Mit Schwung, Grazie und Eleganz seziert Wiglaf Droste die sprachlichen Entgleisungen der Deutschen, den Neusprech aus »Nachhaltigkeit« und »Transparenz«, in dem »Teamplayer« und »Goods Flow Mitarbeiter« gefragt sind, »Apps zum Entdecken von Apps« aufwendig »kuratiert« werden und den das Lied eines halbalphabetischen Sängers quasi »im Paket« zusammenfasst: »Wenn Worte meine Sprache wären«. Droste spürt der »gefühlten Unsportlichkeit« nach, analysiert die »cremige Fülle« eines Weins, die »Menschenrechte« aus dem Hause Hoeneß und einen »sich nach allen Seiten absichernden Mehrzweckjournalimus«, der mit »Jogi« immer nur Joachim Löw und niemals Jogi Gauck meint. Im Sprachschlamassel entdeckt Droste aber auch jede Menge Kleinode wie »betropetzt«; wenn Sie wissen wollen, was das zu bedeuten hat, bestellen Sie das Buch. Dann erfahren Sie auch, was Shakespeare meinte, als er »to be or not to go to no go« schrieb
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als nicht seinem eigentlichen Können gemäß beschreibt Rezensent Hansgeorg Hermann Wiglaf Drostes Versuch, dem großen Satiriker Friedrich Karl Waechter nachzueifern. Was jenem gelang, mit geschliffenem Wort die Würde des Menschen als Bürde zu entlarven, misslingt Droste laut Hermann insofern, als der Autor seinen Gegner nicht unter den Mächtigen und bei der Staatsgewalt sucht, sondern unter den Dummen und Ängstlichen und bei den kleinen Spießern, die ihn im Kaffeehaus auf die Nerven gehen. Der Rezensent findet das zwar bisweilen lustig, doch im Ganzen nicht befriedigend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2013Satirische Ohnmacht
Wiglaf Droste nimmt das Spießertum ins Visier
Artikel eins des Grundgesetzes ist ein schwerer Brocken: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Ein Satz, so hart und schwer wie ein Amboss, der für die melancholischen Schreiber der ersten Nachkriegsjahrzehnte kaum zu stemmen war. Die Hoffnung auf eine entspannte künstlerische Auseinandersetzung mit dem, was die Schöpfer des Grundgesetzes sich 1949 ausgedacht hatten, erfüllte sich erst 1982. Da hatte die Republik gerade die "bleierne Zeit" überstanden, und der neue Kanzler Kohl proklamierte die "geistig-moralische Wende". Das war ein Signal für den begnadeten Satiriker, Zeichner und Poeten Friedrich Karl Waechter, den "Menschen draußen im Lande" (wie Kohl sagte) dieses Grundgesetz, das die wenigsten von ihnen je gelesen oder gar verstanden hatten, endlich bildhaft zu erklären. Die Würde des Menschen zeigte er als das, was sie seiner Meinung nach war in der Bundesrepublik: als "Bürde des Menschen".
Nun hat in gewisser Weise ein Erbe des vor acht Jahren gestorbenen Waechter sich noch einmal dieses Themas angenommen: in einem Glossenband mit dem Titel "Die Würde des Menschen ist sein Konjunktiv". Dessen Verfasser ist Wiglaf Droste - kein Zeichner, sondern ein Mann des geschliffenen Wortes. Und weil er das ist, hat er die Möglichkeiten erkannt, die jemandem gegeben sind, der die deutsche Sprache wirklich beherrscht. Von Waechters Ironisierung der Würde als "Bürde" zu Drostes Verspottung als Konjunktiv - das beschreibt den Weg, den seit Fritz Teufels Tagen jene gegangen sind, die in der Satire zunächst ein Mittel sahen, "den Gegner totzulachen".
Mit Drostes Titel sind sie nun aber dorthin gelangt, wo sie nie ankommen wollten: am Ende. Droste lacht keinen Gegner mehr tot, zumindest keinen mächtigen, und er trägt keine Last. Er nimmt jene aufs Korn, die Waechter zu schützen suchte oder für nicht erwähnenswert hielt: die Dummen, Ängstlichen und Opportunisten, die Schlaumeier und die Schickeria. Nicht mehr der Polizist steht am Pranger, der sich dem satten, im Sessel schnarchenden Bürger von hinten nähert, um ihm eine reinzuhauen. Nicht mehr der Verleger, der auf seine Verantwortung pfeift, und nicht der Kapitaleigner, der per Anzeige "gesundes Menschenmaterial zwecks Ausbeutung" sucht. Droste setzt das Hilfsverb "werden" in den Konjunktiv, um die real existierende Würdelosigkeit zu beschreiben. Er spuckt auf die kleinen Spießer, die ihm über den Weg laufen oder im Kaffeehaus auf den Wecker gehen. Das ist bisweilen lustig, insgesamt aber unbefriedigend, weil die Suada dem Talent des Schriftstellers nicht gerecht wird. Wie gern wären Droste, wir und alle anderen doch jener kleine Junge, den F. K. Waechter in seinem Grundgesetzbuch mit Kreide an die Hauswand schreiben ließ: "Alle Staatsgewalt geht von Volker aus."
HANSGEORG HERMANN
Wiglaf Droste: "Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv".
Neue Sprachglossen. Verlag Tiamat, Berlin 2013. 239 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wiglaf Droste nimmt das Spießertum ins Visier
Artikel eins des Grundgesetzes ist ein schwerer Brocken: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Ein Satz, so hart und schwer wie ein Amboss, der für die melancholischen Schreiber der ersten Nachkriegsjahrzehnte kaum zu stemmen war. Die Hoffnung auf eine entspannte künstlerische Auseinandersetzung mit dem, was die Schöpfer des Grundgesetzes sich 1949 ausgedacht hatten, erfüllte sich erst 1982. Da hatte die Republik gerade die "bleierne Zeit" überstanden, und der neue Kanzler Kohl proklamierte die "geistig-moralische Wende". Das war ein Signal für den begnadeten Satiriker, Zeichner und Poeten Friedrich Karl Waechter, den "Menschen draußen im Lande" (wie Kohl sagte) dieses Grundgesetz, das die wenigsten von ihnen je gelesen oder gar verstanden hatten, endlich bildhaft zu erklären. Die Würde des Menschen zeigte er als das, was sie seiner Meinung nach war in der Bundesrepublik: als "Bürde des Menschen".
Nun hat in gewisser Weise ein Erbe des vor acht Jahren gestorbenen Waechter sich noch einmal dieses Themas angenommen: in einem Glossenband mit dem Titel "Die Würde des Menschen ist sein Konjunktiv". Dessen Verfasser ist Wiglaf Droste - kein Zeichner, sondern ein Mann des geschliffenen Wortes. Und weil er das ist, hat er die Möglichkeiten erkannt, die jemandem gegeben sind, der die deutsche Sprache wirklich beherrscht. Von Waechters Ironisierung der Würde als "Bürde" zu Drostes Verspottung als Konjunktiv - das beschreibt den Weg, den seit Fritz Teufels Tagen jene gegangen sind, die in der Satire zunächst ein Mittel sahen, "den Gegner totzulachen".
Mit Drostes Titel sind sie nun aber dorthin gelangt, wo sie nie ankommen wollten: am Ende. Droste lacht keinen Gegner mehr tot, zumindest keinen mächtigen, und er trägt keine Last. Er nimmt jene aufs Korn, die Waechter zu schützen suchte oder für nicht erwähnenswert hielt: die Dummen, Ängstlichen und Opportunisten, die Schlaumeier und die Schickeria. Nicht mehr der Polizist steht am Pranger, der sich dem satten, im Sessel schnarchenden Bürger von hinten nähert, um ihm eine reinzuhauen. Nicht mehr der Verleger, der auf seine Verantwortung pfeift, und nicht der Kapitaleigner, der per Anzeige "gesundes Menschenmaterial zwecks Ausbeutung" sucht. Droste setzt das Hilfsverb "werden" in den Konjunktiv, um die real existierende Würdelosigkeit zu beschreiben. Er spuckt auf die kleinen Spießer, die ihm über den Weg laufen oder im Kaffeehaus auf den Wecker gehen. Das ist bisweilen lustig, insgesamt aber unbefriedigend, weil die Suada dem Talent des Schriftstellers nicht gerecht wird. Wie gern wären Droste, wir und alle anderen doch jener kleine Junge, den F. K. Waechter in seinem Grundgesetzbuch mit Kreide an die Hauswand schreiben ließ: "Alle Staatsgewalt geht von Volker aus."
HANSGEORG HERMANN
Wiglaf Droste: "Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv".
Neue Sprachglossen. Verlag Tiamat, Berlin 2013. 239 S., br., 14,- [Euro].
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