” Deutschlands nennen, doch die Hessesche Innerlichkeitspflege klingt ziemlich edel-hilflos, wenn er von „Wir Seelischen”, „Wir Außenwelter”, von „Wir Halbverrückten” und von „Weltentsagern” spricht, die sich der „Negerhaftigkeit” der Gegenwart vornehm verweigern. Aber seien wir nicht unfair; man hat den Eindruck, dass er sich in den zwanziger Jahren dann den deutschen Realitäten viel unerschrockener und nüchterner stellt als um die Zeit des Kriegsendes, als er im Blick auf Walter Rathenaus „Von kommenden Dingen” naserümpfend feststellt, das „Reich der Seele” berühre dies alles so wenig „wie zu anderen Zeiten Tyrannen” – was sind schon ein paar Leichen und ein bisschen Unterdrückung, verglichen mit der „Seele” und ihrem ewigen Reich! Seine höchsten Gestirne bleiben Goethe, Keller und Hölderlin, und am heftigsten wirbt er für Jean Paul und E.T.A. Hoffmann, dessen „Kater Murr” nun – dies schreibt Hesse im November 1923 mit vergnügter Häme - „das deutsche Heer, die deutsche Monarchie und die deutsche Kriegswirtschaft überlebt” habe.
Man kann sich leicht über die Bildungspusseligkeit vieler seiner Ratschläge lustig machen, aber zu einem Zeitpunkt, da sich sogar angebliche Germanistikstudenten weigern, übers Wochenende ein Buch zu lesen, bleibt einem der Spott über Hesses Werben und seine Sicherheit in Sachen Kanon im Halse stecken. Was ich im übrigen gerne wüsste: Wie entschied sich denn die Majorität der Leser der literarischen Empfehlungen Hesses dann im Jahre 1933?
Doch derlei Nachdenkenswertes muss einen nicht vom Genuss solcher Kostbarkeiten abhalten wie dem Nachruf auf den schwäbischen Dichter Christian Wagner, diesen 1918 gestorbenen wundersamen Bauern aus Warmbronn, der einer der großen Lyriker deutscher Sprache war, oder von der Lektüre des großen Essays über Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre”, dessen Schwächen Hesse sehr genau benennt (um dann allerdings wieder abzuwiegeln durch schwärmerisches „Dennoch”-Lob); außerdem gibt es da 25 Seiten mit sehr scharfsinnigen Notizen über Dostojewskij und 12 Seiten mit einem liebevoll-eindringlichen Porträt Salomon Gessners, und im übrigen hat Hesse ein exzellentes Gespür für die Prosa nicht nur von Kafka, Albert Ehrensteins und Richard Huelsenbeck, sondern auch für die von Sigmund Freud: „Der sorgfältige Forscher und klare Logiker Freud hat sich ein vorzügliches Instrument in seiner ganz intellektualistischen, aber prachtvoll scharfen, genau definierenden, gelegentlich auch kampf- und spottlustigen Sprache geschaffen – von wie vielen unserer Gelehrten kann man das sagen?”
Und nicht zuletzt weiß der Mann auch etwas über die Qualitäten der Prosa Rudolf Borchardts: „Als Meister des Essays steht er im heutigen Deutschland an erster Stelle. Aufsätze wie die ,Villa‘ und der über Dante sind Kleinode und trotz einer leichten Neigung zum Akademischen gehört Borchardt heute ohne Zweifel zu den wenigen, welche Deutsch schreiben können.”
Voila! Irgendetwas musste doch dran sein an einem Mann, in dem man zwar mit Gottfried Benn den „typisch deutschen Innerlichkeitsromancier” sehen kann, dem aber andererseits sowohl Peter Weiss wie Arno Schmidt in den dreißiger Jahren ihre ersten Arbeiten schickten und der aufgeräumt über Francois Rabelais‘ „Gargantua und Pantagruel” in der Regis-Übersetzung schrieb, dies Buch können ganz wunderbar „als Katerfrühstück nach der Lektüre problematischer Tagesliteratur dienen”.
Recht hat er, und so vernagelt deutsch war er dann auch wieder nicht: Ein Drittel der von ihm besprochenen Autoren waren keine Deutschen, der Mann lebte wirklich mit der Weltliteratur.
JÖRG DREWS
HERMANN HESSE: Die Welt im Buch. Band 3. Rezensionen und Aufsätze 1917 - 1925. Herausgegeben von Volker Michels in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse und Marco Schickling. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 806 Seiten, 40,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein liebend Lobender: Hermann Hesse in seinen Rezensionen und Aufsätzen der Jahre 1917 bis 1925
„Nein, ich will nicht mehr ,rezensieren‘, nie mehr. Aber einige Bücher nennen, die mir in den letzten Monaten wertvoll geworden sind”, schreibt Hermann Hesse Anfang 1917, und dann geht es los mit den Nennungen, und eigentlich auch mit dem Rezensieren, bis der Band zu Ende ist. Er reicht bis 1925. Fast ein Viertel von Hesses Werk besteht aus Literaturkritik – Rezensionen, Hinweise, Nachworte, Essays, Notizen zu bestimmten Autoren – und man wird kaum müde, in diesem Teil seiner Produktion zu lesen. Denn er nennt zwar häufig irgendwelche Texte sehr summarisch „wunderhübsch” und „verdienstvoll” usw., und er ist nicht ein wirklich analysierender Kritiker, dafür aber ein liebend Lobender, ein nachdrücklich Predigender, der sich Leser für Dichter erhofft, die in diesem „Zeitalter des Verfalls” zu kurz kommen, aber dereinst „vielleicht wieder eine Kultur der deutschen Prosa” heraufführen werden.
Nun kann man ja wirklich die Jahre von 1917 bis 1925 „Jahre der Verwahrlosung” Deutschlands nennen, doch die Hessesche Innerlichkeitspflege klingt ziemlich edel-hilflos, wenn er von „Wir Seelischen”, „Wir Außenwelter”, von „Wir Halbverrückten” und von „Weltentsagern” spricht, die sich der „Negerhaftigkeit” der Gegenwart vornehm verweigern. Aber seien wir nicht unfair; man hat den Eindruck, dass er sich in den zwanziger Jahren dann den deutschen Realitäten viel unerschrockener und nüchterner stellt als um die Zeit des Kriegsendes, als er im Blick auf Walter Rathenaus „Von kommenden Dingen” naserümpfend feststellt, das „Reich der Seele” berühre dies alles so wenig „wie zu anderen Zeiten Tyrannen” – was sind schon ein paar Leichen und ein bisschen Unterdrückung, verglichen mit der „Seele” und ihrem ewigen Reich! Seine höchsten Gestirne bleiben Goethe, Keller und Hölderlin, und am heftigsten wirbt er für Jean Paul und E.T.A. Hoffmann, dessen „Kater Murr” nun – dies schreibt Hesse im November 1923 mit vergnügter Häme - „das deutsche Heer, die deutsche Monarchie und die deutsche Kriegswirtschaft überlebt” habe.
Man kann sich leicht über die Bildungspusseligkeit vieler seiner Ratschläge lustig machen, aber zu einem Zeitpunkt, da sich sogar angebliche Germanistikstudenten weigern, übers Wochenende ein Buch zu lesen, bleibt einem der Spott über Hesses Werben und seine Sicherheit in Sachen Kanon im Halse stecken. Was ich im übrigen gerne wüsste: Wie entschied sich denn die Majorität der Leser der literarischen Empfehlungen Hesses dann im Jahre 1933?
Doch derlei Nachdenkenswertes muss einen nicht vom Genuss solcher Kostbarkeiten abhalten wie dem Nachruf auf den schwäbischen Dichter Christian Wagner, diesen 1918 gestorbenen wundersamen Bauern aus Warmbronn, der einer der großen Lyriker deutscher Sprache war, oder von der Lektüre des großen Essays über Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre”, dessen Schwächen Hesse sehr genau benennt (um dann allerdings wieder abzuwiegeln durch schwärmerisches „Dennoch”-Lob); außerdem gibt es da 25 Seiten mit sehr scharfsinnigen Notizen über Dostojewskij und 12 Seiten mit einem liebevoll-eindringlichen Porträt Salomon Gessners, und im übrigen hat Hesse ein exzellentes Gespür für die Prosa nicht nur von Kafka, Albert Ehrensteins und Richard Huelsenbeck, sondern auch für die von Sigmund Freud: „Der sorgfältige Forscher und klare Logiker Freud hat sich ein vorzügliches Instrument in seiner ganz intellektualistischen, aber prachtvoll scharfen, genau definierenden, gelegentlich auch kampf- und spottlustigen Sprache geschaffen – von wie vielen unserer Gelehrten kann man das sagen?”
Und nicht zuletzt weiß der Mann auch etwas über die Qualitäten der Prosa Rudolf Borchardts: „Als Meister des Essays steht er im heutigen Deutschland an erster Stelle. Aufsätze wie die ,Villa‘ und der über Dante sind Kleinode und trotz einer leichten Neigung zum Akademischen gehört Borchardt heute ohne Zweifel zu den wenigen, welche Deutsch schreiben können.”
Voila! Irgendetwas musste doch dran sein an einem Mann, in dem man zwar mit Gottfried Benn den „typisch deutschen Innerlichkeitsromancier” sehen kann, dem aber andererseits sowohl Peter Weiss wie Arno Schmidt in den dreißiger Jahren ihre ersten Arbeiten schickten und der aufgeräumt über Francois Rabelais‘ „Gargantua und Pantagruel” in der Regis-Übersetzung schrieb, dies Buch können ganz wunderbar „als Katerfrühstück nach der Lektüre problematischer Tagesliteratur dienen”.
Recht hat er, und so vernagelt deutsch war er dann auch wieder nicht: Ein Drittel der von ihm besprochenen Autoren waren keine Deutschen, der Mann lebte wirklich mit der Weltliteratur.
JÖRG DREWS
HERMANN HESSE: Die Welt im Buch. Band 3. Rezensionen und Aufsätze 1917 - 1925. Herausgegeben von Volker Michels in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse und Marco Schickling. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 806 Seiten, 40,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.1998Lehren für liebekundige Herzen
Sanftes aus dem Weihrauchfaß: Hermann Hesses Buchbesprechungen
Schöne Bücher, die nichts ahnten, haussierten vor dem Ersten Weltkrieg. Was Hermann Hesse damals alles besprach: Märchen und Mystiker, Schwänke und Stilblüten, Kunstbücher und Volksbücher, Altchinesisches, Indisches und Arabisches, Casanova und Tolstoi, Goethe, Jean Paul und Mörike, die "Gesta Romanorum" und die Sammlung Thule - er ist ein Schatzhaus kultureller Kostbarkeiten, das seinesgleichen sucht.
Der Historismus jener Jahre förderte Vergessenes aller Zeiten und Räume zutage und offerierte es in geschmackvoller Ausstattung zur Zierde der Bücherschränke. Wir blicken in die Welt der internationalen Edelantiquariate und kostbaren Reprints, der Luxusausgaben und der Klassiker fürs Volk. Es duftet erlesen nach Geist und Geschmack. Hermann Hesse steht mitten im Basar und preist mit sanfter Stimme seine Ware an. Mit schönen Handbewegungen formt er Gebilde in die Luft voll edler Einfalt und stiller Größe. Wie saubere Glasperlen rollen das Echte, Wahre, Stille und Schlichte, das Kernfeste und gütig Humorige, das Kluge und Klare, das Feine und Gescheite aus seinen Händen. Sonore Hohlformen entquellen seiner Feder. "Und den Nachdenklichen wird es nicht verborgen bleiben, daß diese Vereinigung frohen Menschentums und meisterhaften Könnens kein Zufall ist, daß die klare Schönheit dieser Stilisierung und die ganze stille Überlegenheit dieser Kunst durchaus auf der freudigen Gesundheit eines liebekundigen Herzens und auf der Kraft eines lauteren Charakters beruht." Wen er damit meint (es ist in diesem Falle Olaf Gulbransson), ist ganz egal. Dies ist kein Satz, sondern ein Weihrauchfaß und bedeutet die Bankrotterklärung als Kritiker.
Hesse wollte das Positive. Er besprach nur Bücher, die ihm bedeutend vorkamen. Aber so wählerische Heikligkeit muß bezahlt werden. Wer sich nicht beschmutzen will, den beschmutzt das Leben. Auf sechshundert Seiten kein einziger Verriß: Auch das ist eine Bankrotterklärung. Das Lobvokabular stumpft rasch ab und ist auf die Dauer unerträglich, wenn es nicht ab und zu durch ein Gewitter aufgefrischt wird. Immer blauer Himmel macht nervös. Zwischen Kritik aber wirkt Lob stark. Der Glanz der Sonne erstaunt nur, wenn sie durch finstre Wetterwolken bricht. Wer seine Gegner nicht auch einmal in die Schranken fordert, ist ein Säusler, kein Kritiker.
Die Edelwelt des Jugendstils der Vorkriegszeit sehen wir heute vor dem Horizont des Grauens, das ihr folgte. Die schönen Bücher haben nicht nur nichts verhindert, nicht nur nichts erkannt und nichts verstanden, sie haben sich als schöner Schein zur Verbrämung des Schrecklichen zur Verfügung gestellt. Auch Hesse hat die Illusion vom unberührbaren Seelenadel des Geistes nicht aufgeben wollen. Man rühmt immer, daß er im Ersten Weltkrieg zu den wenigen Pazifisten zählte. Das ist schön und richtig, doch blieb dieser Pazifismus völlig unpolitisch und wußte von den Ursachen des Krieges nichts. Das soll nicht heißen, daß es nicht verdienstvoll gewesen wäre, sich um Kriegsgefangenenbibliotheken zu kümmern. Aber ob der Gefangene verstanden hat, was ihm widerfahren war, wenn er Lao Tse oder Hesse las? Es wird ihn getröstet haben, gewiß, es wird ihm geholfen haben, seine Identität gegen das Grauen zu bewahren. Erkenntnis oder gar Widerstand konnten daraus jedoch nicht erwachsen.
Hesses Pazifismus zielte vor allem darauf, dieses imaginierte übernationale Reich des Geistes zu sichern. Daß der Krieg es nicht zerstören könne, war seine Botschaft. Hesse hatte deshalb keine Bedenken, auch kriegsbejahende Bücher zu besprechen. Er gibt sich überzeugt davon, "daß der geistige Mensch, der Träger heutiger Kultur, zwar im Kriege Reduktionen erlebt, nicht aber notwendigerweise Schädigungen". Er glaubt an die Kraft des Geistes im Schützengraben und behauptet sogar, "daß der differenziertere Nervenmensch mehr aushält und leichter ein Darüberstehen findet als der ,unverbrauchte' Naive". Er sagt das freilich von der Schweiz aus und weiß es nur aus Büchern.
Zu diesen Büchern zählte Max Schelers nationalistische Edelschwärmerei "Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg" (1915), den "Freunden im Felde" gewidmet. Hesse ist begeistert. "Dies liebenswerte, geistesjunge Buch ist eine Gewähr dafür, daß in Deutschland Wille und Fähigkeit da sind, den tieferen Sinn dieses Krieges zu erfassen, ihm diesen Sinn zu geben. Es ist eine Jugend da, welche um keinen Preis, auch nicht um den eines wohlfeilen Friedens, dieses Erlebnisses wieder unwürdig werden will. Der Sprecher dieser Jugend sieht überall die positive Seite des Krieges, er ist ihm Wecker, Sichtbarmacher unsichtbarer Strahlen, Förderer der Liebe nicht nur zwischen den Volksgenossen, sondern für die Zukunft auch unter den Nationen, er ist ihm Gewitter und Zuchtrute, Reiniger und Durchglüher, und so allein wollen und dürfen wir zur Zeit den Krieg ansehen und erleben." Auch Scheler stand nicht im Felde und hatte leicht reden. Aber Pazifist Hesse hätte vielleicht auch einmal zu etwas nein sagen können.
Das Buch ist, wie schon der erste, bereits vor zehn Jahren erschienene Band, wie wohl auch die noch folgenden drei, sorgfältig ediert und kommentiert und zur Vervollständigung unseres Hesse-Bildes zweifellos notwendig. Es bringt viele lesenswerte Porträts, gleich das einleitende über Eduard Mörike zum Beispiel. Die vornehme Klarheit der Sprache wird und soll die Liebhaber des Hesse-Tons zufriedenstellen.
Man wird auch in den nächsten Bänden, die mit Hesses großer Lebenskrise von 1916/1917 einsetzen, sicher wieder viel Schönes finden, aber wahrscheinlich auch wieder die Zeitentrücktheit dieser Produkte zu beklagen haben. Hesse wurde unter Hitler in Deutschland gedruckt, jedenfalls bis Anfang der vierziger Jahre. Die Emigranten empfanden das als Verrat. Wieder hätte es gegolten, Flagge zu zeigen und nicht nur das Positive, sondern auch das Negative laut und vernehmlich zu sagen. Das über der Geschichte schwebende Reich des schönen Geistes gibt es nicht. HERMANN KURZKE
Hermann Hesse: "Die Welt im Buch". Leseerfahrungen II. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1911 bis 1916. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, 815 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sanftes aus dem Weihrauchfaß: Hermann Hesses Buchbesprechungen
Schöne Bücher, die nichts ahnten, haussierten vor dem Ersten Weltkrieg. Was Hermann Hesse damals alles besprach: Märchen und Mystiker, Schwänke und Stilblüten, Kunstbücher und Volksbücher, Altchinesisches, Indisches und Arabisches, Casanova und Tolstoi, Goethe, Jean Paul und Mörike, die "Gesta Romanorum" und die Sammlung Thule - er ist ein Schatzhaus kultureller Kostbarkeiten, das seinesgleichen sucht.
Der Historismus jener Jahre förderte Vergessenes aller Zeiten und Räume zutage und offerierte es in geschmackvoller Ausstattung zur Zierde der Bücherschränke. Wir blicken in die Welt der internationalen Edelantiquariate und kostbaren Reprints, der Luxusausgaben und der Klassiker fürs Volk. Es duftet erlesen nach Geist und Geschmack. Hermann Hesse steht mitten im Basar und preist mit sanfter Stimme seine Ware an. Mit schönen Handbewegungen formt er Gebilde in die Luft voll edler Einfalt und stiller Größe. Wie saubere Glasperlen rollen das Echte, Wahre, Stille und Schlichte, das Kernfeste und gütig Humorige, das Kluge und Klare, das Feine und Gescheite aus seinen Händen. Sonore Hohlformen entquellen seiner Feder. "Und den Nachdenklichen wird es nicht verborgen bleiben, daß diese Vereinigung frohen Menschentums und meisterhaften Könnens kein Zufall ist, daß die klare Schönheit dieser Stilisierung und die ganze stille Überlegenheit dieser Kunst durchaus auf der freudigen Gesundheit eines liebekundigen Herzens und auf der Kraft eines lauteren Charakters beruht." Wen er damit meint (es ist in diesem Falle Olaf Gulbransson), ist ganz egal. Dies ist kein Satz, sondern ein Weihrauchfaß und bedeutet die Bankrotterklärung als Kritiker.
Hesse wollte das Positive. Er besprach nur Bücher, die ihm bedeutend vorkamen. Aber so wählerische Heikligkeit muß bezahlt werden. Wer sich nicht beschmutzen will, den beschmutzt das Leben. Auf sechshundert Seiten kein einziger Verriß: Auch das ist eine Bankrotterklärung. Das Lobvokabular stumpft rasch ab und ist auf die Dauer unerträglich, wenn es nicht ab und zu durch ein Gewitter aufgefrischt wird. Immer blauer Himmel macht nervös. Zwischen Kritik aber wirkt Lob stark. Der Glanz der Sonne erstaunt nur, wenn sie durch finstre Wetterwolken bricht. Wer seine Gegner nicht auch einmal in die Schranken fordert, ist ein Säusler, kein Kritiker.
Die Edelwelt des Jugendstils der Vorkriegszeit sehen wir heute vor dem Horizont des Grauens, das ihr folgte. Die schönen Bücher haben nicht nur nichts verhindert, nicht nur nichts erkannt und nichts verstanden, sie haben sich als schöner Schein zur Verbrämung des Schrecklichen zur Verfügung gestellt. Auch Hesse hat die Illusion vom unberührbaren Seelenadel des Geistes nicht aufgeben wollen. Man rühmt immer, daß er im Ersten Weltkrieg zu den wenigen Pazifisten zählte. Das ist schön und richtig, doch blieb dieser Pazifismus völlig unpolitisch und wußte von den Ursachen des Krieges nichts. Das soll nicht heißen, daß es nicht verdienstvoll gewesen wäre, sich um Kriegsgefangenenbibliotheken zu kümmern. Aber ob der Gefangene verstanden hat, was ihm widerfahren war, wenn er Lao Tse oder Hesse las? Es wird ihn getröstet haben, gewiß, es wird ihm geholfen haben, seine Identität gegen das Grauen zu bewahren. Erkenntnis oder gar Widerstand konnten daraus jedoch nicht erwachsen.
Hesses Pazifismus zielte vor allem darauf, dieses imaginierte übernationale Reich des Geistes zu sichern. Daß der Krieg es nicht zerstören könne, war seine Botschaft. Hesse hatte deshalb keine Bedenken, auch kriegsbejahende Bücher zu besprechen. Er gibt sich überzeugt davon, "daß der geistige Mensch, der Träger heutiger Kultur, zwar im Kriege Reduktionen erlebt, nicht aber notwendigerweise Schädigungen". Er glaubt an die Kraft des Geistes im Schützengraben und behauptet sogar, "daß der differenziertere Nervenmensch mehr aushält und leichter ein Darüberstehen findet als der ,unverbrauchte' Naive". Er sagt das freilich von der Schweiz aus und weiß es nur aus Büchern.
Zu diesen Büchern zählte Max Schelers nationalistische Edelschwärmerei "Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg" (1915), den "Freunden im Felde" gewidmet. Hesse ist begeistert. "Dies liebenswerte, geistesjunge Buch ist eine Gewähr dafür, daß in Deutschland Wille und Fähigkeit da sind, den tieferen Sinn dieses Krieges zu erfassen, ihm diesen Sinn zu geben. Es ist eine Jugend da, welche um keinen Preis, auch nicht um den eines wohlfeilen Friedens, dieses Erlebnisses wieder unwürdig werden will. Der Sprecher dieser Jugend sieht überall die positive Seite des Krieges, er ist ihm Wecker, Sichtbarmacher unsichtbarer Strahlen, Förderer der Liebe nicht nur zwischen den Volksgenossen, sondern für die Zukunft auch unter den Nationen, er ist ihm Gewitter und Zuchtrute, Reiniger und Durchglüher, und so allein wollen und dürfen wir zur Zeit den Krieg ansehen und erleben." Auch Scheler stand nicht im Felde und hatte leicht reden. Aber Pazifist Hesse hätte vielleicht auch einmal zu etwas nein sagen können.
Das Buch ist, wie schon der erste, bereits vor zehn Jahren erschienene Band, wie wohl auch die noch folgenden drei, sorgfältig ediert und kommentiert und zur Vervollständigung unseres Hesse-Bildes zweifellos notwendig. Es bringt viele lesenswerte Porträts, gleich das einleitende über Eduard Mörike zum Beispiel. Die vornehme Klarheit der Sprache wird und soll die Liebhaber des Hesse-Tons zufriedenstellen.
Man wird auch in den nächsten Bänden, die mit Hesses großer Lebenskrise von 1916/1917 einsetzen, sicher wieder viel Schönes finden, aber wahrscheinlich auch wieder die Zeitentrücktheit dieser Produkte zu beklagen haben. Hesse wurde unter Hitler in Deutschland gedruckt, jedenfalls bis Anfang der vierziger Jahre. Die Emigranten empfanden das als Verrat. Wieder hätte es gegolten, Flagge zu zeigen und nicht nur das Positive, sondern auch das Negative laut und vernehmlich zu sagen. Das über der Geschichte schwebende Reich des schönen Geistes gibt es nicht. HERMANN KURZKE
Hermann Hesse: "Die Welt im Buch". Leseerfahrungen II. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1911 bis 1916. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, 815 S., geb., 78,- DM.
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