Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt präsentiert im April 2005 ihr erstes Heft der neuen Reihe Valerio. In loser Folge, etwa zweimal jährlich, werden die Hefte erscheinen, mit denen sich die Deutsche Akademie zu aktuellen Themen und Streitfragen zu Wort meldet. Anders als die Bücher und Jahrbücher der Akademie kann Valerio direkt und vor allem zeitnah sprachliche, aber auch poetologische und ästhetische, übersetzerische und kulturpolitische Fragen und Streitfragen aufgreifen. Einzelne Hefte können auch mit den Tagungen der Akademie korrespondieren.Jedes Heft von Valerio hat einen eigenen Herausgeber aus den Reihen der Akademie. Er entwickelt das Konzept und lädt Autoren ein, die ihrerseits nicht auf den Kreis der Akademie beschränkt sind. Das erste Heft, 'Die Wissenschaft spricht Englisch? - Versuch einer Standortbestimmung', wird von Uwe Pörksen herausgegeben und beschäftigt sich aus vielfältigen Blickwinkeln mit der Verdrängung des Deutschen aus der Sprache der Wissenschaften.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2005Der linguistische Imperialismus
"There even are places where English completely disappears / In America, they haven't used it for years!" singt Professor Higgins in "My Fair Lady". Entgegnung eines Amerikaners, dem eine Engländerin die Zeile mokant zitiert: "Wenn es uns nicht gegeben hätte, würdet ihr heute alle deutsch sprechen." Beide Scherze umschreiben, was jede Diskussion über die Vorherrschaft des Englischen in der Wissenschaft berücksichtigen sollte. Zum einen ist es nicht das "proper English" des Professor Higgins, sondern seine von der Forschungswelt verwendete Minimalversion. Zum anderen geht diese Verwendung nicht auf einen "linguistischen Imperialismus" zurück. Vielmehr tragen zu ihr die Migration bedeutender Forscher, die Qualität vieler amerikanischer Universitäten, das Wachstum sowie der Universalismus des Wissenschaftssystems und schließlich der Tourismus - darunter auch der Tagungstourismus - bei. Es ist hilfreich, solche unpolitischen Tatbestände festzuhalten, damit nicht nur über sprachliche Symptome einer Entwicklung geklagt wird, deren Ursachen nicht einmal diagnostiziert werden.
Beispiele für eine sich an Symptomen entzündende Sprachkritik finden sich zahlreich in einem Bändchen, mit dem die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihre neue Buchreihe eröffnet, die "Valerio" heißt ("Die Wissenschaft spricht Englisch?" Versuch einer Standortbestimmung. Herausgegeben von Uwe Pörksen. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 114 S., br., 10,- [Euro]). Es sind durchweg Geistes- und Sozialwissenschaftler, die sich hier äußern. Das nimmt nicht wunder, ist für Naturwissenschaftler doch die Frage längst entschieden. Ihre Gegenstände sind nicht sprachlich verfaßt, ihr Bedarf an stilistischer Raffinesse ist gering, warum also sollten sie nicht ausschließlich Rücksicht darauf nehmen, von ihren Mitforschern in Santa Barbara oder Lund möglichst umstandslos verstanden zu werden? Kurios wird es erst, wenn in einem Tagungs- oder Seminarraum, in dem sich nur Deutsche befinden, die Konversation schrumpfenglisch dahinholpert.
Das wiederum wird durch die Neigung der allermeisten Forscher begünstigt, schriftliche und mündliche Kommunikation kaum zu trennen. Tagungsbeiträge werden in der Regel vorgelesen. Wenn aber die schriftliche Fassung schon auf die internationalen Journale hin abgefaßt wurde, neigt auch die anschließende Diskussion zur Sprache des Textes. Müßten alle ihre Argumente frei entwickeln, würde sich vermutlich mancher zweimal überlegen, ob er vor Deutschen nicht lieber deutsch spricht. Der Vormarsch des Englischen ist vermutlich auch einer der Publikationsform gegenüber dem Gespräch.
Vor allem in den Geisteswissenschaften begegnet man dem Weltenglisch mit Reserven. Kurt Flasch erläutert instruktiv, inwiefern es durchaus kein neues Latein ist - nicht ohne diesen Vergleich mit der uniformen Klage über eine "sich uniformierende Welt" zu schließen. Daß auch in der Wissenschaft sowohl die Uniformität wie die Vielfalt wachsen, entzieht Epochenbilanzen jedoch der Kulturkritik. Hartmut von Hentig entwirft in diesem Sinne eine Kasuistik der Griffigkeit des Englischen, der Einprägsamkeit seiner Wortschöpfungen (blackbox, spin off) und seiner "genialen Entsinnlichungen" (processed cheese, windfall profit), die es sprachlich attraktiv machen. Außerdem suggeriert die Beschwerde über zu viel Englisch einen Zwang zum Mitmachen, der bei Sachwaltern des Geistes merkwürdig wirkt. Harald Weinrichs Befund, Teilhabe am Weltmarkt sei auch in der Literatur für englischschreibende Autoren leichter, Teilhabe am Weltmarkt sei aber selber kein literarisch sinnvolles Projekt, gilt auch für Geisteswissenschaftler.
Heinrich Detering etwa berichtet von einer Ibsen-Forschung, der ihr Klassiker als Norweger abhanden kommt, unter anderem, weil das einschlägige Fachmagazin, die "Contemporary Approaches to Ibsen" nur englische Beiträge akzeptiert, in denen Ibsens Werke auch gern auf englisch zitiert werden dürfen, was bestimmt am meisten die Forscher freut, die es mit Norwegisch ohnehin nicht so haben. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Ibsen-Forschung ohne Ibsen. Was Detering wegläßt: Auch das wird um so wahrscheinlicher, je größer der Ibsen-Betrieb wird und dabei immer mehr Aufsätze mit immer spezielleren Fragestellungen erzwingt, für die dann eigene Journale eingerichtet werden müssen, ganz so, als handele es sich bei Ibsen um einen Gegenstand wie die Leberzelle, deren Komplexität jedes Jahr vier Tagungen und zweihundert Fachartikel wünschenswert, weil ertragreich macht. Es gibt eine Dialektik von Größenwachstum der Wissenschaft, Spezialisierung sowie Indifferenz gegenüber Darstellungsfragen und Rückgriff aufs Englische, die von "Buhrufen aus dem Parkett" (Detering) nicht erreicht wird. Wenn die Geisteswissenschaften sich mehr volens als nolens den Forschungsstilen der Naturwissenschaften annähern, erstaunt es wenig, wenn ihre Wissenschaftssprache dem folgt.
Bleibt die Frage, was sich jenseits individueller Bockigkeit auf eigenes Risiko gegen den vermeintlichen Zwang, schlechtes Englisch zu schreiben, tun läßt. Guter Englischunterricht, so der Romanist Wulf Oesterreicher, außerdem guter Sprachunterricht in einer weiteren Fremdsprache, am besten eines Nachbarlandes - und man darf hinzufügen: guter Deutschunterricht. Als empirisches Begleitprojekt böten sich zusätzlich Studien über den Wortschatz von Wissenschaftlern an, die in Bänden zum Sprachvermögen etwas für "unverzichtbar", "unaufgebbar" oder "zielführend" halten und zu Sätzen wie "Missionarischer Impetus ist jedoch ein schlechter Zuhörer" in der Lage sind. Siehe Higgins.
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"There even are places where English completely disappears / In America, they haven't used it for years!" singt Professor Higgins in "My Fair Lady". Entgegnung eines Amerikaners, dem eine Engländerin die Zeile mokant zitiert: "Wenn es uns nicht gegeben hätte, würdet ihr heute alle deutsch sprechen." Beide Scherze umschreiben, was jede Diskussion über die Vorherrschaft des Englischen in der Wissenschaft berücksichtigen sollte. Zum einen ist es nicht das "proper English" des Professor Higgins, sondern seine von der Forschungswelt verwendete Minimalversion. Zum anderen geht diese Verwendung nicht auf einen "linguistischen Imperialismus" zurück. Vielmehr tragen zu ihr die Migration bedeutender Forscher, die Qualität vieler amerikanischer Universitäten, das Wachstum sowie der Universalismus des Wissenschaftssystems und schließlich der Tourismus - darunter auch der Tagungstourismus - bei. Es ist hilfreich, solche unpolitischen Tatbestände festzuhalten, damit nicht nur über sprachliche Symptome einer Entwicklung geklagt wird, deren Ursachen nicht einmal diagnostiziert werden.
Beispiele für eine sich an Symptomen entzündende Sprachkritik finden sich zahlreich in einem Bändchen, mit dem die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihre neue Buchreihe eröffnet, die "Valerio" heißt ("Die Wissenschaft spricht Englisch?" Versuch einer Standortbestimmung. Herausgegeben von Uwe Pörksen. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 114 S., br., 10,- [Euro]). Es sind durchweg Geistes- und Sozialwissenschaftler, die sich hier äußern. Das nimmt nicht wunder, ist für Naturwissenschaftler doch die Frage längst entschieden. Ihre Gegenstände sind nicht sprachlich verfaßt, ihr Bedarf an stilistischer Raffinesse ist gering, warum also sollten sie nicht ausschließlich Rücksicht darauf nehmen, von ihren Mitforschern in Santa Barbara oder Lund möglichst umstandslos verstanden zu werden? Kurios wird es erst, wenn in einem Tagungs- oder Seminarraum, in dem sich nur Deutsche befinden, die Konversation schrumpfenglisch dahinholpert.
Das wiederum wird durch die Neigung der allermeisten Forscher begünstigt, schriftliche und mündliche Kommunikation kaum zu trennen. Tagungsbeiträge werden in der Regel vorgelesen. Wenn aber die schriftliche Fassung schon auf die internationalen Journale hin abgefaßt wurde, neigt auch die anschließende Diskussion zur Sprache des Textes. Müßten alle ihre Argumente frei entwickeln, würde sich vermutlich mancher zweimal überlegen, ob er vor Deutschen nicht lieber deutsch spricht. Der Vormarsch des Englischen ist vermutlich auch einer der Publikationsform gegenüber dem Gespräch.
Vor allem in den Geisteswissenschaften begegnet man dem Weltenglisch mit Reserven. Kurt Flasch erläutert instruktiv, inwiefern es durchaus kein neues Latein ist - nicht ohne diesen Vergleich mit der uniformen Klage über eine "sich uniformierende Welt" zu schließen. Daß auch in der Wissenschaft sowohl die Uniformität wie die Vielfalt wachsen, entzieht Epochenbilanzen jedoch der Kulturkritik. Hartmut von Hentig entwirft in diesem Sinne eine Kasuistik der Griffigkeit des Englischen, der Einprägsamkeit seiner Wortschöpfungen (blackbox, spin off) und seiner "genialen Entsinnlichungen" (processed cheese, windfall profit), die es sprachlich attraktiv machen. Außerdem suggeriert die Beschwerde über zu viel Englisch einen Zwang zum Mitmachen, der bei Sachwaltern des Geistes merkwürdig wirkt. Harald Weinrichs Befund, Teilhabe am Weltmarkt sei auch in der Literatur für englischschreibende Autoren leichter, Teilhabe am Weltmarkt sei aber selber kein literarisch sinnvolles Projekt, gilt auch für Geisteswissenschaftler.
Heinrich Detering etwa berichtet von einer Ibsen-Forschung, der ihr Klassiker als Norweger abhanden kommt, unter anderem, weil das einschlägige Fachmagazin, die "Contemporary Approaches to Ibsen" nur englische Beiträge akzeptiert, in denen Ibsens Werke auch gern auf englisch zitiert werden dürfen, was bestimmt am meisten die Forscher freut, die es mit Norwegisch ohnehin nicht so haben. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Ibsen-Forschung ohne Ibsen. Was Detering wegläßt: Auch das wird um so wahrscheinlicher, je größer der Ibsen-Betrieb wird und dabei immer mehr Aufsätze mit immer spezielleren Fragestellungen erzwingt, für die dann eigene Journale eingerichtet werden müssen, ganz so, als handele es sich bei Ibsen um einen Gegenstand wie die Leberzelle, deren Komplexität jedes Jahr vier Tagungen und zweihundert Fachartikel wünschenswert, weil ertragreich macht. Es gibt eine Dialektik von Größenwachstum der Wissenschaft, Spezialisierung sowie Indifferenz gegenüber Darstellungsfragen und Rückgriff aufs Englische, die von "Buhrufen aus dem Parkett" (Detering) nicht erreicht wird. Wenn die Geisteswissenschaften sich mehr volens als nolens den Forschungsstilen der Naturwissenschaften annähern, erstaunt es wenig, wenn ihre Wissenschaftssprache dem folgt.
Bleibt die Frage, was sich jenseits individueller Bockigkeit auf eigenes Risiko gegen den vermeintlichen Zwang, schlechtes Englisch zu schreiben, tun läßt. Guter Englischunterricht, so der Romanist Wulf Oesterreicher, außerdem guter Sprachunterricht in einer weiteren Fremdsprache, am besten eines Nachbarlandes - und man darf hinzufügen: guter Deutschunterricht. Als empirisches Begleitprojekt böten sich zusätzlich Studien über den Wortschatz von Wissenschaftlern an, die in Bänden zum Sprachvermögen etwas für "unverzichtbar", "unaufgebbar" oder "zielführend" halten und zu Sätzen wie "Missionarischer Impetus ist jedoch ein schlechter Zuhörer" in der Lage sind. Siehe Higgins.
JÜRGEN KAUBE
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Durchaus kritisch betrachtet Rezensent Jürgen Kaube diesen von Uwe Pörksen herausgegebenen Band, der Beiträge von Geistes- und Sozialwissenschaftler zum Thema Englisch als Wissenschaftssprache versammelt. Er findet darin etliche Beispiele für eine sich an "Symptomen entzündende Sprachkritik", die die Ursachen für den Siegeszug des Englischen in den Wissenschaften - etwa die Migration bedeutender Forscher, die Qualität vieler amerikanischer Universitäten, das Wachstum sowie der Universalismus des Wissenschaftssystems und schließlich der Tourismus - nicht sieht. So begegne man vor allem in den Geisteswissenschaften dem Weltenglisch mit Reserven. Kaube hebt den Beitrag von Kurt Flasch hervor, der erläutere, inwiefern Englisch durchaus kein neues Latein ist. "Wenn die Geisteswissenschaften sich mehr volens als nolens den Forschungsstilen der Naturwissenschaften annähern", resümiert der Rezensent, "erstaunt es wenig, wenn ihre Wissenschaftssprache dem folgt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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