Dagmar Leupold
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Die Witwen
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Witwe ist keine der vier Frauen, von denen hier erzählt wird. Dazu wären sie vielleicht auch noch zu jung. Aber zu Witwen fehlen ihnen vor allem die Männer. Nur die eine, Penny, war verheiratet. Ist verheiratet? Der Mann ist verschwunden, und so lebt sie mit Sohn und Schwiegereltern abgelegen am Moselstrand zwischen Weinbergen. Nicht allein, ihre drei Freundinnen (Beatrice,Dodo und Laura) sind ihr von Berlin in die Provinz gefolgt. Die vier haben sich gut eingerichtet, jede für sich, im Leben, im Warten. Aber worauf? Also beschließen sie eines Tages, große Fahrt zu machen, aufzubrechen. ...
Witwe ist keine der vier Frauen, von denen hier erzählt wird. Dazu wären sie vielleicht auch noch zu jung. Aber zu Witwen fehlen ihnen vor allem die Männer. Nur die eine, Penny, war verheiratet. Ist verheiratet? Der Mann ist verschwunden, und so lebt sie mit Sohn und Schwiegereltern abgelegen am Moselstrand zwischen Weinbergen. Nicht allein, ihre drei Freundinnen (Beatrice,Dodo und Laura) sind ihr von Berlin in die Provinz gefolgt. Die vier haben sich gut eingerichtet, jede für sich, im Leben, im Warten. Aber worauf? Also beschließen sie eines Tages, große Fahrt zu machen, aufzubrechen. Sie mieten sich einen Wagen und suchen per Anzeige jemanden, der sie fährt. Wohin? An die Quelle, an den Ursprung, zurück. Dass sie unterwegs dahin eine Panne haben, wird zu unserem Glück. Und zum Glück ihres Chauffeurs, der auch etwas vermisst, nur nicht das, was er zurückgelassen hat: Zierfische mit den Namen von Philosophen. Die vier beginnen zu erzählen, ihm, den anderen, sich selbst, und sie erzählen wie im Rausch: herzzerreißend, vergnüglich und vergnügt, doch ungeschminkt ehrlich und schonungslos.
geboren 1955 in Niederlahnstein, Rheinland-Pfalz, studierte Germanistik, Philosophie und Klassische Philologie in Marburg, Tübingen und New York, lebt als Autorin und Übersetzerin in München. Ihr Werk umfasst Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt Literaturpreis der Stadt München (2023).
Produktbeschreibung
- Kampa Pocket
- Verlag: Kampa Verlag
- Seitenzahl: 232
- Erscheinungstermin: 26. Januar 2023
- Deutsch
- Abmessung: 185mm x 114mm x 33mm
- Gewicht: 234g
- ISBN-13: 9783311150664
- ISBN-10: 331115066X
- Artikelnr.: 66287450
Herstellerkennzeichnung
Verlegerdienst München
Gutenbergstraße 1
82205 Gilching
webmaster@verlegerdienst.de
© BÜCHERmagazin, Ingeborg Waldinger (wal)
»Mitreißend und durchaus vergnüglich erzählt Dagmar Leupold von Schicksalen und großen Gefühlen und davon, wie die Vergangenheit die Gegenwart durchdringt.« Christel Freitag / NDR
Anfänge sind immer unterirdisch
Private Pilgerschaft: Dagmar Leupolds Roman "Die Witwen" erzählt von Abenteuern der Seele
Das Coverbild, eine Montage von Alexey Kondakov, ist perfekt gewählt: Vier weniger als leicht bekleidete Frauen umgarnen handgreiflich einen ebenfalls nackten, satyrhaften Mann - die altmeisterliche Nymphen-Gruppe ist in das Interieur eines Straßenbahnwagens verpflanzt. Dies passt zu Dagmar Leupolds Faible für die antike Travestie. Die vier Heldinnen ihres jüngsten Romans sind keine Witwen, eine von ihnen könnte immerhin eine sein - ihr Gatte Otto ist seit acht Jahren im Fernen Osten verschollen. Dass die Zurückgebliebene Penny heißt, von Penelope, und mit Hingabe strickt, kann man als etwas
Private Pilgerschaft: Dagmar Leupolds Roman "Die Witwen" erzählt von Abenteuern der Seele
Das Coverbild, eine Montage von Alexey Kondakov, ist perfekt gewählt: Vier weniger als leicht bekleidete Frauen umgarnen handgreiflich einen ebenfalls nackten, satyrhaften Mann - die altmeisterliche Nymphen-Gruppe ist in das Interieur eines Straßenbahnwagens verpflanzt. Dies passt zu Dagmar Leupolds Faible für die antike Travestie. Die vier Heldinnen ihres jüngsten Romans sind keine Witwen, eine von ihnen könnte immerhin eine sein - ihr Gatte Otto ist seit acht Jahren im Fernen Osten verschollen. Dass die Zurückgebliebene Penny heißt, von Penelope, und mit Hingabe strickt, kann man als etwas
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aufdringliche Referenz verbuchen. Alle vier Damen in gerade noch mittleren Jahren, Berliner Schulfreundinnen einst, haben sich vor geraumer Zeit im fiktiven Örtchen Steinbronn an der Mosel niedergelassen, in dem die Idylle sie eisern im Griff hat. Es kommt, wie es kommen muss: Sie wollen nicht mehr warten, sie wollen endlich wieder einmal etwas erleben. Denn Witwe sein heißt, wie Dorothea "Dodo" vom abschreckenden Beispiel ihrer Mutter weiß, "starr werden, versteifen. Nichts weht und nichts fließt, und an der Nasenwurzel eine Kerbe vom Schicksalsschlag."
Als Erfüllungsgehilfe bietet sich Bendix an, von Benedikt, der Gebenedeite, der sich stolz Privatier nennt; ein verkrachter Philosoph, vor Jahren von seiner großen Liebe schnöde verlassen, ein Pessimist folglich in eigener wie in allgemeiner Sache, der nicht mehr an das politische Konzept der Freiheit glaubt in einer Zeit, die sich nicht für Lebensentwürfe interessiert, sondern für "Lifestyles". Bendix will und soll den Damen bei ihrer Suche mit ungewisser Aufgabenstellung als Chauffeur dienen. Sein Bierkonsum, behauptet er frech, sei kompatibel "mit anderen Süchten, Sehnsüchten beispielsweise".
Den vier Frauen gefällt an ihm die Mischung aus Gleichmut und Eindringlichkeit, aber auch sein Reiseplan: der Mosel bis an ihre Quelle zu folgen: "Anfänge sind immer unterirdisch." Und so gelangen die Reisenden von einem symbolisch befrachteten Ort zum nächsten, nach Schengen und zum einstigen Schlachtfeld am Hartmannswillerkopf, wo eine Autopanne zum einzigen Ereignis wird, das den Untertitel "Abenteuerroman" im landläufigen Sinn einigermaßen zu rechtfertigen scheint. Das Warten auf den Pannendienst eröffnet einen weiteren Raum für das Erzählen: eine jede trägt ihr Scherflein bei, Bendix leistet Hebammendienste als Zuhörer.
Dass es Dagmar Leupold eher um die Abenteuer der Seele zu tun ist und durchaus auch um ein Lehrstück in Sachen Lebensweisheit, ahnt man bald, und gern möchte man profitieren von paradoxen Erkenntnissen wie der, dass Altern insofern verjüngt, "als es in Unsicherheiten zurückversetzt, die dem Heranwachsen angehört hatten. Allerdings mit dem Unterschied, dass keine Zukunft mehr aufscheinen kann, in der das Unzugängliche, das Beunglückende . . . überwunden sein würde." Der naheliegenden Engführung ins Praktisch-Erotische versagt sich die Erzählerin zum Glück. Dennoch begreifen wir mit den Protagonistinnen, dass die Wunschlosigkeit eingefahrener Lebensgeleise ein "Zustand der Dürftigkeit" ist.
Dem dankbaren Annehmen solcher Einsichten steht allerdings eine gewisse forcierte Munterkeit der Erzählstimme entgegen. Der Leser bewundert ihren Einfallsreichtum en détail, die stilistische Delikatesse und aphoristische Prägnanz und fühlt sich doch auch überfordert von der aufgeregt-aufgeräumten Mitteilsamkeit. Er fragt sich, ob ein Protagonist, der seine Zierfische nach berühmten Philosophen benennt - "Bloch geht es schlecht, Leibniz dagegen gedeiht" -, den Bogen der Originalität nicht überspannt und ob das Fahrzeug von Penelope & Co. wirklich auch noch ein Fiat Ulysse sein muss.
Doch gerade als sich bei der Lektüre Zweifel einstellen, ob unechte Witwen überhaupt Anspruch auf echte Anteilnahme haben, gelingt es Dagmar Leupold, den vier Erzählerinnen im Auto, in dieser "Bergungskapsel" aus "Erdennot", Kontur und Tiefe zu verleihen und so gleichsam rückwirkend die allzu gedehnte Exposition zu veredeln. Man sieht: Das alles weiß die Autorin ohnehin selbst. Weshalb sie Bendix seinem besten Freund (die Briefe gehören zum Romanmaterial) gestehen lässt, Schreiben verleite immer "zur Pose. Schreiben war wie toupieren: Blößen kaschieren, Fülle vortäuschen."
Wenn indes Dodo, die "Partisanin" des Gärtnerns, die überall Pflanzen hinterlässt wie andere Graffiti, von der zementenen Witwenschaft ihrer Mutter erzählt, gegen die die Tochter mit der Darbietung von Witzen und unglaublichen Geschichten verzweifelt anzugehen suchte und vor der sie Hals über Kopf in die Männerwelt flüchtete, dann bekommen all die verwaisten Betthälften, bekommt der ganze Empty-Bed-Blues dieses Romans seinen Resonanzraum. Und wenn die Feldenkrais-Dozentin Beatrice (ja, natürlich: Dante) von ihrem langjährigen Liebhaber spricht, dem Italiener Giuliano, dem sie als heimliche Zweitfrau einigen rhetorischen Aufwand, nicht aber das Bekenntnis zum gemeinsamen Kind wert war, worauf sie es wunschgemäß abtreiben ließ, dann verliert Leupolds Erzählgestus alles Blumige und kommt zum - dunklen - Punkt. Während Bendix sich der Nachkommenschaft aus Prinzip verweigert, weil er das Geschlecht der Gegenwart für unheilbar verseucht hält, leidet Beatrice als "femme stérile". Die falschen Witwen, versammelt auf einer Bühne des Ersten Weltkriegs, sind tatsächlich tragische Gestalten: "Hängengeblieben an diesem verrückten Ort, einem Massengrab von Lebensgeschichten. Nicht vergessenen, sondern verhinderten, gewaltsam abgebrochenen."
Das gilt in "Die Witwen" auch für die schöne, blonde Laura, die Sex vom ersten Mal an als öd und ekelhaft empfindet und die Pflege der perfekten Maske zum Beruf macht, ehe sie auf Logopädin umsattelt. Und für Penny natürlich, einst Lehrerin, heute Juniorchefin im wirtlosen "Rebstock", die eine poetische Phänomenologie des Wartens entwickelt: als "Absage an das Zeiterleben, das uns regelt". Demgemäß liest sie Penelopes Brauch, der Wiedervereinigung mit dem Gatten zuliebe das tagsüber Gewobene des Nachts wieder aufzutrennen, nicht als Stillstand, sondern als Vertiefung der Existenz.
So lässt sich schließlich auch Dagmar Leupolds Virtuosität deuten. Es gibt eine Reihe von Sätzen, die einem in ihrer Anschaulichkeit geradezu auf der Zunge zergehen. Über einen Mann und seinen Hund zum Beispiel: "Hängendes Gesäß beide, nur Gang, kein Fortschritt." Oder über Giulianos Ringfinger: "aber auch ohne Ring sah der Finger verheiratet aus". Oder wenn es von Dodos Mutter heißt, sie schritt aus, "als wäre der Bürgersteig ihr Gegner". Aber die Bedeutung dieses "Abenteuerromans" liegt nicht im glänzend Gelungenen, sondern im Wissen um die rettende Kraft der Erzählung, die über das Existenzminimum hinausgeht, die stets mehr macht aus Verlust und Verrat, aus Not und Tod: "Wir runden ja auch beim Zählen auf, warum dann nicht beim Erzählen."
So verwundert es nicht, dass die Pilgerschaft am Ende in die umgekehrte Richtung führt, von der Quelle zum Meer - auch wenn kein Odysseus dort je ankommen wird.
DANIELA STRIGL
Dagmar Leupold: "Die Witwen". Ein Abenteuerroman.
Verlag Jung und Jung,
Salzburg 2016. 233 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Erfüllungsgehilfe bietet sich Bendix an, von Benedikt, der Gebenedeite, der sich stolz Privatier nennt; ein verkrachter Philosoph, vor Jahren von seiner großen Liebe schnöde verlassen, ein Pessimist folglich in eigener wie in allgemeiner Sache, der nicht mehr an das politische Konzept der Freiheit glaubt in einer Zeit, die sich nicht für Lebensentwürfe interessiert, sondern für "Lifestyles". Bendix will und soll den Damen bei ihrer Suche mit ungewisser Aufgabenstellung als Chauffeur dienen. Sein Bierkonsum, behauptet er frech, sei kompatibel "mit anderen Süchten, Sehnsüchten beispielsweise".
Den vier Frauen gefällt an ihm die Mischung aus Gleichmut und Eindringlichkeit, aber auch sein Reiseplan: der Mosel bis an ihre Quelle zu folgen: "Anfänge sind immer unterirdisch." Und so gelangen die Reisenden von einem symbolisch befrachteten Ort zum nächsten, nach Schengen und zum einstigen Schlachtfeld am Hartmannswillerkopf, wo eine Autopanne zum einzigen Ereignis wird, das den Untertitel "Abenteuerroman" im landläufigen Sinn einigermaßen zu rechtfertigen scheint. Das Warten auf den Pannendienst eröffnet einen weiteren Raum für das Erzählen: eine jede trägt ihr Scherflein bei, Bendix leistet Hebammendienste als Zuhörer.
Dass es Dagmar Leupold eher um die Abenteuer der Seele zu tun ist und durchaus auch um ein Lehrstück in Sachen Lebensweisheit, ahnt man bald, und gern möchte man profitieren von paradoxen Erkenntnissen wie der, dass Altern insofern verjüngt, "als es in Unsicherheiten zurückversetzt, die dem Heranwachsen angehört hatten. Allerdings mit dem Unterschied, dass keine Zukunft mehr aufscheinen kann, in der das Unzugängliche, das Beunglückende . . . überwunden sein würde." Der naheliegenden Engführung ins Praktisch-Erotische versagt sich die Erzählerin zum Glück. Dennoch begreifen wir mit den Protagonistinnen, dass die Wunschlosigkeit eingefahrener Lebensgeleise ein "Zustand der Dürftigkeit" ist.
Dem dankbaren Annehmen solcher Einsichten steht allerdings eine gewisse forcierte Munterkeit der Erzählstimme entgegen. Der Leser bewundert ihren Einfallsreichtum en détail, die stilistische Delikatesse und aphoristische Prägnanz und fühlt sich doch auch überfordert von der aufgeregt-aufgeräumten Mitteilsamkeit. Er fragt sich, ob ein Protagonist, der seine Zierfische nach berühmten Philosophen benennt - "Bloch geht es schlecht, Leibniz dagegen gedeiht" -, den Bogen der Originalität nicht überspannt und ob das Fahrzeug von Penelope & Co. wirklich auch noch ein Fiat Ulysse sein muss.
Doch gerade als sich bei der Lektüre Zweifel einstellen, ob unechte Witwen überhaupt Anspruch auf echte Anteilnahme haben, gelingt es Dagmar Leupold, den vier Erzählerinnen im Auto, in dieser "Bergungskapsel" aus "Erdennot", Kontur und Tiefe zu verleihen und so gleichsam rückwirkend die allzu gedehnte Exposition zu veredeln. Man sieht: Das alles weiß die Autorin ohnehin selbst. Weshalb sie Bendix seinem besten Freund (die Briefe gehören zum Romanmaterial) gestehen lässt, Schreiben verleite immer "zur Pose. Schreiben war wie toupieren: Blößen kaschieren, Fülle vortäuschen."
Wenn indes Dodo, die "Partisanin" des Gärtnerns, die überall Pflanzen hinterlässt wie andere Graffiti, von der zementenen Witwenschaft ihrer Mutter erzählt, gegen die die Tochter mit der Darbietung von Witzen und unglaublichen Geschichten verzweifelt anzugehen suchte und vor der sie Hals über Kopf in die Männerwelt flüchtete, dann bekommen all die verwaisten Betthälften, bekommt der ganze Empty-Bed-Blues dieses Romans seinen Resonanzraum. Und wenn die Feldenkrais-Dozentin Beatrice (ja, natürlich: Dante) von ihrem langjährigen Liebhaber spricht, dem Italiener Giuliano, dem sie als heimliche Zweitfrau einigen rhetorischen Aufwand, nicht aber das Bekenntnis zum gemeinsamen Kind wert war, worauf sie es wunschgemäß abtreiben ließ, dann verliert Leupolds Erzählgestus alles Blumige und kommt zum - dunklen - Punkt. Während Bendix sich der Nachkommenschaft aus Prinzip verweigert, weil er das Geschlecht der Gegenwart für unheilbar verseucht hält, leidet Beatrice als "femme stérile". Die falschen Witwen, versammelt auf einer Bühne des Ersten Weltkriegs, sind tatsächlich tragische Gestalten: "Hängengeblieben an diesem verrückten Ort, einem Massengrab von Lebensgeschichten. Nicht vergessenen, sondern verhinderten, gewaltsam abgebrochenen."
Das gilt in "Die Witwen" auch für die schöne, blonde Laura, die Sex vom ersten Mal an als öd und ekelhaft empfindet und die Pflege der perfekten Maske zum Beruf macht, ehe sie auf Logopädin umsattelt. Und für Penny natürlich, einst Lehrerin, heute Juniorchefin im wirtlosen "Rebstock", die eine poetische Phänomenologie des Wartens entwickelt: als "Absage an das Zeiterleben, das uns regelt". Demgemäß liest sie Penelopes Brauch, der Wiedervereinigung mit dem Gatten zuliebe das tagsüber Gewobene des Nachts wieder aufzutrennen, nicht als Stillstand, sondern als Vertiefung der Existenz.
So lässt sich schließlich auch Dagmar Leupolds Virtuosität deuten. Es gibt eine Reihe von Sätzen, die einem in ihrer Anschaulichkeit geradezu auf der Zunge zergehen. Über einen Mann und seinen Hund zum Beispiel: "Hängendes Gesäß beide, nur Gang, kein Fortschritt." Oder über Giulianos Ringfinger: "aber auch ohne Ring sah der Finger verheiratet aus". Oder wenn es von Dodos Mutter heißt, sie schritt aus, "als wäre der Bürgersteig ihr Gegner". Aber die Bedeutung dieses "Abenteuerromans" liegt nicht im glänzend Gelungenen, sondern im Wissen um die rettende Kraft der Erzählung, die über das Existenzminimum hinausgeht, die stets mehr macht aus Verlust und Verrat, aus Not und Tod: "Wir runden ja auch beim Zählen auf, warum dann nicht beim Erzählen."
So verwundert es nicht, dass die Pilgerschaft am Ende in die umgekehrte Richtung führt, von der Quelle zum Meer - auch wenn kein Odysseus dort je ankommen wird.
DANIELA STRIGL
Dagmar Leupold: "Die Witwen". Ein Abenteuerroman.
Verlag Jung und Jung,
Salzburg 2016. 233 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als Buch, das die Weiblichkeit ehrt und Geruhsamkeit fördert, empfiehlt Meike Fessmann mehr oder weniger überschäumend Dagmar Leupolds Roman "Die Witwen". Er erzählt die Geschichte von vier Frauen, keine von ihnen Witwe, die zur Wendezeit aus dem lebhaften Berlin an die ruhige Mosel ziehen. Weil das Leben da letzten Endes aber doch ein wenig zu geruhsam vor sich hinplätschert, entschließen sich die vier zu einem Abenteuer. Sie heuern den Philosophen Benedikt als Chauffeur an und machen sich im Fiat Ulysse auf die Reise, immer der Mosel entlang. Leupold erzählt beflissen von Frauen, die zufrieden sind. Genügsamkeit zieht sich als Motiv durch den Roman, die weibliche Bodenständigkeit und Zuversicht wird auf ein Podest gehoben. Zwar manchmal etwas ins Prätentiöse abgleitend, wie Feßmann findet, macht Leupold doch vieles richtig in ihrem neuen Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Gebundenes Buch
Kein Highlight
Bis auf die Longlist des Buchpreises 2016 hat es Dagmar Leupolds neuer Roman «Die Witwen» geschafft, weiter allerdings nicht. Mit der Ergänzung «Ein Abenteuerroman» und seinem frechen Cover mit engelsgleichen Frauengestalten lädt dieses Buch …
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Kein Highlight
Bis auf die Longlist des Buchpreises 2016 hat es Dagmar Leupolds neuer Roman «Die Witwen» geschafft, weiter allerdings nicht. Mit der Ergänzung «Ein Abenteuerroman» und seinem frechen Cover mit engelsgleichen Frauengestalten lädt dieses Buch geradezu zum Lesen ein, verspricht doch beides eine vergnügliche Lektüre. Nach «Edmond» von 1992 und «Unter der Hand» von 2013, ihrem letzten Roman, war ich doch sehr gespannt, ob der neue ähnlich forsch und charmant erzählt ist, eventuell gar eine Steigerung darstellt gegenüber den zwei anderen Romanen. Ich wurde, um es gleich vorweg zu sagen, ziemlich enttäuscht.
Ein glückverheißendes Kleeblatt sind jene vier Schulfreundinnen aus Berlin, die auch nach dem Abitur eng befreundet bleiben. Penelope heiratet und folgt ihrem Mann Otto an die Mosel, wo die Schwiegereltern ein Weingut mit angeschlossenem Gasthaus betreiben. Sie haben einen Sohn, ihr Glück scheint perfekt, bis eines Tages Otto von einer Dienstreise nach Fernost nicht zurückkommt, er bleibt spurlos verschollen. Penny, wie die Freundinnen sie nennen, stellt keine Nachforschungen an, selbst nach vielen Jahren kann sie sich nicht dazu durchringen, ihn für tot erklären zu lassen. Sie ist de facto Witwe, de jure nicht, aber sie will dies einfach nicht wahrhaben, ignoriert hartnäckig die offensichtliche Realität. Nach und nach folgen ihr die drei anderen Freundinnen aus der quirligen Großstadt in den beschaulichen Winzerort Steinbronn. Sie wollen ihr Leben entschleunigen, zu sich selbst finden in der idyllischen Umgebung. Auch sie sind ohne Mann, waren nie verheiratet, haben sich beruflich als Gärtnerin, Joga-Lehrerin und Logopädin selbstständig gemacht und sich behaglich, aber illusionslos in ihrem Singledasein eingerichtet. Die vier unzertrennlichen Freundinnen verharren antriebslos in einer Art Wartestand, ohne recht zu wissen, worauf genau sie denn warten.
Eines Tages jedoch wachen sie auf aus ihrer Lethargie und beschließen spontan, mit dem Auto eine Reise ins Blaue zu machen. Da keine von ihnen den Führerschein hat, suchen sie einen Chauffeur, der den Mietwagen fahren soll, und entscheiden sich unter den Bewerbern einstimmig für Bendix, ein vor sich hin lebender Privatier aus dem Ort, geistreich aber wortkarg, ebenfalls alleinlebend, ebenfalls mit sich selbst nicht im Reinen. Es geht die Mosel aufwärts zum Col de Bussang, zur Moselquelle. Bei einer Panne in einsamer Lage der Vogesen beginnt eine der Frauen plötzlich von sich zu erzählen, und nacheinander legen alle vier eine schonungslose Lebensbeichte ab, reden sich wie im Rausch ihren Frust von der Seele. Die intime Beichte der Frauen offenbart ihre Verletzlichkeit, enthüllt Verdrängtes, zeigt die harte Realität ihrer so unterschiedlichen Lebensgeschichten auf, ihre zerplatzten Träume, ihre Illusionen über Männer, die sich stets als Enttäuschung erweisen.
Und auch ihr Chauffeur Bendix wird nachdenklich, hinterfragt grübelnd sein Einsiedlerdasein: «Er wollte von der Welt nicht mehr wissen als ein Säugling. Er wollte vergessen, was Angst war. Ja, das war die Schrebergartenfantasie, der Entwurf eines Gärtleins aus Wohlbehagen mit Rabatten, deren Geradlinigkeit wildgezackte Unruhen vertrieben. Und bucklicht Männlein auch. Und Lumpensammler. Auch Engel hatten dort nichts verlorenen.» Man wird mit lebensklugen Reflexionen konfrontiert, von Dagmar Leupold in einer amüsant saloppen Weise gekonnt erzählt, oft verblüffend direkt formuliert, ihrem sehr persönlichen Stil folgend. All das ist durchaus erfreulich zu lesen. Nicht gelungen jedoch sind die Figuren, alle Protagonisten bleiben merkwürdig blutarm, man kommt ihnen nicht näher, Sympathie gar entwickelt sich nicht zu ihnen. Und was den Plot anbelangt, so konnte er mich ebenfalls nicht überzeugen, zu weit herbeigeholt und konstruiert wirkt dieses Abenteuer, über das da so munter berichtet wird. Schade eigentlich, die Geschichte hätte von der Idee her das Potential zu einem lesenswerteren Roman gehabt.
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