"Ein energischeres Buch über Männer und Frauen, über frei sein und trotzdem lieben zu können, habe ich lange nicht gelesen." (Elke Heidenreich)
Auf einem Schiff im Mälarsee verliebt sich der junge Sergeant Albert in eine hübsche junge Frau. Doch Sara lässt ihn abblitzen. Erst bei einem Landgang kommen sich die beiden näher. Trotzdem besteht Sara darauf, ihr Essen selbst zu bezahlen, und schlägt vor, zusammen in dem einzigen noch freien Zimmer der Herberge zu übernachten. Und sie hält ein flammendes Plädoyer für die freie Liebe.
Der wieder entdeckte Klassiker aus Schweden - "Ein kleines Meisterwerk." (Süddeutsche Zeitung)
Auf einem Schiff im Mälarsee verliebt sich der junge Sergeant Albert in eine hübsche junge Frau. Doch Sara lässt ihn abblitzen. Erst bei einem Landgang kommen sich die beiden näher. Trotzdem besteht Sara darauf, ihr Essen selbst zu bezahlen, und schlägt vor, zusammen in dem einzigen noch freien Zimmer der Herberge zu übernachten. Und sie hält ein flammendes Plädoyer für die freie Liebe.
Der wieder entdeckte Klassiker aus Schweden - "Ein kleines Meisterwerk." (Süddeutsche Zeitung)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2004Sieben Tage wie im Flug
Carl Jonas Love Almqvists hinreißender Eheverhinderungsroman
Was ist schon eine Woche? Für einen Flirt zu lang, für eine Liebe zu kurz. Insofern genau die richtige Dauer für eine Reisebekanntschaft: Kaum wurde sie geschlossen, trennt man sich auch schon wieder. Nur in Ausnahmefällen oder im Roman reicht eine solche Begegnung aus, um ein Leben unwiderruflich zu verändern. Um Mißverständnissen gleich vorzubeugen: "Die Woche mit Sara", der 1839 erstmals erschienene Roman des Schweden Erzählers Carl Jonas Love Almqvist, ist trotz der Liebesgeschichte, die er schildert, und trotz seiner Entstehungszeit kein romantisches Buch - weder im historischen, noch im trivialen, verklärenden Sinn. Seine besondere Romantik wohnt den ungeschönten Verhältnissen seiner Epoche inne, und da darf dann ruhig einmal eine Einladung ausgeschlagen, Geld nachgezählt und nicht ausschließlich Schmeichelhaftes gedacht oder gesagt werden, ohne daß dies eine Verbindung gleich schwächen muß.
Und so blitzt schwelgerische Empfindsamkeit dort auf, wo man am wenigsten damit rechnet, nämlich in Passagen von unerbittlichem Realismus, die ihren Verfasser nicht nur als aufmerksamen Beobachter menschlichen Verhaltens ausweisen, sondern auch als Vorläufer Strindbergs. In einem frischen, zügigen Plauderton schildert Almqvist einen klassischen Fall: Junge trifft Mädchen, man findet Gefallen aneinander, schon trägt er sich mit Hochzeitsgedanken - wäre da nicht eine erschreckende, schier unüberwindliche Hürde. Nein, kein Nebenbuhler und keine böse Stiefmutter stellen sich diesem Bund in den Weg, sondern einzig die Braut selbst. Almqvist zeichnet seine Heldin als unkonventionelle, willensstarke junge Frau. Dieser Sara ist es zu verdanken, daß der schmale, doch gewichtige Eheverhinderungsroman auch gut anderthalb Jahrhunderte nach seiner Enstehung so unmittelbar und lebendig daherkommt, ja eine Fröhlichkeit verströmt, die noch heute ansteckend wirkt.
Dabei ist es Almqvist sehr ernst mit seiner Botschaft: Liebe ist eine Sisyphosarbeit, bei der es gilt, sich guten Mutes auf eine lebenslange Anstrengung ohne Erfolgversprechen einzustellen. Der Roman, der die siebentägige Reisebekanntschaft von Sara und Albert schildert, liest sich als Plädoyer für die Freiwilligkeit aller wahren Liebe, die nicht auf ein Ehegelöbnis baut, sondern ihre Stärke allein aus Gegenseitigkeit beziehen kann. Der Verzicht auf gewisse Annehmlichkeiten und Sicherheiten gehört unbedingt dazu, wie Sara weiß: "Die Liebe zwischen zwei Menschen . . . sollte niemals unter einem Zusammenleben oder einem gemeinsamen Haushalt leiden oder davon abhängig sein, ganz gleich, wie es geht. Ich finde, es ist am besten, wenn man niemals zusammenzieht, weil Leute, die sich lieben, einander viel schneller reizen, verärgern und schließlich kaputtmachen als andere, die nicht aufeinander bauen."
Doch bevor solche Ansichten mit Verve geäußert werden, müssen sich die Liebenden erst einmal begegnen: Bei einer Schiffspassage über den Mälarsee erregt eine hübsche, alleinreisende junge Frau die Aufmerksamkeit des nicht minder jungen Sergeanten Albert. Er setzt alles daran, sie kennenzulernen, und findet ihren Namen - Sara Videbeck - wie ihre Herkunft - eine Glasmeisterstochter aus Lidköping - anhand der Passagierliste heraus. Als es ihm nach einigen Rückschlägen endlich gelingt, ihre Bekanntschaft zu machen, übertrifft die Realität seine Erwartungen allerdings bei weitem. Anders gesagt: Offenherzigkeit und kluge Beredtheit des temperamentvollen Frauenzimmers überfordern Albert zunächst, zumal Saras entschieden vorgetragenen Lebensvorstellungen seine unbedarfte Verliebtheit vollständig zu ignorieren scheinen. Doch das beidseitige Interesse ist immerhin entfacht, und so entschließt man sich - Sara womöglich auch aus Gründen der Kostenersparnis -, nach Anlegen des Dampfers gemeinsam weiterzureisen, da beide mehr oder weniger denselben Weg haben.
Doch wie fern scheint da noch das Ziel seelischen Gleichklangs! Albert hat es auf einen Offiziersposten abgesehen und erhofft sich viel von höhergestellten Freunden, während die energische Sara mit selbstverständlicher Bescheidenheit auf ihre Unabhängigkeit pocht. Das abschreckende Beispiel ihrer Eltern, deren katastrophales Eheleben aus dem Kind früh eine Erwachsene machte, ist ihr Beweis genug dafür, daß man sich nur auf sich selbst verlassen kann. Sara denkt nüchterner als der etwas behäbige Albert. Ihre Mutter, eine Alkoholikerin, ist bettlägerig, der Vater verstorben, Geschwister hat sie keine, und so führt die Vierundzwanzigjährige das Familienunternehmen selbst und gedenkt, dies auch nach dem Tod der Mutter weiterhin zu tun. Über die Schwierigkeiten macht sie sich keine Illusionen. ",Aber in jungen Jahren ist es widerwärtig, auf die Märkte zu fahren', fuhr sie nachdenklich fort. ,Es kann einem passieren . . ., ja. Um die fünfzig wird es überstanden sein, denke ich.'"
Für den arglosen Albert ist es ein holpriger Ritt. Ihm fällt es zunächst schwer, mit Saras unmißverständlichen Bemerkungen umzugehen, die so gar nicht in seine Vorstellung passen. Erst als er nach und nach erfährt, wie reizvoll, aber auch beunruhigend es ist, wenn harmlose Verliebtheit unversehens in schönen, tiefen Ernst umschlägt, in ein Gefühl, das eine Antwort fordert, läßt er sich auf Sara ein. Und sie macht es ihm durch wachsende Zutraulichkeit leichter. Wenn in dieser Zeit auch Liebesschwüre ausgetauscht werden, so ist es nicht Sache dieses erstaunlichen Autors, sie zu schildern. Er begleitet das Paar vielmehr, indem er die Ereignisse von Alberts Warte aus betrachtet, und läßt die Wandlung, die beide durch die Begegnung erfahren, nur in Details aufschimmern.
Die Woche wird für den Leser kurz gehalten, denn nach der ersten Kutschetappe verläßt Almqvist das Paar dezent und deutet mit humorvoller Anzüglichkeit an, daß es, während Autor und Leser keusch den Blick abwenden, nicht nur bei Worten geblieben ist. So erfahren wir lediglich, daß die beiden verdächtig langsam vorankommen - "Vier Übernachtungen zwischen Arboga und Mariestad sind doch reichlich viel!" -, und in manch simpler Beobachtung verrät sich der Grund für dieses gemächliche Reisen: "Ihre Augen, obwohl sie fast noch klarer als sonst waren und leuchteten, wenn sie Albert voll Innigkeit anblickten, zeigten doch Spuren großer Müdigkeit nach einer zu kurzen Nachtruhe. Das Mädchen, das mit dem Kaffee hereinkam, war also höchst willkommen. Ein vortreffliches Getränk bei einer Gelegenheit wie jenem Morgen! Aber das zu erwähnen ist wohl wiederum zu simpel?"
Während Almqvist also mit anregender Deutlichkeit und vornehmer Zurückhaltung beschreibt, wie zwei Menschen von Fremdkörpern zu Vertrauten werden, unterhält er den Leser vor allem mit den pointierten Bemerkungen Saras, die Albert ins Schwitzen bringen: "Reiß dich bloß nicht darum, Offizier, Leutnant oder so was zu werden. Was machen denn diese Nichtstuer anderes, als tagsüber mit den Mamsells und abends mit den Jungfern Larifari zu reden. Plunder!" Das Vorlaute legt sie auch in Gefühlsdingen nicht ab: "Ich bin beschwingt und frei wie ein Vogel, und du kannst sicher sein, daß ich meine Flügel immer behalten werde. Wenn du auch fliegen kannst, ist es gut, aber wenn du bloß ein Schwätzer bist, dann sag es lieber gleich."
Doch es sind nicht nur solche keck geäußerten, oft klugen, gelegentlich auch etwas naseweisen Sprüche, die Sara zu einer der bemerkenswertesten Frauengestalten in der - an unvergeßlichen Damen nicht eben armen - Literatur des neunzehnten Jahrhunderts machen. Albert beobachtet mit ehrfürchtigem Staunen, wie der Schalk von Sara abfällt und die Liebe sie fraulich macht. Ihre Anmut und wache Herzensbildung verfeinern auch die seine: "Das Wunderbarste war, daß jene vollkommene Freiheit, die sie ihm trotz allem gewährte - von ihr wegzureisen, wenn und wann er wollte, ohne gleich an Verlassen zu denken -, sie in seinen Augen tausendfach liebenswürdig, umgänglich und angenehm machte. Und Liebenswürdigkeit ist das einzige, was echte Liebe zeugt."
Für Sara kann kein Trauspruch, sondern einzig die Übereinstimmung von Herz und Seele Liebende vereinen: "Wenn sich Menschen etwas geloben, das zu halten nicht in ihrer Macht steht, wenden auch Beschwörungsformeln den Lauf der Dinge nicht ab." Kein Wunder, daß der Roman bei seinem Erscheinen einen Skandal auslöste - heute nurmehr Entzücken. Anstoß erregte zwar auch das höhnische Miniaturbild der schwedischen Gesellschaft an Bord des Dampfers, wo Almqvists Symphatie den kleinen Leuten auf dem Deck gilt, während er die Passagiere im Salon als dummdreiste Schmarotzer schildert. Gänzlich unverzeihlich aber war die beißende Kritik an der Ehe, jener als gottgewollt gesehenen Form des Zusammenlebens.
Überraschend kam Almqvists Frontalangriff 1839 allerdings nicht. Der Sozialrevolutionär hatte sich schon früher gegen die herrschende Ordnung gestemmt. Es empörte ihn, daß alleinstehende Frauen sozial geächtet waren, bestenfalls zum Dienstmädchen oder zur Lehrerin taugten - Möglichkeiten, von denen unverheiratete Mütter wiederum nur träumen konnten. Auch hatte Almqvist selbst gute Gründe, sich nach einer Partnerschaft zu sehnen, die auf gegenseitiger Liebe, Respekt und freiwilliger Verpflichtung beruhte. 1823 hatte er das Bauernmädchen Anna Maria Lundström geheiratet, mit der er ein idealisiertes Landleben in Värmland führen wollte, was jedoch nach kurzer Zeit in eine nicht nur wirtschaftlichen Pleite mündete. Als Schriftsteller immer wieder an die Armutsgrenze getrieben, verzweifelt in der unauflöslichen Ehe und in der Gesellschaft als enfant terrible verschrien, hat er nicht nur sich selbst in diesem Roman, der im Original den Titel "Det går an" (Es geht an) trägt, eine Fluchtvision geschaffen. Das kleine Meisterwerk "Die Woche mit Sara" sticht aus seinem umfangreichen, eigenwilligen Werk heraus. Einen besseren Auftakt für die dringend anstehende Wiederentdeckung dieses kühnen Autors mit seiner ausgeprägten Vorliebe für Mystik, für das Phantastische, Bizarre und Exotische, für den Verehrer von Byron, Novalis und Tieck, der kühle Dialektik mit Empfindsamkeit und einer strahlenden, leidenschaftlichen Sprache zu verbinden wußte, läßt sich nicht denken. Die Liebe zu diesem Buch jedenfalls wird länger halten als sieben Tage.
Carl Jonas Love Almqvist: "Die Woche mit Sara". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Nachwort von Anne Storm. Kindler Verlag, Berlin 2004. 159 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Carl Jonas Love Almqvists hinreißender Eheverhinderungsroman
Was ist schon eine Woche? Für einen Flirt zu lang, für eine Liebe zu kurz. Insofern genau die richtige Dauer für eine Reisebekanntschaft: Kaum wurde sie geschlossen, trennt man sich auch schon wieder. Nur in Ausnahmefällen oder im Roman reicht eine solche Begegnung aus, um ein Leben unwiderruflich zu verändern. Um Mißverständnissen gleich vorzubeugen: "Die Woche mit Sara", der 1839 erstmals erschienene Roman des Schweden Erzählers Carl Jonas Love Almqvist, ist trotz der Liebesgeschichte, die er schildert, und trotz seiner Entstehungszeit kein romantisches Buch - weder im historischen, noch im trivialen, verklärenden Sinn. Seine besondere Romantik wohnt den ungeschönten Verhältnissen seiner Epoche inne, und da darf dann ruhig einmal eine Einladung ausgeschlagen, Geld nachgezählt und nicht ausschließlich Schmeichelhaftes gedacht oder gesagt werden, ohne daß dies eine Verbindung gleich schwächen muß.
Und so blitzt schwelgerische Empfindsamkeit dort auf, wo man am wenigsten damit rechnet, nämlich in Passagen von unerbittlichem Realismus, die ihren Verfasser nicht nur als aufmerksamen Beobachter menschlichen Verhaltens ausweisen, sondern auch als Vorläufer Strindbergs. In einem frischen, zügigen Plauderton schildert Almqvist einen klassischen Fall: Junge trifft Mädchen, man findet Gefallen aneinander, schon trägt er sich mit Hochzeitsgedanken - wäre da nicht eine erschreckende, schier unüberwindliche Hürde. Nein, kein Nebenbuhler und keine böse Stiefmutter stellen sich diesem Bund in den Weg, sondern einzig die Braut selbst. Almqvist zeichnet seine Heldin als unkonventionelle, willensstarke junge Frau. Dieser Sara ist es zu verdanken, daß der schmale, doch gewichtige Eheverhinderungsroman auch gut anderthalb Jahrhunderte nach seiner Enstehung so unmittelbar und lebendig daherkommt, ja eine Fröhlichkeit verströmt, die noch heute ansteckend wirkt.
Dabei ist es Almqvist sehr ernst mit seiner Botschaft: Liebe ist eine Sisyphosarbeit, bei der es gilt, sich guten Mutes auf eine lebenslange Anstrengung ohne Erfolgversprechen einzustellen. Der Roman, der die siebentägige Reisebekanntschaft von Sara und Albert schildert, liest sich als Plädoyer für die Freiwilligkeit aller wahren Liebe, die nicht auf ein Ehegelöbnis baut, sondern ihre Stärke allein aus Gegenseitigkeit beziehen kann. Der Verzicht auf gewisse Annehmlichkeiten und Sicherheiten gehört unbedingt dazu, wie Sara weiß: "Die Liebe zwischen zwei Menschen . . . sollte niemals unter einem Zusammenleben oder einem gemeinsamen Haushalt leiden oder davon abhängig sein, ganz gleich, wie es geht. Ich finde, es ist am besten, wenn man niemals zusammenzieht, weil Leute, die sich lieben, einander viel schneller reizen, verärgern und schließlich kaputtmachen als andere, die nicht aufeinander bauen."
Doch bevor solche Ansichten mit Verve geäußert werden, müssen sich die Liebenden erst einmal begegnen: Bei einer Schiffspassage über den Mälarsee erregt eine hübsche, alleinreisende junge Frau die Aufmerksamkeit des nicht minder jungen Sergeanten Albert. Er setzt alles daran, sie kennenzulernen, und findet ihren Namen - Sara Videbeck - wie ihre Herkunft - eine Glasmeisterstochter aus Lidköping - anhand der Passagierliste heraus. Als es ihm nach einigen Rückschlägen endlich gelingt, ihre Bekanntschaft zu machen, übertrifft die Realität seine Erwartungen allerdings bei weitem. Anders gesagt: Offenherzigkeit und kluge Beredtheit des temperamentvollen Frauenzimmers überfordern Albert zunächst, zumal Saras entschieden vorgetragenen Lebensvorstellungen seine unbedarfte Verliebtheit vollständig zu ignorieren scheinen. Doch das beidseitige Interesse ist immerhin entfacht, und so entschließt man sich - Sara womöglich auch aus Gründen der Kostenersparnis -, nach Anlegen des Dampfers gemeinsam weiterzureisen, da beide mehr oder weniger denselben Weg haben.
Doch wie fern scheint da noch das Ziel seelischen Gleichklangs! Albert hat es auf einen Offiziersposten abgesehen und erhofft sich viel von höhergestellten Freunden, während die energische Sara mit selbstverständlicher Bescheidenheit auf ihre Unabhängigkeit pocht. Das abschreckende Beispiel ihrer Eltern, deren katastrophales Eheleben aus dem Kind früh eine Erwachsene machte, ist ihr Beweis genug dafür, daß man sich nur auf sich selbst verlassen kann. Sara denkt nüchterner als der etwas behäbige Albert. Ihre Mutter, eine Alkoholikerin, ist bettlägerig, der Vater verstorben, Geschwister hat sie keine, und so führt die Vierundzwanzigjährige das Familienunternehmen selbst und gedenkt, dies auch nach dem Tod der Mutter weiterhin zu tun. Über die Schwierigkeiten macht sie sich keine Illusionen. ",Aber in jungen Jahren ist es widerwärtig, auf die Märkte zu fahren', fuhr sie nachdenklich fort. ,Es kann einem passieren . . ., ja. Um die fünfzig wird es überstanden sein, denke ich.'"
Für den arglosen Albert ist es ein holpriger Ritt. Ihm fällt es zunächst schwer, mit Saras unmißverständlichen Bemerkungen umzugehen, die so gar nicht in seine Vorstellung passen. Erst als er nach und nach erfährt, wie reizvoll, aber auch beunruhigend es ist, wenn harmlose Verliebtheit unversehens in schönen, tiefen Ernst umschlägt, in ein Gefühl, das eine Antwort fordert, läßt er sich auf Sara ein. Und sie macht es ihm durch wachsende Zutraulichkeit leichter. Wenn in dieser Zeit auch Liebesschwüre ausgetauscht werden, so ist es nicht Sache dieses erstaunlichen Autors, sie zu schildern. Er begleitet das Paar vielmehr, indem er die Ereignisse von Alberts Warte aus betrachtet, und läßt die Wandlung, die beide durch die Begegnung erfahren, nur in Details aufschimmern.
Die Woche wird für den Leser kurz gehalten, denn nach der ersten Kutschetappe verläßt Almqvist das Paar dezent und deutet mit humorvoller Anzüglichkeit an, daß es, während Autor und Leser keusch den Blick abwenden, nicht nur bei Worten geblieben ist. So erfahren wir lediglich, daß die beiden verdächtig langsam vorankommen - "Vier Übernachtungen zwischen Arboga und Mariestad sind doch reichlich viel!" -, und in manch simpler Beobachtung verrät sich der Grund für dieses gemächliche Reisen: "Ihre Augen, obwohl sie fast noch klarer als sonst waren und leuchteten, wenn sie Albert voll Innigkeit anblickten, zeigten doch Spuren großer Müdigkeit nach einer zu kurzen Nachtruhe. Das Mädchen, das mit dem Kaffee hereinkam, war also höchst willkommen. Ein vortreffliches Getränk bei einer Gelegenheit wie jenem Morgen! Aber das zu erwähnen ist wohl wiederum zu simpel?"
Während Almqvist also mit anregender Deutlichkeit und vornehmer Zurückhaltung beschreibt, wie zwei Menschen von Fremdkörpern zu Vertrauten werden, unterhält er den Leser vor allem mit den pointierten Bemerkungen Saras, die Albert ins Schwitzen bringen: "Reiß dich bloß nicht darum, Offizier, Leutnant oder so was zu werden. Was machen denn diese Nichtstuer anderes, als tagsüber mit den Mamsells und abends mit den Jungfern Larifari zu reden. Plunder!" Das Vorlaute legt sie auch in Gefühlsdingen nicht ab: "Ich bin beschwingt und frei wie ein Vogel, und du kannst sicher sein, daß ich meine Flügel immer behalten werde. Wenn du auch fliegen kannst, ist es gut, aber wenn du bloß ein Schwätzer bist, dann sag es lieber gleich."
Doch es sind nicht nur solche keck geäußerten, oft klugen, gelegentlich auch etwas naseweisen Sprüche, die Sara zu einer der bemerkenswertesten Frauengestalten in der - an unvergeßlichen Damen nicht eben armen - Literatur des neunzehnten Jahrhunderts machen. Albert beobachtet mit ehrfürchtigem Staunen, wie der Schalk von Sara abfällt und die Liebe sie fraulich macht. Ihre Anmut und wache Herzensbildung verfeinern auch die seine: "Das Wunderbarste war, daß jene vollkommene Freiheit, die sie ihm trotz allem gewährte - von ihr wegzureisen, wenn und wann er wollte, ohne gleich an Verlassen zu denken -, sie in seinen Augen tausendfach liebenswürdig, umgänglich und angenehm machte. Und Liebenswürdigkeit ist das einzige, was echte Liebe zeugt."
Für Sara kann kein Trauspruch, sondern einzig die Übereinstimmung von Herz und Seele Liebende vereinen: "Wenn sich Menschen etwas geloben, das zu halten nicht in ihrer Macht steht, wenden auch Beschwörungsformeln den Lauf der Dinge nicht ab." Kein Wunder, daß der Roman bei seinem Erscheinen einen Skandal auslöste - heute nurmehr Entzücken. Anstoß erregte zwar auch das höhnische Miniaturbild der schwedischen Gesellschaft an Bord des Dampfers, wo Almqvists Symphatie den kleinen Leuten auf dem Deck gilt, während er die Passagiere im Salon als dummdreiste Schmarotzer schildert. Gänzlich unverzeihlich aber war die beißende Kritik an der Ehe, jener als gottgewollt gesehenen Form des Zusammenlebens.
Überraschend kam Almqvists Frontalangriff 1839 allerdings nicht. Der Sozialrevolutionär hatte sich schon früher gegen die herrschende Ordnung gestemmt. Es empörte ihn, daß alleinstehende Frauen sozial geächtet waren, bestenfalls zum Dienstmädchen oder zur Lehrerin taugten - Möglichkeiten, von denen unverheiratete Mütter wiederum nur träumen konnten. Auch hatte Almqvist selbst gute Gründe, sich nach einer Partnerschaft zu sehnen, die auf gegenseitiger Liebe, Respekt und freiwilliger Verpflichtung beruhte. 1823 hatte er das Bauernmädchen Anna Maria Lundström geheiratet, mit der er ein idealisiertes Landleben in Värmland führen wollte, was jedoch nach kurzer Zeit in eine nicht nur wirtschaftlichen Pleite mündete. Als Schriftsteller immer wieder an die Armutsgrenze getrieben, verzweifelt in der unauflöslichen Ehe und in der Gesellschaft als enfant terrible verschrien, hat er nicht nur sich selbst in diesem Roman, der im Original den Titel "Det går an" (Es geht an) trägt, eine Fluchtvision geschaffen. Das kleine Meisterwerk "Die Woche mit Sara" sticht aus seinem umfangreichen, eigenwilligen Werk heraus. Einen besseren Auftakt für die dringend anstehende Wiederentdeckung dieses kühnen Autors mit seiner ausgeprägten Vorliebe für Mystik, für das Phantastische, Bizarre und Exotische, für den Verehrer von Byron, Novalis und Tieck, der kühle Dialektik mit Empfindsamkeit und einer strahlenden, leidenschaftlichen Sprache zu verbinden wußte, läßt sich nicht denken. Die Liebe zu diesem Buch jedenfalls wird länger halten als sieben Tage.
Carl Jonas Love Almqvist: "Die Woche mit Sara". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Nachwort von Anne Storm. Kindler Verlag, Berlin 2004. 159 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main