Ein lauer Sommerabend, ein idyllischer Landsitz, eine blutige Geiselnahme. Die Täter: heldenhafte Freiheitskämpfer für die einen, skrupellose Terroristen für die anderen. Angeführt von Martin Leonard, dem wortkargen Strategen, dringen sie in das vornehme Haus ein - die schöne Isabel Lynam, die Gewalt predigt und nun kalte Füße bekommt, die tiefgläubigen Brüder McAleer, die so gut Bomben bauen, wie sie Uhren reparieren, und der fanatische Killer Jack Gallagher. Die Opfer: die alteingesessene Gutsbesitzerfamilie Armstrong und ihre Gäste, unschuldige Zivilisten für die einen, Vertreter einer brutalen Besatzungsmacht für die anderen. Das Ziel: Aus dem berüchtigtsten Gefängnis des Landes sollen drei hochrangige Mitglieder der IRA freigepresst werden. Das Ultimatum: Freilassung der Gefangenen und Bereitstellung eines Hubschraubers biszum Mittag des nächsten Tages, andernfalls Hinrichtung der ersten Geisel.Während draußen die Staatsmacht in gepanzerten Fahrzeugen vorfährt, entspinnt sich drinnen ein gespenstisches Drama um Leben und Tod. Die Stunden verstreichen, und in der klaustrophobischen Abgeschlossenheit des herrschaftlichen Salons werden alte Gewissheiten auf den Prüfstein gestellt und neue Allianzen geknüpft. Eugene McCabes Roman führt die grausame Logik des Terrors hautnah vor Augen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Alexander Müller ist begeistert von Eugene McCabes kleinem und gehaltvollem Roman von 1976. Die perfide Logik des Terrors vermag ihm der Autor anhand einer IRA-Geiselnahme kammerspielartig auf den Punkt zu bringen. Insofern scheint Müller der Text von aktueller Relevanz, auch wenn MacCabe eigentlich den Irlandkonflikt im Visier hat und seinen Text laut Rezensent mit politischen und historischen Figuren und Ereignissen anreichert. Meisterlich scheint Müller, wie der Autor das Geschehen multiperspektivisch erfasst und mit Lakonie Figuren bis in die Tiefe auslotet, ohne parteiisch zu sein. Dramaturgisch spannend entfaltet sich McCabes gerade, aber durchaus poetische Prosa laut Müller fast von selbst.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2016Unerbittliche Opfer
Eugene McCabes Meisterstück über den Irland-Konflikt
Eine Geiselnahme reduziert das menschliche Leben auf das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Ist das Leben einiger Angehöriger der Oberschicht die Freilassung mehrerer Terroristen wert? Der Preis ist am Ende Verhandlungssache. Diese Logik des Terrors, die eine Logik des Krieges ist und den pervertierten Gesetzen des Marktes folgt, führt Eugene McCabes "Die Welt ist immer noch schön" so beklemmend wie distanziert vor Augen. Sein im Original bereits 1976 erschienener Roman ist bei einem Umfang von knapp 140 Seiten gehaltvoller als manch dicker Schinken.
Im Zentrum des Geschehens steht ein Trupp der provisorischen IRA, der an einem Sommerabend in ein Landhaus eindringt und Geiseln nimmt, um drei Gefangene aus Long Kesh freizupressen, einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Nordirland. Angeführt wird die Gruppe vom erfahrenen und undurchsichtigen Martin Leonard, der als Einziger zu ahnen scheint, worauf dieses vermeintliche Selbstmordkommando hinauslaufen wird. Ihm zur Seite stehen ein eiskalter Vollstrecker, Frauenheld und Epileptiker, Jack Gallagher, zwei tiefgläubige Brüder und Bombenbastler sowie Isabel Lynam. Die attraktive junge Frau weiß nicht mehr, woran sie glaubt. Ihre Mitstreiter vertrauen ihr nicht. Sie hatte ein Verhältnis mit einem verheirateten Mitglied des Armeerats, wurde schwanger, hat sich für eine Abtreibung entschieden. Nun fühlt sie sich zu nichts nutze. Denn mag sie der Gewaltanwendung in der Theorie einiges abgewinnen, direkt mit ihr konfrontiert, schreckt sie davor zurück. Die anderen werden sich also darum kümmern müssen, ihr Ultimatum in die Tat umzusetzen.
Das lautet: Freilassung der Gefangenen und Bereitstellung eines Hubschraubers bis zum Mittag des nächsten Tages, sonst stirbt die erste Geisel, alle sechs Stunden eine weitere. Bei den Geiseln handelt es sich um die noble, kultivierte Familie Armstrong und ihre Gäste, darunter ein amerikanischer Professor und ein protestantischer Geistlicher. Der Vater, der Colonel mit den Bluthundaugen, ist von herzloser Höflichkeit, die Mutter, Harriet, trinkt zuviel und redet zu offen, und Millicent, die Tochter, erwartet ein Kind. Sie ist eine frühere Kommilitonin von Isabel; sie besuchten dieselben Französischtutorien, nun gehören sie verfeindeten Lagern an. In den Radionachrichten werden die weiblichen Geiseln mit keiner Silbe erwähnt.
Wer sollte verschont, wer geopfert werden? Diese Fragen stellen sich nicht nur für die Geiseln, sondern auch für die Geiselnehmer, als sich die Lage zuspitzt. Und der englische Titel "Victims: A Tale From Fermanagh" deutet es bereits an: Die Frage, wer in dieser scheinbar unzweideutigen Konstellation letztendlich Täter und wer Opfer ist, ist nicht leicht zu beantworten. McCabe, 1930 als Sohn irischer Eltern in Glasgow geboren, hat mit diesem Szenario den blutigen Konflikt in Irland im Kern erfasst. Plot und Dialoge sind mit Anspielungen auf politische und historische Figuren und Ereignisse gespickt; die Anmerkungen des umsichtigen und präzisen Übersetzers Hans-Christian Oeser verdeutlichen das. Dennoch weist "Die Welt ist immer noch schön" über den geschichtlichen Kontext hinaus, weil die moralischen Dilemmata, die die Erzählung verhandelt, auch in Zeiten asymmetrischer Kriegsführung Gültigkeit besitzen.
McCabe versteht es meisterlich, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und all seine Figuren zu ihrem Recht kommen zu lassen. Mit wenigen Worten gelingt es ihm, sie zu charakterisieren und ihnen Tiefe zu verleihen. Partei ergreift er nicht. Die Denkweisen der sich unerbittlich gegenüberstehenden Konfliktparteien fördert er subtil zutage. Dramaturgie und Spannung ergeben sich aufgrund der fatalen Ausgangssituation wie von selbst. Seine Prosa ist schlackenlos und poetisch zugleich, insbesondere auch in den Naturschilderungen. Ein hässlicher Krieg in schöner Landschaft.
Die überraschende Wendung, die die Handlung nimmt, liegt von Anfang an in der Luft. Der höhere Zweck des Krieges erfordert ein Geschäft, bei dem zwar jeder möglichst viel für sich herauszuholen versucht, jeder minimale Gewinn jedoch mit hohen Verlusten einhergeht. Dass sich daraus immerhin erzählerisches Kapital schlagen lässt, beweist diese packende Erzählung.
ALEXANDER MÜLLER
Eugene McCabe: "Die Welt ist immer noch schön". Roman.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2015. 136 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eugene McCabes Meisterstück über den Irland-Konflikt
Eine Geiselnahme reduziert das menschliche Leben auf das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Ist das Leben einiger Angehöriger der Oberschicht die Freilassung mehrerer Terroristen wert? Der Preis ist am Ende Verhandlungssache. Diese Logik des Terrors, die eine Logik des Krieges ist und den pervertierten Gesetzen des Marktes folgt, führt Eugene McCabes "Die Welt ist immer noch schön" so beklemmend wie distanziert vor Augen. Sein im Original bereits 1976 erschienener Roman ist bei einem Umfang von knapp 140 Seiten gehaltvoller als manch dicker Schinken.
Im Zentrum des Geschehens steht ein Trupp der provisorischen IRA, der an einem Sommerabend in ein Landhaus eindringt und Geiseln nimmt, um drei Gefangene aus Long Kesh freizupressen, einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Nordirland. Angeführt wird die Gruppe vom erfahrenen und undurchsichtigen Martin Leonard, der als Einziger zu ahnen scheint, worauf dieses vermeintliche Selbstmordkommando hinauslaufen wird. Ihm zur Seite stehen ein eiskalter Vollstrecker, Frauenheld und Epileptiker, Jack Gallagher, zwei tiefgläubige Brüder und Bombenbastler sowie Isabel Lynam. Die attraktive junge Frau weiß nicht mehr, woran sie glaubt. Ihre Mitstreiter vertrauen ihr nicht. Sie hatte ein Verhältnis mit einem verheirateten Mitglied des Armeerats, wurde schwanger, hat sich für eine Abtreibung entschieden. Nun fühlt sie sich zu nichts nutze. Denn mag sie der Gewaltanwendung in der Theorie einiges abgewinnen, direkt mit ihr konfrontiert, schreckt sie davor zurück. Die anderen werden sich also darum kümmern müssen, ihr Ultimatum in die Tat umzusetzen.
Das lautet: Freilassung der Gefangenen und Bereitstellung eines Hubschraubers bis zum Mittag des nächsten Tages, sonst stirbt die erste Geisel, alle sechs Stunden eine weitere. Bei den Geiseln handelt es sich um die noble, kultivierte Familie Armstrong und ihre Gäste, darunter ein amerikanischer Professor und ein protestantischer Geistlicher. Der Vater, der Colonel mit den Bluthundaugen, ist von herzloser Höflichkeit, die Mutter, Harriet, trinkt zuviel und redet zu offen, und Millicent, die Tochter, erwartet ein Kind. Sie ist eine frühere Kommilitonin von Isabel; sie besuchten dieselben Französischtutorien, nun gehören sie verfeindeten Lagern an. In den Radionachrichten werden die weiblichen Geiseln mit keiner Silbe erwähnt.
Wer sollte verschont, wer geopfert werden? Diese Fragen stellen sich nicht nur für die Geiseln, sondern auch für die Geiselnehmer, als sich die Lage zuspitzt. Und der englische Titel "Victims: A Tale From Fermanagh" deutet es bereits an: Die Frage, wer in dieser scheinbar unzweideutigen Konstellation letztendlich Täter und wer Opfer ist, ist nicht leicht zu beantworten. McCabe, 1930 als Sohn irischer Eltern in Glasgow geboren, hat mit diesem Szenario den blutigen Konflikt in Irland im Kern erfasst. Plot und Dialoge sind mit Anspielungen auf politische und historische Figuren und Ereignisse gespickt; die Anmerkungen des umsichtigen und präzisen Übersetzers Hans-Christian Oeser verdeutlichen das. Dennoch weist "Die Welt ist immer noch schön" über den geschichtlichen Kontext hinaus, weil die moralischen Dilemmata, die die Erzählung verhandelt, auch in Zeiten asymmetrischer Kriegsführung Gültigkeit besitzen.
McCabe versteht es meisterlich, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und all seine Figuren zu ihrem Recht kommen zu lassen. Mit wenigen Worten gelingt es ihm, sie zu charakterisieren und ihnen Tiefe zu verleihen. Partei ergreift er nicht. Die Denkweisen der sich unerbittlich gegenüberstehenden Konfliktparteien fördert er subtil zutage. Dramaturgie und Spannung ergeben sich aufgrund der fatalen Ausgangssituation wie von selbst. Seine Prosa ist schlackenlos und poetisch zugleich, insbesondere auch in den Naturschilderungen. Ein hässlicher Krieg in schöner Landschaft.
Die überraschende Wendung, die die Handlung nimmt, liegt von Anfang an in der Luft. Der höhere Zweck des Krieges erfordert ein Geschäft, bei dem zwar jeder möglichst viel für sich herauszuholen versucht, jeder minimale Gewinn jedoch mit hohen Verlusten einhergeht. Dass sich daraus immerhin erzählerisches Kapital schlagen lässt, beweist diese packende Erzählung.
ALEXANDER MÜLLER
Eugene McCabe: "Die Welt ist immer noch schön". Roman.
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2015. 136 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main