Sechs alte Schulfreunde kommen mit ihren Frauen zum ersten Mal nach fünfzehn Jahren zu einem gemeinsamen Wochenende in einem Landhaus zusammen. Die Wiedersehensfreude ist groß, aber schon bald stellt man fest, dass man sich voneinander entfernt hat. Es kommt zu Verstimmungen, bis schließlich bei «Mörder und Detektiv», einem harmlosen Gesellschaftsspiel, das die Lage entspannen soll, das Unfassbare passiert: Nachdem für kurze Zeit das Licht gelöscht war, liegt eine der Mitspielerinnen erdrosselt im Wohnzimmer. Hauptmann Beke, Ermittler der ungarischen Spionageabwehr, macht sich umgehend daran, den Fall aufzuklären. Im Folgenden spielen verstecktes Geld, ein Selbstmord mittels Zyankalikapsel, ein möglicher Doppelgänger und englischer Geheimagent, giftige Pilze und ein dubioser Wildschweinbraten eine Rolle - ein wahnwitziger Reigen von Ereignissen, in dem sich alle vermeintlichen Wahrheiten verflüchtigen ...
«Die Wolfsgrube» liest sich packend wie ein Whodunnit - und zugleich zeichnet Szilárd Rubin das Bild einer Gesellschaft, die von alten Vorurteilen und ewiger Missgunst zerfressen wird. Ein fesselnder Krimi und eine zeitlose Parabel auf den Menschen, der dem anderen immer und überall ein Wolf ist.
«Die Wolfsgrube» liest sich packend wie ein Whodunnit - und zugleich zeichnet Szilárd Rubin das Bild einer Gesellschaft, die von alten Vorurteilen und ewiger Missgunst zerfressen wird. Ein fesselnder Krimi und eine zeitlose Parabel auf den Menschen, der dem anderen immer und überall ein Wolf ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2013Mulatschak und Spitzenhöschen
Partyspiele, ein Mord und eine untergehende ungarische Generation: Szilárd Rubins Kriminalroman "Die Wolfsgrube"
"Die junge Frau, die neben der kleinen französischen Kommode lag, war nicht im Spiel gestorben. So, wie sie da lag, mit starrem Blick, nadelspitzengroßen geröteten Äderchen in den glasigen Augen . . ., hätte sie den schönsten Applaus nicht mehr gehört. Dieser Tod auf dem Boden des Salons der Dorfvilla war Bea Nickys echter Tod." Die Balletttänzerin Bea, und als solche mit ihren einunddreißig Jahren in diesem Beruf strenggenommen nicht mehr ganz jung, war im verdunkelten Zimmer während eines Partyspiels erwürgt worden. "Mörder und Detektiv" nennt sich das Spiel, wobei die Rollen zufällig zugeteilt werden, der "Detektiv" den Raum verlässt, der "Mörder" ein beliebiges Opfer auswählt und der nach dem "Mord" zurückgekehrte Ermittler durch geschickte Fragen herausbekommen soll, wer sein Widersacher ist. Allein diesmal ging etwas schrecklich schief.
"Diesmal", das ist im Kriminalroman "Die Wolfsgrube" (im Original: "Mulatság a farkasveremben", also wörtlich etwa: Remmidemmi in der Wolfsgrube) von Szilárd Rubin. Aus der Bibliographie des Autors lässt sich schließen, dass dies sein einziger im Druck erschienener Versuch in jenem Genre war, und zwar im Jahre 1973. Rubin, 1927 in Budapest geboren und 2010 verstorben, wurde erst vor kurzem zuerst in seiner Heimat und nach Übersetzungen seiner Erzählungen "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" und "Eine beinahe alltägliche Geschichte" (beide bei Rowohlt Berlin, übertragen von Andrea Ikker) auch im deutschen Sprachraum als bedeutender Romancier des zwanzigsten Jahrhunderts überschwänglich gewürdigt. Man begegnete da zwei Liebesgeschichten, die nicht nur in wunderbar lakonischem Stil verfasst waren, sondern viel aus der Geschichte seiner Heimat offenbarten, über all die Brüche hinweg, die das Land zu Lebzeiten ihres Autors durchmachte.
Wer den schmalen, jetzt erstmals auf Deutsch vorliegenden Band "Die Wolfsgrube" als reine Kriminalerzählung liest, stößt auf einen rätselhaften Fall. Sechs ehemalige Schulfreunde verabreden sich fast zwanzig Jahre nach der Reifeprüfung zu einem Treffen. Das Leben hat sie ganz schön weit auseinandergerissen, sie sind Arzt, Apotheker, Journalist, Schriftsteller, Biochemiker, der auch Nuklearforschung betreibt, und hochrangiger Polizist geworden. Die Ehefrauen von Arzt und Apotheker, eine Arzthelferin und ebendie Tänzerin, mit welcher der Journalist ein Interview führen soll und sich auch eine intimere Begegnung verspricht, sind gleichfalls anwesend. Der Mord ereignet sich ziemlich genau in der Mitte des Buches.
Polizeihauptmann Beke, der ironischerweise gerade eben noch in der Detektivrolle steckte, übernimmt sofort die Aufklärung. In bester Whodunnit-Manier werden in Einzelverhören die Beziehungen der Anwesenden untereinander erörtert. Alle haben etwas zu verbergen, freilich nicht notgedrungen im Zusammenhang mit dem aktuellen Verbrechen. Die Auflösung, von Beke dann auf dem Rückflug aus dem Provinzkaff nahe Pécs (Fünfkirchen) nach Budapest als Gedankenprotokoll präsentiert, ist noch um einiges überraschender und auch verwirrender, scheint das ganze Klassentreffen doch womöglich von der Spionageabwehr geplant worden zu sein. Mit einem Mord war zwar gerechnet worden, aber man hatte ein anderes Opfer im Visier.
Ohne die Verkaufszahlen der Originalauflage zu kennen, darf man dennoch vermuten, dass sich der Absatz 1973 in Grenzen gehalten haben wird. Das aber könnte - und sollte - sich mit der aktuellen Ausgabe ändern. Nicht nur bekommen wir hier ein spannend komponiertes Stück Genreliteratur in einer unterhaltsamen Mischung aus Agatha Christies Small-Village-Verbrechen und Spionagethriller serviert, wir halten auch ein erstaunliches Zeitdokument in Händen. Damit ist weniger gemeint, dass wir in eine Welt eintauchen, in der es noch üblich war, in Flugzeugen oder Eisenbahncoupés zu rauchen - das ist freilich am Rande ebenfalls unterhaltsam. Man erfährt, auch weil die Handlung zeitnah dem Erscheinungsdatum des Buches angeglichen ist, vieles von einer durch die Vorkriegsdiktatur, den Antisemitismus, den Krieg, die Besatzung durch die Wehrmacht, manchmal Flucht geprägten Grundstimmung im Lande. Zumindest für Rubin wird es sich so angefühlt haben, und da über den Autor immer noch wenig bekannt ist, lernen wir ihn auch in diesem Kriminalroman ein bisschen besser kennen.
Während der ermittelnde (Geheim-)Polizist Beke seltsam unpersönlich bleibt, ein Eindruck, der durch eingestreute Erinnerungen aus der Schulzeit eher verstärkt als abgemildert wird, sehen wir andere wie durch ein Vergrößerungsglas. Da gibt es die eifersüchtige Ehefrau, die, um das Erreichte zu erhalten, bereit wäre, die vermeintliche Nebenbuhlerin wenn schon nicht selbst zu ermorden, so doch an den Galgen zu bringen. Da wäre der sich verstellende Antisemit, der in zunehmendem Maße befürchtet, nicht eine Ungarndeutsche geheiratet zu haben, sondern ein jüdisches Mädel, das in Todesgefahr jene Identität angenommen hatte und nach Kriegsende mit dieser Rolle verschmolzen war. Einer hat Angst vor einer fatalen medizinischen Diagnose (Kehlkopfkrebs), ein anderer gar, dass er auf einer Auslandsreise durch einen Doppelgänger ersetzt worden sei. Dieser kurze Roman also bietet ein erstaunliches, aufregendes Kaleidoskop einer nun wohl wirklich bald endgültig verschwundenen Generation.
MARTIN LHOTZKY
Szilárd Rubin: "Die Wolfsgrube". Kriminalroman.
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 204 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Partyspiele, ein Mord und eine untergehende ungarische Generation: Szilárd Rubins Kriminalroman "Die Wolfsgrube"
"Die junge Frau, die neben der kleinen französischen Kommode lag, war nicht im Spiel gestorben. So, wie sie da lag, mit starrem Blick, nadelspitzengroßen geröteten Äderchen in den glasigen Augen . . ., hätte sie den schönsten Applaus nicht mehr gehört. Dieser Tod auf dem Boden des Salons der Dorfvilla war Bea Nickys echter Tod." Die Balletttänzerin Bea, und als solche mit ihren einunddreißig Jahren in diesem Beruf strenggenommen nicht mehr ganz jung, war im verdunkelten Zimmer während eines Partyspiels erwürgt worden. "Mörder und Detektiv" nennt sich das Spiel, wobei die Rollen zufällig zugeteilt werden, der "Detektiv" den Raum verlässt, der "Mörder" ein beliebiges Opfer auswählt und der nach dem "Mord" zurückgekehrte Ermittler durch geschickte Fragen herausbekommen soll, wer sein Widersacher ist. Allein diesmal ging etwas schrecklich schief.
"Diesmal", das ist im Kriminalroman "Die Wolfsgrube" (im Original: "Mulatság a farkasveremben", also wörtlich etwa: Remmidemmi in der Wolfsgrube) von Szilárd Rubin. Aus der Bibliographie des Autors lässt sich schließen, dass dies sein einziger im Druck erschienener Versuch in jenem Genre war, und zwar im Jahre 1973. Rubin, 1927 in Budapest geboren und 2010 verstorben, wurde erst vor kurzem zuerst in seiner Heimat und nach Übersetzungen seiner Erzählungen "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" und "Eine beinahe alltägliche Geschichte" (beide bei Rowohlt Berlin, übertragen von Andrea Ikker) auch im deutschen Sprachraum als bedeutender Romancier des zwanzigsten Jahrhunderts überschwänglich gewürdigt. Man begegnete da zwei Liebesgeschichten, die nicht nur in wunderbar lakonischem Stil verfasst waren, sondern viel aus der Geschichte seiner Heimat offenbarten, über all die Brüche hinweg, die das Land zu Lebzeiten ihres Autors durchmachte.
Wer den schmalen, jetzt erstmals auf Deutsch vorliegenden Band "Die Wolfsgrube" als reine Kriminalerzählung liest, stößt auf einen rätselhaften Fall. Sechs ehemalige Schulfreunde verabreden sich fast zwanzig Jahre nach der Reifeprüfung zu einem Treffen. Das Leben hat sie ganz schön weit auseinandergerissen, sie sind Arzt, Apotheker, Journalist, Schriftsteller, Biochemiker, der auch Nuklearforschung betreibt, und hochrangiger Polizist geworden. Die Ehefrauen von Arzt und Apotheker, eine Arzthelferin und ebendie Tänzerin, mit welcher der Journalist ein Interview führen soll und sich auch eine intimere Begegnung verspricht, sind gleichfalls anwesend. Der Mord ereignet sich ziemlich genau in der Mitte des Buches.
Polizeihauptmann Beke, der ironischerweise gerade eben noch in der Detektivrolle steckte, übernimmt sofort die Aufklärung. In bester Whodunnit-Manier werden in Einzelverhören die Beziehungen der Anwesenden untereinander erörtert. Alle haben etwas zu verbergen, freilich nicht notgedrungen im Zusammenhang mit dem aktuellen Verbrechen. Die Auflösung, von Beke dann auf dem Rückflug aus dem Provinzkaff nahe Pécs (Fünfkirchen) nach Budapest als Gedankenprotokoll präsentiert, ist noch um einiges überraschender und auch verwirrender, scheint das ganze Klassentreffen doch womöglich von der Spionageabwehr geplant worden zu sein. Mit einem Mord war zwar gerechnet worden, aber man hatte ein anderes Opfer im Visier.
Ohne die Verkaufszahlen der Originalauflage zu kennen, darf man dennoch vermuten, dass sich der Absatz 1973 in Grenzen gehalten haben wird. Das aber könnte - und sollte - sich mit der aktuellen Ausgabe ändern. Nicht nur bekommen wir hier ein spannend komponiertes Stück Genreliteratur in einer unterhaltsamen Mischung aus Agatha Christies Small-Village-Verbrechen und Spionagethriller serviert, wir halten auch ein erstaunliches Zeitdokument in Händen. Damit ist weniger gemeint, dass wir in eine Welt eintauchen, in der es noch üblich war, in Flugzeugen oder Eisenbahncoupés zu rauchen - das ist freilich am Rande ebenfalls unterhaltsam. Man erfährt, auch weil die Handlung zeitnah dem Erscheinungsdatum des Buches angeglichen ist, vieles von einer durch die Vorkriegsdiktatur, den Antisemitismus, den Krieg, die Besatzung durch die Wehrmacht, manchmal Flucht geprägten Grundstimmung im Lande. Zumindest für Rubin wird es sich so angefühlt haben, und da über den Autor immer noch wenig bekannt ist, lernen wir ihn auch in diesem Kriminalroman ein bisschen besser kennen.
Während der ermittelnde (Geheim-)Polizist Beke seltsam unpersönlich bleibt, ein Eindruck, der durch eingestreute Erinnerungen aus der Schulzeit eher verstärkt als abgemildert wird, sehen wir andere wie durch ein Vergrößerungsglas. Da gibt es die eifersüchtige Ehefrau, die, um das Erreichte zu erhalten, bereit wäre, die vermeintliche Nebenbuhlerin wenn schon nicht selbst zu ermorden, so doch an den Galgen zu bringen. Da wäre der sich verstellende Antisemit, der in zunehmendem Maße befürchtet, nicht eine Ungarndeutsche geheiratet zu haben, sondern ein jüdisches Mädel, das in Todesgefahr jene Identität angenommen hatte und nach Kriegsende mit dieser Rolle verschmolzen war. Einer hat Angst vor einer fatalen medizinischen Diagnose (Kehlkopfkrebs), ein anderer gar, dass er auf einer Auslandsreise durch einen Doppelgänger ersetzt worden sei. Dieser kurze Roman also bietet ein erstaunliches, aufregendes Kaleidoskop einer nun wohl wirklich bald endgültig verschwundenen Generation.
MARTIN LHOTZKY
Szilárd Rubin: "Die Wolfsgrube". Kriminalroman.
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 204 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Oliver Pfohlmann begrüßt die vorliegende deutsche Übersetzung von Szilárd Rubins 1973 erschienenen Roman "Die Wolfsgrube", dem einzigen Krimi des 2010 verstorbenen ungarischen Autors, der seit einigen Jahren wieder entdeckt wird. Auch wenn er den Roman um ein Wiedersehen von Schulfreunden, das nach einem Detektiv-Partyspiel für eine der Beteiligten tödlich endet, nicht unbedingt als großartiges "Meisterwerk" der Kriminalliteratur werten möchte, hat er das Buch mit einigem Vergnügen gelesen. Er bescheinigt dem Autor, ein vertracktes "Whodunnit"-Spiel zu inszenieren, das den Leser mehr als einmal auf die falsche Fährte führt und zum Rätseln geradezu herausfordert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Fesselndes Vergnügen. Der Standard