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Zu seinem achtzigsten Geburtstag im August 2002 hat Alain Robbe-Grillet den Lesern und sich selbst das schönste Geschenk gemacht: einen neuen großen Roman. Das in Frankreich als Sensation aufgenommene Werk zeigt den vollendeten Meister in seiner Kunst, die Spannung ständig zu steigern durch unvorhersehbare Wandlungen, Spiegelungen, unerhörte Beziehungen und Begebenheiten.
Wir befinden uns in Berlin, fünf Tage lang, im November 1949. Henri Robin, so der vermutlich falsche Name eines subalternen Agenten des französischen Nachrichtendiensts, ist in die Trümmerhauptstadt beordert worden. Sein
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Produktbeschreibung
Zu seinem achtzigsten Geburtstag im August 2002 hat Alain Robbe-Grillet den Lesern und sich selbst das schönste Geschenk gemacht: einen neuen großen Roman. Das in Frankreich als Sensation aufgenommene Werk zeigt den vollendeten Meister in seiner Kunst, die Spannung ständig zu steigern durch unvorhersehbare Wandlungen, Spiegelungen, unerhörte Beziehungen und Begebenheiten.

Wir befinden uns in Berlin, fünf Tage lang, im November 1949. Henri Robin, so der vermutlich falsche Name eines subalternen Agenten des französischen Nachrichtendiensts, ist in die Trümmerhauptstadt beordert worden. Sein Auftrag: Er soll von einem Haus in der Jägerstraße aus, in dem fast genau 100 Jahre zuvor Søren Kierkegaard wohnte, beobachten, ob am Gendarmenmarkt ein nächtlicher Mordanschlag gelingt - weder über Opfer noch Täter weiß er Genaueres. Als er in dem Haus Posten bezieht, beginnen die Merkwürdigkeiten: Zuerst spricht alles dafür, daß das Attentat gelingt. Doch wo ist die Leiche? Da seine Vorgesetzten ihn über die Gesamtoperation nicht informieren, stolpert er, so sieht es anscheinend der Plan vor, durch das Großstadtlabyrinth, getrieben von unklaren Erinnerungen an einen früheren Berlinaufenthalt. Doch die Dinge nehmen eine nicht vorhergesehene und nicht vorhersehbare Wende ...
Autorenporträt
Alain Robbe-Grillet wurde am 18. August 1922 in Brest geboren. Er hat Landwirtschaft studiert und später am Institut National des Statistiques gearbeitet. 1953 publizierte er seinen ersten Roman. Am 18. Feburar 2008 ist Alain Robbe-Grillet 85jährig in Caen gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2003

Rache der Radiergummis
Wiederaufnahme eines Lebenswerks: Alain Robbe-Grillet begibt sich im Nachkriegs-Berlin auf die Suche nach einem Mörder

Sein letzter Roman erschien vor mehr als zwei Jahrzehnten. In den achtziger und neunziger Jahren hatte Alain Robbe-Grillet, einer der berühmtesten und umstrittensten Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts, einen dreiteiligen autobiographischen Zyklus veröffentlicht, wie er im ästhetischen Programm des "Nouveau Roman" nicht vorgesehen war. Aber waren nicht auch Claude Simon und die anderen Schriftsteller, die Robbe-Grillet bei den Editions du Minuit versammelt hatte, vom Dogma abgewichen - am erfolgreichsten Marguerite Duras mit ihren persönlichen Liebes- und Schmerzgeschichten? Der Literaturpapst selber stellte in seinen romanhaften Autobiographien als Verwirrspiel aus Anekdoten und Aphorismen fest, daß seine Kirche aus lauter Häretikern bestehe - und war sichtlich bemüht, sein eigenes Schreiben im eigenen Namen mit den Theorien der fünfziger und sechziger Jahre in Übereinstimmung zu halten.

Der vornehme Abschiedsbeifall der Literaturkritik muß ihn gekränkt haben. Kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag legte der abgeschriebene Mann der französischen Literatur am Anfang des neuen Jahrtausends ein Werk vor, in dem er alle Register seines Könnens zieht. Jetzt erscheint "Die Wiederholung" in deutscher Übersetzung. Alain Robbe-Grillets neuer Roman ist wieder ein "Nouveau Roman".

"Wir schrieben auf Ruinen", kommentierte Robbe-Grillet einmal seine Anfänge und seine Ambitionen, "das alte Europa war ausgebombt, seine Vergangenheit in Rauch aufgegangen, seine Geburtshäuser zerstört: das von Goethe in Frankfurt, jenes von Wagner in Leipzig, das arme meinige in Brest." Alain Robbe-Grillet war 1943 im Rahmen des obligatorischen Arbeitsdienstes nach Deutschland gekommen und hat diese Zeit keineswegs in schlechter Erinnerung behalten. Er entstammte einer sehr deutschfreundlichen Familie, die es mehr aus Pazifismus und Ordnungsfanatismus als aus ideologischer Überzeugung mit dem Regime hielt - aber keineswegs in die Kollaboration verstrickt war. Robbe-Grillet veröffentlichte seinen Erstling "Les Gommes" 1953 - zu einem Zeitpunkt, da Jean-Paul Sartre, der von der Literatur einen Neuanfang im Sinne eines politischen Engagements forderte, den Kommunisten und dem sozialistischen Realismus näher stand denn je. Den Neuanfang vollzog der "Nouveau Roman" mit seiner ästhetischen Revolution - sie war so etwas wie eine späte Stunde null in der Literatur und wurde den veränderten historischen und existentiellen Gegebenheiten letztlich sehr viel gerechter als Sartres moralische Erbauungsliteratur. Man glaubte weder an die Veränderung der Welt noch des Menschen und veränderte um so radikaler die Literatur. Der Preis dieser Revolution war der Verzicht auf die Geschichte und jegliche Psychologie, die radikal ausgeklammert wurden. Es bleibt anzumerken, daß Robbe-Grillet nach Sartres Tod keine Romane mehr schrieb - der letzte, "Djinn", erschien im Jahr von Mitterrands Machtübernahme. Parallel zur einsetzenden Vichy-Aufarbeitung veröffentlichte Robbe-Grillet seine autobiographischen Essays. Sie ermöglichten ihm - auf Umwegen, über Verschiebungen, unter wechselnden Pseudonymen - die Annäherung an seine Herkunft.

Mit der "Wiederholung" kehrt der Schriftsteller in die Zeit vor seiner ersten Veröffentlichung zurück - und nach Deutschland. Der Roman spielt in Berlin im Jahre 1949 und beginnt mit einer langen Eisenbahnfahrt. Henri Robin - wir kennen ihn aus den autobiographischen Schriften - ist als französischer Agent in die Stadt geschickt worden. Aus einem Haus in der Jägerstraße soll er beobachten, ob ein geplanter Mord gelingt - weder über Täter noch Opfer hat man ihn informiert. Dumpf erinnert er sich an einen früheren Aufenthalt. Und schließlich gibt es auch einen Doppelgänger, der ständig wiederkehrt.

Die Ruinen von Berlin mit seinen Sektoren, Zonen, Quartieren sind ein Labyrinth, in dem sich die Handlung auf vielen Ebenen entwickelt. Erinnerungen, Träume, Phantasien und fiebrige Gedanken treiben sie voran. Aus Henri Robin, der in Brest geboren wurde, wird Boris Wallon und aus diesem Wall - der an Wallas aus "Les Gommes" erinnert. Gekonnt inszeniert Robbe-Grillet das seinen Lesern vertraute Spiel der Gegenstände, die an verschiedenen Orten wiederkehren. Seine erotischen Obsessionen - Sadomasochismus, Voyeurismus und blutjunge Mädchen - sind im Roman präsent, der die besten Seiten von Robbe-Grillets umfangreicher Aktliteratur enthält: hier ist alles mehr Parodie als Pornographie. Alles scheint möglich, viele Wendungen deuten sich an - doch mit der Konsequenz einer griechischen Tragödie schreitet die Handlung fort. Der überraschende, als Thriller begonnene Altersroman, der so gut ist wie die frühen Werke, erweist sich als ödipaler Familienroman des Ich-Erzählers, dessen Identität changiert: War er etwa das Opfer des Mordanschlags, den er am Gendarmenmarkt beobachtete und der vielleicht gar nicht geglückt ist?

Im Haus in der Jägerstraße wohnte hundert Jahre zuvor der Philosoph Kierkegaard. Nach seiner Schrift "Die Wiederholung" ist der Roman benannt. Sein französischer Titel lautet "La reprise" - womit eine Wiederaufnahme gemeint ist, zum Beispiel eines Theaterstücks. Es kann auch um eine Ausbesserung oder Generalüberholung gehen - Fäden werden ausgelegt, Motive wiederaufgenommen, ohne daß ein Flickwerk entsteht. Das alles ist "Die Wiederholung", die ganz gewiß kein Remake ist. Ortsfremden ist zu empfehlen, die Geschichte, deren Koordinaten ständig wechseln, mit dem Berliner Stadtplan von 1949 in der Hand zu lesen. Ein paar Erinnerungen an das Gesamtwerk des Dichters vermitteln dem Genuß eine zusätzliche Raffinesse. Robbe-Grillets neues Buch ist eine meisterhafte Zusammenfassung und großartige Neuinszenierung von Leben und Werk.

Alain Robbe-Grillet: "Die Wiederholung". Roman. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 241 S., geb., 24,- [Euro].

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