Über den sensationellen Fund zehn verschollener Lenbach-Portraits: eine Studie im Grenzbereich von Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft.Der junge Thomas Mann bewunderte bei seinem ersten Besuch im Palais seiner zukünftigen Schwiegereltern Alfred Pringsheim und dessen Frau Hedwig die Familienportraits des Künstlers Franz von Lenbach. Auf der Suche nach der »Lenbach-Schönheit«, einem Ölbildnis von Hedwig Pringsheim, ist Dirk Heißerer der Fund von mehr als zehn Lenbach-Porträts der Familie Pringsheim zwischen Wien, Paris und Köln gelungen. Die spannende Rekonstruktion in dieser Studie führt von der Entstehung bis hin zum Verlust vieler dieser Bilder durch die Raubpolitik im »Dritten Reich«, der auch weitere Kunstwerke aus der berühmten Sammlung der Familie Pringsheim zum Opfer fielen. Ein weiteres Kapitel zur »Madonna im Schaufenster« über vielfache Lenbach-Spuren im Werk Thomas Manns führt zu überraschenden neuen Funden und Erkenntnissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2009Als Hitler die Pringsheims sammelte
Von der Wand in den Mund: Dirk Heißerer geht in einer spannenden Detektivarbeit dem Schicksal der Kunstsammlung von Hedwig und Alfred Pringsheim nach und erforscht zugleich die Spuren dieser Gemälde im Werk von Thomas Mann.
Was denkt sich der Mann?", schimpfte Hedwig Pringsheim 1891 in ihrem Tagebuch, zugleich geschmeichelt und verwirrt vom nicht nachlassenden Eifer des großen Münchner Malers Franz von Lenbach, sich selbst mit immer neuen Aufträgen der Pringsheims zu versorgen. "Geben Sie, was Sie wollen", soll Lenbach bei anderer Gelegenheit großzügig zur Bezahlung der Bilder bemerkt haben, "für alles zusammen (mehrere Bilder) 6000 Mark" - etwa das Jahresgehalt des Professors für Mathematik, Alfred Pringsheim, der zu seinem Glück auf hohe weitere Einkünfte aus dem väterlichen Erbe zurückgreifen konnte. Kurz zuvor heißt es in Hedwig Pringsheims Tagebuch: "Langer Besuch von Lenbach, der mein Zimmer durchaus mit lauter Bildern von sich einrichten, alles andere herausschmeißen will, uns in tödlichste Verlegenheit bringend."
Schlechte Investitionen waren das keineswegs, auch wenn nicht alles, was Lenbach vorschlug, in Auftrag gegeben und damit bezahlt wurde. Die spätere Schwiegermutter von Thomas Mann, die er selbst einmal als "Lenbach-Schönheit" charakterisierte, und ihr Mann sollten später, als die Inflation in Deutschland wütete, "von der Wand in den Mund" leben, wie Alfred Pringsheim einmal witzig meinte - vom Verkauf von Bildern also.
Doch nicht die wirtschaftliche Lage der zwanziger Jahre sorgte für die bedeutendsten Lücken in der Kunstsammlung des Millionärspaares, sondern die Verfolgung und Unterdrückung, deren sich die Münchner Bürger jüdischer Herkunft seit 1933 ausgesetzt sahen. Vieles lässt sich heute kaum noch rekonstruieren - und so ist es verdienstvoll, dass sich Dirk Heißerer, Thomas-Mann-Forscher und einer der kundigsten Experten zum Thema Thomas Mann und München, auf die Spurensuche nach den Gemälden der Pringsheims gemacht hat, von denen viele Mitglieder der berühmten Familie zeigen. Eine Spurensuche, die gelegentlich zur Detektivgeschichte wird, etwa im Fall des oben abgebildeten Doppelporträts von Hedwig und Alfred Pringsheim.
Dieses Lenbach-Bild, das sich nicht im Familienbesitz der Pringsheims befand, wurde im "Dritten Reich" seiner jüdischen Eigentümerin geraubt und war dann für Hitlers geplantes Kunstmuseum in Linz vorgesehen (ohne dass man wusste, wen Lenbach darauf gezeichnet hatte, noch gar, dass es sich um Juden handelte). Nach einer Tournee durch Europa kam das Bild nach 1945 zu den rechtmäßigen Erben der ursprünglichen Eigentümerin und befindet sich heute noch im Besitz dieser Familie, die Heißerer in Paris finden und dazu überreden konnte, ihm das Bild zu zeigen.
Heißerers Buch folgt in Teil eins den Spuren der Gemälde von Lenbach, Kaulbach, Defregger und anderen Malern, die sich im Besitz der Pringsheims befanden, um im zweiten Teil, getrennt durch einen schönen, farbigen Bildteil, den Spuren dieser Gemälde im Werk Thomas Manns nachzugehen. Insgesamt ein gelungener, anregender Band, der allerdings genauer auf die Untiefen, die sich hinter mancher Bildergeschichte verbirgt, hätte eingehen sollen. Die Umstände, wie ein Leverkusener Arzt vor wenigen Jahren in den Besitz zahlreicher Erbstücke und auch Bilder der Familie Mann gelangte, hat diese Zeitung seinerzeit aufgedeckt (F.A.Z. vom 14. Februar 2006).
Heißerer vermittelte in dieser Frage und hatte Anteil daran, dass die Bilder vom Thomas-Mann-Archiv gekauft werden konnten. Wacker-diplomatisch gibt er in seinem Buch keinen Hinweis auf die traurigen Umstände. Einmal heißt es bei ihm mit Blick auf ein Defregger-Bild, "in welchem Privatbesitz sich dieses Bildnis befindet, muss noch offenbleiben". Der Wunsch, sich Kontakte nicht zu verderben, die womöglich noch Trouvaillen zutage befördern könnten, steht einem offeneren Umgang auch mit den Schattenseiten der Geschichte dieser Kunstsammlung entgegen.
TILMANN LAHME
Dirk Heißerer: "Die wiedergefundene Pracht". Franz von Lenbach, die Familie Pringsheim und Thomas Mann. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 202 S., 75 z. T. farb. Abb., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von der Wand in den Mund: Dirk Heißerer geht in einer spannenden Detektivarbeit dem Schicksal der Kunstsammlung von Hedwig und Alfred Pringsheim nach und erforscht zugleich die Spuren dieser Gemälde im Werk von Thomas Mann.
Was denkt sich der Mann?", schimpfte Hedwig Pringsheim 1891 in ihrem Tagebuch, zugleich geschmeichelt und verwirrt vom nicht nachlassenden Eifer des großen Münchner Malers Franz von Lenbach, sich selbst mit immer neuen Aufträgen der Pringsheims zu versorgen. "Geben Sie, was Sie wollen", soll Lenbach bei anderer Gelegenheit großzügig zur Bezahlung der Bilder bemerkt haben, "für alles zusammen (mehrere Bilder) 6000 Mark" - etwa das Jahresgehalt des Professors für Mathematik, Alfred Pringsheim, der zu seinem Glück auf hohe weitere Einkünfte aus dem väterlichen Erbe zurückgreifen konnte. Kurz zuvor heißt es in Hedwig Pringsheims Tagebuch: "Langer Besuch von Lenbach, der mein Zimmer durchaus mit lauter Bildern von sich einrichten, alles andere herausschmeißen will, uns in tödlichste Verlegenheit bringend."
Schlechte Investitionen waren das keineswegs, auch wenn nicht alles, was Lenbach vorschlug, in Auftrag gegeben und damit bezahlt wurde. Die spätere Schwiegermutter von Thomas Mann, die er selbst einmal als "Lenbach-Schönheit" charakterisierte, und ihr Mann sollten später, als die Inflation in Deutschland wütete, "von der Wand in den Mund" leben, wie Alfred Pringsheim einmal witzig meinte - vom Verkauf von Bildern also.
Doch nicht die wirtschaftliche Lage der zwanziger Jahre sorgte für die bedeutendsten Lücken in der Kunstsammlung des Millionärspaares, sondern die Verfolgung und Unterdrückung, deren sich die Münchner Bürger jüdischer Herkunft seit 1933 ausgesetzt sahen. Vieles lässt sich heute kaum noch rekonstruieren - und so ist es verdienstvoll, dass sich Dirk Heißerer, Thomas-Mann-Forscher und einer der kundigsten Experten zum Thema Thomas Mann und München, auf die Spurensuche nach den Gemälden der Pringsheims gemacht hat, von denen viele Mitglieder der berühmten Familie zeigen. Eine Spurensuche, die gelegentlich zur Detektivgeschichte wird, etwa im Fall des oben abgebildeten Doppelporträts von Hedwig und Alfred Pringsheim.
Dieses Lenbach-Bild, das sich nicht im Familienbesitz der Pringsheims befand, wurde im "Dritten Reich" seiner jüdischen Eigentümerin geraubt und war dann für Hitlers geplantes Kunstmuseum in Linz vorgesehen (ohne dass man wusste, wen Lenbach darauf gezeichnet hatte, noch gar, dass es sich um Juden handelte). Nach einer Tournee durch Europa kam das Bild nach 1945 zu den rechtmäßigen Erben der ursprünglichen Eigentümerin und befindet sich heute noch im Besitz dieser Familie, die Heißerer in Paris finden und dazu überreden konnte, ihm das Bild zu zeigen.
Heißerers Buch folgt in Teil eins den Spuren der Gemälde von Lenbach, Kaulbach, Defregger und anderen Malern, die sich im Besitz der Pringsheims befanden, um im zweiten Teil, getrennt durch einen schönen, farbigen Bildteil, den Spuren dieser Gemälde im Werk Thomas Manns nachzugehen. Insgesamt ein gelungener, anregender Band, der allerdings genauer auf die Untiefen, die sich hinter mancher Bildergeschichte verbirgt, hätte eingehen sollen. Die Umstände, wie ein Leverkusener Arzt vor wenigen Jahren in den Besitz zahlreicher Erbstücke und auch Bilder der Familie Mann gelangte, hat diese Zeitung seinerzeit aufgedeckt (F.A.Z. vom 14. Februar 2006).
Heißerer vermittelte in dieser Frage und hatte Anteil daran, dass die Bilder vom Thomas-Mann-Archiv gekauft werden konnten. Wacker-diplomatisch gibt er in seinem Buch keinen Hinweis auf die traurigen Umstände. Einmal heißt es bei ihm mit Blick auf ein Defregger-Bild, "in welchem Privatbesitz sich dieses Bildnis befindet, muss noch offenbleiben". Der Wunsch, sich Kontakte nicht zu verderben, die womöglich noch Trouvaillen zutage befördern könnten, steht einem offeneren Umgang auch mit den Schattenseiten der Geschichte dieser Kunstsammlung entgegen.
TILMANN LAHME
Dirk Heißerer: "Die wiedergefundene Pracht". Franz von Lenbach, die Familie Pringsheim und Thomas Mann. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 202 S., 75 z. T. farb. Abb., geb., 26,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine "spannende Detektivarbeit" hat Dirk Heißerer mit diesem Buch geleistet, lobt Rezensent Tilmann Lahme. Denn viele Ereignisse um das Kunstsammlerpaar Pringsheim, den Eltern der späteren Katja Mann, ließen sich heute nicht mehr nachvollziehen, wie er weiß. "Gelungen" und "anregend" erscheint ihm insgesamt das Buch, bei dem ihm auch die Bildsammlung im Mittelteil als "schön" gefiel. Einzig einige Hintergründe erzählt Heißerer für Lahmes Urteil zu diplomatisch, da die kritische Bildergeschichte um manche Besitzerwechsel im Dunkeln bleibt. Lahme vermutet hinter Heißerers Zurückhaltung Verhandlungskalkül, denn dieser vermittelt auch beim Ankauf von Bildern für das Thomas-Mann-Archiv. Nur einen eingeschränkten Blick auf die Kunstsammlung lässt dieses Buch für Lahme daher zu.
© Perlentaucher Medien GmbH
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