Philipp Korom nimmt für diese ambitionierte Untersuchung verschiedenste Perspektiven ein: Er bringt Top-Manager in Zusammenhang mit der »Österreich AG«, also den Personalverflechtungen zwischen Vorständen und Aufsichtsräten österreichischer Großunternehmen. Er analysiert die Verquickung von Wirtschaft und Politik anhand der Politiknähe führender Aufsichtsräte. Er untersucht die soziale Herkunft sowie die typischen Karrierewege und Rekrutierungsmuster der Vorstandsvorsitzenden Österreichs 100 größter Unternehmen und nimmt sich der Bedeutung des Adels in den Führungsetagen der heimischen Wirtschaft an.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2014Geschlossene Zirkel
Ein Buch über Österreichs Wirtschaftseliten
Über Eliten wird wieder geredet, auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Österreich schien von diesem Diskurs bisher wenig berührt. Ein neues Buch beschäftigt sich jetzt mit den Wirtschaftseliten im aktuellen Austrokapitalismus. Philipp Korom, Assistenzprofessor an der Universität Graz, analysiert dort für die Jahre 1983 bis 2011 die Profile und Karriereverläufe der wichtigsten Top-Manager. Dabei interessieren vor allem die Politiknähe führender Aufsichtsräte sowie die soziale Herkunft und Rekrutierung der Vorstandsvorsitzenden von Österreichs 100 größten Unternehmen. Untersucht wird auch, ob der Adel in der Wirtschaft der Alpenrepublik noch von Bedeutung ist.
Korom zeigt eine Wirtschaftselite zwischen Kontinuität und Umbruch: Offenbar haben Privatisierungsdruck und Internationalisierung das Erscheinungsbild österreichischer Manager sichtbar verändert und Parteinähe reduziert: "Während der ,verstaatlichten' Zeit bestimmten Politiker, wer Karriere in der Wirtschaft machte. Heute können Manager Einfluss auf die Politik nehmen." Trotz deutlicher Auflösungserscheinungen sei allerdings das überkommene Unternehmensnetzwerk der sogenannten "Österreich AG" keineswegs ganz zusammengebrochen. Noch immer gebe es parteinahe Personalverflechtungen und Seilschaften an der Spitze österreichischer Großunternehmen. Auch im geschrumpften öffentlichen Wirtschaftssektor beweise der Proporz Beharrungstendenz: "Ein Regierungswechsel geht in der Regel mit einem ,Farbwechsel' in den Aufsichtsratsgremien führender Unternehmen einher. Das politische Kapital hat also seine Wertigkeit nicht gänzlich verloren."
Das Funktionieren der "Österreich AG" auch auf niedrigerem Verflechtungsniveau erklärt der Autor mit dem politisch geschickten Privatisierungsprozess, der zumeist österreichische Mehrheitsaktionäre auf den Eigentümer Staat folgen ließ. Außerdem sei der Staat nach wie vor Unternehmer bei Post, Telekom, Eisenbahngesellschaft und dem größten nationalen Elektrokonzern. Als Nervenzentrum dieses Konglomerats sieht Korom die Raiffeisen-Bankengruppe mit beträchtlichem Einfluss in Politik und Gesellschaft: "Umfassende Vernetzungen verleihen Raiffeisenmanagern die zentralsten Positionen in den Elitenetzwerken der ,Österreich AG'. Die politiknahen Manager rund um die ehemals ,Verstaatlichten' sind zwar auf dem absteigenden Ast, formen jedoch weiterhin geschlossene Zirkel."
Überraschend ist die soziale Durchlässigkeit, die Philipp Korom bei seiner Analyse von Karrierewegen in den höchsten Unternehmensetagen ausmacht. Offenbar fungiert die heimische Wirtschaftselite als offene Gesellschaft: "Die obersten Ränge werden zumeist von Mittelschichtangehörigen eingenommen. Aber auch Arbeiterkinder können die Unternehmensspitze erklimmen." Herkunft ist demnach kein entscheidendes Zugangskriterium zur Wirtschaftselite. Ein typisches Merkmal der Spitzenkräfte scheint vielmehr deren unternehmens- oder konzerninterner Aufstieg. "Insgesamt handelt es sich bei Österreichs Topmanagern um eine ,Elite qua Leistungsauslese'", so Korom. Soziale Rekrutierungsbasis sei die berufliche Bewährung meist im Inland. Auch überdurchschnittliche akademische Abschlüsse spielen offenbar eine eindeutig nachgeordnete Rolle.
Korom gibt sich erstaunt über die Volksnähe der Vorstandsmitglieder, die er interviewte. Weder im Umgangston noch in ihrer Kleidung hätten sie abgehobenen Status demonstriert. Umso erstaunlicher, dass er feine Distinktion in Benehmen und Auftreten sowie Weltläufigkeit, hervorragende Bildung und Doktortitel durchaus als speziellen Startvorteil von Adeligen in Österreichs Führungsetagen ausmacht. Aus den rund 180 Adelsfamilien kommt knapp ein Prozent der Wirtschaftselite. Der Adel, 1919 offiziell in Österreich abgeschafft und im öffentlichen Leben kaum mehr präsent, ist nach Korom nicht zentraler, aber doch fester Bestandteil der Wirtschaftselite.
Mit seiner Untersuchung promovierte Korom 2011 am Institut für Soziologie der Universität Graz. Die Arbeit wurde 2013 mit dem Dissertationspreis der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie ausgezeichnet. Der Aufrüstung des Themas zur Doktorarbeit ist wohl die langatmige ideengeschichtliche Annäherung an den Elitebegriff geschuldet. Sie schlägt den Bogen von Machiavelli über Mosca bis zu C. Wright Mills, Pierre Bourdieu und ihren Epigonen. Für das, was folgt, hätte der Hinweis auf den heute gültigen wertfreien Begriff der offenen Funktions- oder Leistungselite genügt, der auf den italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto zurückgeht. Korom rät selbst: "Diese Arbeit kann selektiv gelesen werden." Kapitel 3, das Entstehen und allmähliches Vergehen des überkommenen Netzwerks von Staat, Politik und Wirtschaft nachzeichnet, sollte der Leser nicht auslassen. Die Langzeitperspektive zeigt, dass auch Wirtschaftseliten nicht von Dauer sind, sondern unweigerlich irgendwann verschwinden. Schon Pareto wusste: "Die Geschichte ist ein Friedhof der Eliten."
ULLA FÖLSING.
Philipp Korom: Die Wirtschaftseliten Österreichs. Verflechtungen von Großunternehmen, Parteinähe und Adel. UVK Verlagsgesellschaft. Konstanz und München 2013. 266 Seiten. 29 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch über Österreichs Wirtschaftseliten
Über Eliten wird wieder geredet, auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Österreich schien von diesem Diskurs bisher wenig berührt. Ein neues Buch beschäftigt sich jetzt mit den Wirtschaftseliten im aktuellen Austrokapitalismus. Philipp Korom, Assistenzprofessor an der Universität Graz, analysiert dort für die Jahre 1983 bis 2011 die Profile und Karriereverläufe der wichtigsten Top-Manager. Dabei interessieren vor allem die Politiknähe führender Aufsichtsräte sowie die soziale Herkunft und Rekrutierung der Vorstandsvorsitzenden von Österreichs 100 größten Unternehmen. Untersucht wird auch, ob der Adel in der Wirtschaft der Alpenrepublik noch von Bedeutung ist.
Korom zeigt eine Wirtschaftselite zwischen Kontinuität und Umbruch: Offenbar haben Privatisierungsdruck und Internationalisierung das Erscheinungsbild österreichischer Manager sichtbar verändert und Parteinähe reduziert: "Während der ,verstaatlichten' Zeit bestimmten Politiker, wer Karriere in der Wirtschaft machte. Heute können Manager Einfluss auf die Politik nehmen." Trotz deutlicher Auflösungserscheinungen sei allerdings das überkommene Unternehmensnetzwerk der sogenannten "Österreich AG" keineswegs ganz zusammengebrochen. Noch immer gebe es parteinahe Personalverflechtungen und Seilschaften an der Spitze österreichischer Großunternehmen. Auch im geschrumpften öffentlichen Wirtschaftssektor beweise der Proporz Beharrungstendenz: "Ein Regierungswechsel geht in der Regel mit einem ,Farbwechsel' in den Aufsichtsratsgremien führender Unternehmen einher. Das politische Kapital hat also seine Wertigkeit nicht gänzlich verloren."
Das Funktionieren der "Österreich AG" auch auf niedrigerem Verflechtungsniveau erklärt der Autor mit dem politisch geschickten Privatisierungsprozess, der zumeist österreichische Mehrheitsaktionäre auf den Eigentümer Staat folgen ließ. Außerdem sei der Staat nach wie vor Unternehmer bei Post, Telekom, Eisenbahngesellschaft und dem größten nationalen Elektrokonzern. Als Nervenzentrum dieses Konglomerats sieht Korom die Raiffeisen-Bankengruppe mit beträchtlichem Einfluss in Politik und Gesellschaft: "Umfassende Vernetzungen verleihen Raiffeisenmanagern die zentralsten Positionen in den Elitenetzwerken der ,Österreich AG'. Die politiknahen Manager rund um die ehemals ,Verstaatlichten' sind zwar auf dem absteigenden Ast, formen jedoch weiterhin geschlossene Zirkel."
Überraschend ist die soziale Durchlässigkeit, die Philipp Korom bei seiner Analyse von Karrierewegen in den höchsten Unternehmensetagen ausmacht. Offenbar fungiert die heimische Wirtschaftselite als offene Gesellschaft: "Die obersten Ränge werden zumeist von Mittelschichtangehörigen eingenommen. Aber auch Arbeiterkinder können die Unternehmensspitze erklimmen." Herkunft ist demnach kein entscheidendes Zugangskriterium zur Wirtschaftselite. Ein typisches Merkmal der Spitzenkräfte scheint vielmehr deren unternehmens- oder konzerninterner Aufstieg. "Insgesamt handelt es sich bei Österreichs Topmanagern um eine ,Elite qua Leistungsauslese'", so Korom. Soziale Rekrutierungsbasis sei die berufliche Bewährung meist im Inland. Auch überdurchschnittliche akademische Abschlüsse spielen offenbar eine eindeutig nachgeordnete Rolle.
Korom gibt sich erstaunt über die Volksnähe der Vorstandsmitglieder, die er interviewte. Weder im Umgangston noch in ihrer Kleidung hätten sie abgehobenen Status demonstriert. Umso erstaunlicher, dass er feine Distinktion in Benehmen und Auftreten sowie Weltläufigkeit, hervorragende Bildung und Doktortitel durchaus als speziellen Startvorteil von Adeligen in Österreichs Führungsetagen ausmacht. Aus den rund 180 Adelsfamilien kommt knapp ein Prozent der Wirtschaftselite. Der Adel, 1919 offiziell in Österreich abgeschafft und im öffentlichen Leben kaum mehr präsent, ist nach Korom nicht zentraler, aber doch fester Bestandteil der Wirtschaftselite.
Mit seiner Untersuchung promovierte Korom 2011 am Institut für Soziologie der Universität Graz. Die Arbeit wurde 2013 mit dem Dissertationspreis der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie ausgezeichnet. Der Aufrüstung des Themas zur Doktorarbeit ist wohl die langatmige ideengeschichtliche Annäherung an den Elitebegriff geschuldet. Sie schlägt den Bogen von Machiavelli über Mosca bis zu C. Wright Mills, Pierre Bourdieu und ihren Epigonen. Für das, was folgt, hätte der Hinweis auf den heute gültigen wertfreien Begriff der offenen Funktions- oder Leistungselite genügt, der auf den italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto zurückgeht. Korom rät selbst: "Diese Arbeit kann selektiv gelesen werden." Kapitel 3, das Entstehen und allmähliches Vergehen des überkommenen Netzwerks von Staat, Politik und Wirtschaft nachzeichnet, sollte der Leser nicht auslassen. Die Langzeitperspektive zeigt, dass auch Wirtschaftseliten nicht von Dauer sind, sondern unweigerlich irgendwann verschwinden. Schon Pareto wusste: "Die Geschichte ist ein Friedhof der Eliten."
ULLA FÖLSING.
Philipp Korom: Die Wirtschaftseliten Österreichs. Verflechtungen von Großunternehmen, Parteinähe und Adel. UVK Verlagsgesellschaft. Konstanz und München 2013. 266 Seiten. 29 Euro
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