Marktplatzangebote
11 Angebote ab € 2,00 €
Produktdetails
  • Bastei Lübbe Taschenbücher
  • Verlag: Bastei Lübbe
  • Gewicht: 655g
  • ISBN-13: 9783404127009
  • ISBN-10: 3404127005
  • Artikelnr.: 06759820
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.1996

Nicht zögern, sondern schmettern
Hagiograph in eigener Sache: James A. Micheners Memoiren

Ein Leser der ersten Hälfte von James A. Micheners Erinnerungen "Die Welt ist mein Zuhause" tut gut daran, einen Atlas zur Hand zu nehmen, mit dessen Hilfe er den Weg des amerikanischen Schriftstellers über den Globus verfolgen kann. Hätte Michener alle Tickets, Schiffspassagen und Flugkarten, die er im Laufe seiner Reisen in über hundert souveräne Staaten benötigte, zu einem Fahrscheinheft zusammengefaßt, müßte er Träger engagieren.

Michener aber reiste meist allein. Zunächst als Jugendlicher per Anhalter durch die Vereinigten Staaten, dann als Stipendiat durch Europa, schließlich im Zweiten Weltkrieg als Navy-Offizier durch die pazifische Inselwelt. Dort fand er den Stoff für seinen ersten Erzählungsband "Die Südsee", der 1948 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und ein Jahr später von Rodgers/Hammerstein zu einem der kassenträchtigsten Musicals überhaupt umgearbeitet wurde. Die Tantiemen aus dem Broadway-Schlager "South Pacific" ermöglichten es Michener, seinen Beruf als Lektor für Schulbücher an den Nagel zu hängen und sich fortan als Romancier zu betätigen, der für seine Bücher auf der ganzen Welt recherchierte.

Über seinen literarischen Rang braucht man nicht zu diskutieren: Nach der hohen Auszeichnung für den schmalen Debütband hat sich Michener zum Begründer einer voluminösen Romanform entwickelt, die sich heute bei Lesern höchster Begeisterung, bei Kritikern dagegen steten Spotts erfreut. "History-ficton" wäre in Analogie zur "Science-fiction" die adäquate Bezeichnung, denn Autoren wie Michener, James Clavell oder auch Alex Haley ranken um das Gerüst der akribisch recherchierten Historie die weitgehend fiktiven Biographien ihrer Helden.

Aber Michener versteht sich nicht als "Autor", sondern als "Schriftsteller", der sein Schreiben als Arbeit wie jede andere Profession begreift, die bestmöglich und im Dienste des Kunden ausgeübt werden sollte. Diese unprätentiöse Einstellung macht seine Memoiren sympathisch, die jedoch leider weitgehend - und überraschend - die entscheidende Stärke seines restlichen Werks vermissen lassen: das Gefühl der Authentizität. Michener nennt seine Erinnerungen eine "zögernde Apologia pro vita mea", was gelinde gesagt ein unverschämter Schwindel ist. Sein Buch ist eine Hagiographie in eigener Sache, dem man die berechtigte Zufriedenheit eines mittlerweile fast Neunzigjährigen mit seinem Erfolg in jeder Zeile anmerkt. Natürlich ist der Weg vom Waisenkind zum Millionär erstaunlich und bewundernswert, aber die bruchlose biographische Topographie, die dieser Pfad überwunden haben soll, mag man einem Mann wie Michener schwerlich abnehmen. Weil er als angeblich so unumstößlicher Parteigänger der Demokraten vor allem unter den konservativsten Republikanern seine Fürsprecher in Washington gefunden hat oder als erbitterter Gegner Senator McCarthys selber geholfen hat, den Kulturverband "Die Freunde Asiens" auf ein Gerücht hin von angeblichen Kommunisten zu reinigen, sollten seine Leser an der Selbsteinschätzung Micheners zweifeln.

Auch die schöne Verpackung dieser Biographie mit ihren Karten kann daher das Problem des Buchs nicht kaschieren. Es liegt in der Konstruktion. Bereits der erste Satz lautet: "Dies wird eine merkwürdige Autobiographie, denn ich werde die ersten sieben Kapitel so erzählen, als hätte ich noch nie ein Buch geschrieben, und die letzten so, als ob ich sonst nichts anderes getan hätte." Man möchte Michener nach vollständiger Lektüre wünschen, er habe nie ein Buch geschrieben, denn die erste Häfte der Memoiren ist amüsant, informativ und fesselnd. In ihren besten Momenten, im knappen Porträt eines Teppichhändlers in Afghanistan oder in einigen der Schilderungen seiner Missionen während des Pazifik-Kriegs, erinnert die Virtuosität des Erzählens an Bruce Chatwins Reisebücher, die modernen Meisterwerke des Genres.

Doch dann folgt die endlose zweite Hälfte mit der Karriere des Schriftstellers Michener, und alle Souveränität des ersten Teils ist wie weggeblasen. Hier entwickelt Michener sein Programm und seine Philosophie und vernachlässigt darüber die Neugier seiner Leser. Über seine Rolle als Fluchthelfer in Ungarn 1956 hätte man gern mehr gelesen als eine Anekdote, und auch zwei nach eigener Meinung schmerzhafte Scheidungen werden nur en passant abgehandelt. Wo die Ideologie des Schriftstellers Michener verbreitet wird, schweigt der Erzähler. ANDREAS PLATTHAUS

James A. Michener: "Die Welt ist mein Zuhause". Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen von Till R. Lohmeyer. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1995. 800 S., Abb., geb., 64,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr