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Autobiographisch motivierter Debütroman des 1965 in Sofia geborenen und in Kenia sowie in Deutschland aufgewachsenen Autors. Der intakte Mythos einer balkanischen Welt als Familiensaga, die ernüchternde Erfahrung des Exils im italienischen Asylantenheim und die utopische Reise um die kleine, große Welt als Lehr- und Wanderjahre des jungen "Helden".
Alex' Vater erträgt den Alltag seines diktatorischen Heimatlandes nicht länger - und hinter dem Horizont lockt das Gelobte Land. Schwupp, fliegt der Junge über den Grenzzaun, die Eltern fliehen hinterher. Doch schon bald zeigt sich, daß sie in
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Produktbeschreibung
Autobiographisch motivierter Debütroman des 1965 in Sofia geborenen und in Kenia sowie in Deutschland aufgewachsenen Autors. Der intakte Mythos einer balkanischen Welt als Familiensaga, die ernüchternde Erfahrung des Exils im italienischen Asylantenheim und die utopische Reise um die kleine, große Welt als Lehr- und Wanderjahre des jungen "Helden".
Alex' Vater erträgt den Alltag seines diktatorischen Heimatlandes nicht länger - und hinter dem Horizont lockt das Gelobte Land. Schwupp, fliegt der Junge über den Grenzzaun, die Eltern fliehen hinterher. Doch schon bald zeigt sich, daß sie in ihrer Heimat nicht nur einen rosenbestickten Gobelin, Großeltern, Onkel und Tanten zurückließen: Italien, das ist zunächst das Flüchtlingslager Pelferino. So hatte sich das keiner vorgestellt. In seinem vor Geschichten und Ideen nur so platzenden Debütroman erzählt der in Bulgarien geborene Autor vom Exil und davon, wie man sein Glück in die Hand nimmt.
Autorenporträt
Trojanow, Ilija
Ilija Trojanow, 1965 in Sofia geboren, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 siedelte die Familie nach Kenia über. Von 1985 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie an der Universität München, später gründete er hier den Kyrill & Method Verlag sowie den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Bombay, 2003 nach Kapstadt. Seine Bücher wurden mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem erhielt er 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse für den Roman 'Der Weltensammler' (dtv 13581), 2009 den Preis der Literaturhäuser sowie den Würth-Preis für Europäische Literatur. 2017 wurde er mit dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet, 2018 mit dem Usedomer Literaturpreis. Ilija Trojanow lebt in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.1996

Welt im Würfelbecher
Ilija Trojanows Debütroman · Von Hubert Spiegel

Das Märchen beginnt in einer Bank. Sie steht in einer fernen Stadt, "die sich so in den Bergen versteckt hielt, daß kein Steuereintreiber sie kannte und selbst die Geographen von Sultanen, Zaren und Generalsekretären sie nicht auf ihren gierigen Karten verzeichneten". Auch die Zeitangabe ist merkwürdig verrätselt. Was hier erzählt wird, geschah "vor vielen, vielen Würfelwürfen". Die Bank ist ein verwunschenes Schloß, es gibt keine Angestellten und keine Kunden. Ihr Direktor ist ein König ohne Reich und doch der wichtigste Mann des Ortes. Denn Bai Dan ist der "Meister des Spiels in der heimlichen Hauptstadt der Spieler". Jeden Tag verläßt der "Magier" der Würfel pünktlich zur selben Stunde die Bank und sucht das Kaffeehaus auf, den Treffpunkt der Spieler. Was er in der seit langem schon geschlossenen Bank macht, scheint niemand zu wissen.

"Die Welt ist groß und Rettung lauert überall", der erste Roman des gebürtigen Bulgaren Ilija Trojanow, beginnt und endet in einem Zockerparadies in den Bergen des Balkans. Las Vegas ist fern. Hier gibt es keine Casinos und keine Drogen, keine schönen Frauen oder kühlen Killer. Die Spieler spielen mit heiligem Ernst, aber allein zu ihrem Vergnügen. Ihr Spiel ist eine zahme Sucht, die keine Opfer verlangt. Diese glückliche Spielhölle ist die Heimat von Alexandar Luxow.

Bevor sich Trojanow seinem Helden zuwendet, erzählt er die Chronik des Gebirgs-Casinos ab urbe condita und die Familiengeschichte der Luxows bis zu Alexandars Urgroßeltern. Man weiß zunächst nicht recht, wer diese Familiensaga berichtet, ein namenloser Erzähler oder Alexandars Onkel und Taufpate Bai Dan, der den Leser zuweilen unvermittelt anspricht. Aber schon wenige Seiten nach seiner Geburt meldet sich auch Alexandar zu Wort, dem sein Autor alles mitgegeben hat, was ein anständiger Picaro braucht. Die politischen Verhältnisse in dem Balkanstaat sind marode, ein drittes Ohr an der Stelle des Bauchnabels sowie ein entschlossenes Fingerschnippen schon im Kindbett verheißen ungewöhnliche Anlagen, zu deren Ausbildung mit dem geheimnisvollen Onkel und Meisterwürfler auch der ideale Lehrmeister bereitsteht. Aber was Alexandar zu berichten hat, klingt wenig nach einem Picaro.

Während Bai Dan die Familiengeschichte in den buntesten Farben schildert, sich an Details berauscht, liebevoll die Eigenheiten der Großmutter, ihre Liebe zur Oper und ihre Gier nach Süßem beschreibt, sind Alexandars Notate grau und belanglos. Sie künden von einem ziellosen Leben in einer deutschen Stadt, ganz der Gegenwart und dem Augenblick verpflichtet, ohne Verbindung zur Vergangenheit und ohne Blick für die Zukunft. Der erwachsene Alexandar ist ein aus der Art geschlagener Schelm, ein Lebenskünstler, der seiner Zunft Schande bereitet.

Aber Trojanow erzählt nicht die ganze Geschichte. Zwischen der Flucht aus der Heimat, dem erzählerischen Höhepunkt des Buches, der in ein italienisches Auffanglager für Asylbewerber führt, und Alexandars Notaten klafft eine Lücke von fast zwanzig Jahren. Was in dieser Zeit passiert ist, erfährt der Leser nicht, denn auch sein greiser Gewährsmann Bai Dan weiß darüber nichts. Der einzige, der davon berichten könnte, Alexandar nämlich, liegt in einem Krankenhaus, apathisch, von einer nicht näher bezeichneten Krankheit befallen, die sein Taufpate später kurzerhand als "Oblomowitis" diagnostizieren und während einer Weltreise kurieren wird. Welche Krankheit Alexandar befallen hat, wie er aus Italien nach Deutschland geraten ist, wann er seine Eltern verloren und wie er seine Jugend verbracht hat - all das bleibt im dunkeln. Von der neuen Welt, in der der Exilant lebt, tauchen nur Bruchstücke auf: eine freudlose Liaison mit einer Aushilfe im Fast-food-Restaurant, die deprimierende Atmosphäre im Hospital und später, schon auf der Weltreise, randalierende Jugendliche in der Pariser U-Bahn, die einen Griot, einen afrikanischen Märchenerzähler und Chronisten, grundlos zusammenschlagen. Das "Gelobte", Alexandars Sammelbegriff für die Welt westlich des Eisernen Vorhangs, hat für Leute, die noch Geschichten erzählen, nicht viel übrig.

Ilija Trojanows erster Roman handelt von Exil und Würfelspiel, von der Trauer um die verlorene Heimat, dem Erzählen als Geheimnis des Überlebens und von der Lust an der Reise als Lebensform. "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" ist eine Familiensaga, bunt und lärmend, zum Teil hinreißend erzählt, mit Sinn für skurrile Details, und zugleich ein etwas schräger Entwicklungsroman, der die Welt in den Würfelbecher packt. Bai Dan behauptet, daß die Würfel nicht dem Zufall gehorchen, sondern allein der Hand dessen, der sie wirft. Was für die Würfel gilt, so Bai Dans unausgesprochene Lehre für seinen Schützling Alexandar, gilt für das ganze Leben: "Anstatt herumzujammern, solltest du dich etwas mehr mit diesem Spiel beschäftigen."

Ilija Trojanow weiß, wovon er spricht. Wie Alexandar ist Trojanow mit seinen Eltern aus Bulgarien geflohen, um später in Deutschland Asyl zu finden. Wie Bai Dan ist er weit gereist. Zehn Jahre hat der heute Einunddreißigjährige in Afrika verbracht, seit 1989 arbeitet er in München als Verleger, der sich unter anderem auf Literatur aus und über Afrika spezialisiert hat. Seit er im vorigen Jahr in Klagenfurt für einen Auszug aus dem damals noch unvollendeten Erstling ausgezeichnet wurde, gilt Trojanow als vielversprechend.

Und tatsächlich sind die Vorzüge dieses Debüts beachtlich: Trojanow erzählt mit leichter Hand, farbig und einfallsreich. Er wechselt die Perspektiven mit großem Geschick, erzählt vielstimmig und vermag seinen Charakteren Leben einzuhauchen. Aber diese Tugenden bergen auch Gefahren. Der Erzähler verfällt allzu oft in einen Gestus, der überstandenes Elend verklärt und in der Vergangenheit nur das Idyll wahrnimmt. Das beginnt bei der Sprache, mit der Trojanow Dingen menschliche Eigenschaften zuschreibt und so eine Welt erschafft, in der nichts vollkommen, aber doch fast alles auf irgendeine Weise gemütlich oder sogar niedlich ist: Holzhäuser werden müde und ziehen sich ihre Dächer "tief über die Stirn", die Tastatur eines Beamten ist "uninteressiert", ein Lachen verabschiedet sich.

Trojanow hat seinen ersten Roman sorgfältig gebaut und aufwendig instrumentiert. Die Handlung beginnt und endet bei den Würfelspielern im Kaffehaus, Bai Dans Berichte von der Familiengeschichte Alexandars und seinen Fluchterlebnissen werden gezielt unterbrochen von den Notaten aus der Gegenwart. Trojanow stellt damit aber nicht nur die anekdotenträchtige Vergangenheit im Schoß der Familie der Einsamkeit im Exil gegenüber. Während Bai Dan mit solcher Begeisterung zu erzählen vermag, daß er vermutlich die Würfel zum Pasch überreden kann, zeugen Alexandars Einwürfe von der Gefahr des Verstummens. Deshalb inszeniert Trojanow Bai Dans Therapie für den kranken Neffen, die Weltreise im letzten Viertel des Buches, als Reise zu den Quellen des Erzählens. Erst jetzt, nach der Fahrt auf dem Tandem nach Monte Carlo, Paris und London und nach der Schiffspassage nach New York, kehrt die verlorene Gabe zurück: "Und Alex kann endlich erzählen."

Kein Zweifel, daß Alexandar nun seinem Lehrmeister treu bleiben wird. Der verlorene Neffe hat die Sprache wiedergefunden, das Erzählen triumphiert, die Anekdote kittet den Riß in der Welt. So simpel, leider, liest sich Trojanows Exilantenmärchen vom Ende her. Und so schlicht ist dieses Buch zumindest in seinem letzten Drittel auch gestrickt. Die therapeutische Reise ist Trojanow gänzlich mißraten, auch wenn einzelnen Passagen wie etwa der Vollversammlung der New Yorker Taxifahrer hübsche Ideen zugrunde liegen. Aber Bai Dan verkümmert immer mehr zur Hutzelfee auf dem Tandem. Der Kleine-Jungen-Traum von der Fahrt im italienischen Sportwagen oder die Romanze mit der wunderschönen Passagierin auf dem Ozeandampfer nach New York - alle, alle Wünsche gehen in Erfüllung. Da ist es nur gerecht, daß auf den letzten Seiten auch dem Leser noch eine Gunst gewährt wird: Er erfährt endlich, was Bai Dan all die Jahre in der längst geschlossenen Bank gemacht hat. Der Magier hat nicht gewürfelt, sondern gelesen.

Ilija Trojanow: "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall". Roman. Hanser Verlag, München 1996. 282 S., geb., 39,80 DM.

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