Die Interaktion aller beteiligten einzelnen ist der polyzentrische Ursprung aller gesellschaftlichen Ordnung und damit auch der Ordnung des Wirtschaftens. Diese Einsicht Friedrich Hayeks greift Eilert Herms in den Studien dieses Bandes auf und entwickelt sie kritisch fort, so daß sie als Fundament einer Theorie der ethischen Verantwortlichkeit aller Beteiligten für die Ordnung des Wirtschaftens und ihrer Entwicklung durchsichtig wird. Diese Verantwortlichkeit kann jeweils nur im Horizont von Überzeugungen wahrgenommen werden, welche die dauernden, in alter Terminologie: transzendentalen, Bedingungen des Menschseins in der Welt betreffen und im Diskurs der philosophischen und religiösen Weltanschauungen generationenübergreifend kommuniziert werden. Die Entwicklung dieser Lebensüberzeugungen entscheidet über die Präferenzen aller Gesellschaftsmitglieder und damit letztlich auch über die Richtung der Gesamtentwicklung der Gesellschaft. Weltanschauungskommunikation ist nicht privat, sondern von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der gesamten gesellschaftlichen Ordnung und damit auch für die Entwicklung der Ordnung des Wirtschaftens. Bildung in einem nicht technizistisch enggeführten Sinn ist die Fähigkeit zur Entwicklung und öffentlichen Kommunikation solcher Überzeugungen. Bildung so verstanden definiert den Möglichkeitsraum der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2005Die Eigenart der Güter
Eilert Herms macht die Ökonomik wieder zur Magd der Theologie
Eilert Herms: Die Wirtschaft des Menschen. Beiträge zur Wirtschaftsethik. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2004, 382 Seiten, 79 Euro.
Selten untersucht und beurteilt ein evangelischer Theologe die Wirtschaft des Menschen so informiert, so klug und so differenziert wie der Tübinger Professor für systematische Theologie Eilert Herms. Seine Beiträge zur Wirtschaftsethik, die Herms den "gesprächsoffenen Vertretern der Ökonomik und Ökonomie" gewidmet hat, verdienen es deshalb auch, von jedem Ökonomen gelesen zu werden - obwohl die meisten Ökonomen den Ausführungen von Herms wohl zu Recht nicht zustimmen werden.
Nach Herms ist der eigentümliche Charakter des Wirtschaftens erst dann verstanden, wenn die Eigenart der Güter, die durch das Wirtschaften erlangt werden sollen, "aus der ursprünglichen Konstitution des menschlichen Personseins heraus" bestimmt ist. Die Bestimmung der Gütereigenarten verweise deshalb auf die Religion, welche diejenige kategoriale Gewißheit über die ursprüngliche Verfassung, den Ursprung und die ursprüngliche Bestimmung des Welt- und Daseinsprozesses bezeichne. Die Religion biete die Kriterien für die Vorzugswürdigkeit von wählbaren Zielen und orientiere daher die Zielwahl der Personen.
Aus diesem Grund bestimmt Herms das Verhältnis von Ökonomik und Ethik "fundamentalanthropologisch" über die zu bestimmenden Präferenzen der Individuen. Seine Beiträge erinnern den Leser deshalb an die prämoderne Lehre von Thomas von Aquin (1225 bis 1274). Für Thomas ist der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen und findet sein letztes Ziel in der "Assimilatio Dei" - in der Hingabe an Gott, die im ewigen Leben zur Vollendung gelangt und welche die eigentliche und volle Glückseligkeit ausmacht. Für die Fragen des weltlichen Wirtschaftens ist entscheidend, daß für Thomas dieser Übergang zur Transzendenz noch Teil der Naturbestimmung des Menschen ist, die auch Folgen für die diesseitige Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns fordert. Diese Naturbestimmung des Menschen hat auch Eilert Herms offensichtlich im Blick, wenn er in der Auseinandersetzung mit dem wirtschaftsethischen Ansatz von Karl Homann eine "Theorie über die Bedingungen der inhaltlichen Bestimmtheit des für uns und unseresgleichen Vorteilhaften" einfordert, die jeder Theorie der Etablierung und Befolgung der Normen aus Gründen der Vorteilsmaximierung vorangehen müsse.
Damit wird indes offensichtlich, daß Eilert Herms die Ausdifferenzierung der Ökonomik aus der mittelalterlichen Moralphilosophie und Theologie nicht wirklich ernst nimmt. Die Ökonomik hat sich nach den europäischen Glaubenskriegen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts als eine sozialwissenschaftliche Disziplin entwickelt, die systematisch auf den Rückgriff auf Instanzen verzichtet, die dem Wollen und den Präferenzen der Individuen extern bleiben, wie beispielsweise Gott, der Kosmos, die Natur, die Gesetze der Geschichte.
Obwohl der Verfasser den Einwand zurückweist, daß eine Ökonomik, "die sich im weiten Horizont der Ethik verortet und reflektiert", ihre Selbständigkeit verliere, führt gerade die von Herms vertretene mittelalterliche Ethik eines politisch-theologischen Aristotelismus - die nach der Bestimmung der Gütereigenart fragt - dazu, daß die Ökonomik zur neuen Magd der Theologie wird.
NORBERT TOFALL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eilert Herms macht die Ökonomik wieder zur Magd der Theologie
Eilert Herms: Die Wirtschaft des Menschen. Beiträge zur Wirtschaftsethik. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2004, 382 Seiten, 79 Euro.
Selten untersucht und beurteilt ein evangelischer Theologe die Wirtschaft des Menschen so informiert, so klug und so differenziert wie der Tübinger Professor für systematische Theologie Eilert Herms. Seine Beiträge zur Wirtschaftsethik, die Herms den "gesprächsoffenen Vertretern der Ökonomik und Ökonomie" gewidmet hat, verdienen es deshalb auch, von jedem Ökonomen gelesen zu werden - obwohl die meisten Ökonomen den Ausführungen von Herms wohl zu Recht nicht zustimmen werden.
Nach Herms ist der eigentümliche Charakter des Wirtschaftens erst dann verstanden, wenn die Eigenart der Güter, die durch das Wirtschaften erlangt werden sollen, "aus der ursprünglichen Konstitution des menschlichen Personseins heraus" bestimmt ist. Die Bestimmung der Gütereigenarten verweise deshalb auf die Religion, welche diejenige kategoriale Gewißheit über die ursprüngliche Verfassung, den Ursprung und die ursprüngliche Bestimmung des Welt- und Daseinsprozesses bezeichne. Die Religion biete die Kriterien für die Vorzugswürdigkeit von wählbaren Zielen und orientiere daher die Zielwahl der Personen.
Aus diesem Grund bestimmt Herms das Verhältnis von Ökonomik und Ethik "fundamentalanthropologisch" über die zu bestimmenden Präferenzen der Individuen. Seine Beiträge erinnern den Leser deshalb an die prämoderne Lehre von Thomas von Aquin (1225 bis 1274). Für Thomas ist der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen und findet sein letztes Ziel in der "Assimilatio Dei" - in der Hingabe an Gott, die im ewigen Leben zur Vollendung gelangt und welche die eigentliche und volle Glückseligkeit ausmacht. Für die Fragen des weltlichen Wirtschaftens ist entscheidend, daß für Thomas dieser Übergang zur Transzendenz noch Teil der Naturbestimmung des Menschen ist, die auch Folgen für die diesseitige Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns fordert. Diese Naturbestimmung des Menschen hat auch Eilert Herms offensichtlich im Blick, wenn er in der Auseinandersetzung mit dem wirtschaftsethischen Ansatz von Karl Homann eine "Theorie über die Bedingungen der inhaltlichen Bestimmtheit des für uns und unseresgleichen Vorteilhaften" einfordert, die jeder Theorie der Etablierung und Befolgung der Normen aus Gründen der Vorteilsmaximierung vorangehen müsse.
Damit wird indes offensichtlich, daß Eilert Herms die Ausdifferenzierung der Ökonomik aus der mittelalterlichen Moralphilosophie und Theologie nicht wirklich ernst nimmt. Die Ökonomik hat sich nach den europäischen Glaubenskriegen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts als eine sozialwissenschaftliche Disziplin entwickelt, die systematisch auf den Rückgriff auf Instanzen verzichtet, die dem Wollen und den Präferenzen der Individuen extern bleiben, wie beispielsweise Gott, der Kosmos, die Natur, die Gesetze der Geschichte.
Obwohl der Verfasser den Einwand zurückweist, daß eine Ökonomik, "die sich im weiten Horizont der Ethik verortet und reflektiert", ihre Selbständigkeit verliere, führt gerade die von Herms vertretene mittelalterliche Ethik eines politisch-theologischen Aristotelismus - die nach der Bestimmung der Gütereigenart fragt - dazu, daß die Ökonomik zur neuen Magd der Theologie wird.
NORBERT TOFALL
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Richtig ernst nehmen kann Norbert Tofall die Ausführungen des Theologen Eilert Herms zu Fragen der Ethik in der Ökonomie nicht. Zwar äußert sich Herms für einen Theologen erstaunlich "informiert", "klug" und "differenziert" zu Wirtschaftsfragen und sollte von jedem Ökonomen zur Kenntnis genommen werden. Mehr aber auch nicht. Denn Herms Versuch, die Ökonomik "fundamentalanthropologisch" über die natürlichen Bedürfnisse des Menschen zu fundieren, muss misslingen. Längst hat sich die Ökonomik als "sozialwissenschaftliche Disziplin" etabliert, die auf den "Rückgriff auf Instanzen verzichtet, die dem Wollen und den Präferenzen der Individuen extern bleiben, wie wie beispielsweise Gott, der Kosmos, die Natur, die Gesetze der Geschichte." Nach Herms "mittelalterlicher Ethik" müsste man die Wirtschaft in erneute Abhängigkeit theologischen Überlegungen stellen. Für Tofall ein Rückfall in vormoderne Zeiten. Herms wolle die "Ökonomie zur Magd der Theologie" machen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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