Der Band mit Hermann Hesses hier erstmals vollständig veröffentlichten Lektüreempfehlungen aus den Jahren 1926-1934 ermöglicht einen aufschlußreichen Blick in eine besonders spannungsvolle Periode der deutschen und europäischen Kulturszene. Es sind die 20er Jahre bis kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.1998Lehren für liebekundige Herzen
Sanftes aus dem Weihrauchfaß: Hermann Hesses Buchbesprechungen
Schöne Bücher, die nichts ahnten, haussierten vor dem Ersten Weltkrieg. Was Hermann Hesse damals alles besprach: Märchen und Mystiker, Schwänke und Stilblüten, Kunstbücher und Volksbücher, Altchinesisches, Indisches und Arabisches, Casanova und Tolstoi, Goethe, Jean Paul und Mörike, die "Gesta Romanorum" und die Sammlung Thule - er ist ein Schatzhaus kultureller Kostbarkeiten, das seinesgleichen sucht.
Der Historismus jener Jahre förderte Vergessenes aller Zeiten und Räume zutage und offerierte es in geschmackvoller Ausstattung zur Zierde der Bücherschränke. Wir blicken in die Welt der internationalen Edelantiquariate und kostbaren Reprints, der Luxusausgaben und der Klassiker fürs Volk. Es duftet erlesen nach Geist und Geschmack. Hermann Hesse steht mitten im Basar und preist mit sanfter Stimme seine Ware an. Mit schönen Handbewegungen formt er Gebilde in die Luft voll edler Einfalt und stiller Größe. Wie saubere Glasperlen rollen das Echte, Wahre, Stille und Schlichte, das Kernfeste und gütig Humorige, das Kluge und Klare, das Feine und Gescheite aus seinen Händen. Sonore Hohlformen entquellen seiner Feder. "Und den Nachdenklichen wird es nicht verborgen bleiben, daß diese Vereinigung frohen Menschentums und meisterhaften Könnens kein Zufall ist, daß die klare Schönheit dieser Stilisierung und die ganze stille Überlegenheit dieser Kunst durchaus auf der freudigen Gesundheit eines liebekundigen Herzens und auf der Kraft eines lauteren Charakters beruht." Wen er damit meint (es ist in diesem Falle Olaf Gulbransson), ist ganz egal. Dies ist kein Satz, sondern ein Weihrauchfaß und bedeutet die Bankrotterklärung als Kritiker.
Hesse wollte das Positive. Er besprach nur Bücher, die ihm bedeutend vorkamen. Aber so wählerische Heikligkeit muß bezahlt werden. Wer sich nicht beschmutzen will, den beschmutzt das Leben. Auf sechshundert Seiten kein einziger Verriß: Auch das ist eine Bankrotterklärung. Das Lobvokabular stumpft rasch ab und ist auf die Dauer unerträglich, wenn es nicht ab und zu durch ein Gewitter aufgefrischt wird. Immer blauer Himmel macht nervös. Zwischen Kritik aber wirkt Lob stark. Der Glanz der Sonne erstaunt nur, wenn sie durch finstre Wetterwolken bricht. Wer seine Gegner nicht auch einmal in die Schranken fordert, ist ein Säusler, kein Kritiker.
Die Edelwelt des Jugendstils der Vorkriegszeit sehen wir heute vor dem Horizont des Grauens, das ihr folgte. Die schönen Bücher haben nicht nur nichts verhindert, nicht nur nichts erkannt und nichts verstanden, sie haben sich als schöner Schein zur Verbrämung des Schrecklichen zur Verfügung gestellt. Auch Hesse hat die Illusion vom unberührbaren Seelenadel des Geistes nicht aufgeben wollen. Man rühmt immer, daß er im Ersten Weltkrieg zu den wenigen Pazifisten zählte. Das ist schön und richtig, doch blieb dieser Pazifismus völlig unpolitisch und wußte von den Ursachen des Krieges nichts. Das soll nicht heißen, daß es nicht verdienstvoll gewesen wäre, sich um Kriegsgefangenenbibliotheken zu kümmern. Aber ob der Gefangene verstanden hat, was ihm widerfahren war, wenn er Lao Tse oder Hesse las? Es wird ihn getröstet haben, gewiß, es wird ihm geholfen haben, seine Identität gegen das Grauen zu bewahren. Erkenntnis oder gar Widerstand konnten daraus jedoch nicht erwachsen.
Hesses Pazifismus zielte vor allem darauf, dieses imaginierte übernationale Reich des Geistes zu sichern. Daß der Krieg es nicht zerstören könne, war seine Botschaft. Hesse hatte deshalb keine Bedenken, auch kriegsbejahende Bücher zu besprechen. Er gibt sich überzeugt davon, "daß der geistige Mensch, der Träger heutiger Kultur, zwar im Kriege Reduktionen erlebt, nicht aber notwendigerweise Schädigungen". Er glaubt an die Kraft des Geistes im Schützengraben und behauptet sogar, "daß der differenziertere Nervenmensch mehr aushält und leichter ein Darüberstehen findet als der ,unverbrauchte' Naive". Er sagt das freilich von der Schweiz aus und weiß es nur aus Büchern.
Zu diesen Büchern zählte Max Schelers nationalistische Edelschwärmerei "Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg" (1915), den "Freunden im Felde" gewidmet. Hesse ist begeistert. "Dies liebenswerte, geistesjunge Buch ist eine Gewähr dafür, daß in Deutschland Wille und Fähigkeit da sind, den tieferen Sinn dieses Krieges zu erfassen, ihm diesen Sinn zu geben. Es ist eine Jugend da, welche um keinen Preis, auch nicht um den eines wohlfeilen Friedens, dieses Erlebnisses wieder unwürdig werden will. Der Sprecher dieser Jugend sieht überall die positive Seite des Krieges, er ist ihm Wecker, Sichtbarmacher unsichtbarer Strahlen, Förderer der Liebe nicht nur zwischen den Volksgenossen, sondern für die Zukunft auch unter den Nationen, er ist ihm Gewitter und Zuchtrute, Reiniger und Durchglüher, und so allein wollen und dürfen wir zur Zeit den Krieg ansehen und erleben." Auch Scheler stand nicht im Felde und hatte leicht reden. Aber Pazifist Hesse hätte vielleicht auch einmal zu etwas nein sagen können.
Das Buch ist, wie schon der erste, bereits vor zehn Jahren erschienene Band, wie wohl auch die noch folgenden drei, sorgfältig ediert und kommentiert und zur Vervollständigung unseres Hesse-Bildes zweifellos notwendig. Es bringt viele lesenswerte Porträts, gleich das einleitende über Eduard Mörike zum Beispiel. Die vornehme Klarheit der Sprache wird und soll die Liebhaber des Hesse-Tons zufriedenstellen.
Man wird auch in den nächsten Bänden, die mit Hesses großer Lebenskrise von 1916/1917 einsetzen, sicher wieder viel Schönes finden, aber wahrscheinlich auch wieder die Zeitentrücktheit dieser Produkte zu beklagen haben. Hesse wurde unter Hitler in Deutschland gedruckt, jedenfalls bis Anfang der vierziger Jahre. Die Emigranten empfanden das als Verrat. Wieder hätte es gegolten, Flagge zu zeigen und nicht nur das Positive, sondern auch das Negative laut und vernehmlich zu sagen. Das über der Geschichte schwebende Reich des schönen Geistes gibt es nicht. HERMANN KURZKE
Hermann Hesse: "Die Welt im Buch". Leseerfahrungen II. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1911 bis 1916. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, 815 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sanftes aus dem Weihrauchfaß: Hermann Hesses Buchbesprechungen
Schöne Bücher, die nichts ahnten, haussierten vor dem Ersten Weltkrieg. Was Hermann Hesse damals alles besprach: Märchen und Mystiker, Schwänke und Stilblüten, Kunstbücher und Volksbücher, Altchinesisches, Indisches und Arabisches, Casanova und Tolstoi, Goethe, Jean Paul und Mörike, die "Gesta Romanorum" und die Sammlung Thule - er ist ein Schatzhaus kultureller Kostbarkeiten, das seinesgleichen sucht.
Der Historismus jener Jahre förderte Vergessenes aller Zeiten und Räume zutage und offerierte es in geschmackvoller Ausstattung zur Zierde der Bücherschränke. Wir blicken in die Welt der internationalen Edelantiquariate und kostbaren Reprints, der Luxusausgaben und der Klassiker fürs Volk. Es duftet erlesen nach Geist und Geschmack. Hermann Hesse steht mitten im Basar und preist mit sanfter Stimme seine Ware an. Mit schönen Handbewegungen formt er Gebilde in die Luft voll edler Einfalt und stiller Größe. Wie saubere Glasperlen rollen das Echte, Wahre, Stille und Schlichte, das Kernfeste und gütig Humorige, das Kluge und Klare, das Feine und Gescheite aus seinen Händen. Sonore Hohlformen entquellen seiner Feder. "Und den Nachdenklichen wird es nicht verborgen bleiben, daß diese Vereinigung frohen Menschentums und meisterhaften Könnens kein Zufall ist, daß die klare Schönheit dieser Stilisierung und die ganze stille Überlegenheit dieser Kunst durchaus auf der freudigen Gesundheit eines liebekundigen Herzens und auf der Kraft eines lauteren Charakters beruht." Wen er damit meint (es ist in diesem Falle Olaf Gulbransson), ist ganz egal. Dies ist kein Satz, sondern ein Weihrauchfaß und bedeutet die Bankrotterklärung als Kritiker.
Hesse wollte das Positive. Er besprach nur Bücher, die ihm bedeutend vorkamen. Aber so wählerische Heikligkeit muß bezahlt werden. Wer sich nicht beschmutzen will, den beschmutzt das Leben. Auf sechshundert Seiten kein einziger Verriß: Auch das ist eine Bankrotterklärung. Das Lobvokabular stumpft rasch ab und ist auf die Dauer unerträglich, wenn es nicht ab und zu durch ein Gewitter aufgefrischt wird. Immer blauer Himmel macht nervös. Zwischen Kritik aber wirkt Lob stark. Der Glanz der Sonne erstaunt nur, wenn sie durch finstre Wetterwolken bricht. Wer seine Gegner nicht auch einmal in die Schranken fordert, ist ein Säusler, kein Kritiker.
Die Edelwelt des Jugendstils der Vorkriegszeit sehen wir heute vor dem Horizont des Grauens, das ihr folgte. Die schönen Bücher haben nicht nur nichts verhindert, nicht nur nichts erkannt und nichts verstanden, sie haben sich als schöner Schein zur Verbrämung des Schrecklichen zur Verfügung gestellt. Auch Hesse hat die Illusion vom unberührbaren Seelenadel des Geistes nicht aufgeben wollen. Man rühmt immer, daß er im Ersten Weltkrieg zu den wenigen Pazifisten zählte. Das ist schön und richtig, doch blieb dieser Pazifismus völlig unpolitisch und wußte von den Ursachen des Krieges nichts. Das soll nicht heißen, daß es nicht verdienstvoll gewesen wäre, sich um Kriegsgefangenenbibliotheken zu kümmern. Aber ob der Gefangene verstanden hat, was ihm widerfahren war, wenn er Lao Tse oder Hesse las? Es wird ihn getröstet haben, gewiß, es wird ihm geholfen haben, seine Identität gegen das Grauen zu bewahren. Erkenntnis oder gar Widerstand konnten daraus jedoch nicht erwachsen.
Hesses Pazifismus zielte vor allem darauf, dieses imaginierte übernationale Reich des Geistes zu sichern. Daß der Krieg es nicht zerstören könne, war seine Botschaft. Hesse hatte deshalb keine Bedenken, auch kriegsbejahende Bücher zu besprechen. Er gibt sich überzeugt davon, "daß der geistige Mensch, der Träger heutiger Kultur, zwar im Kriege Reduktionen erlebt, nicht aber notwendigerweise Schädigungen". Er glaubt an die Kraft des Geistes im Schützengraben und behauptet sogar, "daß der differenziertere Nervenmensch mehr aushält und leichter ein Darüberstehen findet als der ,unverbrauchte' Naive". Er sagt das freilich von der Schweiz aus und weiß es nur aus Büchern.
Zu diesen Büchern zählte Max Schelers nationalistische Edelschwärmerei "Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg" (1915), den "Freunden im Felde" gewidmet. Hesse ist begeistert. "Dies liebenswerte, geistesjunge Buch ist eine Gewähr dafür, daß in Deutschland Wille und Fähigkeit da sind, den tieferen Sinn dieses Krieges zu erfassen, ihm diesen Sinn zu geben. Es ist eine Jugend da, welche um keinen Preis, auch nicht um den eines wohlfeilen Friedens, dieses Erlebnisses wieder unwürdig werden will. Der Sprecher dieser Jugend sieht überall die positive Seite des Krieges, er ist ihm Wecker, Sichtbarmacher unsichtbarer Strahlen, Förderer der Liebe nicht nur zwischen den Volksgenossen, sondern für die Zukunft auch unter den Nationen, er ist ihm Gewitter und Zuchtrute, Reiniger und Durchglüher, und so allein wollen und dürfen wir zur Zeit den Krieg ansehen und erleben." Auch Scheler stand nicht im Felde und hatte leicht reden. Aber Pazifist Hesse hätte vielleicht auch einmal zu etwas nein sagen können.
Das Buch ist, wie schon der erste, bereits vor zehn Jahren erschienene Band, wie wohl auch die noch folgenden drei, sorgfältig ediert und kommentiert und zur Vervollständigung unseres Hesse-Bildes zweifellos notwendig. Es bringt viele lesenswerte Porträts, gleich das einleitende über Eduard Mörike zum Beispiel. Die vornehme Klarheit der Sprache wird und soll die Liebhaber des Hesse-Tons zufriedenstellen.
Man wird auch in den nächsten Bänden, die mit Hesses großer Lebenskrise von 1916/1917 einsetzen, sicher wieder viel Schönes finden, aber wahrscheinlich auch wieder die Zeitentrücktheit dieser Produkte zu beklagen haben. Hesse wurde unter Hitler in Deutschland gedruckt, jedenfalls bis Anfang der vierziger Jahre. Die Emigranten empfanden das als Verrat. Wieder hätte es gegolten, Flagge zu zeigen und nicht nur das Positive, sondern auch das Negative laut und vernehmlich zu sagen. Das über der Geschichte schwebende Reich des schönen Geistes gibt es nicht. HERMANN KURZKE
Hermann Hesse: "Die Welt im Buch". Leseerfahrungen II. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1911 bis 1916. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, 815 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wer hätte das gedacht! Jörg Drews ist nicht wenig überrascht, dass der zu "Betulichkeit und Sanftheit" neigende Prosaist ("von seiner Lyrik ganz zu schweigen") über erstaunliche kritische Urteilfähigkeit verfügt. Denn meistens, resümiert der Rezensent, lag Hesse in seinen Rezensionen absolut richtig: Er erkannte die Bedeutung des "Mann ohne Eigenschaften", sah "sofort, dass Julien Greens 'Leviathan' etwas ganz Außerordentliches ist", und hat den Rezensenten sogar auf den "aufsässigen Gedanken" gebracht, dass Hermann Brochs Roman "Die Schlafwandler" dem geschwätzigen "Zauberberg" ja wohl mindestens ebenbürtig sei. Klar, auch Hesse brauchte das Geld und schrieb mancherlei Nettigkeiten, lieferte auch "bildungsbeflissen-brave Fingerzeige auf Novellisten, die wir inzwischen als sehr dünnblütig und limonadig abtun müssen". Aber insgesamt, so Drews voller Anerkennung": eine hohe "kritische Trefferquote".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH