Produktdetails
- Verlag: Radius-Verlag
- 1997.
- Seitenzahl: 240
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 358g
- ISBN-13: 9783871731365
- ISBN-10: 3871731366
- Artikelnr.: 07164740
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.1998Fingerspitzengewühl
Für Eberhardt Fincke liegt die Lösung aller Weltprobleme nicht auf, sondern in der Hand
Viele gibt es, die das Licht gesehen haben und daraufhin, erleuchtet und wissend, der Menschheit in den Ohren liegen: O Menschheit, bessere dich! Rudolf Bahro verkündete das Nahen eines "Friedensfürsten", der uns den Himmel auf Erden bescheren werde, Herbert Gruhl schuf in Barsinghausen am Deister das Kursbuch für eine "Planetarische Wende", und wer jemals einen "Wachtturm" erworben hat, weiß, daß es auch den Zeugen Jehovas ums Ganze geht. Verblüffend ist jedesmal die Diskrepanz zwischen der Botschaft, die den Menschen Demut und Bescheidenheit nahelegt, und der Hybris derer, die die Botschaft überbringen: Sie wollen mindestens die Welt retten.
Doch nur selten ist den Sehern und Kündern Ruhm oder auch nur Prominenz beschieden. Die meisten sind dazu verurteilt, in den Niederungen der Anonymität herumzukrebsen und die Missionsarbeit nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu verrichten. Dieses Los droht auch dem Gemeindepastor i. R. Eberhard Fincke, Autor eines Buchs über die "Balance der Interessen in einer zukunftsfähigen Gesellschaft". Er hat das Wissen darum, wie die Menschen miteinander und mit der Natur in Harmonie leben können, nach eigener Aussage "unter dem Schutt von Jahrtausenden" emporgeholt; jedenfalls habe die Welt dergleichen "in den letzteren 3000 Jahren" nicht vernommen.
Früher, schreibt Fincke, der sich einen Überblick über mehrere Jahrtausende der Menschheitsgeschichte verschafft hat, war alles besser: "Durch viele Jahrtausende, wahrscheinlich sogar Jahrzehntausende ist der Mensch dabei geblieben, das Recht in der Übereinkunft zu suchen, in dem ,Bund', der immer wieder erneuert und bestätigt werden muß. Aber es ging." Doch der Bund zerbrach, der Mensch geriet auf die schiefe Bahn, und Aristoteles versagte: "Bei ihm wurde die Weiche falsch gestellt und der ganze abendländische Wissenschaftszug fuhr in die verkehrte Richtung."
Nachdem Fincke, wie es in der Seher-Branche üblich ist, die ferne Vergangenheit in goldenen und die Gegenwart in düsteren Farben gemalt hat, präsentiert er sein Patentrezept: Die Lösung der Weltprobleme liege buchstäblich auf der Hand. Nach Finckes Ermittlungen steht der Daumen für die Freiheit, der Zeigefinger für die Wahrnehmung, der Mittelfinger für Gerechtigkeit, der Ringfinger für Zuneigung und Abhängigkeit und der kleine Finger für die Liebe zum Leben. Aus dem Zusammenspiel der Finger ließen sich Lehren ziehen, deren Nutzanwendung allen privaten, politischen, ökonomischen und ökologischen Krisen ein Ende bereiten werde. Wollen, Sollen, Können, Dürfen und Müssen seien in eine natürliche Balance zu bringen; der Mensch könne es sich an den Fingern abzählen. Das ist Finckes Faustregel für alle Wechselfälle des Lebens. "Die Hand ist auf der ganzen Erde gleich", und deshalb sei sie "ein universales Verständigungsmittel. Mit ihr verfügt jeder über einen zuverlässigen Maßstab für politische oder ideologische Programme." Es ist wie in jenem Slogan der New York Telephone Company: "Let your fingers do the walking!"
"Mit der Faustregel", schreibt Fincke, "läßt sich politische Propaganda ziemlich schnell durchschauen. Man ordnet ihre Begriffe dem passenden Finger zu und setzt sie dann zueinander in Beziehung." Fincke bemüht sich zwar vergeblich, Verbindungen seiner "Faustregel" zur Bibel, zur Kabbala, zur chinesischen Lehre von Yin und Yang und sogar zum Drudenfuß herzustellen ("Die Verbindung zur Hand liegt nahe, ist aber natürlich nicht nachweisbar"), doch ein gewisser Unterhaltungswert ist dem Handbuch nicht abzusprechen. Seine Verschrobenheit treibt einige Blüten unfreiwilliger Komik hervor: "Die Verfechter eines Abtreibungsverbots begreifen das Problem fast nur vom kleinen Finger her. Feministische Argumentationen sind einseitig beim Daumen und beim Mittelfinger." Der Daumen, der früher die Pflaumen schüttelte, wird in Finckes Fingerspielen mit wichtigeren Aufgaben betraut: "Wird also der Daumen mit dem kleinen Finger konfrontiert, so begegnet der Mensch der Frage, ob es denn lebensnotwendig ist, was er vorhat."
Aber für den "Anfang einer Wende zu einer ganz neuen Kultur", wie sie Eberhard Fincke vorschwebt, sind solche Faustregeln wohl doch etwas zu schlicht, und der umtriebige Gemeindepastor i. R. wird sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß der Prophet im eigenen Land nichts gilt. GERHARD HENSCHEL
Eberhard Fincke: "Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz". Balance der Interessen in einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Radius Verlag, Stuttgart 1997. 240 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für Eberhardt Fincke liegt die Lösung aller Weltprobleme nicht auf, sondern in der Hand
Viele gibt es, die das Licht gesehen haben und daraufhin, erleuchtet und wissend, der Menschheit in den Ohren liegen: O Menschheit, bessere dich! Rudolf Bahro verkündete das Nahen eines "Friedensfürsten", der uns den Himmel auf Erden bescheren werde, Herbert Gruhl schuf in Barsinghausen am Deister das Kursbuch für eine "Planetarische Wende", und wer jemals einen "Wachtturm" erworben hat, weiß, daß es auch den Zeugen Jehovas ums Ganze geht. Verblüffend ist jedesmal die Diskrepanz zwischen der Botschaft, die den Menschen Demut und Bescheidenheit nahelegt, und der Hybris derer, die die Botschaft überbringen: Sie wollen mindestens die Welt retten.
Doch nur selten ist den Sehern und Kündern Ruhm oder auch nur Prominenz beschieden. Die meisten sind dazu verurteilt, in den Niederungen der Anonymität herumzukrebsen und die Missionsarbeit nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu verrichten. Dieses Los droht auch dem Gemeindepastor i. R. Eberhard Fincke, Autor eines Buchs über die "Balance der Interessen in einer zukunftsfähigen Gesellschaft". Er hat das Wissen darum, wie die Menschen miteinander und mit der Natur in Harmonie leben können, nach eigener Aussage "unter dem Schutt von Jahrtausenden" emporgeholt; jedenfalls habe die Welt dergleichen "in den letzteren 3000 Jahren" nicht vernommen.
Früher, schreibt Fincke, der sich einen Überblick über mehrere Jahrtausende der Menschheitsgeschichte verschafft hat, war alles besser: "Durch viele Jahrtausende, wahrscheinlich sogar Jahrzehntausende ist der Mensch dabei geblieben, das Recht in der Übereinkunft zu suchen, in dem ,Bund', der immer wieder erneuert und bestätigt werden muß. Aber es ging." Doch der Bund zerbrach, der Mensch geriet auf die schiefe Bahn, und Aristoteles versagte: "Bei ihm wurde die Weiche falsch gestellt und der ganze abendländische Wissenschaftszug fuhr in die verkehrte Richtung."
Nachdem Fincke, wie es in der Seher-Branche üblich ist, die ferne Vergangenheit in goldenen und die Gegenwart in düsteren Farben gemalt hat, präsentiert er sein Patentrezept: Die Lösung der Weltprobleme liege buchstäblich auf der Hand. Nach Finckes Ermittlungen steht der Daumen für die Freiheit, der Zeigefinger für die Wahrnehmung, der Mittelfinger für Gerechtigkeit, der Ringfinger für Zuneigung und Abhängigkeit und der kleine Finger für die Liebe zum Leben. Aus dem Zusammenspiel der Finger ließen sich Lehren ziehen, deren Nutzanwendung allen privaten, politischen, ökonomischen und ökologischen Krisen ein Ende bereiten werde. Wollen, Sollen, Können, Dürfen und Müssen seien in eine natürliche Balance zu bringen; der Mensch könne es sich an den Fingern abzählen. Das ist Finckes Faustregel für alle Wechselfälle des Lebens. "Die Hand ist auf der ganzen Erde gleich", und deshalb sei sie "ein universales Verständigungsmittel. Mit ihr verfügt jeder über einen zuverlässigen Maßstab für politische oder ideologische Programme." Es ist wie in jenem Slogan der New York Telephone Company: "Let your fingers do the walking!"
"Mit der Faustregel", schreibt Fincke, "läßt sich politische Propaganda ziemlich schnell durchschauen. Man ordnet ihre Begriffe dem passenden Finger zu und setzt sie dann zueinander in Beziehung." Fincke bemüht sich zwar vergeblich, Verbindungen seiner "Faustregel" zur Bibel, zur Kabbala, zur chinesischen Lehre von Yin und Yang und sogar zum Drudenfuß herzustellen ("Die Verbindung zur Hand liegt nahe, ist aber natürlich nicht nachweisbar"), doch ein gewisser Unterhaltungswert ist dem Handbuch nicht abzusprechen. Seine Verschrobenheit treibt einige Blüten unfreiwilliger Komik hervor: "Die Verfechter eines Abtreibungsverbots begreifen das Problem fast nur vom kleinen Finger her. Feministische Argumentationen sind einseitig beim Daumen und beim Mittelfinger." Der Daumen, der früher die Pflaumen schüttelte, wird in Finckes Fingerspielen mit wichtigeren Aufgaben betraut: "Wird also der Daumen mit dem kleinen Finger konfrontiert, so begegnet der Mensch der Frage, ob es denn lebensnotwendig ist, was er vorhat."
Aber für den "Anfang einer Wende zu einer ganz neuen Kultur", wie sie Eberhard Fincke vorschwebt, sind solche Faustregeln wohl doch etwas zu schlicht, und der umtriebige Gemeindepastor i. R. wird sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß der Prophet im eigenen Land nichts gilt. GERHARD HENSCHEL
Eberhard Fincke: "Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz". Balance der Interessen in einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Radius Verlag, Stuttgart 1997. 240 S., geb., 32,- DM.
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