"Die Wiederkehr des Neuen" versammelt Aufsätze von Beat Wyss aus drei Jahrzehnten, darunter viele längst vergriffene Texte zur deutschen Ästhetik und Mentalitätsgeschichte. Die aus einer Vielzahl von Arbeiten getroffene Auwahl will einen Überblick über ein inhaltlich und methodisch weitgespanntes, häufig von Philosophie und Literatur angeregtes essayistisches Werk, geben. Im Blick auf die klassischen Felder der Kunstgeschichte ist der "wyssenschaftliche" Ausgangspunkt stets die Gegenwart und ihre ästhetischen Erfahrungen gewesen. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die Auseinandersetzung mit den Avantgarden der Moderne seit dem 19. Jahrhundert und dem Paradigmenwechsel in der "Nach-Moderne". Mit einigen jüngeren Beiträgen zur Thematik des "Pictorial Turn" öffnet sich Beat Wyss explizit zeitgenössischen Diskursen und erinnert damit an die Prozessualität und Unabschließbarkeit des kunsthistorischen Denkens.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2007Sinnschöpfung
Der Kunst- und Medientheoretiker Beat Wyss über das kulturelle Erbe
Wer könnte es ihm verdenken? Dem Karlsruher Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie Beat Wyss ist nicht recht wohl in einer Gegenwart, die sich und die Kunst, wie er findet, der „Profitmaximierung” verschrieben habe. Von diesem Motiv getrieben, regiere „eine Goldgräberpolitik, die das kulturelle Erbe abholzt wie Regenwald”. Wozu aber wäre der Kunsthistoriker oder, sagen wir, der Mensch noch auf der Welt, würden die Bäume der Kunst abgeholzt? Ihm käme „der Sinn abhanden”. Und: „Der Verlust der Sinngebung hätte die Desintegration der Gesellschaft zur Folge”. Was gewiß keiner wollen kann: „Metaphysik ist Kunstsache! Die Investition in Kunst und Humanwissenschaften halten die Sinnschöpfung aufrecht. Das Sparen bei der Kunst bedeutet einen Sinnverlust, den wir uns nicht leisten können”.
Wyss’ vermeintliche Alternative zum Geschäft, der „Sinn”, folgt dem Muster des Geschäfts. Sein Begriff der „Sinnschöpfung” ist nach dem Vorbild der „Wertschöpfung” gebildet. „Es kommt zu Schrumpfformen öffentlicher Kunstpflege: Pavarotti als Don Giovanni, übertragen per Satellit aus der Mailänder Scala”. Don Giovanni ist eine Baritonpartie, Pavarotti jedoch ein Tenor – indes: was tut’s? Es geht nicht um den Einwand, sondern um den Willen zum Einwand, oder auch: um die Annonce eines Einwands. Wie der Betrieb mit den Kunstwerken umspringt, nämlich eher achtlos, so Wyss’ Kritik am Betrieb mit ihrem Gegenstand. Sie sind eines Sinnes. Was vorgeht, ist nicht besser zu resümieren, als in Wyss’ eigenen Worten: „Deshalb aber schmecken die Früchte immer wieder von der schrecklichen Erde, auf dem sie heranreifen”. ANDREAS DORSCHEL
BEAT WYSS: Die Wiederkehr des Neuen. Philo & Philo Fine Arts, Hamburg 2007. 439 Seiten, 22 Euro.
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Der Kunst- und Medientheoretiker Beat Wyss über das kulturelle Erbe
Wer könnte es ihm verdenken? Dem Karlsruher Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie Beat Wyss ist nicht recht wohl in einer Gegenwart, die sich und die Kunst, wie er findet, der „Profitmaximierung” verschrieben habe. Von diesem Motiv getrieben, regiere „eine Goldgräberpolitik, die das kulturelle Erbe abholzt wie Regenwald”. Wozu aber wäre der Kunsthistoriker oder, sagen wir, der Mensch noch auf der Welt, würden die Bäume der Kunst abgeholzt? Ihm käme „der Sinn abhanden”. Und: „Der Verlust der Sinngebung hätte die Desintegration der Gesellschaft zur Folge”. Was gewiß keiner wollen kann: „Metaphysik ist Kunstsache! Die Investition in Kunst und Humanwissenschaften halten die Sinnschöpfung aufrecht. Das Sparen bei der Kunst bedeutet einen Sinnverlust, den wir uns nicht leisten können”.
Wyss’ vermeintliche Alternative zum Geschäft, der „Sinn”, folgt dem Muster des Geschäfts. Sein Begriff der „Sinnschöpfung” ist nach dem Vorbild der „Wertschöpfung” gebildet. „Es kommt zu Schrumpfformen öffentlicher Kunstpflege: Pavarotti als Don Giovanni, übertragen per Satellit aus der Mailänder Scala”. Don Giovanni ist eine Baritonpartie, Pavarotti jedoch ein Tenor – indes: was tut’s? Es geht nicht um den Einwand, sondern um den Willen zum Einwand, oder auch: um die Annonce eines Einwands. Wie der Betrieb mit den Kunstwerken umspringt, nämlich eher achtlos, so Wyss’ Kritik am Betrieb mit ihrem Gegenstand. Sie sind eines Sinnes. Was vorgeht, ist nicht besser zu resümieren, als in Wyss’ eigenen Worten: „Deshalb aber schmecken die Früchte immer wieder von der schrecklichen Erde, auf dem sie heranreifen”. ANDREAS DORSCHEL
BEAT WYSS: Die Wiederkehr des Neuen. Philo & Philo Fine Arts, Hamburg 2007. 439 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Selbst bei akademischen Themen zur Kunstgeschichte könne man bei Beat Wyss mit überraschenden Gedanken rechnen, zeigt sich Rezensentin Edith Krebs beeindruckt. Sein eigentliches Metier sei hingegen der aktuelle gesellschaftliche Kontext von Kunst- und Alltagsphänomen. Hier attestiert die Rezensentin einen "flotten" Stil, zugleich aber auch eine Neigung zur apodiktischen Formulierung. Der erste Teil der Anthologie präsentiere Aufsätze zur frühen Moderne und ihrem politischen Umfeld, zu Oskar Schlemmer, Willi Baumeister oder der amerikanischen Kulturpolitik während des Zweiten Weltkrieges. Der zweite Teil erinnert die Rezensentin an Roland Barthes' "Mythen des Alltags", wenn Beat Wyss über Mode, Körperkultur oder das Verschwinden des Dandys schreibe. Zurückhaltend sei Wyss' Haltung in einem Artikel zur Flick-Collection, wo er auf die gleichermaßen gewaltsam angeeigneten Kunstschätze Venedigs verweise. Im letzten Teil seien kunsthistorische Aufsätze im engeren Sinne gesammelt, zu Alois Riegel, Erwin Panofsky oder etwa zur Geschichte des Denkmals.
© Perlentaucher Medien GmbH
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