Das Kunstmuseum, eine der erfolgreichsten Erfindungen der europäischen Kulturgeschichte, durchlief eine dramatische Entwicklung. An seinem Beginn stand die Auflösung der Wunderkammer fürstlicher Provenienz. Erst in der Zeit der Französischen Revolution, als Vandalismus die Kunst bedrohte und Napoleons Kunstraub Gemälde und Statuen aus ganz Europa nach Paris brachte, fand es im Louvre zu einer vorläufigen Form. Am Beispiel der Museumsinsel in Berlin zeigt Ritter schließlich die kontroverse Geschichte des Museumsgedankens selbst. So sollte ausgerechnet die Integration von Gegenwartskunst - in diesem Fall jener des späten 19. Jahrhunderts - dem Museum als Hort und Symbol der Vergangenheitsbewahrung neues Leben einhauchen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2014Sehen ist schwer
Henning Ritters letztes Buch handelt vom Staunen, Schauen und anderen Abenteuern des Auges
Sehen, einfach sehen, ist alles in allem ziemlich schwer. Schwer ist es, weil das Sehen sich an das Sichtbare halten muss, wenn es ein einfaches Sehen sein will. Was sichtbar ist, ist aber seit immer schon von den Meinungen zugestellt, weil Meinungen prinzipiell blind sind. Sehen ist zuerst ein Meinungsvernichtungsakt. Ein Schritt aus der anfänglichen Blindheit, der wenig mit Aufklärung im engen Sinn zu tun hat, weil das, was man dann sieht, immer paradox, fragil und flüchtig ist.
Wenn das Sehen aber so schwer ist, heißt das nichts Gutes für den Beobachter. Zumal "der Mensch als Beobachter ein Spätentwickler ist", wie Henning Ritter in seinem gerade erschienenen Buch "Die Wiederkehr der Wunderkammer. Über Kunst und Künstler" schreibt. Sogar das Nächste, schreibt Ritter weiter, das pochende Herz, habe sich der Neugierde der Menschen lange entzogen. Erst im Jahr 1628 gelang dem britischen Anatomen William Harvey die Beschreibung des Blutkreislaufs. Vorausgegangen waren dieser Entdeckung lange Experimentreihen mit Mühlen und Pumpen.
Das geschah zu einer Zeit, als Galilei gerade mit dem Fernrohr zu den Sternen vorgestoßen war, Johannes Kepler die Planetentafeln neu berechnete und kühne Seefahrer auf den Weltmeeren nach neuen Passagen suchten. In einer Zeit also, als das Sehen alles andere als einfach war, weil es auf gerade gemachten technischen Entdeckungen basierte, die den Blick veränderten.
Die neuzeitlichen Beobachtungen basieren wesentlich auf der technischen Phantasie und den daraus resultierenden Entdeckungen. Aber dennoch wird erst im Moment der neuzeitlichen Technisierung des Blicks überhaupt der Weg zu einem einfachen Sehen freigelegt, das allen, jedem und jeder, jederzeit zugänglich und erreichbar ist. Auf diese paradoxe Wendung kann man die unausgesprochene These von Ritters Buch bringen.
Der Band versammelt Texte über Ausstellungen, Künstler und Kunsttheoretiker, die Henning Ritter, der im vergangenen Jahr gestorben ist, für diese Zeitung schrieb. Die nicht chronologische Abfolge der Texte und die Überschriften hatte Ritter noch selbst besorgt. Deshalb kann man auch die Überschriften des ersten und letzten Textes als Wegweiser durch seinen Gedankengang lesen. "Abenteuer des Auges unter der Milchstraße" heißt der erste, "Die Liebe der Massen zur Kunst" ist der letzte überschrieben.
Das Abenteuer des Auges findet Ritter in den Bildern des Malers Adam Elsheimer. Elsheimer, der 1610 im Alter von zweiunddreißig Jahren in Rom arm starb, hatte als Erster mit mehreren unabhängigen Lichtquellen gearbeitet, welche die Bildzonen seiner kleinformatigen, auf Kupfer gemalten Bilder ausleuchten und deutlich voneinander absetzen. Besonders in seinen Landschaftsdarstellungen und im ersten Sternenhimmel überhaupt, auf dem die Milchstraße zu sehen ist, werden die verschiedenen Lichtzentren zu einem "geheimnisvollen Naturtheater". Einem Theater, das Ritter auch in der Aktion von Christos Reichstagsverpackung wiederfindet, in der sich die Liebe der Massen zur Kunst eine bis dahin so nicht bekannte Bahn gebrochen hat.
Christos verhüllter Reichstag locke, meint Ritter, einen Kunstidealismus sehr früher Stufe hervor, nicht fern von dem der Jagdtiere von Lascaux. So wie die Maler von Lascaux vor zwanzigtausend Jahren die Tiere in ihrer vorbeiziehenden Flüchtigkeit gemalt haben, die es unmöglich macht, zu entscheiden, ob es sich um Kunst-, Natur- oder Traumeindrücke handelt, vermeidet auch Christos Aktion jede Festlegung. Christos Reichstag mache etwas präsent, von dem trotz einer keineswegs mystifikatorischen Konkretheit der Anschauung nicht leicht zu sagen sei, worum es sich handele. Hinzu komme bei Christo noch der temporäre, rein vorübergehende Charakter der Verhüllung. Das Werk verschwindet mit derselben Sicherheit, wie die Herden der Wildtiere im Jahreszyklus auch die Gegenden um Lascaux wieder verlassen haben zu ihrer Zeit. Beide Ereignisse verweisen für Ritter auf eine Utopie der Spurlosigkeit - sie gehen, wie sie gekommen sind, ohne dass man ihren Orten die kurzzeitige Anwesenheit noch ansehen könnte.
"Durch diesen utopischen Gehalt von Friedlichkeit und Folgenlosigkeit hat die Reichstagsverhüllung ihre politische wie ästhetische Strahlkraft gewonnen", heißt es im letzten Satz des Buches. Darin liegt aber viel mehr als nur ein abschließendes Urteil über Christos verhangenen Reichstag. Es ist auch der sozusagen offene Ausgang von Ritters eigener Kunsttheorie. Was einst gut versteckt vor den Versorgungen des Alltags bei Fackellicht in abgeschiedenen Höhlen begann, die teils nur über äußerste Anstrengungen zu erreichen waren, ist in der zugänglichsten Öffentlichkeit angekommen, die denkbar ist: auf einem öffentlichen Platz ohne Zugangsbeschränkungen. Nicht einmal mehr die Kunstkritik, die sich lange als Vermittler der modernen Kunst zum Publikum verstehen durfte, kann sich vor dem Reichstag noch vor das Gebanntsein von Tausenden durch die bloße Erscheinung stellen.
Die Automatismen, das Reflexhafte und die Primitivismen der modernen Kunst sind mit ihrem Glauben an den ungefährlichen guten Menschen dem uralten Stammespalaver ähnlicher geworden als einer Gruppe von Museumsbesuchern vor einem Gemälde von Jackson Pollock. Dieses Ähnlichwerden ist bei Ritter aber kein Rückschritt in vergangene historische Tiefen oder reaktionäre Gefühlslagen, es ist, im Gegenteil, der einzige Ausweg, der friedlich in die Zukunft weist. Und genau in diesem Sinn spricht Ritter auch von der Wiederkehr der Wunderkammer.
Es geht ihm nicht um die Wiederherstellung der alten Institution, sondern um eine Wiederholung der Bewegung des Sehens, wie sie in der alten Wunderkammer möglich geworden war. Die fürstlichen Wunderkammern versammelten alle möglichen antiken oder kuriosen Dinge: Münzen, Skulpturen, Instrumente, Versteinerungen, Tafeln, gepresste Pflanzen und ausgestopfte Tiere. Für Ritter entscheidend ist, dass in der Wunderkammer die Dinge der Kunst und der Natur nicht getrennt sind und dass sie nicht in chronologische Ordnung gebracht wurden. Es gab in ihnen noch keine Ordnung nach Erdzeitaltern oder Kunstepochen. Zudem waren sie der Öffentlichkeit verschlossen und nur Spezialisten oder Potentaten zugänglich.
Bedingungen, die sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts und vor allem mit der Französischen Revolution radikal ändern. Öffentlichkeit und die chronologische Präsentation der Exponate werden genauso verpflichtend wie die Trennung von Kunst und Natur. Mit der Öffnung des Louvre im Jahr 1793 als Kunstmuseum und der fast gleichzeitigen Umfunktionierung des Jardin des Plantes zum ersten öffentlichen Zoo als Bildungs- und Forschungsanstalt wird die Trennung institutionalisiert. Es beginnt eine große Zeit der Entwicklung kunsthistorischer und empirischer Naturwissenschaften. Die Kunst- und Museumsgeschichte hat Ritter am Beispiel der Berliner Museumsinsel in mehreren Texten im Buch untersucht.
Entscheidend für seinen Wunsch nach der Wiederkehr der Wunderkammer ist aber eine auf der Naturseite gemachte Beobachtung. Es sei eine der Paradoxien des Darwinismus, schreibt Ritter in seinen 2010 erschienenen "Notizheften", dass er die Einsamkeit des Menschen im Naturreich überwinden wollte, nachdem er den Menschen in das Ganze der Natur integriert hatte, diese Einsamkeit in Wahrheit aber noch verstärkt habe. Aus einem Grund, der mit dem Sehen zusammenhängt: "Der Blick in das Gesicht der schreckenerregenden Vettern erkennt nicht das Erschrecken in deren Blick", heißt es in einem seiner schönsten Sätze.
Die Beobachtung und damit das Sehen kranken bis heute daran, dass es nicht die Wirkung des Blicks im anderen Körper voraussetzt. Das Erschrecken im Blick des anderen Tieres zu erkennen, während man es anblickt, traute Ritter eher der Kunst und den neuen Bildwissenschaften zu als den sich vom Leben abwendenden, reduktionistischen Gen- und Neurotechnologien. In diesem Sinn kommen die Wunderkammern zurück: Kunst und Künstler wenden sich den von den Wissenschaften liegengelassenen Bildern der Natur zu, staunend wie die Maler von Lascaux - nur in aller Öffentlichkeit.
CORD RIECHELMANN
Henning Ritter: "Die Wiederkehr der Wunderkammer. Über Kunst und Künstler". Hanser Berlin, 256 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Henning Ritters letztes Buch handelt vom Staunen, Schauen und anderen Abenteuern des Auges
Sehen, einfach sehen, ist alles in allem ziemlich schwer. Schwer ist es, weil das Sehen sich an das Sichtbare halten muss, wenn es ein einfaches Sehen sein will. Was sichtbar ist, ist aber seit immer schon von den Meinungen zugestellt, weil Meinungen prinzipiell blind sind. Sehen ist zuerst ein Meinungsvernichtungsakt. Ein Schritt aus der anfänglichen Blindheit, der wenig mit Aufklärung im engen Sinn zu tun hat, weil das, was man dann sieht, immer paradox, fragil und flüchtig ist.
Wenn das Sehen aber so schwer ist, heißt das nichts Gutes für den Beobachter. Zumal "der Mensch als Beobachter ein Spätentwickler ist", wie Henning Ritter in seinem gerade erschienenen Buch "Die Wiederkehr der Wunderkammer. Über Kunst und Künstler" schreibt. Sogar das Nächste, schreibt Ritter weiter, das pochende Herz, habe sich der Neugierde der Menschen lange entzogen. Erst im Jahr 1628 gelang dem britischen Anatomen William Harvey die Beschreibung des Blutkreislaufs. Vorausgegangen waren dieser Entdeckung lange Experimentreihen mit Mühlen und Pumpen.
Das geschah zu einer Zeit, als Galilei gerade mit dem Fernrohr zu den Sternen vorgestoßen war, Johannes Kepler die Planetentafeln neu berechnete und kühne Seefahrer auf den Weltmeeren nach neuen Passagen suchten. In einer Zeit also, als das Sehen alles andere als einfach war, weil es auf gerade gemachten technischen Entdeckungen basierte, die den Blick veränderten.
Die neuzeitlichen Beobachtungen basieren wesentlich auf der technischen Phantasie und den daraus resultierenden Entdeckungen. Aber dennoch wird erst im Moment der neuzeitlichen Technisierung des Blicks überhaupt der Weg zu einem einfachen Sehen freigelegt, das allen, jedem und jeder, jederzeit zugänglich und erreichbar ist. Auf diese paradoxe Wendung kann man die unausgesprochene These von Ritters Buch bringen.
Der Band versammelt Texte über Ausstellungen, Künstler und Kunsttheoretiker, die Henning Ritter, der im vergangenen Jahr gestorben ist, für diese Zeitung schrieb. Die nicht chronologische Abfolge der Texte und die Überschriften hatte Ritter noch selbst besorgt. Deshalb kann man auch die Überschriften des ersten und letzten Textes als Wegweiser durch seinen Gedankengang lesen. "Abenteuer des Auges unter der Milchstraße" heißt der erste, "Die Liebe der Massen zur Kunst" ist der letzte überschrieben.
Das Abenteuer des Auges findet Ritter in den Bildern des Malers Adam Elsheimer. Elsheimer, der 1610 im Alter von zweiunddreißig Jahren in Rom arm starb, hatte als Erster mit mehreren unabhängigen Lichtquellen gearbeitet, welche die Bildzonen seiner kleinformatigen, auf Kupfer gemalten Bilder ausleuchten und deutlich voneinander absetzen. Besonders in seinen Landschaftsdarstellungen und im ersten Sternenhimmel überhaupt, auf dem die Milchstraße zu sehen ist, werden die verschiedenen Lichtzentren zu einem "geheimnisvollen Naturtheater". Einem Theater, das Ritter auch in der Aktion von Christos Reichstagsverpackung wiederfindet, in der sich die Liebe der Massen zur Kunst eine bis dahin so nicht bekannte Bahn gebrochen hat.
Christos verhüllter Reichstag locke, meint Ritter, einen Kunstidealismus sehr früher Stufe hervor, nicht fern von dem der Jagdtiere von Lascaux. So wie die Maler von Lascaux vor zwanzigtausend Jahren die Tiere in ihrer vorbeiziehenden Flüchtigkeit gemalt haben, die es unmöglich macht, zu entscheiden, ob es sich um Kunst-, Natur- oder Traumeindrücke handelt, vermeidet auch Christos Aktion jede Festlegung. Christos Reichstag mache etwas präsent, von dem trotz einer keineswegs mystifikatorischen Konkretheit der Anschauung nicht leicht zu sagen sei, worum es sich handele. Hinzu komme bei Christo noch der temporäre, rein vorübergehende Charakter der Verhüllung. Das Werk verschwindet mit derselben Sicherheit, wie die Herden der Wildtiere im Jahreszyklus auch die Gegenden um Lascaux wieder verlassen haben zu ihrer Zeit. Beide Ereignisse verweisen für Ritter auf eine Utopie der Spurlosigkeit - sie gehen, wie sie gekommen sind, ohne dass man ihren Orten die kurzzeitige Anwesenheit noch ansehen könnte.
"Durch diesen utopischen Gehalt von Friedlichkeit und Folgenlosigkeit hat die Reichstagsverhüllung ihre politische wie ästhetische Strahlkraft gewonnen", heißt es im letzten Satz des Buches. Darin liegt aber viel mehr als nur ein abschließendes Urteil über Christos verhangenen Reichstag. Es ist auch der sozusagen offene Ausgang von Ritters eigener Kunsttheorie. Was einst gut versteckt vor den Versorgungen des Alltags bei Fackellicht in abgeschiedenen Höhlen begann, die teils nur über äußerste Anstrengungen zu erreichen waren, ist in der zugänglichsten Öffentlichkeit angekommen, die denkbar ist: auf einem öffentlichen Platz ohne Zugangsbeschränkungen. Nicht einmal mehr die Kunstkritik, die sich lange als Vermittler der modernen Kunst zum Publikum verstehen durfte, kann sich vor dem Reichstag noch vor das Gebanntsein von Tausenden durch die bloße Erscheinung stellen.
Die Automatismen, das Reflexhafte und die Primitivismen der modernen Kunst sind mit ihrem Glauben an den ungefährlichen guten Menschen dem uralten Stammespalaver ähnlicher geworden als einer Gruppe von Museumsbesuchern vor einem Gemälde von Jackson Pollock. Dieses Ähnlichwerden ist bei Ritter aber kein Rückschritt in vergangene historische Tiefen oder reaktionäre Gefühlslagen, es ist, im Gegenteil, der einzige Ausweg, der friedlich in die Zukunft weist. Und genau in diesem Sinn spricht Ritter auch von der Wiederkehr der Wunderkammer.
Es geht ihm nicht um die Wiederherstellung der alten Institution, sondern um eine Wiederholung der Bewegung des Sehens, wie sie in der alten Wunderkammer möglich geworden war. Die fürstlichen Wunderkammern versammelten alle möglichen antiken oder kuriosen Dinge: Münzen, Skulpturen, Instrumente, Versteinerungen, Tafeln, gepresste Pflanzen und ausgestopfte Tiere. Für Ritter entscheidend ist, dass in der Wunderkammer die Dinge der Kunst und der Natur nicht getrennt sind und dass sie nicht in chronologische Ordnung gebracht wurden. Es gab in ihnen noch keine Ordnung nach Erdzeitaltern oder Kunstepochen. Zudem waren sie der Öffentlichkeit verschlossen und nur Spezialisten oder Potentaten zugänglich.
Bedingungen, die sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts und vor allem mit der Französischen Revolution radikal ändern. Öffentlichkeit und die chronologische Präsentation der Exponate werden genauso verpflichtend wie die Trennung von Kunst und Natur. Mit der Öffnung des Louvre im Jahr 1793 als Kunstmuseum und der fast gleichzeitigen Umfunktionierung des Jardin des Plantes zum ersten öffentlichen Zoo als Bildungs- und Forschungsanstalt wird die Trennung institutionalisiert. Es beginnt eine große Zeit der Entwicklung kunsthistorischer und empirischer Naturwissenschaften. Die Kunst- und Museumsgeschichte hat Ritter am Beispiel der Berliner Museumsinsel in mehreren Texten im Buch untersucht.
Entscheidend für seinen Wunsch nach der Wiederkehr der Wunderkammer ist aber eine auf der Naturseite gemachte Beobachtung. Es sei eine der Paradoxien des Darwinismus, schreibt Ritter in seinen 2010 erschienenen "Notizheften", dass er die Einsamkeit des Menschen im Naturreich überwinden wollte, nachdem er den Menschen in das Ganze der Natur integriert hatte, diese Einsamkeit in Wahrheit aber noch verstärkt habe. Aus einem Grund, der mit dem Sehen zusammenhängt: "Der Blick in das Gesicht der schreckenerregenden Vettern erkennt nicht das Erschrecken in deren Blick", heißt es in einem seiner schönsten Sätze.
Die Beobachtung und damit das Sehen kranken bis heute daran, dass es nicht die Wirkung des Blicks im anderen Körper voraussetzt. Das Erschrecken im Blick des anderen Tieres zu erkennen, während man es anblickt, traute Ritter eher der Kunst und den neuen Bildwissenschaften zu als den sich vom Leben abwendenden, reduktionistischen Gen- und Neurotechnologien. In diesem Sinn kommen die Wunderkammern zurück: Kunst und Künstler wenden sich den von den Wissenschaften liegengelassenen Bildern der Natur zu, staunend wie die Maler von Lascaux - nur in aller Öffentlichkeit.
CORD RIECHELMANN
Henning Ritter: "Die Wiederkehr der Wunderkammer. Über Kunst und Künstler". Hanser Berlin, 256 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Das Buch selbst ist eine Kunstkammer, findet Thomas Steinfeld nach der Lektüre von Henning Ritters postum veröffentlichtem Band mit Essays (Zeitungstexte eigentlich) zur Museumsinsel, Adolph Menzel oder auch Goya. Kunstgeschichtlich nämlich, meint Steinfeld, wird der Autor nie, eher sieht ihn der Rezensent als Wanderer durch Kunstkabinette und Museen von Paris bis London, entlang der Wandlungen der Ausstellungspraxis und immer mit der lässigen Haltung eines Autors, der scheinbar bloß den Gedanken eines Anderen weiterführt oder auf neue Verhältnisse überträgt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.05.2014Wie erfindet man Alte Meister?
So alt ist das moderne Museum noch gar nicht, aber schon beginnt seine Archäologie:
Henning Ritters nachgelassenes Buch „Die Wiederkehr der Kunstkammer“
VON THOMAS STEINFELD
Als vor einigen Jahren das Neue Museum in Berlin restauriert wurde, sprachen die Architekten davon, sie wollten mit der Kriegsruine „wie Archäologen“ umgehen – also die Fragmente offenlegen, sie konservieren und, je nach Erhaltungszustand, im Sinne des Gewesenen ergänzen. Dieses Vorhaben wäre schon anspruchsvoll gewesen, wäre es nur um das Fragment eines Museumsbaus gegangen. Es wurde aber zu einer nicht nur ästhetischen, sondern auch kulturpolitischen Herausforderung, weil der Bau, zwischen 1843 und 1855 nach einem Entwurf von Friedrich August Stüler errichtet, mehr als ein Haus für die Kunst, nämlich selbst ein Kunstwerk war: wegen Wilhelm von Kaulbachs Fresken im Treppenhaus etwa, den großen Epochen der Menschheitsgeschichte gewidmet, aber auch wegen der ägyptischen Säle, die selbst ägyptisch zu sein vorgaben und einem Zauber dienten, der Betörung eines Publikums, das sich gerade an den vergleichenden Blick zwischen lauter einzigartigen Werken gewöhnt hatte.
Dieses Museum, erklärt Henning Ritter in einem Aufsatz mit dem Titel „Das ästhetische Alphabet“, habe schon im neunzehnten Jahrhundert wie eine „Kunstkammer“ gewirkt, die man „am liebsten wiederhergestellt hätte“. Und als man sie nach der erneuten Einigung Deutschlands tatsächlich wiederherstellen wollte, so geschah das zwar in veränderter Form – mit einer offenen Reminiszenz an die Ruine –, aber durchaus im Sinne eines „latenten Revisionismus“, der den Museumsgedanken hinter sich lassen will, um zur „Kunstkammer“ zurückzustreben.
Es sind solche Überlegungen, von den denen sich die Texte Henning Ritters vorantreiben lassen, die jetzt in einem posthum veröffentlichten Band mit dem Titel „Die Wiederkehr der Kunstkammer“ versammelt sind: Parallelführungen und Erweiterungen von Gedanken, die ihm irgendwo bei einem historischen Autor aufgefallen waren und die er dann auf gegenwärtige Verhältnisse überträgt.
Henning Ritter, der im vergangenen Sommer starb, hatte lange Jahre als Redakteur für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet und dort die „Geisteswissenschaften“ betreut. Aber er war viel mehr als das gewesen: ein Übersetzer, der sich vor allem französischen Texten aus dem achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert zuwandte, ein Herausgeber, zum Beispiel von Sigfried Giedions bahnbrechendem Werk über die „Herrschaft der Mechanisierung“, und ein Autor von eigenem Rang. Als er im Jahr 2011 den Leipziger Buchpreis erhielt, galt die Auszeichnung zwar seinen „Notizheften“, einer Sammlung von meist fragmentarischen Reflexionen auf persönliche Erfahrungen und Lektüren. Es verbarg sich darin aber auch eine Reverenz vor einem Autor, der eine fast ganz historisch gewordene Form des intellektuellen Schreibens, die Gedankenskizze aus gegebenem Anlass, als die ihm gemäße Ausdrucksweise gefunden und fortentwickelt hatte.
Die Monografie hingegen, das eine, große Buch, zu dem ansonsten alle drängen, blieb Henning Ritter eigentümlich fremd. „Die Wiederkehr der Kunstkammer“ ist ein Zeugnis dieser Fremdheit: Das Buch enthält nicht nur knapp zwei Dutzend Essays, die zuvor in der Zeitung erschienen waren, sondern auch den vierzig Seiten langen Text zur „Erfindung der Alten Meister“. Er ist vermutlich der Kern eines Vorhabens, das Henning Ritter gelegentlich als seine zukünftige „Geschichte des Museums“ bezeichnet hatte. Es macht einen weiten Bogen über Paris, London und Amsterdam, um sich dann auf Berlin und die Museumsinsel zu konzentrieren – und auf ein paar Gestalten, auf Wilhelm von Bode, Ludwig Justi, Gottfried Semper, Adolph Menzel, bei denen das Werk zugleich ein ästhetisches Programm war.
Aber ob diese Geschichte tatsächlich mit dem Impressionismus ihr Ende gefunden hätte, wie es die Auswahl der Essays in diesem Band nahelegt? Man weiß es nicht, würde es aber gerne wissen, schon weil ein Kunstmuseum der Moderne, das Guggenheim in New York zum Beispiel oder auch Louisiana, das Verhältnis zwischen Betrachter und Werk ganz anders bestimmt, als das in der Alten Pinakothek der Fall ist.
Die Klammer, die diesen Band zusammenhält, ist die „Kunstkammer“, das nicht nur der Kunst, sondern daneben vielen anderen Raritäten gewidmete Kabinett meist feudaler Herren, aus dem das Museum einst hervorgegangen war. Diese Kammer verschwand im frühen neunzehnten Jahrhundert fast völlig. Sie ging im selben Maße dahin, wie sich die chronologische Ordnung der Exponate durchsetzte, ohne dass die Zeitgenossen die Kammer vermisst hätten – um nur im „Epochenbild“, also etwa im Neuen Museum, fortzudauern. Sie wurden freigestellt, gelöst aus jedem nun denkbaren Zusammenhang und als jeweils einzelne, verehrungswürdige Gegenstände zu originalen „Zeugnissen des schöpferischen Vermögens“ erhoben. Damit schloss sich, im Verlangen nach Reinheit und Erhabenheit, das Museum auch gegen die zeitgenössische Kunst ab: „Das Kunstmuseum wies die Gegenwartskunst zurück wie die griechischen Skulpturen die Farbe“ – wogegen das seit langem vorhandene Wissen, dass die Statuen tatsächlich farbig waren, ja bis auf den heutigen Tag wenig ausrichten konnte.
Als das Museum die Kunstkammer ablöste, war dieser Übergang im höfischen Sammlungswesen längst vorbereitet gewesen. Der „Großbetrieb der Grandtour“ etwa hatte nicht nur feste Routen entstehen lassen, sondern auch eine Grafik, die bereits das Prinzip musealen Zeigens in sich trug: „Zeigen ließ sich, was in den graphischen Reproduktion zu optimaler Wirkung kam.“ In jüngster Zeit aber sei die Kunstkammer, erklärt Henning Ritter, zurückgekehrt. Das liege auch an den „Ausstellungsinstallationen mit ihrem Materialprunk, den Schrifttafeln, Videoclips, kulturgeschichtlichen Handreichungen“.
Das stimmt selbstverständlich. Doch reicht dieser Hinweis zur Erklärung eines Phänomens wie der „Wiederkehr der Kunstkammer“, wenn es denn eine solche gibt, nicht aus. Vieles wäre noch dazu in Betracht zu ziehen, angefangen von der Öffnung der Museen zur zeitgenössischen Kunst über die grundsätzlich veränderte Rolle der Kuratoren selbst in Ausstellungen historischer Werke bis hin zu der zentralen Bedeutung, die in jüngster Zeit der Kunstmarkt für den Umgang mit Kunst schlechthin gewonnen hat.
Das Buch enthält keine Abhandlungen über Kunst. Es enthält Abhandlungen über den Umgang mit Kunst, und fast scheint es, als wollte Henning Ritter diesem Umgang zwar mit großem Interesse, aber doch absichtslos bei einigen seiner Wandlungen zuschauen. Nach einer Weile wird dennoch deutlich, dass die Kunstkammer seiner Art zu arbeiten näherkommt als das Museum, und zwar vor allem ihrer Nähe zu Wissenschaft und Gelehrsamkeit wegen: „Die Gegenstände der Kunst- und Naturaliensammlung sprachen nicht für sich selbst“, heißt es scheinbar lakonisch. „Man mußte Kenntnisse gewinnen über ihren wahren Wert, ihre Seltenheit, die abenteuerlichen Wege, die sie durchlaufen hatten, und über die gelehrten Bewandtnisse.“
Das Urteil ist hier Programm. Denn bildet nicht auch dieses Buch, wie es durch die Kunstgeschichte der vergangenen vierhundert Jahre mäandriert, wie es bei Adam Elsheimer oder Francisco Goya innehält, um sich dann mit Vincent van Gogh oder Christo zu beschäftigen, eine Art Kunstkammer der gelehrten Beschäftigung mit schönen Gegenständen?
Henning Ritter: Die Wiederkehr der Kunstkammer. Über Kunst und Künstler. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2014. 256 Seiten, 19,90 Euro.
Das Neue Museum in Berlin
sollte selber ein Kunstwerk sein
Lange wies das Kunstmuseum
die Gegenwartskunst zurück
Eine Kunstkammer des 19. Jahrhunderts? Der Römische Saal des Neuen Museums in Berlin.
Foto: bpk
So alt ist das moderne Museum noch gar nicht, aber schon beginnt seine Archäologie:
Henning Ritters nachgelassenes Buch „Die Wiederkehr der Kunstkammer“
VON THOMAS STEINFELD
Als vor einigen Jahren das Neue Museum in Berlin restauriert wurde, sprachen die Architekten davon, sie wollten mit der Kriegsruine „wie Archäologen“ umgehen – also die Fragmente offenlegen, sie konservieren und, je nach Erhaltungszustand, im Sinne des Gewesenen ergänzen. Dieses Vorhaben wäre schon anspruchsvoll gewesen, wäre es nur um das Fragment eines Museumsbaus gegangen. Es wurde aber zu einer nicht nur ästhetischen, sondern auch kulturpolitischen Herausforderung, weil der Bau, zwischen 1843 und 1855 nach einem Entwurf von Friedrich August Stüler errichtet, mehr als ein Haus für die Kunst, nämlich selbst ein Kunstwerk war: wegen Wilhelm von Kaulbachs Fresken im Treppenhaus etwa, den großen Epochen der Menschheitsgeschichte gewidmet, aber auch wegen der ägyptischen Säle, die selbst ägyptisch zu sein vorgaben und einem Zauber dienten, der Betörung eines Publikums, das sich gerade an den vergleichenden Blick zwischen lauter einzigartigen Werken gewöhnt hatte.
Dieses Museum, erklärt Henning Ritter in einem Aufsatz mit dem Titel „Das ästhetische Alphabet“, habe schon im neunzehnten Jahrhundert wie eine „Kunstkammer“ gewirkt, die man „am liebsten wiederhergestellt hätte“. Und als man sie nach der erneuten Einigung Deutschlands tatsächlich wiederherstellen wollte, so geschah das zwar in veränderter Form – mit einer offenen Reminiszenz an die Ruine –, aber durchaus im Sinne eines „latenten Revisionismus“, der den Museumsgedanken hinter sich lassen will, um zur „Kunstkammer“ zurückzustreben.
Es sind solche Überlegungen, von den denen sich die Texte Henning Ritters vorantreiben lassen, die jetzt in einem posthum veröffentlichten Band mit dem Titel „Die Wiederkehr der Kunstkammer“ versammelt sind: Parallelführungen und Erweiterungen von Gedanken, die ihm irgendwo bei einem historischen Autor aufgefallen waren und die er dann auf gegenwärtige Verhältnisse überträgt.
Henning Ritter, der im vergangenen Sommer starb, hatte lange Jahre als Redakteur für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet und dort die „Geisteswissenschaften“ betreut. Aber er war viel mehr als das gewesen: ein Übersetzer, der sich vor allem französischen Texten aus dem achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert zuwandte, ein Herausgeber, zum Beispiel von Sigfried Giedions bahnbrechendem Werk über die „Herrschaft der Mechanisierung“, und ein Autor von eigenem Rang. Als er im Jahr 2011 den Leipziger Buchpreis erhielt, galt die Auszeichnung zwar seinen „Notizheften“, einer Sammlung von meist fragmentarischen Reflexionen auf persönliche Erfahrungen und Lektüren. Es verbarg sich darin aber auch eine Reverenz vor einem Autor, der eine fast ganz historisch gewordene Form des intellektuellen Schreibens, die Gedankenskizze aus gegebenem Anlass, als die ihm gemäße Ausdrucksweise gefunden und fortentwickelt hatte.
Die Monografie hingegen, das eine, große Buch, zu dem ansonsten alle drängen, blieb Henning Ritter eigentümlich fremd. „Die Wiederkehr der Kunstkammer“ ist ein Zeugnis dieser Fremdheit: Das Buch enthält nicht nur knapp zwei Dutzend Essays, die zuvor in der Zeitung erschienen waren, sondern auch den vierzig Seiten langen Text zur „Erfindung der Alten Meister“. Er ist vermutlich der Kern eines Vorhabens, das Henning Ritter gelegentlich als seine zukünftige „Geschichte des Museums“ bezeichnet hatte. Es macht einen weiten Bogen über Paris, London und Amsterdam, um sich dann auf Berlin und die Museumsinsel zu konzentrieren – und auf ein paar Gestalten, auf Wilhelm von Bode, Ludwig Justi, Gottfried Semper, Adolph Menzel, bei denen das Werk zugleich ein ästhetisches Programm war.
Aber ob diese Geschichte tatsächlich mit dem Impressionismus ihr Ende gefunden hätte, wie es die Auswahl der Essays in diesem Band nahelegt? Man weiß es nicht, würde es aber gerne wissen, schon weil ein Kunstmuseum der Moderne, das Guggenheim in New York zum Beispiel oder auch Louisiana, das Verhältnis zwischen Betrachter und Werk ganz anders bestimmt, als das in der Alten Pinakothek der Fall ist.
Die Klammer, die diesen Band zusammenhält, ist die „Kunstkammer“, das nicht nur der Kunst, sondern daneben vielen anderen Raritäten gewidmete Kabinett meist feudaler Herren, aus dem das Museum einst hervorgegangen war. Diese Kammer verschwand im frühen neunzehnten Jahrhundert fast völlig. Sie ging im selben Maße dahin, wie sich die chronologische Ordnung der Exponate durchsetzte, ohne dass die Zeitgenossen die Kammer vermisst hätten – um nur im „Epochenbild“, also etwa im Neuen Museum, fortzudauern. Sie wurden freigestellt, gelöst aus jedem nun denkbaren Zusammenhang und als jeweils einzelne, verehrungswürdige Gegenstände zu originalen „Zeugnissen des schöpferischen Vermögens“ erhoben. Damit schloss sich, im Verlangen nach Reinheit und Erhabenheit, das Museum auch gegen die zeitgenössische Kunst ab: „Das Kunstmuseum wies die Gegenwartskunst zurück wie die griechischen Skulpturen die Farbe“ – wogegen das seit langem vorhandene Wissen, dass die Statuen tatsächlich farbig waren, ja bis auf den heutigen Tag wenig ausrichten konnte.
Als das Museum die Kunstkammer ablöste, war dieser Übergang im höfischen Sammlungswesen längst vorbereitet gewesen. Der „Großbetrieb der Grandtour“ etwa hatte nicht nur feste Routen entstehen lassen, sondern auch eine Grafik, die bereits das Prinzip musealen Zeigens in sich trug: „Zeigen ließ sich, was in den graphischen Reproduktion zu optimaler Wirkung kam.“ In jüngster Zeit aber sei die Kunstkammer, erklärt Henning Ritter, zurückgekehrt. Das liege auch an den „Ausstellungsinstallationen mit ihrem Materialprunk, den Schrifttafeln, Videoclips, kulturgeschichtlichen Handreichungen“.
Das stimmt selbstverständlich. Doch reicht dieser Hinweis zur Erklärung eines Phänomens wie der „Wiederkehr der Kunstkammer“, wenn es denn eine solche gibt, nicht aus. Vieles wäre noch dazu in Betracht zu ziehen, angefangen von der Öffnung der Museen zur zeitgenössischen Kunst über die grundsätzlich veränderte Rolle der Kuratoren selbst in Ausstellungen historischer Werke bis hin zu der zentralen Bedeutung, die in jüngster Zeit der Kunstmarkt für den Umgang mit Kunst schlechthin gewonnen hat.
Das Buch enthält keine Abhandlungen über Kunst. Es enthält Abhandlungen über den Umgang mit Kunst, und fast scheint es, als wollte Henning Ritter diesem Umgang zwar mit großem Interesse, aber doch absichtslos bei einigen seiner Wandlungen zuschauen. Nach einer Weile wird dennoch deutlich, dass die Kunstkammer seiner Art zu arbeiten näherkommt als das Museum, und zwar vor allem ihrer Nähe zu Wissenschaft und Gelehrsamkeit wegen: „Die Gegenstände der Kunst- und Naturaliensammlung sprachen nicht für sich selbst“, heißt es scheinbar lakonisch. „Man mußte Kenntnisse gewinnen über ihren wahren Wert, ihre Seltenheit, die abenteuerlichen Wege, die sie durchlaufen hatten, und über die gelehrten Bewandtnisse.“
Das Urteil ist hier Programm. Denn bildet nicht auch dieses Buch, wie es durch die Kunstgeschichte der vergangenen vierhundert Jahre mäandriert, wie es bei Adam Elsheimer oder Francisco Goya innehält, um sich dann mit Vincent van Gogh oder Christo zu beschäftigen, eine Art Kunstkammer der gelehrten Beschäftigung mit schönen Gegenständen?
Henning Ritter: Die Wiederkehr der Kunstkammer. Über Kunst und Künstler. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2014. 256 Seiten, 19,90 Euro.
Das Neue Museum in Berlin
sollte selber ein Kunstwerk sein
Lange wies das Kunstmuseum
die Gegenwartskunst zurück
Eine Kunstkammer des 19. Jahrhunderts? Der Römische Saal des Neuen Museums in Berlin.
Foto: bpk
"Ein wunderbar flüssiger und schlüssiger Text, dessen Teile sich zwar wie Essays lesen lassen, aber erst im Zusammenhang die ganze Tiefe der Auseinandersetzung mit dem Stoff zu erkennen geben. (...) Als unermüdlichen Gesprächspartner und Anreger wird jeder seiner Freunde und Kollegen Henning Ritter im Gedächtnis behalten. Und als den großartigen Stilisten, als der er sich hier noch einmal erweist." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine, 05.03.14
"Man steht staunend in Ritters Wunderkammer der Interpretationen." Ingo Arend, Deutschland Radio Kultur, 20.03.14
"Man steht staunend in Ritters Wunderkammer der Interpretationen." Ingo Arend, Deutschland Radio Kultur, 20.03.14