Wovor viele Angst hatten, wird Wirklichkeit: In Deutschland kommt es zu einem Unfall in einem Atomkraftwerk. Radioaktive Strahlung wird freigesetzt. Eine giftige Wolke zieht über das Land.Als der Unfall sich ereignet, ist die 14-jährige Janna gerade in der Schule. Plötzlich heult eine Sirene.Herr Benzig, der Lehrer, sieht auf seine Uhr."Neun Minuten vor elf", sagt er."Eine merkwürdige Zeit für einen Probe-Alarm.Es stand auch nichts davon on der Zeitung."Elmar ruft in die Klasse:"Das ist ABC-Alarm.Den gibt es, wenn was explodiert ist.Und wenn dabei giftiges Zeug in die Luft kommt."Elmar ist der beste Schüler in der Klasse."Na, vielleicht stand es ja doch in der Zeitung",sagt Herr Benzig."Machen wir also weiter."Gudrun Pausewang schrieb Die Wolke kurz nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. 1988 gewann das Buch den Deutschen Jugendliteraturpreis. Die Geschichte wurde 2006 verfilmt und bis heute wurden mehr als 1,5 Millionen Bücher verkauft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2011Moralin
Gudrun Pausewangs „Die Wolke“
schwebt in die Bestsellerlisten
Erst stirbt Opas Wellensittich Coco, dann der kleine Bruder Uli, anschließend verenden 18 000 Deutsche an radioaktiver Strahlung oder unter den Maschinengewehren-Salven skrupelloser Soldaten: Die Protagonistin Janna-Berta aus Gudrun Pausewangs Kinderbuch „Die Wolke“ watet nach einem fiktiven GAU im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld durch ein postapokalyptisches Deutschland. Seit dem Beginn der Katastrophe in Japan nimmt das Buch auf der Bestsellerliste für Jugendliteratur wieder einen der vordersten Plätze ein, weil die Kinder was Passendes lesen sollen, während Mama und Papa zur Menschenkette nach Neckarwestheim fahren.
Die moralinversäuerte Wolke hat seit ihrem Erscheinungsjahr 1987 genügend Schülern Geistesleben und Träume verseucht: „Die Politiker“ sind „schuld“ am Störfall, „die Bonzen“ haben sich „als erste abgesetzt“ und wie: Einmal pflügt ein Mercedes durch die Stiefmütterchen im Vorgarten – die Guten fahren dagegen einen bunt bemalten VW-Bus und wollen in die DDR fliehen. Anfangs prophezeit der kluge (aber bald tote) Vater, dass „erst hier bei uns was passieren muss, damit es dem Bundesbürger den Hintern aus dem Sessel reißt“, am Ende kann die überlebende Janna-Berta tatsächlich den Nazi-Opa, der auf Mallorca überlebt hat, überzeugen, dass Faschismus und Kernkraft doch irgendwie böse sind: Sie nimmt die Mütze vom haarlosen Kopf.
Die Katastrophe als Katharsis: Radioaktiv gereinigt behalten die Guten Recht und die reichen Bösen müssen wenigstens mal für eine Weile den Mund halten. Eine Moral wie diese ist Hohn und Spott für die Menschen in Japan, die tatsächlich die Hölle auf Erden durchleben: Größtenteils und soweit bislang ersichtlich solidarisch, tapfer, und mutig. Der eine oder andere flieht vielleicht sogar in einem Mercedes.
JOHANNES BOIE
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gudrun Pausewangs „Die Wolke“
schwebt in die Bestsellerlisten
Erst stirbt Opas Wellensittich Coco, dann der kleine Bruder Uli, anschließend verenden 18 000 Deutsche an radioaktiver Strahlung oder unter den Maschinengewehren-Salven skrupelloser Soldaten: Die Protagonistin Janna-Berta aus Gudrun Pausewangs Kinderbuch „Die Wolke“ watet nach einem fiktiven GAU im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld durch ein postapokalyptisches Deutschland. Seit dem Beginn der Katastrophe in Japan nimmt das Buch auf der Bestsellerliste für Jugendliteratur wieder einen der vordersten Plätze ein, weil die Kinder was Passendes lesen sollen, während Mama und Papa zur Menschenkette nach Neckarwestheim fahren.
Die moralinversäuerte Wolke hat seit ihrem Erscheinungsjahr 1987 genügend Schülern Geistesleben und Träume verseucht: „Die Politiker“ sind „schuld“ am Störfall, „die Bonzen“ haben sich „als erste abgesetzt“ und wie: Einmal pflügt ein Mercedes durch die Stiefmütterchen im Vorgarten – die Guten fahren dagegen einen bunt bemalten VW-Bus und wollen in die DDR fliehen. Anfangs prophezeit der kluge (aber bald tote) Vater, dass „erst hier bei uns was passieren muss, damit es dem Bundesbürger den Hintern aus dem Sessel reißt“, am Ende kann die überlebende Janna-Berta tatsächlich den Nazi-Opa, der auf Mallorca überlebt hat, überzeugen, dass Faschismus und Kernkraft doch irgendwie böse sind: Sie nimmt die Mütze vom haarlosen Kopf.
Die Katastrophe als Katharsis: Radioaktiv gereinigt behalten die Guten Recht und die reichen Bösen müssen wenigstens mal für eine Weile den Mund halten. Eine Moral wie diese ist Hohn und Spott für die Menschen in Japan, die tatsächlich die Hölle auf Erden durchleben: Größtenteils und soweit bislang ersichtlich solidarisch, tapfer, und mutig. Der eine oder andere flieht vielleicht sogar in einem Mercedes.
JOHANNES BOIE
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2011Das Angstmacherbuch unserer Schulzeit
"Die Wolke" war Pflichtlektüre - jetzt hat sie die Realität eingeholt
"An diesem Freitagmorgen wehte eine starke Brise", so harmlos fängt das an. Und am Ende heißt es: "Da zog Janna-Berta die Mütze vom Kopf und begann zu sprechen."
Was wird sie ihren Großeltern jetzt erzählen? Ganz sicher von dem Tag, als plötzlich in der Schule die Sirene schrillte, von der Panik, die sich ausbreitete, als bekannt wurde, dass ein nahe gelegenes Atomkraftwerk explodiert war. Von der Flucht über die Dörfer im Schatten der atomaren Wolke, von den Familien, die sich zerstreuten, vom Kampf ums Überleben, vom Unfalltod des kleinen Bruders und der Zeit im Krankenhaus auf der Station mit den vielen leukämiekranken Kindern. Dass sie die Mütze dafür abnimmt, ist eine Geste mit doppelter Bedeutung: Sie ist Zeichen der Trauer und des Respekts vor den vielen Toten. Und sie entblößt die Glatze der strahlenkranken Erzählerin.
Natürlich ist Gudrun Pausewangs Buch "Die Wolke", das 1987 erschienen ist, ein Jahr nach Tschernobyl, als Appell gemeint. Und der richtet sich nicht nur an Janna-Bertas Großeltern, die während der Reaktorkatastrophe auf Mallorca im Urlaub waren und dort offenbar nur sehr gefilterte Informationen erhielten. "Die Wolke" wurde 1988 mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet - ein Politikum, denn der Preis wird vom Familienministerium vergeben, so dass Rita Süssmuth ein Buch prämierte, das die Atompolitik ihres Kabinettskollegen Klaus Töpfer scharf kritisierte. Vor allem aber wurde es seither von allen deutschen Schülergenerationen gelesen.
Auch deshalb ist das Buch vermutlich so tief im kollektiven Gedächtnis der heute Zwanzig- bis Fünfundvierzigjährigen verankert wie kaum ein zweites. Und deshalb unterfüttert es die Schlagzeilen aus Japan nun automatisch mit Bildern aus dem Fundus des Gelesenen, so dass wir zumindest ahnen, was es bedeutet, wenn die Bevölkerung vor einer atomaren Wolke fliehen muss, auch wenn kein Leser so naiv sein dürfte, Tokio mit Fulda oder 2011 mit 1987 zu verwechseln. Heute würde kein Mensch mehr den Liveticker der Katastrophe ignorieren können, auch nicht auf Mallorca. Aber heute antizipieren Leser der "Wolke" aus Meldungen über ausgetretene Radioaktivität das Elend der Evakuierten, lange bevor die realen Bilder um die Welt gehen.
In einer Zeit, in der das sogenannte Mutmacherbuch als Genre der Kinderliteratur erfunden wurde, kann man Pausewangs Jugendromane - "Die Wolke" ebenso wie "Die letzten Kinder von Schewenborn" - mit Fug und Recht als Angstmacherbücher bezeichnen. Irgendein Trost ist in ihnen nicht zu haben. Genau darin liegt ihre Wirkung auf Jugendliche begründet.
TILMAN SPRECKELSEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Wolke" war Pflichtlektüre - jetzt hat sie die Realität eingeholt
"An diesem Freitagmorgen wehte eine starke Brise", so harmlos fängt das an. Und am Ende heißt es: "Da zog Janna-Berta die Mütze vom Kopf und begann zu sprechen."
Was wird sie ihren Großeltern jetzt erzählen? Ganz sicher von dem Tag, als plötzlich in der Schule die Sirene schrillte, von der Panik, die sich ausbreitete, als bekannt wurde, dass ein nahe gelegenes Atomkraftwerk explodiert war. Von der Flucht über die Dörfer im Schatten der atomaren Wolke, von den Familien, die sich zerstreuten, vom Kampf ums Überleben, vom Unfalltod des kleinen Bruders und der Zeit im Krankenhaus auf der Station mit den vielen leukämiekranken Kindern. Dass sie die Mütze dafür abnimmt, ist eine Geste mit doppelter Bedeutung: Sie ist Zeichen der Trauer und des Respekts vor den vielen Toten. Und sie entblößt die Glatze der strahlenkranken Erzählerin.
Natürlich ist Gudrun Pausewangs Buch "Die Wolke", das 1987 erschienen ist, ein Jahr nach Tschernobyl, als Appell gemeint. Und der richtet sich nicht nur an Janna-Bertas Großeltern, die während der Reaktorkatastrophe auf Mallorca im Urlaub waren und dort offenbar nur sehr gefilterte Informationen erhielten. "Die Wolke" wurde 1988 mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet - ein Politikum, denn der Preis wird vom Familienministerium vergeben, so dass Rita Süssmuth ein Buch prämierte, das die Atompolitik ihres Kabinettskollegen Klaus Töpfer scharf kritisierte. Vor allem aber wurde es seither von allen deutschen Schülergenerationen gelesen.
Auch deshalb ist das Buch vermutlich so tief im kollektiven Gedächtnis der heute Zwanzig- bis Fünfundvierzigjährigen verankert wie kaum ein zweites. Und deshalb unterfüttert es die Schlagzeilen aus Japan nun automatisch mit Bildern aus dem Fundus des Gelesenen, so dass wir zumindest ahnen, was es bedeutet, wenn die Bevölkerung vor einer atomaren Wolke fliehen muss, auch wenn kein Leser so naiv sein dürfte, Tokio mit Fulda oder 2011 mit 1987 zu verwechseln. Heute würde kein Mensch mehr den Liveticker der Katastrophe ignorieren können, auch nicht auf Mallorca. Aber heute antizipieren Leser der "Wolke" aus Meldungen über ausgetretene Radioaktivität das Elend der Evakuierten, lange bevor die realen Bilder um die Welt gehen.
In einer Zeit, in der das sogenannte Mutmacherbuch als Genre der Kinderliteratur erfunden wurde, kann man Pausewangs Jugendromane - "Die Wolke" ebenso wie "Die letzten Kinder von Schewenborn" - mit Fug und Recht als Angstmacherbücher bezeichnen. Irgendein Trost ist in ihnen nicht zu haben. Genau darin liegt ihre Wirkung auf Jugendliche begründet.
TILMAN SPRECKELSEN
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'Dieses Szenario des Grauens ist der mutige Versuch, Abschied von falschen Träumen zu nehmen.' Die Zeit'Kaum ein Buch ist so tief im kollektiven Gedächtnis verankert wie dieses.' Frankfurter Allgemeine Zeitung