Eine Geschichte der »Vermischten Meldungen« als Geschichte der Presse: Klaus Zeyringer zeigt, wie sich seit dem 17. Jahrhundert Leben und Treiben, Ängste und Sensationslust in den Kleinen Meldungen spiegeln.
Himmelserscheinungen, Kinder mit drei Köpfen und Eisenbahnkatastrophen. Seit ihrem Entstehen bringen Zeitungen Sensationelles im Großen und im Kleinen: Kleine Chronik, Miscellaneous, Faits Divers. Anhand dieses oft bizarren, oft tragikomischen Genres erzählt Klaus Zeyringer die Entwicklung der Presse in Europa und Amerika. Seine gewitzten Streifzüge durch vier Jahrhunderte bringen vergnüglich lesbare Kultureinblicke: Wie der Papst Windeln segnet, ein Mönch das Fegefeuer testet, die Französische Revolution ein Dinner stört, der Wilde Westen auf Titelseiten kommt, und wie heute die Kürze digital floriert. Die Genies der Erzählung in drei Zeilen sind Kleist, Fénéon und Karl Kraus; dazu treten Diderot, Bettina von Arnim, James Joyce auf. Und auf der kleinen Pressebühne Räuber und Propheten, lebend Begrabene und Reiter ohne Kopf.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Himmelserscheinungen, Kinder mit drei Köpfen und Eisenbahnkatastrophen. Seit ihrem Entstehen bringen Zeitungen Sensationelles im Großen und im Kleinen: Kleine Chronik, Miscellaneous, Faits Divers. Anhand dieses oft bizarren, oft tragikomischen Genres erzählt Klaus Zeyringer die Entwicklung der Presse in Europa und Amerika. Seine gewitzten Streifzüge durch vier Jahrhunderte bringen vergnüglich lesbare Kultureinblicke: Wie der Papst Windeln segnet, ein Mönch das Fegefeuer testet, die Französische Revolution ein Dinner stört, der Wilde Westen auf Titelseiten kommt, und wie heute die Kürze digital floriert. Die Genies der Erzählung in drei Zeilen sind Kleist, Fénéon und Karl Kraus; dazu treten Diderot, Bettina von Arnim, James Joyce auf. Und auf der kleinen Pressebühne Räuber und Propheten, lebend Begrabene und Reiter ohne Kopf.
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Wer nicht mehr weiß, was das eigentlich ist, eine "Vermischte Meldung", der soll laut Hermann Unterstöger gern Klaus Zeyringers Kompendium lesen. Der Autor gräbt nicht nur allerhand Historisches aus Zeitungsarchiven aus, er untersucht die kleinen Stücke auch als verdichtete Sprachkunst und fingiert sogar ein Gespräch zwischen Diderot, Hume und einem Baron, um dieser verlorenen Kunst nachzutrauern und die vergleichsweise Humorlosigkeit der heutigen Presse zu beklagen. Die vielleicht treffendste Definition der Vermischten Meldung hier in diesem Buch: eine närrische Art der Welterfindung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2022Die Welt als kleine Chronik
Ein reiche Fundgrube des Grotesken, Grausamen, Komischen und Banalen: Klaus Zeyringer schreibt eine Geschichte der Presse am Leitfaden der Vermischten Meldungen.
Die Kanalisation gebiert Schrecken. Dort lauern "Geierkraken", die ihre Fangarme durch Gullydeckel stecken und die Fußgelenke von Passanten umklammern. Das berichtete die bayrische "Isar-Post" am 14. September 1953 in ihrer Rubrik "Weite Welt" über die tiefe Unterwelt im brasilianischen Belo Horizonte. Die Geschichte fand Eingang in Heimito von Doderers 1956 veröffentlichten Roman "Die Dämonen", wo sich zwei Protagonisten über diesen "Unsinn" unterhalten. Aber der Fund aus der Zeitung inspirierte den Autor darüber hinaus zu einer Schlüsselpassage, in der es um den Brand des Wiener Justizpalastes geht: Der "dämonische" Berufsverbrecher Meisgeier schiebt eine zur Fußangel gebogene Stahlrute von unten durch ein Kanalgitter, bringt mehrere Polizisten zu Fall und wird durch abwärts gefeuerte Schüsse getötet.
Die Meldungen aus der Rubrik "Vermischtes" waren die Keimzellen so manchen literarischen Werks. Theodor Fontane beispielsweise fand die Stoffe für "Effi Briest" und seine Ballade "Die Brücke am Tay" in der "Vossischen Zeitung". Und in James Joyces "Ulysses" haben sich die zusammengewürfelten Absonderlichkeiten des Alltags, die den Charakter dieses journalistischen Genres ausmachen, nicht nur inhaltlich, sondern auch kompositorisch niedergeschlagen.
Der Germanist Klaus Zeyringer hat der Welt der Vermischten Meldungen und Kleinen Chroniken, die Kurioses und Bizarres "aus aller Welt" in die Kaffeehäuser und Wohnstuben brachten, eine historische Darstellung gewidmet. Neben dem deutschen Sprachraum bezieht er auch die französischen "Faits Divers" und die "Miscellaneous"-Rubriken des angloamerikanischen Raums mit ein, gelegentliche Abstecher führen nach Italien und Spanien. Dabei geht es dem Autor nicht nur um die Rolle der bunten Meldungen als literarische Inspirationsquellen. Er porträtiert das "Vermischte" als eine mediale Hinterbühne, die das Bedürfnis der Gesellschaft nach Unterhaltung und Klatsch, Schauder, Schadenfreude und Sensation ebenso befriedigt wie die Profitwünsche der Medien, die damit Geld verdienen.
Zeyringers Darstellung verknüpft die Entwicklung des Genres mit der allgemeinen Pressegeschichte und setzt bei den Flugblättern und ersten Zeitungen der frühen Neuzeit ein. Von "erschröcklichen" Geschichten über Blutregen, siebenköpfige Knaben und den Teufel, der sich "in Itzeho leibhafftig sehen last", bis zu ebenso schrecklichen, aber wahren Meldungen über brutale Morde und grausame Exekutionen, von Berichten über den Pastor, der einen Brief aus dem Fegefeuer empfing, über den Scheintoten, der an den Sargdeckel pochte, bis zur dreihundert Meter langen Rekordbratwurst aus Zittau - was Zeyringer vor dem Leser ausbreitet, ist eine reiche Fundgrube des Grotesken, Grausamen, Komischen und Banalen. Zugleich aber sind die Kürzestgeschichten auch eine stilistische Schule lakonischer Knappheit und pointierter Prägnanz. Sie unterhalten nicht nur, sondern werfen ein Licht auf die Ängste, Wünsche, Überzeugungen und Obsessionen der verschiedenen Epochen. Allerdings vertraut Zeyringer mitunter zu sehr der erzählerischen Tragkraft seines Stoffs und gibt der Versuchung nach, Anekdoten aneinanderzureihen, während ihre inhaltliche und strukturelle Analyse streckenweise zu kurz kommt.
Störend ist auch die wohlfeile Süffisanz des nachgeborenen Besserwissers, mit der die mentalen Beschränktheiten und gesellschaftlichen Borniertheiten, die sich in den Texten niederschlagen, kommentiert werden, als könne sich der Leser kein eigenes Urteil bilden. Zwischen die chronologische Darstellung geschaltet sind fiktive Szenen und Dialoge - zum Beispiel eine Unterhaltung Bettina von Arnims mit einer Freundin -, die die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Vermischten Meldungen zu unterschiedlichen Zeiten veranschaulichen sollen. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut: Gelegentlich wirken die Konversationen künstlich, weil ihr Charakter als Informationsvehikel zu sehr durchscheint.
Glanzlichter des Buches sind hingegen die Kapitel, die der Autor herausragenden Vertretern des Genres widmet, weil er sich hier die Zeit einer tiefer gehenden Analyse von Sprache und Inhalt nimmt und so das stilistische Potential dieser journalistischen Textform vor Augen führt. Zu denen, die Zeyringer heranzieht, gehört der kurzzeitige Redakteur der Berliner Abendblätter Heinrich von Kleist. Der Dichter schätzte den lapidaren Duktus der "Kleinen Chronik" und führte ihn in seinen Anekdoten, die auf solchen Meldungen aufbauen, zur Vollendung. In ihnen sah er ein Mittel, das Ziel seiner Zeitung zu erreichen: auf vernünftige Art zu unterhalten, "in sofern dergleichen überhaupt ausführbar ist".
Eingehend widmet sich Zeyringer auch dem in Deutschland weit weniger bekannten Félix Fénéon. Der anarchistische Literat und Kunstkritiker verarbeitete 1906 als - ebenfalls nur kurzzeitiger - Redakteur von "Le Matin" Agenturmeldungen und Depeschen zu dreizeiligen "Nouvelles". Der verdichtenden Erzählweise dieser verlieh er dabei durch Wortstellung und Interpunktion literarische Brillanz: "Hinter einem Sarg ging Mangin aus Verdun. Er erreichte, an diesem Tag, nicht den Friedhof. Der Tod überraschte ihn unterwegs." Auch Karl Kraus hat einen Auftritt, natürlich nicht als Produzent, sondern als unerbittlicher Sezierer der Vermischten Meldungen, denen er in Hassliebe verbunden war. Die kleinen Texte waren für Kraus eine nie versiegende Quelle hohler Phrasen, Symptome eben der bösartigen Dummheit, die sie kaschieren sollten. Würde er dereinst gefragt, so Kraus, wie sich ihm die Welt geoffenbart habe, wäre seine Antwort: "Als kleine Chronik".
Zeyringers Geschichte der Vermischten Meldungen ist zugleich ein Abgesang. Denn dieses Genre hat seiner Einschätzung nach seine große Zeit hinter sich. In gewisser Weise sei es ein Opfer seines Erfolges geworden: Die Boulevardisierung hat mittlerweile ganze Zeitungen und Rundfunkprogramme zu Ansammlungen Vermischter Meldungen gemacht, während die sprachliche und thematische Originalität, die dieser Textform zumindest gelegentlich zu eigen war, weitgehend verschwunden ist. Das Skurrile und Abseitige verbreitet sich heute vor allem per Internet. Doch zugleich setzt das Netz, das den einmal ermittelten Nutzergeschmack mit dem Immergleichen bedient, das Prinzip des Vermischten, das auf die Überraschung des Lesers beim Durchblättern baut, außer Kraft. Es ist auch das Prinzip, das dem Zeitunglesen überhaupt einmal zugrunde lag. WOLFGANG KRISCHKE
Klaus Zeyringer: "Die Würze der Kürze". Eine kleine Geschichte der Presse anhand der Vermischten Meldungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 368 S., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein reiche Fundgrube des Grotesken, Grausamen, Komischen und Banalen: Klaus Zeyringer schreibt eine Geschichte der Presse am Leitfaden der Vermischten Meldungen.
Die Kanalisation gebiert Schrecken. Dort lauern "Geierkraken", die ihre Fangarme durch Gullydeckel stecken und die Fußgelenke von Passanten umklammern. Das berichtete die bayrische "Isar-Post" am 14. September 1953 in ihrer Rubrik "Weite Welt" über die tiefe Unterwelt im brasilianischen Belo Horizonte. Die Geschichte fand Eingang in Heimito von Doderers 1956 veröffentlichten Roman "Die Dämonen", wo sich zwei Protagonisten über diesen "Unsinn" unterhalten. Aber der Fund aus der Zeitung inspirierte den Autor darüber hinaus zu einer Schlüsselpassage, in der es um den Brand des Wiener Justizpalastes geht: Der "dämonische" Berufsverbrecher Meisgeier schiebt eine zur Fußangel gebogene Stahlrute von unten durch ein Kanalgitter, bringt mehrere Polizisten zu Fall und wird durch abwärts gefeuerte Schüsse getötet.
Die Meldungen aus der Rubrik "Vermischtes" waren die Keimzellen so manchen literarischen Werks. Theodor Fontane beispielsweise fand die Stoffe für "Effi Briest" und seine Ballade "Die Brücke am Tay" in der "Vossischen Zeitung". Und in James Joyces "Ulysses" haben sich die zusammengewürfelten Absonderlichkeiten des Alltags, die den Charakter dieses journalistischen Genres ausmachen, nicht nur inhaltlich, sondern auch kompositorisch niedergeschlagen.
Der Germanist Klaus Zeyringer hat der Welt der Vermischten Meldungen und Kleinen Chroniken, die Kurioses und Bizarres "aus aller Welt" in die Kaffeehäuser und Wohnstuben brachten, eine historische Darstellung gewidmet. Neben dem deutschen Sprachraum bezieht er auch die französischen "Faits Divers" und die "Miscellaneous"-Rubriken des angloamerikanischen Raums mit ein, gelegentliche Abstecher führen nach Italien und Spanien. Dabei geht es dem Autor nicht nur um die Rolle der bunten Meldungen als literarische Inspirationsquellen. Er porträtiert das "Vermischte" als eine mediale Hinterbühne, die das Bedürfnis der Gesellschaft nach Unterhaltung und Klatsch, Schauder, Schadenfreude und Sensation ebenso befriedigt wie die Profitwünsche der Medien, die damit Geld verdienen.
Zeyringers Darstellung verknüpft die Entwicklung des Genres mit der allgemeinen Pressegeschichte und setzt bei den Flugblättern und ersten Zeitungen der frühen Neuzeit ein. Von "erschröcklichen" Geschichten über Blutregen, siebenköpfige Knaben und den Teufel, der sich "in Itzeho leibhafftig sehen last", bis zu ebenso schrecklichen, aber wahren Meldungen über brutale Morde und grausame Exekutionen, von Berichten über den Pastor, der einen Brief aus dem Fegefeuer empfing, über den Scheintoten, der an den Sargdeckel pochte, bis zur dreihundert Meter langen Rekordbratwurst aus Zittau - was Zeyringer vor dem Leser ausbreitet, ist eine reiche Fundgrube des Grotesken, Grausamen, Komischen und Banalen. Zugleich aber sind die Kürzestgeschichten auch eine stilistische Schule lakonischer Knappheit und pointierter Prägnanz. Sie unterhalten nicht nur, sondern werfen ein Licht auf die Ängste, Wünsche, Überzeugungen und Obsessionen der verschiedenen Epochen. Allerdings vertraut Zeyringer mitunter zu sehr der erzählerischen Tragkraft seines Stoffs und gibt der Versuchung nach, Anekdoten aneinanderzureihen, während ihre inhaltliche und strukturelle Analyse streckenweise zu kurz kommt.
Störend ist auch die wohlfeile Süffisanz des nachgeborenen Besserwissers, mit der die mentalen Beschränktheiten und gesellschaftlichen Borniertheiten, die sich in den Texten niederschlagen, kommentiert werden, als könne sich der Leser kein eigenes Urteil bilden. Zwischen die chronologische Darstellung geschaltet sind fiktive Szenen und Dialoge - zum Beispiel eine Unterhaltung Bettina von Arnims mit einer Freundin -, die die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Vermischten Meldungen zu unterschiedlichen Zeiten veranschaulichen sollen. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut: Gelegentlich wirken die Konversationen künstlich, weil ihr Charakter als Informationsvehikel zu sehr durchscheint.
Glanzlichter des Buches sind hingegen die Kapitel, die der Autor herausragenden Vertretern des Genres widmet, weil er sich hier die Zeit einer tiefer gehenden Analyse von Sprache und Inhalt nimmt und so das stilistische Potential dieser journalistischen Textform vor Augen führt. Zu denen, die Zeyringer heranzieht, gehört der kurzzeitige Redakteur der Berliner Abendblätter Heinrich von Kleist. Der Dichter schätzte den lapidaren Duktus der "Kleinen Chronik" und führte ihn in seinen Anekdoten, die auf solchen Meldungen aufbauen, zur Vollendung. In ihnen sah er ein Mittel, das Ziel seiner Zeitung zu erreichen: auf vernünftige Art zu unterhalten, "in sofern dergleichen überhaupt ausführbar ist".
Eingehend widmet sich Zeyringer auch dem in Deutschland weit weniger bekannten Félix Fénéon. Der anarchistische Literat und Kunstkritiker verarbeitete 1906 als - ebenfalls nur kurzzeitiger - Redakteur von "Le Matin" Agenturmeldungen und Depeschen zu dreizeiligen "Nouvelles". Der verdichtenden Erzählweise dieser verlieh er dabei durch Wortstellung und Interpunktion literarische Brillanz: "Hinter einem Sarg ging Mangin aus Verdun. Er erreichte, an diesem Tag, nicht den Friedhof. Der Tod überraschte ihn unterwegs." Auch Karl Kraus hat einen Auftritt, natürlich nicht als Produzent, sondern als unerbittlicher Sezierer der Vermischten Meldungen, denen er in Hassliebe verbunden war. Die kleinen Texte waren für Kraus eine nie versiegende Quelle hohler Phrasen, Symptome eben der bösartigen Dummheit, die sie kaschieren sollten. Würde er dereinst gefragt, so Kraus, wie sich ihm die Welt geoffenbart habe, wäre seine Antwort: "Als kleine Chronik".
Zeyringers Geschichte der Vermischten Meldungen ist zugleich ein Abgesang. Denn dieses Genre hat seiner Einschätzung nach seine große Zeit hinter sich. In gewisser Weise sei es ein Opfer seines Erfolges geworden: Die Boulevardisierung hat mittlerweile ganze Zeitungen und Rundfunkprogramme zu Ansammlungen Vermischter Meldungen gemacht, während die sprachliche und thematische Originalität, die dieser Textform zumindest gelegentlich zu eigen war, weitgehend verschwunden ist. Das Skurrile und Abseitige verbreitet sich heute vor allem per Internet. Doch zugleich setzt das Netz, das den einmal ermittelten Nutzergeschmack mit dem Immergleichen bedient, das Prinzip des Vermischten, das auf die Überraschung des Lesers beim Durchblättern baut, außer Kraft. Es ist auch das Prinzip, das dem Zeitunglesen überhaupt einmal zugrunde lag. WOLFGANG KRISCHKE
Klaus Zeyringer: "Die Würze der Kürze". Eine kleine Geschichte der Presse anhand der Vermischten Meldungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 368 S., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wer nicht mehr weiß, was das eigentlich ist, eine "Vermischte Meldung", der soll laut Hermann Unterstöger gern Klaus Zeyringers Kompendium lesen. Der Autor gräbt nicht nur allerhand Historisches aus Zeitungsarchiven aus, er untersucht die kleinen Stücke auch als verdichtete Sprachkunst und fingiert sogar ein Gespräch zwischen Diderot, Hume und einem Baron, um dieser verlorenen Kunst nachzutrauern und die vergleichsweise Humorlosigkeit der heutigen Presse zu beklagen. Die vielleicht treffendste Definition der Vermischten Meldung hier in diesem Buch: eine närrische Art der Welterfindung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.01.2023Adler beißt Löwe
die Gurgel ab
Eine Geschichte der „Vermischten Meldungen“
Auch im „Vermischten“, heute gern „Panorama“ oder „Aus aller Welt“ genannt, dürfte es Träume geben, und es könnte leicht sein, dass die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen manchmal davon träumen, eine Meldung wie diese ins Blatt zu heben: „Die Krankenschwester Elise Bachmann, die gestern ihren freien Tag hatte, benahm sich auf der Straße wie eine Verrückte.“ Damit könnte die Woche beginnen, und sie wäre vollends gerettet, wenn am Mittwoch oder Donnerstag Folgendes nachgeschoben würde: „Eine Verrückte wurde gestern auf der Straße festgenommen, weil sie sich fälschlich als die Krankenschwester Elise Bachmann ausgab. Diese erfreut sich bester Gesundheit.“
Die Reaktion kann man sich denken. Es gäbe erboste Leserbriefe, und der Chefredakteur würde sagen, dass das aber überhaupt nicht gehe. Schnurren wie die hier zitierten hat sich einst der Literat Félix Fénéon für die Tageszeitung Le Matin ausgedacht. Sie sind als „nouvelles en trois lignes“ (Nachrichten in drei Zeilen) in die Zeitungs- und Literaturgeschichte eingegangen und spielen in Klaus Zeyringers Buch „Die Würze der Kürze“ eine bedeutende Rolle. Es handelt sich dabei um ein auf charmanteste Art zweigleisiges Werk, nämlich um eine Pressegeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Vermischten beziehungsweise um eine Geschichte der Vermischten Meldungen im Licht der Presseentwicklung.
Um die Weite des erzählerischen Bogens – der österreichische Germanist Klaus Zeyringer wird als Wissenschaftler gerühmt, der zu fesseln weiß – zu skizzieren, so reicht dieser von Kleists charakteristisch verdichteten Sprachkunstwerken in den Berliner Abendblättern bis hin zu dem bitteren Fazit, dass es mit der thematischen und sprachlichen Originalität der Vermischten Seiten heute oft nicht mehr weit her sei. Dazwischen findet sich so viel närrisch Erheiterndes, dass die Versuchung groß ist, Zeyringers Buch nur auf Schnurriges hin abzusuchen. Was natürlich auch nicht verboten ist und viel Genuss schafft, etwa bei Betrachtung des Wiener Originals Poldi Beck, der einst – und nur einmal – die Zeitschrift Die Binse herausgab. Darin war unter der Rubrik „Gleichgültiges aus aller Welt“ zum Beispiel vermerkt, dass der Handelsvertreter Jonas Grün am Dienstag im „Wilden Mann“ ein Mittagsmahl eingenommen habe, bestehend aus Schöberlsuppe, Rindfleisch garniert und Apfelstrudel. Fazit: „Es hat ihm sehr gut geschmeckt.“ Diese Art von Welterfindung wird auf Foren wie dem Postillon weitergeführt, der einmal mit der Meldung „Als Lothar Wessing aus Potsdam am 12. Februar 1993 um 8:12 Uhr aus dem Fenster schaute, traute er seinen Augen nicht“ fast bekennerhaft auf Becks und Fénéons Spuren wandelte.
Was ihr innerstes Wesen angeht, so hat Zeyringer für die Vermischten Meldungen, die Faits Divers, Kleinen Chroniken und „Leute“-Rubriken ein Zeugnis parat, wie sie es sich schöner und honoriger nicht wünschen können. Sie versetzen, schreibt er, das Geschehen auf eine persönliche Ebene und binden es „an die Nachbarschaft des eigenen Lebens“, mit dem menschenfreundlichen Effekt, dass Hinz und Kunz sich, ihresgleichen und ihr Dasein darin erkennen. So schafft, lautet seine Folgerung, „die Zeitung die Brücke zwischen den Weltvorgängen und dem Ich“.
Wann hat man „der Zeitung“ zum letzten Mal so wohltuend auf die Schulter geklopft? Wie man sieht, hält sich der Jux in Grenzen, sind die verrückte Krankenschwester Elise und Jonas Grüns Mittagsmahl keineswegs die Hauptsache. Um die Journalisten an den Moral ihres Berufs zu erinnern, fingiert Zeyringer ein Treffen von Denis Diderot, David Hume und Baron d’Holbach. Die drei unterhalten sich über dies und das, darunter auch über das große Erdbeben von Lissabon und die daran anzuknüpfende Frage, ob es berechtigt sei, so eine Naturkatastrophe – ein Vermischtes Sujet von gigantischen Ausmaßen – „als moralisches Ereignis zu erklären“. Wie zu erwarten, kommt dabei allerlei scharf Antiklerikales und Aufklärerisches zur Sprache, daneben aber auch die Grundsätze, die Diderot in der Encyclopédie für die Journalisten aufgestellt hat: Humor ja, wenn die Sache ihn verträgt, aber grundsätzlich sei es nicht Sache der Journalisten, andere zum Lachen zu bringen.
Dass es die Vermischten Meldungen früher leichter hatten als heute, hängt sicher auch mit der Frage der Glaubwürdigkeit zusammen. Zeyringer berichtet von Anekdoten über Unglücksgeburten von Kindern mit zwei oder mehr Köpfen. Die Berichte darüber wanderten von Blatt zu Blatt, und da konnte es leicht geschehen, dass auch die Köpfe immer mehr wurden (in Frankreich, 1676, waren es sieben). Da es schwer bis unmöglich war, Belege beizubringen, rekurrierte man entweder darauf, dass viele Leute Zeugen gewesen seien oder dass Gott es so gewollt habe.
Die eine Variante sicherte die Nachricht von dem Luftkampf zwischen einem Adler und einem Löwen ab, der 1628 angeblich „von vilen tausent Menschen“ beobachtet worden war und bei dem übrigens der Adler dem Löwen „die Gurgel abgebissen“ haben soll. Die andere wurde bei einem Blut-und-Schwefel-Regen, der wenig später in Wien herniederging, zur Gewähr herangezogen. „Die bedeutung ist Gott bekand“, resümierte die in München erscheinende Wochentliche Ordinari Zeitung. Wer das heute durchgehen ließe, den würde man fragen, wo die Belege dafür seien und warum er, wenn Handfestes gefehlt habe, nicht wenigstens beim österreichischen Wetterdienst angerufen habe.
HERMANN UNTERSTÖGER
Wann hat man „der Zeitung“
zum letzten Mal so wohltuend
auf die Schulter geklopft?
Es sei nicht Sache der
Journalisten, befand Diderot,
andere zum Lachen zu bringen
Klaus Zeyringer:
Die Würze der Kürze:
Eine kleine Geschichte der Presse anhand der
Vermischten Meldungen.
S. Fischer, Frankfurt am Main 2022. 353 S., 25 Euro.
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die Gurgel ab
Eine Geschichte der „Vermischten Meldungen“
Auch im „Vermischten“, heute gern „Panorama“ oder „Aus aller Welt“ genannt, dürfte es Träume geben, und es könnte leicht sein, dass die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen manchmal davon träumen, eine Meldung wie diese ins Blatt zu heben: „Die Krankenschwester Elise Bachmann, die gestern ihren freien Tag hatte, benahm sich auf der Straße wie eine Verrückte.“ Damit könnte die Woche beginnen, und sie wäre vollends gerettet, wenn am Mittwoch oder Donnerstag Folgendes nachgeschoben würde: „Eine Verrückte wurde gestern auf der Straße festgenommen, weil sie sich fälschlich als die Krankenschwester Elise Bachmann ausgab. Diese erfreut sich bester Gesundheit.“
Die Reaktion kann man sich denken. Es gäbe erboste Leserbriefe, und der Chefredakteur würde sagen, dass das aber überhaupt nicht gehe. Schnurren wie die hier zitierten hat sich einst der Literat Félix Fénéon für die Tageszeitung Le Matin ausgedacht. Sie sind als „nouvelles en trois lignes“ (Nachrichten in drei Zeilen) in die Zeitungs- und Literaturgeschichte eingegangen und spielen in Klaus Zeyringers Buch „Die Würze der Kürze“ eine bedeutende Rolle. Es handelt sich dabei um ein auf charmanteste Art zweigleisiges Werk, nämlich um eine Pressegeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Vermischten beziehungsweise um eine Geschichte der Vermischten Meldungen im Licht der Presseentwicklung.
Um die Weite des erzählerischen Bogens – der österreichische Germanist Klaus Zeyringer wird als Wissenschaftler gerühmt, der zu fesseln weiß – zu skizzieren, so reicht dieser von Kleists charakteristisch verdichteten Sprachkunstwerken in den Berliner Abendblättern bis hin zu dem bitteren Fazit, dass es mit der thematischen und sprachlichen Originalität der Vermischten Seiten heute oft nicht mehr weit her sei. Dazwischen findet sich so viel närrisch Erheiterndes, dass die Versuchung groß ist, Zeyringers Buch nur auf Schnurriges hin abzusuchen. Was natürlich auch nicht verboten ist und viel Genuss schafft, etwa bei Betrachtung des Wiener Originals Poldi Beck, der einst – und nur einmal – die Zeitschrift Die Binse herausgab. Darin war unter der Rubrik „Gleichgültiges aus aller Welt“ zum Beispiel vermerkt, dass der Handelsvertreter Jonas Grün am Dienstag im „Wilden Mann“ ein Mittagsmahl eingenommen habe, bestehend aus Schöberlsuppe, Rindfleisch garniert und Apfelstrudel. Fazit: „Es hat ihm sehr gut geschmeckt.“ Diese Art von Welterfindung wird auf Foren wie dem Postillon weitergeführt, der einmal mit der Meldung „Als Lothar Wessing aus Potsdam am 12. Februar 1993 um 8:12 Uhr aus dem Fenster schaute, traute er seinen Augen nicht“ fast bekennerhaft auf Becks und Fénéons Spuren wandelte.
Was ihr innerstes Wesen angeht, so hat Zeyringer für die Vermischten Meldungen, die Faits Divers, Kleinen Chroniken und „Leute“-Rubriken ein Zeugnis parat, wie sie es sich schöner und honoriger nicht wünschen können. Sie versetzen, schreibt er, das Geschehen auf eine persönliche Ebene und binden es „an die Nachbarschaft des eigenen Lebens“, mit dem menschenfreundlichen Effekt, dass Hinz und Kunz sich, ihresgleichen und ihr Dasein darin erkennen. So schafft, lautet seine Folgerung, „die Zeitung die Brücke zwischen den Weltvorgängen und dem Ich“.
Wann hat man „der Zeitung“ zum letzten Mal so wohltuend auf die Schulter geklopft? Wie man sieht, hält sich der Jux in Grenzen, sind die verrückte Krankenschwester Elise und Jonas Grüns Mittagsmahl keineswegs die Hauptsache. Um die Journalisten an den Moral ihres Berufs zu erinnern, fingiert Zeyringer ein Treffen von Denis Diderot, David Hume und Baron d’Holbach. Die drei unterhalten sich über dies und das, darunter auch über das große Erdbeben von Lissabon und die daran anzuknüpfende Frage, ob es berechtigt sei, so eine Naturkatastrophe – ein Vermischtes Sujet von gigantischen Ausmaßen – „als moralisches Ereignis zu erklären“. Wie zu erwarten, kommt dabei allerlei scharf Antiklerikales und Aufklärerisches zur Sprache, daneben aber auch die Grundsätze, die Diderot in der Encyclopédie für die Journalisten aufgestellt hat: Humor ja, wenn die Sache ihn verträgt, aber grundsätzlich sei es nicht Sache der Journalisten, andere zum Lachen zu bringen.
Dass es die Vermischten Meldungen früher leichter hatten als heute, hängt sicher auch mit der Frage der Glaubwürdigkeit zusammen. Zeyringer berichtet von Anekdoten über Unglücksgeburten von Kindern mit zwei oder mehr Köpfen. Die Berichte darüber wanderten von Blatt zu Blatt, und da konnte es leicht geschehen, dass auch die Köpfe immer mehr wurden (in Frankreich, 1676, waren es sieben). Da es schwer bis unmöglich war, Belege beizubringen, rekurrierte man entweder darauf, dass viele Leute Zeugen gewesen seien oder dass Gott es so gewollt habe.
Die eine Variante sicherte die Nachricht von dem Luftkampf zwischen einem Adler und einem Löwen ab, der 1628 angeblich „von vilen tausent Menschen“ beobachtet worden war und bei dem übrigens der Adler dem Löwen „die Gurgel abgebissen“ haben soll. Die andere wurde bei einem Blut-und-Schwefel-Regen, der wenig später in Wien herniederging, zur Gewähr herangezogen. „Die bedeutung ist Gott bekand“, resümierte die in München erscheinende Wochentliche Ordinari Zeitung. Wer das heute durchgehen ließe, den würde man fragen, wo die Belege dafür seien und warum er, wenn Handfestes gefehlt habe, nicht wenigstens beim österreichischen Wetterdienst angerufen habe.
HERMANN UNTERSTÖGER
Wann hat man „der Zeitung“
zum letzten Mal so wohltuend
auf die Schulter geklopft?
Es sei nicht Sache der
Journalisten, befand Diderot,
andere zum Lachen zu bringen
Klaus Zeyringer:
Die Würze der Kürze:
Eine kleine Geschichte der Presse anhand der
Vermischten Meldungen.
S. Fischer, Frankfurt am Main 2022. 353 S., 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
ein auf charmanteste Art zweigleisiges Werk, [...] eine Pressegeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Vermischten beziehungsweise um eine Geschichte der Vermischten Meldungen im Licht der Presseentwicklung. Hermann Unterstöger Süddeutsche Zeitung 20230124